Pineapples, global waves & new design

Der Klimawandel aus Sicht eines Designers

Im Vorfeld der UN-Klimakonferenz in Paris fand Anfang Oktober in Cornwall ein Treffen statt, das wohl alternativer kaum hätte sein können. Dennoch ist dieses Treffen, das sich bewusst auch als Konferenz bezeichnet im „Kampf gegen den Klimawandel“, nicht weniger relevant. Die Organisatoren dieser „Global Wave Conference“ sind einfache Surfer. Sie haben sich mit Ozeanforschern, Ingenieuren und europäischen Gesetzgebern zusam- men getan, um das zu schützen, was der Surfbranche am meisten am Herzen liegt: Küstenregionen und Ozeane. Das Bild des bei Sonnenuntergang am Strand sit- zenden, biertrinkenden, blonden „Surferboys“, das sich spätestens seit den 1970ern in unseren Köpfen eingebrannt hat, ent- spricht seit langem nicht mehr der Reali- tät. Die Branche ist recht schnell gewach- sen und bildet eine zukunftsorientierte Nische zwischen aktivem Lebenswan- del, Umweltbewusstsein und vor allem Gelassenheit.Die Surfbranche ist unbewusst zum Vor- reiter einer neuen Bewegung geworden, die sich in den kommenden Jahren immer mehr in unserem Alltag bemerkbar ma- chen wird. Der Erhalt der Ozeane stellt eine große Herausforderung dar, die mit den Nachwirkungen des ökologischen Wandels einhergeht. Heute laufen Surfer nicht mehr unbeschwert mit dem Surf- brett unterm Arm zum Wasser, sondern sie gehen mit Müllsäcken am Strand ent- lang und machen bei so genannten „Beach Clean Ups“ auf eine recht anschauliche Art auf die Problematik der Plastikmüll- verschmutzung aufmerksam. Bei der Lö- sungssuche fangen sie aber bei sich selber an und produzieren Surfboards aus Bal- saholz und Bio-Harz, tragen recycelte Wetsuits und Sonnenbrillen aus wieder- verwendeten Fischernetzen. Anstatt den Aktivismus nur auf verbaler Ebene zu praktizieren, packen sie selber mit an. Und genau diese Art des Engagements ist jetzt wichtiger als je zuvor. Konferenzen wie jene in Cornwall veranschaulichen, dass Umweltpolitik sich längst nicht mehr
nur an Politiker, Konzerne und Wissen- schaftler richtet. Die ungewöhnliche Zu- sammenkunft unterschiedlicher Branchen ist zukunftsweisend, denn es ist genau diese Form der Interdisziplinarität, die im Prozess des Umdenkens ausschlaggebend für neue Lebensweisen der Postkonsumge- sellschaft wird.
It’s not only a climate change — it’s a change of human life
Sobald wir über den Klimawandel spre- chen, hat vermutlich jeder das Bild eines einsamen Eisbären auf einer schwimmen- den Eisscholle im Kopf, das durch leuch- tende Headlines wie „Erderwärmung“, „erhöhte CO2 -Werte“ und „Gletscher- schmelze“ begleitet wird. Ich könnte nun seitenlang über weitere Begleiterscheinun- gen wie Ozeanversäuerung, Plastikmüll fressendes Plankton und weitere Beobach- tungen meiner eigenen Forschung berich- ten, aber all diese ökologischen Prozesse sind nur die Symptome des globalen Pro- blems und nicht dessen Auslöser.
Das eigentliche Hauptproblem am Klima- wandel ist der Begriff an sich. Ich nenne ihn mittlerweile nur noch liebevoll das „K-Wort“. Dieser Begriff reduziert die Problematik auf globale Temperaturver-änderungen und deren Konsequenzen. Dabei ist dies nur ein Puzzleteil jener öko- logischen Herausforderungen, mit denen sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nun konfrontiert sieht. Allein das Aus- sprechen dieses „K-Wortes“ lässt Stim- mungen gefrieren, Gemüter aufkochen und scheinbar die komplette Menschheit in zwei Lager spalten.
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich nur schwer auf dem Markt positionie- ren kann, wenn man Produkte verkauft, die auf Grund ihrer Art der Entwicklung und ihres naturbelassenen Materials auch unbewusst das gewöhnliche Kaufver- halten kritisieren. Wenn man öffentlich auf ein Umweltproblem hinweisen will, wird man gerne als naive „Öko-Tussi“ bezeichnet, die in ihrem selbstgehäkel- ten Portemonnaie statt Geld lieber eine Greenpeace-Membercard mit sich führt. Ohne es zu wollen, ist man auf einmal der in Biobaumwolle eingewickelte Feind der Industrie.
Einsatz für die Umwelt, Forschung und Geschäftssinn gehören für viele nun mal nicht zusammen — dabei liegen in der Kombination dieser Elemente die Ge- schäftsmodelle, die in Zukunft immer gefragter sein werden. Das Schubladen- denken blockiert jedoch genau jenes strukturelle Umdenken in der Wirt- schaft, das eigentlich dringend notwen- dig wäre.
React, rethink, redesign
Das Warten auf Veränderungen in den oberen politischen Sphären stellt nicht wirklich eine Alternative dar. Man kann selbst Prozesse des Wandels initiieren und beschleunigen. Der Wandel kann jedoch nicht nur von einer spezifischen Gruppe alleine herbeigeführt werden. Wie uns die Global Wave Conference zeigt, ist es der unkonventionelle Zusammenschluss unterschiedlicher Fach- und Interessen- bereiche, der einen interessanten Diskurs ermöglicht und zu kreativen Lösungs- ansätzen führen kann. Interdisziplinarität, Transparenz und Kreislaufwirtschaft sind hierbei die Stichworte. Eine Branche, die in diesem interdisziplinären Wandel eine immer bedeutendere Rolle spielt und sich ihrer eigenen Relevanz selbst oft kaum be- wusst ist, ist die Designbranche.
Klimaverhandlungen November 2015 53 Designer sind nicht länger nur „Schön-
macher“ mit Vollbart und „Nerdbrille“. Die Vertreter dieses Berufszweiges kön- nen als Innovationsgestalter, Materialre- volutionäre oder strategische Querdenker verstanden werden. Designer sollten auch nicht mehr ans Ende eines Entwicklungs- prozesses gestellt werden. Wird ein Desi- gner erst zum Schluss konsultiert, steht er nämlich oftmals vor der Herausfor- derung, ein nicht nachhaltig produzier- tes Produkt aufzuhübschen und wenn möglich auch noch ökologisch wirken zu lassen.
Man kann diese Art der Entwicklung auch als „Frankensteinmethode“ bezeichnen: Einzelne Fachleute arbeiten unabhängig und nacheinander an der Entwicklung ei- nes gleichen Produktes, das anschließend in eine Verpackung reingezwängt wird, die wiederrum nach dem Einkauf in eine Plas- tiktüte eingepackt wird. Das Endresultat ist (aus ökologischer Sicht) gruselig, auch wenn die anfängliche Idee meist nicht so verkehrt war. Erst ein paar Jahre später merkt man, dass der Müll, der durch die Produktion, Entsorgung oder Benutzung entsteht, doch auf lange Sicht ein Problem darstellt. Erst danach wird rückwirkend versucht, die Symptome zu bekämpfen. So kann ein ökologischer Wandel einfach nicht stattfinden. Durch einen früher ein- setzenden Dialog zwischen Fachleuten und Auftraggebern hätten Designer die Möglichkeit, nicht nur die Formgebung, sondern vor allem auch den üblichen Herstellungsprozess eines Produktes zu überdenken und Schritt für Schritt nach Lösungen zu suchen, die zu einem Um- denken führen können.
Um derartige Austauschprozesse zu verein- fachen, könnten in „Co-working Spaces“ eigene Chemielabore, umfassende Mate- rialbibliotheken und integrierte Werkstät- ten das gewöhnliche Inventar bestehend aus Schreibtischen und Laptops ergänzen. Ebenso interessant könnte es sein, wenn Design-Agenturen eigene Wissenschaftler oder Umweltberater beschäftigen würden. Durch diese Art des Vernetzens entsteht vor allem eine immer größer werdende Wissenskultur, die öffentlich zugänglich gemacht werden sollte.
„Pollution is nothing but resources we are not harvesting.“1
Als der Designer und Visionär Richard Buckminster Fuller dies 1971 aussprach, ahnten wahrscheinlich nur wenige, wie sehr das damals beginnende Plastikzeit- alter und das daraus resultierende Kon- sumverhalten diesen Planeten fast 45 Jahre später belasten würde. Die Arbeit Buckminster Fullers basierte vor allem auf Schnittstellenexperimenten zwischen Architektur, Design und seiner ganz ei- genen Philosophie.
Meiner Meinung nach befindet sich heutzutage die Schnittstelle zwischen Design und den ökologischen Proble- men zum Großteil im Bereich der Mate- rialkunde. Es ist meistens nicht das Pro- dukt an sich, das der Umwelt schadet, sondern das Material, das es ummantelt oder die Verpackung, in der es verkauft wird. Es werden unzählige Gallonen Öl aus dem Erdinneren gefördert, um künstliche Materialien zu produzieren, die den Planeten bereits im Herstel- lungsprozess ersticken, und übersehen, dass bereits Unmengen an Ressourcen in Form von Müll auf unseren Straßen und
in unseren Ozeanen rumliegen. Die Tex- tilbranche beginnt bereits produktiv mit diesen umzugehen und stellt Sweatshirts aus recycelten PET Flaschen her.
Allein 25 % der weltweit produzierten In- sektizide werden ausschließlich für Baum- wollplantagen produziert. Um ein Kilo- gramm jener Baumwolle zu produzieren, die später unsere Kleiderschränke füllt, werden 20 000 Liter Wasser benötigt.2 Dabei bietet die Textilbranche bereits ein großes Spektrum an Alternativen, die aus Abfällen der Natur produziert werden können. Und hier kommt nun endlich die im Titel erwähnte Ananas ins Spiel.
Aus den Fasern der Ananasblätter, die als Abfallprodukt der Plantagen gelten, kann man ein Gewebe herstellen, das die gleichen Eigenschaften wie Baumwolle aufweist. Da es sich um ein Ernteabfall- produkt handelt, das sonst nur verbrannt wird, braucht es keine zusätzlichen An-bauflächen. Für die Ananasernten in sub- tropischen Gebieten werden auch weitaus weniger Insektizide benötigt als in der Baumwollproduktion. Auch Früchte wie Bananen und Kokosnüsse bilden die Ba- sis für Textilien. So werden zum Beispiel wasserabweisende Stoffe aus den unge- nutzten Kokos-Fasern hergestellt, die vor allem in der Sportbranche eingesetzt wer- den können. Es gibt sogar veganes Leder aus Rhabarber sowie aus grünem Tee und Kombucha Pilzen. Es ist ebenfalls bereits gelungen, Leichtbauplatten aus Maisabfäl- len (Maisspindeln), Lampen aus Kaffee- satz, Flipflops aus Palmrinde und Kleber aus Kartoffelstärke zu produzieren. Diese Liste ungewöhnlicher Produkte könnte man noch lange weiterführen.
Eine weitere faszinierende und recht fu- turistische Form im Umgang mit natür- lichen Ressourcen ist das Nutzen von Bakterien. Ohne Zufuhr von Dünger, Pes- tiziden oder Wasser können Materialien durch sich ausbreitende Bakterienkulturen
im Labor selber wachsen. Das Resultat sind meist zelluloseähnliche Stoffe, die sowohl für Textilien als auch für Möbel verwen- det werden können. Den Ideen und Inno- vationen scheinen keine Grenzen gesetzt. Diese Materialien werden in den kom- menden Jahren den Spielraum der De- signbranche massiv erweitern. Designer sind mittlerweile in ihrer Arbeit nicht mehr nur auf Papier, Holz und Plastik an- gewiesen, sondern ihnen steht eine ganz neue Welt zur Verfügung. Es ist eine in- teressante Aufgabe, diese Materialien von Anfang an in Entwicklungs- und Gestal- tungsprozesse mit einfließen zu lassen.
Neben diesen sogenannten „Next Gene- ration Materials“ sollen aber auch neue Konzepte entstehen. Einige dieser noch futuristischen Materialien bilden die Basis einer Kreislaufwirtschaft, in der wir den Müll quasi „wegdesignen“. Nehmen wir mal das Beispiel der Leuchtschirme aus Kaffeesatz. Sobald die Schirme ausgedient haben, müssen sie nicht auf ewig im Kel- ler rumliegen oder in einer Verbrennungs- anlage entsorgt werden. Man kann sie ein- fach auf den Komposthaufen werfen. Man stelle sich nur vor, Verpackungen würden so konzipiert, dass daraus nach dem Weg- werfen neue Sachen wachsen können? Was für viele noch sehr futuristisch oder gar unmöglich klingt, ist bereits längst Realität. Wer hätte gewusst, dass beispiels- weise der FC Liverpool bereits Trikots ver- wendet, welche zum Teil auch aus Kaffee- satzfasern bestehen?
Innovationsgestalter, Materialentwick- ler sowie strategische Querdenker sollten fester Bestandteil umweltpolitischer De- batten werden. Bereits entwickelte und greifbare Konzepte und die Entwicklung und Vermarktung zukunftsweisender Ma- terialien sollten nicht nur mehr subventio- niert, sondern auch im Rahmen solcher Konferenzen öffentlich präsentiert wer- den. In einer Zeit, in der Surfer Konferen- zen abhalten, Bakterien Stoffe produzieren und Designer zu Materialrevolutionären werden, können auch politische Klima- gipfel neue Wege gehen. u
1 Fuller Buckminster, Richard: „The view From the Year 2000“, 1971
2 Vereinigung deutscher Wasserschutz EV 3 www.virtuelles-wasser.de

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