Once Upon a Time… in Hollywood

von Quentin Tarantino

Gemessen an den Reaktionen, die sie mit schöner Regelmäßigkeit in den Medien und in der Öffentlichkeit hervorrufen, scheinen die Filme von Quentin Tarantino eine Art kinematografisches Happening darzustellen – selbst bei Menschen, die ansonsten eher selten das Kino aufsuchen. Woran das liegt, ist nicht immer leicht zu verstehen. Die Spielfilme des amerikanischen Regisseurs sind teilweise sehr lang, in nicht-chronologischer Reihenfolge erzählt und scheuen weder eruptive Gewaltdarstellungen noch zotige Gags.

Eines zieht sich dabei wie ein roter Faden durch Tarantinos Œuvre: Seine obsessive Verehrung für das Hollywoodkino von früher, für Italowestern und trashige Genreproduktionen wie zweitklassige Gangster- und Kriegsfilme, denen er mittels unzähliger filmischer Verweise huldigt und nach Belieben mit ihren Konventionen spielt. Das Resultat reicht von grandios (Inglourious Basterds, 2009) bis durchwachsen (Django Unchained, 2012), und auch in seinem neunten (angeblich vorletzten) Film Once Upon a Time… in Hollywood frönt Tarantino wieder seiner Liebe für das traditionelle Western- und Actionkino der fünfziger und sechziger Jahre, das er in Relation zu den soziokulturellen und filmischen Umbrüchen dieser Zeit – Hippiebewegung, New Hollywood und das Massaker an der Schauspielerin Sharon Tate durch Anhänger des Sektenführers Charles Manson – zu setzen versucht.

Hollywood, 1969: In einer Fantasieversion der Traumfabrik, die mehr mit Tarantinos Vorstellungskraft als mit der historischen Realität gemein hat, schlagen sich die beiden Freunde Rick Dalton (Leonardo DiCaprio), Hauptdarsteller in Westernserien, und Cliff Booth (Brad Pitt), sein langjähriges Stunt-Double, inzwischen mehr schlecht als recht durch das Leben. Rick spürt, dass er den Zenit seiner Karriere überschritten hat, dass das Showgeschäft um ihn herum dabei ist, sich zu verändern – seine zehnjährige Szenenpartnerin Trudi (Julia Butters) etwa klärt ihn über die Grundlagen des Method Acting auf. Rick steht davor, Rollen in den ihm verhassten Italowes­tern annehmen zu müssen. An seinem Lebensstil ändert das vorläufig noch nichts: Er wohnt in einem luxuriösen Anwesen am Cielo Drive, als neue Nachbarn sind der polnische Regisseur Roman Polanski (Rafał Zawierucha) und seine Ehefrau Sharon Tate (Margot Robbie) eingezogen. Kumpel Cliff geht es schlechter: Als Stuntman genießt er einen zweifelhaften Ruf, die Rollenangebote sind rar. So kutschiert er Rick durch das (üppig ausgestattete und rekonstruierte) Hollywood, ist ein stiller Begleiter bei Meetings und teilt auch gerne mal mit Rick dessen Vorliebe für Hochprozentiges. Seine Wege kreuzen sich mit dem Hippie-Mädchen Pussycat (Margaret Qually), das ihn mit auf die Ranch des obskuren Gurus Charles Manson nimmt.

Tarantino greift in Once Upon a Time… in Hollywood vieles von dem wieder auf, was frühere Filme ausmachte – und doch wirkt das Resultat dieses Mal uninspirierter, formelhafter und zielloser als sonst, ganz so als drehe er sich inzwischen in einem Kreis aus Fremd- und Selbstzitaten. Wieder gibt es eindrucksvolle Panoramaaufnahmen, viele Gastauftritte (von Kurt Russell über Bruce Dern hin zu Damian Lewis, der Steve McQueen verkörpert) und teils ehrerbietige, teils sarkastische Verweise auf mehr oder weniger bekannte Werke der Kinogeschichte. Wieder gibt es die Fetischisierung von Frauenkörpern und den unvermeidbaren Gewaltausbruch am Ende, auch wenn dieser anders daherkommt, als man angesichts der Thematisierung der Tate-Morde annehmen würde. Wieder gibt es die gewaltsame filmische Neuschreibung eines traumatischen Ereignisses – und an ebendieser Stelle enttäuscht Tarantino dieses Mal.

Die Umschreibung einer historischen Gewalterfahrung gestaltet sich in Once Upon a Time… in Holly­wood in der Tat problematischer als in Inglourious Basterds oder Django Unchained, in denen es sozusagen die „Betroffenen“ selbst (Shosanna Dreyfus als Jüdin, Django als Afroamerikaner) waren, die sich retroaktiv und symbolisch für eine geschichtliche Ungerechtigkeit rächten – hier durch die Macht des Kinos, das als wirkmächtigstes Propagandainstrument des NS-Staates ebendiesen auch zu Fall bringt, dort mittels einer entfesselten, mit anachronistischer ‚schwarzer‘ Musik untermalten kathartischen Ballerorgie. In Once Upon a Time… in Hollywood hingegen fehlt diese Reflexion über die Sinn- und Zweckmäßigkeit – oder, aus Tarantinos Sicht: die Notwendigkeit – einer filmischen Neuschreibung des abgründigen Mordes an Sharon Tate, der Hollywood seinerzeit in die Realität zurückholte und in Schockstarre versetzte: Beide Protagonisten, Rick und Cliff, vereiteln hier rein zufällig die Pläne der Manson-Anhänger.

Diese Idee hätte möglicherweise funktionieren können, wenn sich Tarantino zuvor die Mühe gemacht hätte, seine beiden Hauptfiguren als Vertreter des ‚traditionellen Hollywoods‘ in eine sinnvolle Beziehung zu den Akteuren und Filmen des ‚New Hollywood‘ zu setzen. So aber tauchen Polanski und Co. zwar am Rande als bohème Künstler auf, doch die Fragen, wofür sie stehen und auf welche Weise sie mit ihren Filmen auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie einwirkten und diese veränderten, thematisiert Tarantino nicht – das Motiv der drohenden Zeitenwende in Hollywood verkommt so zu einer reinen Behauptung, die es Tarantino erlaubt, während zwei Dritteln seines Films eine nostalgisch-anekdotische Hommage auf das ‚Goldene Zeitalter‘ der US-Filmindustrie an die nächste zu reihen.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass er sich auch nicht tiefergehend mit den Auswüchsen der Hippiebewegung (ausufernder Drogenkonsum und dubiose Einstellungen zu Sexualität) abgibt, sondern diese allein auf den rassistischen Manson-Clan reduziert. Dem gegenüber stehen Rick und Cliff als integre Haudegen der ‚alten Schule‘, die scheinbar für gewisse Wertvorstellungen einstehen – Cliff weigert sich etwa standhaft, mit dem mutmaßlich minderjährigen Hippie-Mädchen zu schlafen. Zwar ließen sich diese Kritikpunkte sicherlich abtun mit dem Verweis darauf, all dies sei bloß eine ‚Fan-Fiction‘-Version der tatsächlichen Ereignisse unter dem Deckmantel der künstlerischen Freiheit, doch wer sich so beharrlich bei realen historischen Personen und Ereignissen bedient, muss sich auch den Vorwurf gefallen lassen, dies der reinen Selbstgefälligkeit halber zu tun.

Once Upon a Time… in Hollywood ist kein Desas­ter – das Spiel zwischen DiCaprio und Pitt stimmt, manche Rekonstruktionen schundiger B-Filme sind durchaus unterhaltsam, und Cliffs Besuch auf der Manson-Ranch ist hervorragend inszeniert – doch erzählerisch bleibt Tarantinos neunter Film hinter seinen früheren Werken zurück: Sein Umgang mit dem exzessiven Mord an Sharon Tate und ihrer Entourage ist ungelenk und seine ungehemmt rabiate filmische Neuschreibung des Mordes als Massaker an den Manson-Anhängern zeugt nicht eben von gutem Geschmack.

 

Diese Kritik entstand in Zusammenarbeit mit Viviane Thill und Anne Schaaf. Eine Langfassung finden Sie auf der Homepage von forum.

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