„Place de l’Etoile“/Stäreplaz

Goldgrube mit grünen Dächern

Stadt ist Markt. Der Warentausch war, neben Militär und Kirche, immer ein wichtiges Movens von Stadtgründung und -entwicklung. Will man die heutigen Konsumlandschaften reflektieren, muss man am Konsum von Grund und Boden ansetzen. Solch ein Blick erklärt, in welche Richtung sich viele Städte gegenwärtig und zukünftig entwickeln werden.

Die Platzierung von Handel und Konsum im urbanen Raum ist an die Mobilisierung von Grund und Boden gebunden. Ihr gehen stadtplanerische Entscheidungen über Art und Umfang der Bodennutzung voraus. Standortwahl ist traditionell ein Reflex auf Erreichbarkeit: Waren die historischen Stadtzentren nicht zufällig auch Zentren des Warentauschs, landeten die Shopping-Center der Nachkriegszeit am Stadtrand oder am Autobahnkreuz. In der globalen Finanzökonomie sind die Treiber dagegen andere; dies gilt auch für Luxemburg und seine innerstädtischen Projekte. Es geht um return on investment, mithin ökonomische Verwertungsziele. Der urbanistische outcome dieser Vorhaben ist dagegen umstritten. Es herrscht Ernüchterung darüber, was etwa im Viertel Cloche d’Or errichtet wurde, auf Basis eines Städtebaus wie aus den 1980er Jahren und unter dem Diktat des vom Pkw-Verkehr zugerichteten öffentlichen Raums.

Mit der COVID-19-Pandemie gibt es nun einen schwarzen Schwan im Spiel der Stadtplanung, den niemand auf der Rechnung haben konnte, der die Karten aber neu mischt. Er ergänzt hierzulande den weißen Elefanten des Immobilienkapitals, der kaum thematisiert wird, aber in nahezu allen Bauprojekten präsent ist. COVID-19 hat wie in einem Brennglas gezeigt, dass solche Viertel und ihre Planungskonzepte aus der Zeit gefallen sind. Auf den Wunsch, die Stadt stärker an den Bedürfnissen der aktiven Mobilität (zu Fuß gehen, Rad fahren) auszurichten, haben die Verantwortlichen der Hauptstadt wenig souverän und noch weniger konkret geantwortet. Die Stadt sei sicher, es gäbe nicht mehr Platz für Velos, die Stadt sei Festung, fertig. Dabei ist es nicht nur eine Frage des guten Willens oder der individuellen Disposition, ob man die schöne, gerechte Stadt anstrebt – oder eben der Kapitalverwertung ausliefert. Es hat auch strukturelle Gründe, die sich in historischen Kontexten vollziehen und sich nicht so eben ändern lassen. Dies illustriert folgende Fallstudie.

Das Beispiel Stäreplaz

Nach mehr als einer Dekade des Schweigens, der Gerüchte und vieler Spekulationen wurde jüngst ein Filetstück der Stadtentwicklung zum Leben erweckt, das lange Zeit nur eine Brache darstellte: Place de l’Etoile, Stäreplaz.1 Das westliche Einfallstor zur Innenstadt war 2016 bereits ins mediale Licht gerückt, als das Grundstück von der staatlichen Abu Dhabi Investment Authority gekauft worden war. Zunächst sollte hier ein weiteres urbanes Großprojekt für Handel und Büros entstehen – in einer Linie mit den Projekten Hamilius und Cloche d’Or, die bereits in den 2010er Jahren fertiggestellt worden waren, und der massiven Porte de Hollerich, die noch in Planung ist.

Der richtige Moment der Markttransaktion schien im Jahr 2020 gekommen, als die Pläne für die künftige Gestaltung der Place de l’Etoile gemeinsam von Vertretern von Stadt und Regierung präsentiert wurden.2 Der Bebauungsplan sieht ein gemischt genutztes Quartier mit Wohnungen, Büros und Einzelhandel vor, ergänzt durch hochwertig gestaltete öffentliche Räume. Hat das Projekt auf den ersten Blick einige Gemeinsamkeiten mit früheren Projekten, gibt es auch interessante Neuerungen. Erstens verschiebt sich der Fokus von den einst lukrativsten Sektoren Büro und Handel hin zu einem wachsenden Wohnungsangebot. Offensichtlich machen veränderte Märkte Luxus- bzw. Eigentumswohnungen zu einem ertragreichen Element des städtischen Immobilienportfolios; nur ein zehnprozentiger Anteil an der Wohnfläche ist geplant für Wohnungsbau zu „moderaten“ Kosten (nach hiesigen Maßstäben). Für den Fokus auf Luxuswohnungen durch Anhebung des Wohnflächenanteils von 12 auf 47 Prozent musste der gültige Bebauungsplan modifiziert werden. Solche Änderungen vorzunehmen, nachdem die Pläne politisch beschlossen wurden, ist in der hiesigen Planungspraxis durchaus üblich. 

Zweitens wurde ein grünes Verkehrspaket geschnürt, mit dem das Vorhaben der Öffentlichkeit als nachhaltig angedient wird. Dies erklärt auch die proaktive Rolle, die der Minister für Mobilität und öffentliche Arbeiten hier einnimmt. Zum Paket gehört eine neue Tramstrecke, die das Stadtzentrum mit den westlichen Vororten verbindet. Dies gilt als kluger Schachzug, da ein großer Teil der Infrastruktur vom Staat finanziert wird, nicht von der Stadt oder dem Bauherrn. Zusätzlich wird ein unterirdisches Busterminal die Place de l’Etoile in einen Mobilitätsknoten verwandeln, der regionale Buslinien an das Tramnetz anbindet, solange dieses nur die Innenstadt bedient. Straßenbahn, Bäume und begrünte Dächer geben dem Vorhaben einen ökologischen Anstrich. Allerdings bleibt unklar, wie ernst das zu nehmen ist; der verwendete Grünton taucht heute bei allen Projekten in nahezu gleicher Färbung auf. Drittens wurde erstmals beobachtet, dass der Promoteur aktiv an der Pressekonferenz von Bürgermeisterin und Minister teilnimmt; normalerweise bleibt diese Akteursgruppe eher jenseits der Öffentlichkeit, wiewohl sie eine zentrale Rolle im Planungs- und Baugeschehen des Landes spielt.

Fragen an die Stadt- und Raumplanung

Als Konsequenz aus diesen Beobachtungen ergeben sich zwei Fragen. Die eine betrifft die stadt- und raumplanerischen Folgen des Projekts. Die offizielle Rhetorik der Landesplanung fordert eine Politik der „dezentralen Konzentration“, um die überhitzte Raumökonomie des Landes wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dies würde bedeuten, die Magnetwirkung der Hauptstadt im Zentrum des Landes neu zu justieren.3 Das von der Regierung favorisierte Szenario trägt den Titel „Organisé et harmonieux“, d. h. die Landesentwicklung erfolge quasi organisch-evolutionär und harmonisch. Solche Ideen sind in der Realität üblicherweise damit konfrontiert, dass die Marktkräfte ungezügelt wirken und dass so hohe Erwartungen an die planerische Steuerung bestehen, die sich kaum umsetzen lassen.

Das Hauptproblem ist hier aber, dass Bürgermeisterin und Minister de facto und in aller Öffentlichkeit am Gegenteil des organisch-evolutionären sowie harmonischen Neujustierens arbeiten: an der Anziehung und Bündelung von immer mehr Investitionen in der Hauptstadt. Während Grundstücke knapp sind und der Bau von Hochhäusern als nicht erwünscht gilt, bedeutet dies eine stete Konjunktur großer innerstädtischer Projekte. Parallel muss ein Teil der Nutzungen in den Untergrund verlagert werden: Kellergeschosse, Tiefgaragen oder Anlieferzonen nehmen zwangsläufig immer mehr Platz ein. „Urbanes Fracking“ wurde dieses Phänomen auch genannt.4 Was das Projekt selbst angeht, stellen sich grundsätzliche Fragen: Wer braucht noch ein weiteres aufpoliertes, schickes Einkaufsviertel in der Hauptstadt? Wer braucht noch mehr vom Gleichen – Büroflächen, Luxus-Lofts, Edel-Boutiquen –, während die eigentliche Krise der dramatische Mangel an Wohnraum für die Mittelschichten ist? In einem Umfeld aber, in dem der Markt regiert, unterstützt durch die fördernden Budgets der öffentlichen Hand, sind Fragen nach Erschwinglichkeit oder sozialer Ungleichheit offenbar aus einer falschen Perspektive gestellt: „It’s the economy, stupid“.

Dieses Diktum führt zweitens zum governance-Arrangement, das hinter diesen Projekten steht. Unter den Konzepten und Interpretationen der jüngeren Vergangenheit gibt es passende Anregungen. Natürlich fühlt man sich an den Ansatz der growth machine aus den 1980er Jahren erinnert, wonach Koalitionen aus öffentlicher Verwaltung und Politik, Wirtschaft und Medien an einer gemeinsamen Standortentwicklung arbeiten. Dieser Ansatz wurde in jüngeren Debatten wieder entdeckt.5 Er wird aus guten Gründen mit der Idee des entrepreneurial municipalism kombiniert. Seine These ist, dass sich die unternehmerische Stadt nicht am Markt realisiert, sondern erst durch den lokalen Staat möglich wird.6 Beschleunigt wird dieses Phänomen in jüngster Zeit durch den Prozess der Finanzialisierung. Das heißt, dass die große Menge an Anlagekapital, die in Zeiten der Niedrigzinsen in städtische Areale fließt, auch die Form der Stadtplanung verändert.7

Das Ergebnis ist eindeutig: Städtische Flächen werden vermehrt erworben, aufgewertet und mit Gewinn veräußert. Der Konsum von Grund und Boden ist der Aufwertung der Stadt als Ort des Konsums nicht nur vorgelagert, sondern stellt ihre zwingende Voraussetzung dar. Die realisierten Bodennutzungen folgen insofern nicht zwangsläufig einem nachprüfbaren Bedarf, sondern richten sich primär an Renditevorgaben aus. Dies hat erhebliche soziale Konsequenzen: Für weniger gewinnträchtige Nutzungen bleibt kaum Spielraum; wenn die neuen Loft-Besitzer nur selten in der Stadt anzutreffen sind (was häufig der Fall ist), wird dieser Wohnungsbau auch kein Problem lösen, sondern eher Teil des Problems sein. Knappheit an Wohnraum wird dadurch auf ähnliche Weise verstärkt wie zuvor durch die Dominanz von Büroraum.

Entrepreneurial municipalism steht für einen öffentlichen Sektor, in dem sich Kleinstaat und Hauptstadt idealtypisch ergänzen: Der lokale Staat ist pro-business, agiert aber eben nur scheinbar wie ein Unternehmer. Beide Akteursgruppen verschmelzen in dem, was wir city-state formation nennen.8 Luxemburg gibt ein perfektes Beispiel hierfür. Städtische und staatliche Politik eint das Ziel, der definitive Ort für die Ansiedlung von Unternehmen aller Art zu bleiben – das Triple-AAA-Rating praktisch als heiliger Gral der nationalen Identität. Diese Praxis wird durch urban design und grüne Dächer nicht nur kaum überzeugend kompensiert, sondern umgekehrt ideologisch grundiert: Erst diese Beigaben erlauben es, solche Projekte als Stadtbaustein zu verkaufen, nicht als das zu sehen, was sie sind: Wertschöpfungsvehikel. Der Markt regiert, aber entfaltet sich im realen Leben nur durch die vermittelnden Hände von Stadt und Staat. Dies ist eine zentrale Rahmenbedingung für die planerische, bauliche und städtebauliche Praxis und muss beachtet werden, wenn es um Herausforderungen wie Klimawandel, soziale Gerechtigkeit oder COVID-19 geht.

Fazit

Welche Zukunft gibt es für die Städte im Land? Gibt es Alternativen zu einer Politik, die dem Tauschwert von Grund und Boden einen höheren Stellenwert zuweist als seinem Nutzwert? Während die Öffentlichkeit über Preisentwicklung und Besitzverhältnisse besser informiert ist denn je, dürfte sich am Primat der Verwertungslogik auf absehbare Zeit wenig ändern: Sie ist aufs Engste ins Geschäftsmodell Luxemburg eingeschrieben. Daran ändert auch das grüne Bauen vorerst wenig – erst recht nicht im Licht eines zunehmend auf green assets fokussierten Finanz- und Immobilienmarktes. Unklar bleibt, ob COVID-19 sich als Wendepunkt im Urbanismus erweisen sollte: Die landläufige Strategie, immer mehr Nutzungen in den begrenzten Stadtraum zu pressen, ist zumindest wenig resilient im Hinblick auf weitere Pandemien. Fürs Erste bleibt es aber wohl beim Hang zum großen Projekt im kleinen Land. Dabei macht Stadtplanung nicht nur den urbanen Boden zur Goldgrube. Sie dient zunehmend auch als Technologie der Hoffnung: Bei Kritik am Bestehenden wird in routinierter Form auf neue Vorhaben verwiesen. In Zukunft wird alles besser.  

  1. Vgl. meine Kommentare auf http://urbanunbound.blogspot.com (Juni 2018, September 2020), an denen sich dieser Beitrag orientiert (letzter Aufruf: 20. April 2021).
  2. Offizielle Details zum Projekt finden sich hier: https://tinyurl.com/34pd4zyt (letzter Aufruf: 20. April 2021). 
  3. MDDI/DATer, „Que devons-nous faire aujourd’hui pour l’aménager les générations futures? Débat de consultation à la Chambre des Députés“, 2018, S. 89.
  4. Dank für diesen Begriff geht an Stephan Reiß-Schmidt, ehem. Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklung der Landeshauptstadt München.
  5. Sébastien Lambelet, „Filling in the resource gap of urban regime analysis to make it travel in time and space“, in: Urban Affairs Review 5 (2019), 55, S. 1402-1432.
  6. Matthew Thompson u. a., „Re-grounding the city with Polanyi: From urban entrepreneurialism to entrepreneurial municipalism“, in: Environment and Planning A: Economy and Space 6 (2020), 52, S. 1171-1194.
  7. Manuel B. Aalbers, „Financial geography III: The financialization of the city“, in: Progress in Human Geography 3 (2020), 44, S. 595-607.
  8. Markus Hesse/Catherine Wong, „Cities seen through a relational lens. Exploring niche-economic strategies and related urban development trajectories of Geneva (Switzerland), Luxembourg & Singapore“, in: Geographische Zeitschrift (GZ) 108 (2020), 2, S. 74-98.

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