- Geschichte, Gesellschaft, Kultur, Politik
„Pas de futur sans passé“
Ein kritischer und persönlicher Blick auf die Entwicklung des Kunsthandwerks in Luxemburg
Um Aussagen über die Zukunft des Kunsthandwerks treffen zu können, ist ein Blick auf die Situation der vergangenen Jahrzehnte vonnöten. Anhand meiner eigenen Geschichte sollen nun einige wichtige Diskussionspunkte aufgegegriffen werden.
„Lehrjahre sind keine Meisterjahre“
Bei mir waren eine ganze Reihe an Ereignissen „Schuld“ daran, dass ich Tischler wurde. Dass dies „früher“ passierte, spielt sicherlich eine Rolle. Vor rund 35 Jahren verstarb mein Vater. Meine Mutter musste mit einer Mindestrente auskommen, ich war noch nicht einmal in der Ausbildung. Auf dem Land ging sowas dann ganz schnell: Der Präsident der Musikkapelle war Tischlermeister und führte seinen eigenen Betrieb, so wurde ich kurz nach dem Tod meines Vaters Tischlerlehrling. Ein derartiger Ablauf scheint heute unvorstellbar, weil viele mit 18 Jahren noch nicht einmal wissen, was sie eigentlich interessieren könnte. Ob es einem passte oder nicht, war damals zweitrangig. Es galt: erstmal weg von der Straße. Und für mich passte es. Ich hatte vorher schon des Öfteren Einblicke in die Werkstatt unseres Nachbarn bekommen, der beispielsweise mit seiner Drechselbank aus dem Teilstück eines Baumes eine Holzschüssel schuf. Das war in Zeiten ohne Elektronik-Spielzeug eine richtig aufregende Erfahrung, die viele Jugendliche heutzutage wahrscheinlich kaum nachvollziehen können.
Zur damaligen Zeit gab es zwei Arten von Ausbildung: Entweder ging man täglich zur Schule bis 11e bois oder 9e bâtiment (verschiedene Bauhandwerke zusammen) oder man besuchte die 10., 11. und 12. Klasse. Bei Letzterem war man unter der Woche vier Tage im Betrieb und an einem Tag in der Schule. Natürlich war die Variante im Betrieb für viele interessanter; man konnte sich nämlich auf sein Lehrlingsgehalt freuen: 8000 LuF im ersten und bis zu 13000 LuF im letzten Lehrjahr. Das waren umgerechnet rund 320€ bei normaler Arbeit für vier Tage die Woche! Bei jeder Witterung Fenster einsetzen, in der Werkstatt ohne Abluft mit giftigen Anstrichen arbeiten, Profile schleifen bis die Finger bluteten, es gehörte zur Ausbildung! Ich für meinen Teil wurde immer mit einbezogen, musste mein Gehirn anstrengen, Vorschläge machen und Lösungen suchen, sie meinem Lehrmeister mitteilen und dann wurde ausgewertet und ein Plan erstellt. Ich hatte Glück, unbeschreibliches Glück. Nicht jeder konnte seinen Beruf auf diese Weise erlernen.
Zur gleichen Zeit verdienten ehemalige Schulkameraden um die 24000 LuF, im Anzug, im warmen Büro in ihrer Kaufmanns- oder Banklehre… Aber wie drückte es einst ein Vertreter der Handwerkerkammer, der uns in der 9. Klasse besuchte, so schön aus? „Das Handwerk hat einen goldenen Boden.“ Nun ja, sollte man tief genug graben, findet man diese Schicht vielleicht. Gleich nach meiner Gesellenprüfung kündigte ich im Ausbildungsbetrieb und beschäftige mich vorerst anderwärtig.
Zufall oder Wink des Schicksals?
Kurze Zeit später fragte mich ein Bekannter, ob ich ihm nicht einen seiner alten Schränke aufpolieren wolle und ich war zurück in meinem Element: dem Holz. Ich arbeitete den Schrank auf und meldete mich zur gleichen Zeit für die Meis-
terprüfung als Tischler an. Ein paar Jahre später, nachdem ich diese bestanden hatte, ging es nach Deutschland zur Weiterbildung als Tischler im Denkmalschutz. Im Zentrum für das Handwerk im Denkmalschutz Johannesberg e.V. in Fulda lernte ich alles, was mir zuvor in der Luxemburger Ausbildung verborgen geblieben war. Hier wurden alte Techniken gelehrt, die man dann an den Möbeln, entsprechend der jeweiligen Epoche, anwenden konnte.
Nicht wie in Luxemburg, wo jeder, der meinte, etwas zu können, sich an alten Gegenständen zu schaffen machte. Und dies obwohl es auch hierzulande Regeln gab (und gibt): Luxemburg hatte 1964 die „Charta von Venedig“ mit unterzeichnet. In diesem für die Denkmalpflege sehr wichtigen Schriftstück sind Restaurationsarbeiten und ihre Abläufe klar geregelt. Es scheint jedoch so, als sei es lediglich bei der Unterschrift geblieben. Beim Restaurator handelte es nicht um einen Lehrberuf; er stellte eine Untergruppe der Tischlermeister dar. Jeder, der genug Tinte oder Farbe hatte, um sich Restaurator mit auf’s Plakat zu malen, durfte dann auch drauf los arbeiten. Dies hat sich bis heute auch nicht wesentlich geändert. Nur einige wenige haben eine Ausbildung im Ausland absolviert und restaurieren nun Möbel und sonstige Holzgegenstände. Viele fakturieren ihre Arbeit jedoch als Restauration, aber der Wert der Objekte ist durch ihr mangelhaftes Wissen und nicht erlernte Fähigkeit unwiderruflich zerstört!
Ich beließ es damals bei einem Gesellenbrief der Handwerkerkammer Kassel und trug somit den Titel „Tischler im Denkmalschutz“. Der Meister hätte mir nichts gebracht, da er nur auf den eigenen
Betrieb und die Ausbildung von Gesellen ausgelegt war. Den eigenen Betrieb hatte ich in Luxemburg, aber Gesellen im Denkmalschutz auszubilden ging nicht, da es ja kein Lehrberuf war und auch heute immer noch nicht ist. Dies könnte damit zusammenhängen, dass jene Menschen, die über solche Veränderungen entscheiden dürfen, selbst Restaurationsarbeiten in ihren Betrieben ausführen. Laut luxemburgischer Gesetzgebung darf der Tischler von Möbelanfertigung über Fenster bis zum Sarg und Fußboden verlegen alles… Ob er dies auch gelernt hat, spielt keine Rolle. Somit werden Personen ohne jegliche Ausbildung in diesem Bereich auf Kunstgegenstände losgelassen. Durch das ganze Land findet man Spuren dieser Arbeiten. Dass solche Arbeiten von „jedem“ ausgeführt werden dürfen, widerspricht jedoch dem Zweck des Denkmalschutzamtes.
Handwerkerausbildung damals und heute
Zur Restauration bedarf es im Allgemeinen erstmal des nötigen Interesses, man kann niemanden zwingen „altes Zeug“ zu mögen. Ist die Liebe zum Alten vorhanden, fehlt noch die Richtung. Hat man diese erstmal beispielsweise als Restaurateur eingeschlagen, so folgt der normale Gesellenbrief, vielleicht sogar ein Meisterbrief. Entweder parallel zur oder nach der Weiterbildung als Restaurator im Handwerk. Man bekommt diese Auszeichnung nicht in einer Überraschungstüte oder am Schießstand auf der Kirmes. Ausbildung ist das A und O eines jeden Berufes. Was jedoch in den letzten Jahren in Luxemburg so alles getestet und versucht wurde, blieb ohne Erfolg. Nicht ganz, man ist sich der Erfolglosigkeit der Reformen seit Jahren bewusst, versucht aber weiterhin mit allen möglichen Mitteln diese zu verteidigen.
Zu unserer Zeit war es so, wusste man etwas nicht, so musste man es lernen, man konnte nicht durch seine Sportlichkeit über eine ungenügende Note in Rechnen hinwegtäuschen. Man konnte sich nicht selbst täuschen mit dem Einverständnis des Unterrichtsministeriums. Das Niveau war zu meiner Zeit dem, was man im Handwerk brauchte, angepasst. Fehlte es am nötigen Wissen, wurde die Spielzeit verlängert. Es war eine sehr einfache, verständliche Regelung. Es war wohl zu einfach, es musste nachgebessert werden, angepasst werden, weil irgendwie kam es, dass nicht mehr jeder, so wie gewünscht, weiterkommen konnte und so wurde nach unten ausgebessert… Bis hin zu den heutigen Modulen, wo, wenn nicht genug Module erreicht werden, nach drei Jahren dann noch je nach Alter/Schulpflicht IPDM oder CNFPC angehängt werden. Wem das etwas nützt? Niemand weiß es. Die Einen haben aufgegeben, die Anderen geben spätestens dann auf, wenn sie mit denen zusammentreffen und für 195€/Monat die Schulbank drücken ohne irgendein Ziel vor Augen.
Natürlich spielen die Ausbilder eine wichtige Rolle. In Deutschland sowie auch in Belgien wurde uns das selbst erarbeitete Wissen der Dozenten mit auf den Weg gegeben, nicht wie in Luxemburg, wo jeder sein Süppchen in seiner Küche hinter verschlossener Türe kochte. Wir zogen im Ausland am gleichen Strang, vertraten die gleichen Interessen, also arbeiteten wir zusammen in diese eine Richtung. Dies ist, nachdem ich im Unterrichtwesen so einiges mitbekomme, immer noch nicht in Luxemburg möglich.
So kann es zusammenfassend heißen: Handwerk früher: gebraucht, gewollt, übersichtliche Ausbildung, angepasster Lohn, handwerkliche Ehre. Heute: lustlose Jugendliche, die im äußersten Fall ein Handwerk erlernen möchten, nicht gerecht bezahlt werden, sozial nicht wirklich hoch angesehen sind, Ausbildungsdefizit, unsicher…
Ein Früher ohne Handwerk gibt es nicht, immer wieder musste aufgebaut werden, jedes Mal entstand eine Weiterentwicklung, immer wieder wurden Materialen, Maschinen und Werkzeuge entwickelt und verarbeitet. Heute, so scheint es, sind die alten Werte nicht mehr von Nutzen, alles elektronisch, maschinell, industriell und doch ist alles wie es scheint zu viel. Geht die Menschheit zurück? Kriechen wir gleich wieder auf allen Vieren oder sind es doch nur Ausnahmen, die von dieser Lustlosigkeit gepackt wurden?
Kunsthandwerk in der Zukunft
Die Zukunft des „normalen“ Handwerks ist ungewiss; einerseits durch fehlende Lehrlinge, anderseits durch fehlende Ausbildungsplätze. Folglich ist die Zukunft des Kunsthandwerks schwer vorhersehbar. Wie sich das Handwerk in Luxemburg entwickelt hat, ist auch eine Geschichte für sich. Lange ist es her, da musste der Tischlerlehrling seinen Meister dafür bezahlen, dass er ihn etwas lehrt, ihm einen Schlafplatz und Essen zukommen ließ! Dies ist schon einige hundert Jahre her und war auch in anderen Gewerken so üblich. Heute bekommt man in Lehrjahren zwar einen Lohn ausbezahlt, jeder möchte jedoch viel, am besten so viel wie möglich verdienen und dies mit der kleinstmöglichen Anstrengung. Wenige wissen, wo sie hinwollen, was sie erlernen wollen, in welche Richtung es gehen soll. Ebenso wenige strengen sich an und stehen nachher mit bestandenem Diplom, voller Stolz in Mitten des Lebens. Was ich allerdings im Laufe meiner Berufserfahrung als Tischlermeister im eigenen Betrieb sowie jetzt im Unterrichtswesen nie so richtig verstanden habe: Die Tischlerausbildung wurde früher in mehreren Schulen angeboten, heute bleiben zwei öffentliche und eine Privatschule übrig, die Betriebsleiter unserer Tischlereien sind föderiert, über die Handwerkskammer beschließen sie die Ausbildungskriterien mit. Ein Blick in diese Betriebe verrät: Es geht nicht ohne „frontaliers“. Die Nachfrage an Lehrlingen müßte vorhanden sein, wie soll man dann verstehen, dass nicht mal alle eingeschrieben Lehrlinge einen Ausbildungsplatz bekommen konnten? Ist die Ausbildung wirklich so schlecht, dass selbst die, welche diese ausarbeiten, kein Vertrauen in die Ausbildung legen? Demnächst schließt die Tischlerausbildung im LTC, dann bleiben noch drei Schulen die Tischler ausbilden.
Somit bleibt die Frage, hat das Kunsthandwerk eine Zukunft in Luxemburg unbeantwortet, meiner Meinung nach gab es nie eine Zukunft für das Kunsthandwerk in Luxemburg. Denn nicht mal das eigentliche Handwerk und seine Ausbildung waren vor den Machenschaften von Handwerkern ohne Stolz, die sich selbst ein Denkmal setzen, wollten sicher. Das Denkmal steht, eine Ausbildungsruine, ein Denkmal welches es nicht zu erhalten gilt!
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