„Öffentliche Dienstleister können weder profitorientiert noch kostendeckend arbeiten“

Was ist Ihrer Meinung nach die größte Stärke sowie die größte Schwäche der Reform des öffentlichen Dienstes? Romain Wolff: Ich möchte zunächst erwähnen, dass die CGFP niemals Antragsteller war für eine Reform dieses Ausmaßes. Die CGFP ist eingetreten für eine längst überfällige Gehälterrevision. Die damalige Regierung hat die Gelegenheit genutzt, darüber hinaus eine grundlegende Reform des Dienstrechts umzusetzen
– und das, obwohl es im Jahre 2003 bereits zu einer tiefgreifenden Überarbeitung des Beamtenstatuts gekommen war. Die Reform, wie sie nun im März 2015 nach fast fünf Jahren zäher Verhandlungen in der Abgeordnetenkammer votiert wurde, beinhaltet gute und weniger gute Ansätze. Als „größte Schwäche“ gilt sicherlich nach wie vor der in den Texten enthaltene Bewertungsmechanismus, auch wenn er im Vergleich zur ursprünglichen Fassung auf ein Minimum zurückgeführt werden konnte. Der Aufwand ist einfach zu groß. Und auch bei der jetzigen Vorlage besteht noch immer das Risiko einer tendenziösen Beurteilung der Bediensteten. Aus diesem Grunde appelliert die CGFP auch jetzt noch an die Regierung, auf diesen mehr als fragwürdigen Bewertungsmechanismus zu verzichten, am besten noch, bevor er überhaupt erst in Kraft getreten ist. Unter den positiven Punkten möchte ich den Aufstiegsmechanismus im neu geschaffenen „niveau supérieur“ erwähnen. Bekanntlich sollen die Beförderungen seit Inkrafttreten der Reform ja automatisch erfolgen – dies, um Karriereblockaden aufgrund der Alterspyramiden zu verhindern. Das setzt allerdings voraus, dass dieser Mechanismus auch in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes Anwendung findet. Bestimmte öffentliche Einrichtungen scheinen sich damit schwer zu tun. Auch in dieser Frage steht die Regierung in der Pflicht. Per großherzogliche Verordnung wird bestimmt, welche Posten wegen ihres hoheitsrechtlichen Charakters
luxemburgischen Staatsbürgern vorbehalten sind. Soll der Staatsdienst seine Türen weiter für EU-Bürger, vielleicht sogar Nicht-EU-Bürger (eventuell im prioritären Bereich) öffnen, um so dem Fachkräftemangel
ntgegenzuwirken und den öffentlichen Dienst im Allgemeinen
zugänglicher zu machen? Könnte der öffentliche
Dienst, ähnlich wie es der Privatsektor leistet, das
Potenzial, das die Grenzgänger bieten, auf diese Weise
besser ausschöpfen?
R.W. : Ich möchte daran erinnern, dass vor Jahren
noch die luxemburgische Staatsbürgerschaft eine
der Voraussetzungen war, um überhaupt im öffentlichen
Dienst arbeiten zu können. Aufgrund einer
europäischen Bestimmung ist das heute anders. Im
Prinzip haben heute alle EU-Bürger Zugang zum
öffentlichen Dienst, mit Ausnahme derjenigen Bereiche,
die in der Tat als hoheitsrechtlich angesehen
werden. Dazu zählen z. B. die Magistratur oder die
Steuerverwaltungen. Was den Anteil an Nicht-Luxemburgern
in der öffentlichen Verwaltung angeht,
„Öffentliche Dienstleister
können weder profitorientiert
noch kostendeckend arbeiten“
4 Fragen an Romain Wolff, Generalsekretär der größten
Beamtengewerkschaft des Landes CGFP
Öffentlicher Dienst Januar 2016 21
steht Luxemburg seinen Nachbarn in nichts nach.
Das Gegenteil ist der Fall. Im Vergleich zur Gesamtbeschäftigungszahl
dürften wir heute rund 15%1
Nicht-Luxemburger im öffentlichen Dienst beschäftigen.
In Ländern wie Belgien oder Frankreich ist
dieser Prozentsatz weitaus niedriger.
Laut der Reform soll der Staatsdienst „zielorientiert“
arbeiten. Sehen Sie die neuen Ansätze des New Public
Management als Chance für eine effizientere und wirksamere
öffentliche Verwaltung oder bergen sie das Risiko
eines Papiertigers? Muss der öffentliche Dienst stärker
nach Prinzipien der Privatwirtschaft funktionieren?
R.W. : Natürlich muss auch eine Verwaltung bestimmte
Ziele verfolgen. Das ist im Übrigen nicht
neu. Ob diese Ziele allerdings über einen längeren
Zeitraum von mehreren Jahren festgelegt werden
können, bleibt für mich mehr als fraglich in einer
Zeit des Wandels, in der wir uns doch befinden.
Die sogenannte administrative Vereinfachung wird
allseits hochgepriesen. Sie muss dann aber auch
umgesetzt werden. Die Mitarbeitergespräche beispielsweise,
die einen ungeheuren Zeit- und Verwaltungsaufwand
mit sich bringen, zielen genau in die
verkehrte Richtung. In gut geführten Verwaltungen
sind Mitarbeitergespräche längst zum ständigen
Prozess geworden. Dafür bedarf es keiner speziellen
Regelung.
Den zweiten Teil Ihrer Frage möchte ich mit einem
deutlichen NEIN beantworten. Private Unternehmen
und der öffentliche Dienst haben zwei völlig
unterschiedliche Bestimmungen. Während die Privatwirtschaft
weitgehend profitorientiert arbeitet,
kommen die Verwaltungen in erster Linie ihrem
Auftrag als Dienstleister nach, die im Interesse der
Öffentlichkeit arbeiten. Öffentliche Dienstleister
können weder profitorientiert noch kostendeckend
arbeiten. Nehmen Sie nur die Bereiche Nationale Sicherheit,
öffentlicher Transport, das Gesundheitswesen
oder das Bildungswesen. Wohin Privatisierungstendenzen
gerade in diesen Bereichen geführt haben,
zeigt uns ein Blick über die Landesgrenzen hinaus:
zu maroden Eisenbahnlinien oder Zwei-Klassen-Gesellschaften
im Bereich der sozialen Sicherheit. Ich
kann mir kaum vorstellen, dass jemand das möchte.
Inwiefern ist die reformierte Auswahlprozedur von
neuen Staatsdienern an die heutigen wirtschaftlichen
und politischen Bedingungen und die nötigen Kompetenzen
angepasst? Den einzelnen Verwaltungen wird
ein großes Maß an Freiheit in der Gestaltung des zweiten
Teils der Auswahlprozedur, der spezifischen Prüfung,
zugebilligt. Was sind für Sie die wesentlichen
Aspekte einer effizienten Auswahlprozedur?
R.W. : Die Einstellung beim Staat erfolgt nach einem
objektiven Auswahlverfahren. Die Betonung
liegt dabei auf „objektiv“. Auch mit der Umsetzung
der Reform darf sich daran nichts ändern. Neu ist
in der Tat, dass der Kandidat / die Kandidatin nun
auch fachspezifisch geprüft wird, von der Verwaltung
eben, in der ein freier Posten zu besetzen ist.
Das heißt nicht, dass der Kandidat / die Kandidatin
diese spezifische Materie von A bis Z kennen muss.
Grundkenntnisse sollten allerdings vorhanden sein.
Als wesentliche Aspekte einer effektiven Auswahlprozedur
gelten für mich nach wie vor objektive,
d. h. unvoreingenommene Verfahren, ganz nach
dem Motto: Gleiche Chancen für jedermann.
Wir bedanken uns für das Gespräch. u
Das Interview führte Kim Nommesch.
Ist hier noch ein Platz frei? (CC-BY-2.0 Charl Cater)
1 Diese Zahl widerspricht der Angabe des Ministère de la Fonction
publique:7,57% (Angestellte und Beamte). (Anmerkung der Redaktion)

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