- Gesellschaft, Politik
Öffentlicher Raum: mehr als Bänke
Interview mit Laurent Schwaller, Verantwortlicher der „Coordination Espace Public“ der Stadt Luxemburg
Sie sind für die „Coordination Espace Public“ zuständig, ein eher vager Titel. Was sind Ihre Aufgaben?
Laurent Schwaller: Es handelt sich hierbei um eine Abteilung, die vor 2 Jahren mit dem Ziel geschaffen wurde, die städtischen Stellen und Abläufe, die vorher sehr vertikal funktioniert haben, horizontaler zu gestalten. Viele Abteilungen, sei es Straßenbau, Reinigungsdienst oder Parkverwaltung, sind in die Wartung und Gestaltung des öffentlichen Raumes eingebunden. Es stellte sich heraus, dass eine horizontale Kommunikation notwendig ist. Folglich wurde die heutige Abteilung der „Coordination Espace public“ geschaffen. Wir sind also verantwortlich für die Koordination der Gestaltung und Nutzung der Straßen und Wege sowie der über 250 Plätze und Grünflächen in Luxemburg-Stadt, die wir als „öffentlichen Raum“ ansehen.
Mit welcher Definition von „öffentlichem Raum“ arbeiten Sie?
L.S.: Es handelt sich um einen Begriff, der eigentlich nicht auf juristischer Ebene definiert ist. Grundsätzlich gibt es aber einen Unterschied zwischen „domaine public“ und „voirie publique“. Der frühere Busbahnhof Hamilius war zum Beispiel eine Privatparzelle der Stadt Luxemburg, wurde aber öffentlich genutzt. Wenn man heute die Nutzer fragt, würden viele den „Hamilius“ als öffentlichen Raum bezeichnen. Wir sehen, es gibt viele Grauzonen. Wir verstehen den öffentlichen Raum als alles, was nicht privat ist, also somit öffentlich zugänglich.
Sie sprechen von horizontaler Zusammenarbeit zwischen den städtischen Diensten. Gibt es auch Bemühungen, die Bürger mit in die Gestaltung des öffentlichen Raumes einzubinden?
L.S.: Bevor ein großes Projekt gestartet wird, treffen wir uns sowohl mit internen als mit externen Akteuren, wie beispielsweise „Ponts et Chaussées“, Post oder auch Menschen aus den Wohnvierteln. Der Schöffenrat der Stadt Luxemburg ist sehr interessiert an einer konsequenten Bürgerbeteiligung. Eine höhere Bürgerbeteiligung im Gestaltungspro-
zess ist in der Tat auch für mich ein sehr wichtiger Punkt und lag mir sehr am Herzen, als ich diesen Posten angenommen habe. Bisher haben wir Bürgerbeteiligungen bei der Gestaltung der Place de Gants, Parc Kaltweis, Place du parc (Bonnevoie) und Rue de Strasbourg organisiert.
Wie kann man sich den Ablauf dieser Bürgerbeteiligung vorstellen?
L.S.: Im Vorfeld nehmen wir den Raum genau unter die Lupe und untersuchen Fragen wie: Was ist vorhanden und wie wird der Platz genutzt (mehr von Frauen oder Männern, von Jugendlichen oder älteren Personen, usw.)? Wie zugänglich ist er? Welche Aktivitäten finden statt? Anschließend senden wir eine Einladung an die Bewohner aus dem Umkreis und stellen eine Infotafel auf, die diejenigen ansprechen soll, die nicht im Viertel ansässig sind, aber den Platz regelmäßig nutzen. In einer ersten Versammlung äußern sich die Bürger zu positiven und negativen Aspekten des Raumes und formulieren eigene Ideen. Nach interner Diskussion in der städtischen Verwaltung werden in einer zweiten Phase jene Vorschläge, die technisch und finanziell umsetzbar sind, aufgegriffen.
Was sind für Sie wichtige Beobachtungen in diesem Prozess?
L.S.: Die Bürgerversammlungen gehen weit über die eigentliche Projektentwicklung hinaus. „Lo léiert en mol d’Leit aus dem Quartier kennen“ ist ein Satz, der häufig fällt; man trifft auf Nachbarn und lernt sich kennen. Außerdem denke ich, dass in der Vergangenheit viele Projekte aus Mangel an Kommunikation blockiert wurden. Wir versuchen Bürger direkt mit einzubinden; viele kommen jedoch zur ersten Versammlung und fragen: „A wat kréien mir dann haut gewisen?“. Unsere Antwort lautet: „Ma mir waarden wat Dir eis zielt“. Es geht darum, dass sich die Bürger aktiv beteiligen und ihr eigenes Umfeld mitgestalten.
Fast immer nehmen auch Politiker an den Versammlungen teil. Anfangs gab es die Befürchtung, dass durch ihre Anwesenheit allerhand Probleme, die nicht direkt mit dem Projekt in Verbindung stehen, ausgepackt würden. Das war und ist aber nicht der Fall, im Gegenteil: Die Teilnahme der lokalen Politiker verdeutlicht, dass es sich nicht um eine Alibi-Veranstaltung handelt und die Anliegen der Bürger ernst genommen werden. Es kommt zu einem Austausch zwischen Politik und Basis, und die Gegenüberstellung von „ihr, die Bösen“ und „wir, die Guten“ wird abgeschwächt.
Wie sieht für Sie denn der perfekte öffentliche Raum aus?
L.S.: Den gibt es nicht. Nahe an der Perfektion wäre sicherlich ein Raum, der einerseits den Bedürfnissen der Nutzer entspricht und andererseits ein Platz der Begegnung ist, denn „people attract people“. Ein Platz soll leben, ein Architekt kann den Platz deshalb nicht alleine gestalten und ist auf den Input der Bürger angewiesen. Er kann den Platz planen und Begegnung durch angepasstes Design begünstigen, aber er kann einen Platz nicht mit Menschen füllen.
Ein Beispiel sind Bänke im 13 Grad Winkel. Sie erlauben mit Leuten in Kontakt zu treten, bieten aber gleichzeitig genügend Privatraum, falls man ungestört sein möchte. Aus diesem Grund sind Bänke in öffentlichen Parkanlagen oder Plätzen meistens in einer 13 Grad Position aufgestellt. Außerdem ist ein an die Perfektion grenzender öffentlicher Raum polyvalent, kann von verschiedenen Bevölkerungsgruppen und für eine Vielfalt an Tätigkeiten genutzt werden: Ballspiele, Leute beobachten, am Laptop arbeiten,…
Für die Zeit der EU-Ratspräsidentschaft wurde das frei zugängliche Cityluxfree Netz installiert. Sehen Sie frei zugängliches Wifi als Teil jenes öffentlichen Raumes, den Sie soeben beschrieben haben?
L.S.: Wifi dient dazu, einen öffentlichen Raum so nutzbar wie möglich zu machen. Dieser reduziert sich nicht auf das Internet. Außerdem ist ein Großteil schon vom HotCity Netz abgedeckt. In den bisherigen Bürgerversammlungen wurde klar, dass die Leute vor allem einen Raum zum Begegnen möchten.
Im Lied „Unsere Stadt“ von den österreichischen Musikern Christoph und Lollo „gehört die Stadt schon längst nicht mehr uns“. Wir müssen die Stadt „zurückerobern“. Was sagen Sie dazu?
L.S.: Es gibt tatsächlich verschiedene Verordnungen, wie z.B. die Polizeiverordnung, die den öffentlichen Raum reglementieren. In unserer Gesellschaft geht es nun mal nicht ohne Regeln, wenn es um Zusammenleben geht. Jedoch sollen diese Regeln vor Allem dazu dienen, dass der öffentliche Raum, im Gegensatz zum privaten Raum, das sein kann was er ist, nämlich ein Raum, der für jeden offen ist, wo jeder sich aufhalten kann und soll und sich dabei auch noch wohlfühlt.
Ich denke, dass prioritär der gesunde Menschenverstand sowohl bei der Planung, aber auch als der Nutzung vom öffentlichen Raum maßgebend ist. Nun ist es aber so, dass die Freiheit einer Person dort aufhört, wo die einer anderen anfängt.
Deshalb finde ich es normal, dass für alles, was über den „usage normal“ hinausgeht, eine Erlaubnis beantragt werden muss. In diesem Sinne glaube ich auch, dass das „Zurückerobern der Stadt“ nicht als revolutionärer Akt zu verstehen ist, sondern vielmehr, dass die Menschen den öffentlichen Raum viel bewusster wahrnehmen und nutzen sollen.
Was verstehen Sie unter „usage normal“?
L.S.: „Usage normal“ bedeutet in einem juristischen Sinn, sich im Auto oder auf dem Fahrrad zu bewegen oder auch noch laufen. Theoretisch braucht man für alles, was über Gehen hinausgeht, eine Erlaubnis. So ist es zum Beispiel ohne vorherige Erlaubnis verboten, Verkaufs- oder Informationsstände zu betreiben, Straßen oder Wege zuzusetzen, eine Terrasse einzurichten oder Feuerwerkskörper abzuschießen. Da gibt es aber viele Grauzonen: Braucht man für ein Treffen von 100 verkleideten Leuten auf der „Kinnékswiss“ eine Erlaubnis oder ist es ein Treffen von Freunden, die vielleicht einen Flashmob organisieren? Es gibt auch andere Formen nicht reglementierter Nutzung vom öffentlichen Raum wie z.B. „guerrilla gardening“ oder „urban nitting“, die sich aber meist auf kleinere Flächen beschränken. Beispiele hierfür gibt es in Cents und Bonnevoie. Solange diese Tätigkeiten keine Gefahr für den Verkehr oder die Gesundheit (durch bspw. Giftpflanzen) darstellt und sich niemand dadurch belästigt fühlt, gibt es für uns auch keinen Grund, überreglementierend einzuschreiten.
Sehen Sie einen Unterschied zwischen öffentlichem Raum in der Stadt und auf dem Dorf?
L.S.: In der Stadt wird der öffentliche Raum von vielen Leuten, die nur tagsüber da sind, genutzt. Auf dem Dorf wird der öffentliche Raum hauptsächlich von den Dorfbewohnern genutzt. Daraus ergeben sich unterschiedliche Bedürfnisse und diese variieren auch abhängig vom Stadtviertel. Die Menschen und ihre Bedürfnisse unterscheiden sich und nur wenn dies berücksichtigt wird, wird der Raum auch sinnvoll genutzt. Organisierte Aktivitäten sind punktuell, deshalb braucht es auch „spontane“ Tätigkeiten. Die zentrale Herausforderung, aus einem „Durchgang“ einen „Aufenthalt“ zu schaffen, bleibt bestehen. Der Frage, wie man die Leute dazu bekommt, auf einem Platz zu verweilen, werden wir auch in Zukunft nachgehen und uns bemühen „Begegnungsräume“ zu schaffen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch wurde am 19.11.2015 geführt (KN)
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