- Medien, Multimedia
Mediensplitter
Polens Medienvielfalt in Gefahr
Am 10. Februar dieses Jahres haben sich polnische unabhängige Medien zu einer außergewöhnlichen Aktion zusammengetan. Statt der normalen Berichterstattung in TV, Zeitung und Internet gab es 24 Stunden lang schwarze Seiten und Bildschirme, auf denen „Medien ohne Wahl“ zu lesen war. Das, was in Luxemburg nur am Rande bemerkt wurde, war ein verzweifelter Schrei nach Hilfe und Aufmerksamkeit sowie ein starkes Zeichen des Protests in einem Krieg, den die rechts-konservative PiS-Regierung seit sechs Jahren gegen die Medienfreiheit führt.
Dieser Krieg findet an mehreren Fronten statt. Er begann mit den öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Radiosendern, wo unabhängige Journalist*innen nach und nach durch regierungstreue Beamt*innen ersetzt wurden. Das Resultat: Gleichschaltung, Propaganda, das Ende vom Pluralismus. Wie sich das konkret äußert, hat z. B. eine Analyse des polnischen Journalistenverbandes gezeigt: In den zwei Wochen vor der Präsidentschafts-Stichwahl 2020 waren 64 % aller Beiträge über die Wahl im Staatsfernsehen dem PiS-Kandidaten Andrzej Duda gewidmet, davon war er in allen positiv, nur einmal neutral dargestellt. Über seinen Konkurrenten Rafał Trzaskowski wurde nur halb so viel – und durchgängig negativ – berichtet. Das Staatsfernsehen verfolgt konsequent die Strategie des dreifachen V: des Verdrehens, Verschweigens und Verleumdens. Frauen, die für ihr Recht auf Abtreibung auf die Straße gehen, werden als Unruhestifterinnen abgestempelt. Um den Bürger*innen die EU weniger schmackhaft zu machen, wird in Berichten verschwiegen, dass die Investitionen in Infrastruktur größtenteils mit EU-Geldern finanziert werden, was bereits für Empörung der EU-Kommission gesorgt hat.
Das zweite Schlachtfeld ist der regionale Pressemarkt, der letztes Jahr gleich von zwei Ereignissen erschüttert wurde. Im Juni hat der Ölkonzern PKN Orlen eines der größten Pressevertriebsunternehmen des Landes gekauft: Ruch S.A. Damit hat sich der Konzern die Kontrolle darüber gesichert, welche Titel im Kiosk überhaupt angeboten werden. Ende des Jahres kam noch die Verlagsgruppe Polska Press hinzu, der 20 von insgesamt 24 regionalen Tageszeitungen sowie 120 lokale Wochenblätter und 500 Internetseiten gehören. Obwohl Orlen-Chef Daniel Obajtek, ein enger Vertrauter Kaczyńskis, diese Entscheidungen als rein ökonomisch begründet hat, hat er sehr viel politisches Lob für seine „Schachzüge“ bekommen. Von der konservativen Zeitschrift Sieci wurde er zum „Mann des Jahres“ gekürt und von PiS-Politiker*innen sogar mit Napoleon verglichen.
Der bisher letzte Feldzug von PiS betrifft die Finanzierung der Medien. Mit einer neuen Steuer, einer so genannten Solidaritätsabgabe, sollen 20 % der Werbeeinnahmen kassiert werden und den von Corona besonders geplagten Sektoren zugute kommen. Die rechtskonservativen Medien werden es kaum spüren, denn die Regierung gleicht ihre Verluste durch Werbeaufträge von Staatskonzernen sowie direkte Bezuschussung aus der Staatskasse aus. Die Initiative „Medien ohne Wahl“ müsste also eigentlich „Bürger*innen ohne Wahl“ heißen, weil die Medienvielfalt in Polen wirklich auf der Kippe steht.
HM
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