„Wer als Tourist Luxemburg-Stadt besucht, wird den lebhaftesten Kern der Stadt, die Place d’Armes, in Erinnerung behalten. Auf diesen Platz reduziert sich das Luxemburg-Bild der meisten Touristen“, war sich Pierre Lorang in einer Redaktionssitzung zur Vorbereitung des Dossiers „Öffentlicher Raum“ sicher. Auch Isabelle Van Driessche (S. 25) identifiziert neben der Place Guillaume und der Place Clairefontaine, die Place d’Armes als Herzstück der Oberstadt und erläutert deren historische Entwicklung.
Die Oberstadt gilt dabei als Gegenstück zum gespenstischen Kirchberg. Während die Place d’Armes zum Verweilen auf Bänken und zu Ausstellungsbesichtigungen einlädt, ist der öffentliche Raum des Kirchberg etwas, das man durchquert, worin man sich nicht aufhält. Nichts bis wenig deutet daraufhin, dass die Planer in Betracht zogen, Menschen könnten das Bedürfnis verspüren, auf Kirchbergs Plätzen im Freien zu verweilen. Der öffentliche Raum dieses Stadtteils hat lediglich die Funktion, Fortbewegung zu gewährleisten. Die wenige Geschäfte des Kirchbergs sind Durchgangszone vom Auto zum Bürokomplex. Und es ist vielsagend, dass die großen Shoppingmalls wie Auchan zumeist in diesen Vierteln hochschießen. Sie sind die kuriosen Blüten des 20. Jahrhunderts, die die Märkte auf öffentlichen Plätzen verdrängen.
Es sind halb private Räume, an denen das öffentliche Leben heute stattfindet. Treibhäuser können als deren Prototyp gelten — nicht mehr schmuddelig verregnete Fußgängerzonen muss sich der Konsument antun, sondern er darf in gemütlich gewärmten oder fein gekühlten Galerien schlendern. Hier wird niemand durch provozierende Not oder politischen Aktivismus gestört.
Ausschließen — Einschließen
Leere Plätze und volle Shoppingmalls sind Sinnbilder für einen öffentlichen Raum, den wir tagtäglich erfahren, mit dem wir uns aber selten auseinandersetzen. Die sieben Beiträge des Dossiers bieten sehr unterschiedliche Sichtweisen auf ein schwer fassbares Konzept. Auffällig ist jedoch ein roter Faden, der sich durch alle Beiträge zieht: Vom öffentlichen Raum und öffentlichen Leben werden in Luxemburg viele ausgeschlossen bzw. müssen sie sich ihren Platz dort erkämpfen.
Im Parlament soll zwar die Volonté générale ihren Ausdruck finden, doch — so schreibt André Hoffmann ab S. 19 — trennen die herrschaftlichen Mauern der Chamber allzu oft den politischen Raum vom öffentlichen Raum. Bei Demonstrationen vor der Chamber wird das offenbar. Milena Steinmetzer beschreibt ab S. 34, wie sie und die Mitorganisatoren des Streiks gegen die Reform der Studienbeihilfen sich ihr Demonstrationsrecht regelrecht erkämpfen mussten und wie bei dieser Gelegenheit der öffentliche Raum reglementiert wurde.
Wer mit den hiesigen Entscheidungsins-
tanzen Ärger hat, sich dort nicht ernst genommen fühlt und Druck auf die öffentliche Meinung ausüben möchte, wendet sich an Marc Thoma — so lautet die These von Francis Kirps auf Seite 30. Der Moderator der RTL-Abendsendung Den Nol op den Kapp gäbe jenen eine Stimme, die ihren Platz im öffentlichen Raum nicht finden.
Den Nol op den Kapp wird, wie alle RTL-Sendungen — mit Ausnahme von 5minutes — auf Lëtzebuergesch ausgestrahlt. Auch vom Rest der Medienlandschaft sind große Teile der Bevölkerung ausgeschlossen, kritisiert Sonia Da Silva (ab Seite 32). Zwar gebe es mittlerweile Ansätze, alle Einwohner und auch die Grenzgänger besser in die politische Realität Luxemburgs und besser in die Medienöffentlichkeit einzubinden — etwa durch mehrsprachige Angebote der Tagespresse. Doch gerade im Fernsehen und Radio bestehen weiter große Lücken.
Entgrenzung
Die Presse nimmt noch immer einen bedeutenden Platz im öffentlichen Leben ein, bekommt aber zunehmend Konkurrenz von sozialen Netzwerken und Blogs. Unschlüssig sind sich derweil Soziologen, wie sie dieses Phänomen einordnen sollen. Während einige wie Richard Sennett in der privaten Geschwätzigkeit auf Facebook und Co. ein Instrument sehen, das eine „kritische Öffentlichkeit“ (J. Habermas)
verhindert, betonen andere ihr partizipatives Potential — es ermöglicht innerhalb einer kurzen Zeitspanne Menschen zu mobilisieren (vgl. auch Steinmetzer S. 34) und gewährleistet den kostenlosen Zugang zu wichtigen Informationen.
Diese virtuellen Orte zeigen aber letztlich auch einen Prozess der sich schon seit längerem vollzieht: dem der Auflösung zwischen der Privatsphäre und der öffentlichen Sphäre. Bereits in den Jahrzehnten bevor das Internet aufkam, wich die Vorstellung, dass man sich in der Öffentlichkeit anders benehmen sollte, als in den eigenen vier Wänden unter Verwandten oder engen Freunden. Es liegt also nicht am Internet selber, dass die Online-Welt oft als Verlängerung der Privatsphäre erscheint, sondern sie beschleunigt einen Prozess, der ohnehin schon stattfindet und den Richard Sennett ziemlich kulturpessimistisch mit „der Tyrannei der Intimität“ umschreibt.
Dass im Internet aber eben nicht nur Persönliches ausgetauscht, sondern auch ganz konkret Politik gemacht wird, verdeutlich eine Aussage der Familienministerin Corinne Cahen. Sie behauptete auf wort.lu (22.4.2015), in Bezug auf die Bereitwilligkeit von Gemeinden, Flüchtlinge aufzunehmen: „Ich bin bisher allerdings nicht zufrieden mit der Reaktion der Gemeinden. Allerdings muss ich sagen, dass Social Media in diesem Kontext unterschätzt wird. Gerade über diesen Weg haben sich in den letzten Tagen verschiedene Bürgermeister gemeldet.“
Der öffentliche Raum ist also fragmentiert und besteht aus einer Vielzahl von Sphären, die miteinander verbunden sind, sich aber auch ausschließen können und in unterschiedlichen Beziehungsgefügen zueinander stehen. Wichtig ist es deshalb, Vermittler zwischen diesen Sphären zu haben, die Partizipation ermöglichen. Dies betonen Magali De Rocco und Gary
Diderich auf Seite 22.
Der öffentliche Raum, so zeigt es das Dossier, ist alles auf einmal: Gestaltungsraum zur Mitbestimmung, Ort des Protests, der Begegnung und des kollektiven Gedächtnisses, Platz für Spiel, Sport und Freizeitaktivitäten, Ort des Handels und der Geschäfte und schließlich auch ein physischer Raum für Verkehrswege und öffentliche Transportmittel, wie Albert Kalmes ab S. 28 in Erinnerung ruft.
Stephanie Majerus / Laurent Schmit
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