Öffnet die Käfigtür und fliegt hinaus!

Die im Titel zitierte Aufforderung richtet Papst Franziskus an die Jugendlichen und mutet ihnen zu, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Um ihnen bei diesem Unterfangen zur Seite zu stehen, investiert die Kirche viel Kraft und viele Überlegungen in immer neue Konzepte der Jugendpastoral. Als ein Mittel der Wahl werden wieder einmal Jugendkirchen ins Spiel gebracht!

Keine Gegensätze: Verkündigung und gelebter Glaube

Wer mit einigermaßen offenen Augen die Landschaft der Jugendseelsorge in Luxemburg betrachtet, wird unter den Verantwortlichen unschwer zumindest zwei größere Strömungen erkennen.

Zum einen sind da diejenigen, denen die Vermittlung der Glaubensinhalte ein besonderes Herzensanliegen ist. Die Jugendlichen sollen ein solides Fundament mit auf den Weg bekommen: sie sollen die zentralen Glaubensaussagen kennen und verstehen. Den Jugendlichen wird vermittelt, dass Glaube und Wissenschaft keine Gegensätze sind. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse über den Urknall schließen Glauben an einen Schöpfergott nicht aus: Dieser Anspruch findet sich z. B. in YouCat, Tweeting with God und ähnlichen Formaten wieder. Sie sollen den Jugendlichen den Weg zum mündigen Christen/ zur mündigen Christin bereiten. Wesentlicher Teil dieses Weges sind die regelmäßige Feier von Gottesdiensten, der Empfang der Sakramente, die Pflege des Gebetslebens… So vorbereitet sind die Jugendlichen theoretisch bereit, die persönliche Berufung zu entdecken, gesellschaftlich im Dienst am Nächsten Verantwortung zu übernehmen und in der Nachfolge Christi zu leben.

Auf der anderen Seite gibt es die Verantwortlichen, die den Glauben vor allem praktisch anpacken. Durch das gelebte Zeugnis versuchen sie, den Jugendlichen den Glauben schmackhaft zu machen. Sie versuchen, die Jugendlichen dort „abzuholen, wo sie sind“ und sich ihrer Lebenswelt anzupassen. Glaubenswahrheiten stehen nicht im Mittelpunkt, vielmehr soll der Glaube sich in der Praxis bewähren. Sie fühlen sich bestätigt durch Papst Franziskus, der dem Ausspruch des Franz von Assisi „Verkündet das Evangelium – wenn nötig mit Worten!“ zu neuen Ehren verholfen hat.

Beide Modelle haben sowohl Stärken als auch Schwächen. Wo die Katechese Dreh- und Angelpunkt ist, droht der Lebensbezug verloren zu gehen. Der Glaube ist nicht vorrangig ein Gebäude von Dogmen und moralischen Anweisungen, sondern die Begegnung mit Christus im Nächsten. Der Dienst am Nächsten darf nicht zu einer Nebensächlichkeit verkommen, nachträglich aufgepfropft zur moralischen Legitimation.

Andererseits verlangt der gelebte Glaube nach dem deutenden Wort. Nachfolge ist mehr als gesellschaftliches Engagement, und Jugendseelsorge ist mehr als ein offenes Ohr in allen Lebenslagen. Papst Franziskus unterstreicht, dass es die Pflicht aller Gläubigen sei zu verkünden und dass die Menschen ein Recht auf Verkündigung haben.

Erscheint diese Unterscheidung zu schematisch? Mag sein. Allerdings ist diese Darstellung genährt von vielen Gesprächen mit Verantwortlichen vor Ort. Besonders in den Pfarreien besteht eine gewisse Vorsicht gegenüber den neuen Gemeinschaften, die in den letzten Jahren in Luxemburg Fuß gefasst haben und denen oft ein traditionalistisches Kirchenverständnis unterstellt wird. Dieselbe Unterscheidung findet man auch im Schreiben Christus vivit1, in dem sich Papst Franziskus an die Jugend wendet und sie dazu ermutigt, Christus zu bitten, uns von den Versuchungen von Traditionalismus und Anpassung zu befreien.

Jugendpastoral auf diözesaner Ebene

In Luxemburg werden für Jugendliche auf diözesaner Ebene Gottesdienste und Veranstaltungen angeboten, zu denen die Teilnahme am Pélé des Jeunes, der Springprozession oder Treffen für Firmlinge gehören. Regelmäßig lädt der Bischof die Jugendlichen ein, im Sommer mit ihm auf Pilgerschaft zu gehen. Besonders diese Pilgerreisen sind vielen Hauptamtlichen ein Dorn im Auge: Wird dort nicht zu viel Geld ausgegeben, um einigen privilegierten Jugendlichen eine teure Reise zu ermöglichen, deren Resultate auf Pfarr­ebene nicht messbar sind? Dieser Vorwurf greift zu kurz und lenkt oftmals von den eigenen ungelösten Aufgaben ab: Wer das Programm der Pfarreien für Jugendliche durchforstet, wird in den Sommermonaten selten fündig! Es werden kaum Ferienfreizeiten im Rahmen der Katechese, Zeltlager für Ministranten oder Reisen mit Jugendlichen angeboten. Es gibt vereinzelte Angebote – die sollen nicht übersehen werden –, aber sie bleiben die Ausnahme. Die Angebote auf diözesaner Ebene können allerdings nur ergänzend sinnvoll sein: Findet keine Begleitung der Jugendlichen in den Pfarreien und Gruppen statt, sind sie nicht geerdet und hinterlassen im Leben der Jugendlichen keine Spuren.

Jugendkirchen provozieren!

In Zeiten leerstehender Kirchengebäude gewinnt eine alte Idee wieder an Attraktivität: Sollte man nicht einige dieser Gebäude zu Jugendkirchen umfunktionieren? Sicher befürchten einige, dass die ungenützten Gebäude profaniert werden könnten. Dies allerdings stellt noch keinen Grund dar, die Idee nicht zu prüfen.

Bis auf einige wenige Eckpunkte gibt es kein allgemein gültiges Konzept einer Jugendkirche. Die Ausprägung hängt stark von den Beteiligten vor Ort ab, allerdings macht eine Reihe von Teelichtern noch keine Jugendkirche. Der Raum soll Jugendlichen in Gemeinschaft mit Gleichaltrigen ermöglichen, eigene Formen des Glaubens auszuloten und ihm Ausdruck zu verleihen. Über eins sollte man sich klar sein: Der Versuch, dem Leben der Jugendlichen in der Kirche Raum zu geben, führt zu so mancher Grenzverschiebung. Es geht nicht darum, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen. Mag es sich auch trivial anhören, aber eine Jugendkirche sollte eine Kirche mit und für Jugendliche sein. Die Gestaltung – räumlich und inhaltlich – wird deshalb von ihnen mitverantwortet.

Weggemeinschaft

Erwachsene, denen die Jugendseelsorge heute noch ein Anliegen ist, haben selbst als junge Menschen wichtige Erfahrungen in der Kirche machen dürfen. Vielleicht würde es helfen, diese Erfahrungen ernst zu nehmen und auf ihre aktuelle Tauglichkeit hin zu überprüfen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier drei wichtige Faktoren erwähnt, die oft genannt werden: die persönliche Begleitung durch Erwachsene in der Pfarrei oder in der Jugendgruppe (der Kaplan, die Pfadfinderleiterin oder die Verantwortlichen der Ministrantengruppe…), gemeinsame prägende Erlebnisse, die den Alltag durchbrechen (Reisen, Zeltlager, Auszeiten…) und die Zumutung, Verantwortung zu übernehmen (in der Leitung der Gruppe, durch die Vorbereitung von Veranstaltungen…).

Besonders für die Jugendzeit gilt, dass das zentrale Element in der Glaubensgeschichte wohl immer die persönliche Begegnung ist. Jeder mag in die eigene Biographie schauen. Durch das richtige Wort zur richtigen Zeit, durch ein offenes Ohr für die Nöte und Ängste, durch Wertschätzung und Wohlwollen, die sonst niemand geben konnte, durch das anschauliche Beispiel eines Lebens aus dem Glauben, durch die Gemeinschaft mit Gleichaltrigen usw. gewann der Glaube an entscheidenden Punkten des Lebens an Profil und an Glaubwürdigkeit.

Unterwegs mit der Jugendkirche

Man kann festhalten, dass es Angebote der kirchlichen Jugendarbeit sowohl auf pfarrlicher als auch auf diözesaner Ebene gibt. Beide Ebenen setzen jeweils unterschiedliche Schwerpunkte. Hinzu kommen die neuen geistlichen Gemeinschaften, wie z. B. die Servantes du Seigneur de la Vierge de Matará und Verbum Spei, die eigene Wege der Verkündigung beschreiten, ohne Rücksicht nehmen zu müssen auf gewachsene Strukturen und Aufgaben. Darüber hinaus besteht nicht immer Einigkeit über die angemessene Art und Weise der Verkündigung. Auf jeden Fall lebt Jugendseelsorge von der Begleitung junger Menschen auf ihrem eigenen Glaubensweg.

Eine Jugendkirche könnte in dieser komplexen Situation tatsächlich ein Mittel sein, um den Jugendlichen nahe zu sein und der Jugendarbeit einen neuen Antrieb zu geben. „In den kirchlichen Einrichtungen müssen jungen Menschen geeignete Orte zur Verfügung gestellt werden, die sie nach Belieben gestalten können und wo sie frei ein- und ausgehen können,“ schreibt Papst Franziskus.2

Es soll an dieser Stelle nicht darüber hinweggegangen werden, dass es unter dem Titel Pimp my Church in Esch-sur-Alzette bereits vor einigen Jahren einen ersten Anlauf gab, eine Jugendkirche ins Leben zu rufen. Auf diesen Erfahrungen kann aufgebaut werden.

Wichtig ist die Weggemeinschaft: Eine Jugendkirche muss immer eine Anlaufstelle sein, wo Jugendliche zusammen mit Erwachsenen im Glauben wachsen können. Dazu braucht es ein Team von Hauptamtlichen, die sowohl theologische als auch pädagogische Kompetenzen mitbringen. Besonders wichtig sind Musik und Gesang. Sie helfen Jugendlichen einen altersgemäßen Zugang zu Glauben und Gebet zu finden. Architektonische Maßnahmen können sinnvoll sein, sollten allerdings nicht an erster Stelle stehen. Steht erst mal eine Halfpipe im Kirchenraum, muss man sich damit auch auseinandersetzen.

Der Begriff Jugendkirche steht nicht für ein inhaltliches Programm. Dieses muss „auf dem Weg“ entstehen und kann ein Spektrum vom Theater-Workshop bis zur eucharistischen Anbetung abdecken.

Doch alle Anstrengungen fruchten nicht, wenn wir nicht ein Ende der Grabenkämpfe erreichen! Dieses Anliegen bringt Papst Franziskus in Christus Vivit zum Ausdruck: „Andererseits wäre es sehr wünschenswert, noch mehr die gute Praxis aufzugreifen, die Methoden, Ausdrucksweisen, Motivationen, die wirklich attraktiv waren, um die jungen Menschen zu Christus und zur Kirche zu bringen. Es ist unerheblich, welcher Farbe sie sind, ob sie ‚konservativ oder progressistisch‘ sind, ob sie ‚von rechts oder von links‘ kommen. Wichtig ist, dass wir alles aufnehmen, was gute Ergebnisse gebracht hat und wirksam ist, um die Freude des Evangeliums weiterzugeben.“

  1. http://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20190325_christus-vivit.html (letzter Aufruf: 6. April 2020).
  2. Ebd.

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