Planung unter Freunden?

Herausforderungen für die grenzüberschreitendeAbstimmung in der Großregion

Landesplanung in Luxemburg muss immer auch grenzüberschreitend gedacht und praktiziert werden. Dies hat weniger mit dem kleinen Territorium des Großherzogtums zu tun als mit seinen engen funktionalen Verflechtungen über die Staatsgrenzen hinweg, sei es das Einzugsgebiet für Grenzpendler, die zunehmende Wohnmobilität, die Trinkwasserversorgung oder die Energieimporte. Das jüngere Wachstum des Luxemburger Arbeits-markts (siehe Beitrag Markus Hesse, S. 23) hat diese Notwendigkeit weiter verstärkt.

Daher verwundert es nicht, dass es die Luxemburger Regierung war, die das Thema Raumplanung zur obersten Priorität ihrer Präsidentschaft des Gipfels der Großregion1 2008/2009 machte. Hierauf geht auch die Leitidee der Schaffung einer „Grenzüberschreitenden Polyzentrischen Metropolregion“ (GPMR) zurück —ein sperriger Begriff, der es dennoch schaffte, heute fast selbstverständlich zum aktiven Wortschatz politischer Mandatsträger wie der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin oder des Präsidenten des lothringischen Regionalrats zu gehören. Auch bekannt unter dem Schlagwort METROBORDER, verfolgt der Ansatz das Ziel, durch bessere Koordination der Raumentwicklung zwischen den grenz-nahen Großstädten Infrastrukturen zu optimieren, Synergien in der Gewerbe- und Siedlungsentwicklung zu identifizieren und eine mögliche Arbeitsteilung bei öffentlichen Infrastrukturen (z.B. für Krankenhäuser, Flughäfen) anzustreben. Als eine Metropolregion betrachtet, muss der
„METROBORDER-Raum“ um die Städte Luxemburg, Metz, Nancy, Saarbrücken, Kaiserslautern und Trier den Vergleich mit „echten“ Metropolen wie Barcelona oder Hamburg nicht scheuen, zumindest quantitativ (Einwohner, Wirtschaftskraft). Qualitativ, d.h. im Sinne einer kohärenten Entwicklungsstrategie für den Gesamtraum, ist jedoch noch ein weiter Weg zu gehen.

Institutionelles Vakuum im Institutionendschungel

Dass es sich bei der METROBORDER- bzw. GPMR-Strategie nicht nur um das ambitionierteste, sondern auch um das erste ernstzunehmende Raumentwicklungskonzept für die Großregion handelt mag ernüchternd klingen. Mindestens zwei Ursachen scheinen hierfür offenkundig: erstens der territoriale Zuschnitt der Großregion und die Vielfalt der staatlichen und regionalen Akteure, zweitens der nach mehr als vier Dekaden teils intensiver Zusammenarbeit immer noch vergleichsweise schwache Institutionalisierungsgrad des Kooperationsraums.

Unter politischen Entscheidungsträgern und Praktikern der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der gegenwärtige territoriale Zuschnitt rein politisch-administrativen Notwendigkeiten geschuldet ist. Die Mehrzahl der tatsächlichen grenzüberschreitenden Vernetzungen im Alltag von Unternehmen, Beschäftigten (Grenzpendler), Konsumenten und Tagestouristen konzentrieren sich auf einen weitaus kleineren Raum, der ein Band von ca. 30-40 km beiderseits der Staatsgrenzen umfasst. Hier besteht auch aus planerischer Sicht der größte Handlungs- und Koordinierungsbedarf. Das heißt nicht, dass nicht auch bestimmte Themen, die für die Raumentwicklung in der Großregion relevant sind, auf anderer politischer Ebene verhandelt würden (Hochgeschwindigkeitszüge, europäische Energie- und Klimapolitik).

Betrachtet man die Großregion in ihrer heutigen Abgrenzung als politisch-administrativen Rahmen (institutioneller„Vertragsraum“)2 und nicht als Zielraum der grenzüberschreitenden Kooperation und Planung (projektbezogener „Mandatsraum“), so relativiert sich auch die momentan intensive Debatte über mögliche Konsequenzen der Territorialreform in Frankreich. Mit dem geplanten Zusammenschluss der drei Regionen Alsace, Lorraine und Champagne-Ardennes zur ALCA-Region (Hauptstadt: Strasbourg) verknüpfen Skeptiker die Erwartung, auch die Großregion müsse entsprechend erweitert werden, und sprechen scherzhaft bereits von der TGR, der très grande région. Auch wenn sich verschiebende Zuständigkeiten in Frankreich das ohnehin komplexe Gefüge der Gipfelmitglieder nicht vereinfachen wird, muss nicht notwendigerweise der bisherige Mandatsraum in Frage gestellt werden. Auch die Wallonie und Rheinland-Pfalz betätigen sich seit geraumer Zeit in anderen interregionalen Verbünden (Euregio Maas-Rhein, Eurométropole Lille-Tournai-Kortrijk, Oberrhein) und entsenden teilweise dieselben hohen Beamten in die jeweiligen Gremien.

Der oben postulierte Mangel an Institutionalisierung mag zunächst verwunderlich scheinen angesichts der mitunter verwirrenden Vielzahl von Zusammenschlüssen und Gremien — neben dem Gipfel und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion etwa die EuRegio SaarLorLux+ (Kommunen), der Interregionale Parlamentarierrat, der Interregionale Gewerkschaftsrat oder die Städtenetze Quattropole und Tonicité. Trotz dieser wichtigen und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich ambitionierten Netzwerke ist es bis heute nicht gelungen, eine übergreifende Institution zu schaffen, die mit einem klaren Koordinierungsmandat ausgestattet ist, über ausreichend Personal- und Sachmittel verfügt, kontinuierlich Prozesse anstößt und den Vollzug (bisher zu selten) verbindlicher Öbereinkünfte überwacht. In anderen Worten: auch nach mehr als vierzig Jahren beschränkt sich die politische Kooperation auf interregionale (und zunehmend nur bilaterale) Abstimmungen, ohne dass eine supraregionale Instanz geschaffen wurde, der die Partnerregionen Befugnisse abzutreten bereit
wären.3 Auch wenn der Vergleich mit der EU dieser Tage wenig Vorbildcharakter haben mag: Die Großregion verfügt über einen Ministerrat (Gipfel), aber weder über eine Kommission noch über ein Parlament.

2014 wurde mit der Verstetigung und Aufstockung des Gipfelsekretariats in Form eines EVTZ (Europäischer Verbund zur Territorialen Zusammenarbeit) ein wichtiger Schritt unternommen. Diese Struktur lässt mehr Kontinuität, nicht aber automatisch mehr Verbindlichkeit erwarten, da es auch weiterhin an einem ständigen Organ der verbindlichen Entscheidungsfindung fehlen wird. Letzteres würde sicher kein Allheilmittel darstellen, aber doch einen Qualitätssprung in der Kooperation ermöglichen.

Von dem fortwährenden „institutionellen Vakuum“4 sind die bisherigen Versuche zur besseren grenzüberschreitenden Raumplanung in besonderer Weise betroffen. Nicht nur fehlt es an verlässlichen Vorgaben, langfristigen Entwicklungsstrategien und verbindlichen Plandokumenten, um die Raumentwicklung besser zu steuern; sondern rechtliche Unsicherheiten und Widersprüchlichkeiten sind mitunter erst Ursache ungewollter Entwicklungen, wie das Beispiel Einzelhandel illustrieren soll.

Kooperation oder Konkurrenz?

Die vollmundige Erklärung des damaligen Premierministers in seiner Rede zur Lage der Nation5, Luxemburg zu dem Einkaufszentrum der Großregion ausbauen zu wollen, muss bei den Nachbarn verstörend gewirkt haben. Sie musste als Kampfansage verstanden werden an etablierte Einzelhandelsstandorte wie Trier und Metz und damit gegen die „Flucht“ luxemburgischer Kaufkraft, gleichzeitig aber auch als Versuch, mehr Kaufkraft der Grenzgänger im Großherzogtum zu halten. Beide Motive lassen zunächst wenig von der Idee einer partnerschaftlich gestalteten, arbeitsteiligen Metropolregion erkennen. Die konkrete Einzelhandelsentwicklung im Grenzraum zeichnet ein noch komplexeres Bild: Nachdem das so genannte Einzelhandelsmoratorium in Luxemburg 1997 bis 2006 dazu führte, dass großflächiger Einzelhandel vorzugsweise im grenznahen Ausland (IKEA in Sterpenich/Arlon, Auchan in Mont-Saint-Martin) ansässig wurde, sind nach 2006 auf Luxemburger Seite zahlreiche Standorte erblüht, die ihrerseits eine grenzüberschreitende Anziehungskraft besitzen (Belval Plaza, Knauf Shopping Centres — siehe Karte 1).6

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich im Jahr 2014 der Stadtrat von Arlon gegen die geplante Erweiterung des Gewerbegebiets am IKEA-Standort aussprach, um den innerstädtischen Einzelhandel vor weiterer Konkurrenz auf der „grünen Wiese“ zu bewahren, während fast gleichzeitig auf luxemburgischer Seite sechs Grenzgemeinden die Einrichtung der Zone d’activités économiques à caractère régional dans la région de l’Ouest du pays (ZARO, 20 ha) in Grass (Steinfort) vorantrieben, wenige Meter vom IKEA-Gelände entfernt. Zwar muss dieses interkommunale Gewerbegebiet nicht notwendigerweise schlecht sein — in eine koordinierte grenzüberschreitende Entwicklungsplanung eingebunden ist es jedoch mitnichten.

Es ließen sich weitere aktuelle Beispiele wie etwa die geplante Erweiterung des Tanklagers in Mertert anführen, die dies- und jenseits der Grenze für Proteste und Polemiken sorgen, da offenkundig die Chancen einer vorausschauenden Absprache verpasst wurden — oder diese nicht erwünscht war, weil wirtschaftliche Interessen einflussreicher waren.

Wo ein Wille ist …

Fast schon als Bonmot gilt die Einschätzung, der grenzüberschreitenden Kooperation fehle so lange der nötige politische Wille, wie man mit dem sperrigen Thema „Großregion“ in der jeweiligen Heimatregion keine Wahlen gewinnen könne. Dieses Pauschalurteil tut nicht nur allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ministerien, Behörden und Verbänden unrecht, die mit großem Engagement arbeiten und zum Teil ihre gesamte Berufslaufbahn der grenzüberschreitenden Sache verschrieben haben. Es ist auch nicht fair gegenüber denjenigen Politikerinnen und Politikern, die mit Emphase und Glaubwürdigkeit für die Idee der grenzüberschreitenden Integration eintreten.

Angesichts des außerordentlichen Handlungsdrucks auf dem Feld der Raumentwicklung wäre den Entscheidungsträgern jedoch mehr Mut zu wünschen, nach innovativen Lösungen zu suchen und im Rahmen der großregionalen Zusammenarbeit ideenreich zu „experimentieren“, wie es die saarländische Ministerpräsidentin jüngst bei einer Veranstaltung in Luxemburg forderte. Nur so kann das vielbemühte Bild vom „Labor Europas“ über das Floskelhafte hinauskommen, d.h. wenn statt dem jetzt vorherrschenden reaktiven Intervenieren künftig mit größerem Risiko versucht wird, trotz aller politischen, juristischen und interkulturellen Barrieren, unkonventionelle Wege zu gehen und verbindlich zu handeln. Kleinere Erfolge etwa im grenzüberschreitenden Bus- und Bahnverkehr könnten wegweisend auch für andere Politikfelder werden.

Viel wird auch davon abhängen, wie die Partnerregionen im Rahmen ihrer verbindlichen Planung mit der Grenzraumthematik umgehen. Dies trifft sowohl Planinhalte und Analysemaßstäbe als auch die Frage der politischen Konzertation. Die gegenwärtige Revision der Luxemburger Sektorpläne, in deren ers-tem Anlauf keine formale Beteiligung der Nachbarregionen und Grenzgemeinden erfolgte, bietet hier eine erneute Gelegenheit, als Vorbild voranzugehen.

Auch sollte erwartet werden können, dass die langjährigen Partnerschaften und gemeinsamen Erfahrungen die Kooperationsbeziehungen so belastbar gemacht haben, dass auch heikle Themen, die mitunter noch weitaus konfliktueller sind als der Einzelhandel (z.B. Flughäfen, Cattenom), konstruktiv debattiert werden können. Zugeben, die Entwicklung einer im Ergebnis förderlichen „Dissenskultur“ (siehe Beitrag Tom Becker, S. 32) erscheint in der interkulturellen Gemengelage der Großregion ungleich schwerer als im ohnehin nicht einfachen nationalen Kontext.

Das politische Projekt METROBORDER als gemeinsam beschlossene Leitidee könnte in seiner weiteren Operationalisierung einen vielversprechenden Rahmen für grenzüberschreitendes Experimentieren und die Konkretisierung innovativer Ansätze bieten. Das Arbeitsprogramm der aktuellen wallonischen Gipfelpräsidentschaft erlaubt vorsichtigen Optimismus, setzt es doch in allen Arbeitsbereichen auf das Leitmotiv „créativité“.

Der „Gipfel der Exekutiven der Großregion“ vereint seit 1995 in regelmäßigen Abständen Regierungsvertreter der Kooperationspartner aus Lothringen, Wallonien, Rheinland-Pfalz, Saarland und Luxemburg. Er hat 1997 den Wirtschafts- und Sozialausschuss der Großregion als beratendes Gremium eingerichtet und unterhält zahlreiche thematische Arbeitsgruppen (u.a. zu Raumplanung), die mit hochrangigen Beamten der Partnerregionen besetzt sind. Die Präsidentschaft des Gipfels rotiert und obliegt 2015/2016 der Region Wallonien in Zusammenarbeit mit der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens sowie der Fédération Wallonie-Bruxelles. Siehe auch forum 288 (2009) zur Großregion.
Tobias Chilla, Estelle Evrard, Christian Schulz (2012): „On the Territoriality of Cross-Border Cooperation: ‚Institutional Mapping‘ in a Multi-Level Context“. In: European Planning Studies, Bd. 20 (6), S. 961-980.
Estelle Evrard (2015): Suprarégionalisation transfrontalière? Grande Région SaarLorLux. Rennes, Presses
universitaires de Rennes.
Maarten Hajer, (2003): „Policy without Polity? Policy analysis and the institutional void“. In: Policy
Sciences, Bd. 36 (2), S. 175-195.
Jean-Claude Juncker (2006): Déclaration du gouvernement sur la situation économique, sociale et financière du pays 2006, http://www.gouvernement.lu/gouvernement/etat-nation/2006/index.html
Julia Affolderbach, Tom Becker (2011): „Einzelhandel und Siedlungsentwicklung“. In: Chilla, Tobias/Schulz, Christian (Hrsg.): Raumordnung in Luxemburg. Luxemburg: Binsfeld, S. 206-217.
Julia Affolderbach (2013): „Negotiating Border Regions. Retail Development in Luxembourg and the Greater Region“, In: Gilles, Peter/Koff, Harlan/ Maganda, Carmen/Schulz, Christian (Hrsg.): Theorizing Borders Through Analyses of Power Relationships. Brüssel: PIE Peter Lang, S. 125-148, hier S. 134.

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