Politische Sprache

Über ein Public Forum zum Sprachgebrauch der identitären Rechten

Beobachtungen über eine sog. „sprachliche Aufrüstung“ und „Radikalisierung“, die weit über vereinzelte sprachliche „Entgleisungen“ hinausgehe und bis hin zur gezielten und systematischen „verbalen Brandstiftung“ reiche, prägen derzeit die Sprache über Sprache. Zu befürchten sei eine „Enthemmung“ und „Verrohung“ nicht nur auf Sprach-, sondern letztlich auch auf Handlungsebene, wird doch gerade am amerikanischen Beispiel ein direkter Zusammenhang zwischen verbaler und tätlicher Gewalt vermutet. Selbst über eine mögliche Mitschuld des amerikanischen Präsidenten an den rezenten Briefbomben-Attentaten als Folge von gezielter rhetorischer Agitation und der wiederholten expliziten Ermutigung zu Gewaltverbrechen und Menschenrechtsverletzungen wird in der medialen Öffentlichkeit offen gemutmaßt.

Trotz unmittelbarem Aktualitätsbezug sollte nicht etwa die politische Bühne, sondern die Theaterbühne am 4. Oktober 2018 Anlass für ein Public Forum im Théâtre National du Luxembourg (TNL) über politische Sprache und den Sprachgebrauch der identitären Rechten geben – ein Bezug, der sich über das in Lars Werners „Weißer Raum“ gezeichnete politische Stimmungsbild Deutschlands unmittelbar auf den politischen Aktualitätsdiskurs übertragen lies.

Politik als Sprachhandlung

Gleich zu Beginn wies der ehemalige déi Lénk Abgeordnete André Hoffmann auf die Verbindungen von Sprache und Politik hin. Sprache sei nicht nur Mittel, um Politik zu betreiben, sondern die politische Praxis setze sich aus unterschiedlichen sprachlichen Tätigkeiten zusammen, weshalb Politik als „Sprachhandlung“ verstanden werden könne. Im Kampf um Deutungshoheit diene die Sprache außerdem dazu, eine rechtsnationalistische Politik jener Parteien zu rechtfertigen, die sich durch das Erstarken der extremen Rechten in- und außerhalb Europas in ihrer demokratischen Legitimität bestätigt fühlen.

Sprachliches Handeln in der Politik jedoch allein auf die Sprache der Politiker zu beschränken, würde zu kurz greifen und weite Teilöffentlichkeit(en) ausklammern, die durch das Sprechen über Politik den Sprachgebrauch in der Politik aktiv mitgestalten. Insofern lassen sich Fragen über eine veränderte Sprachpraxis in der Politik nur unter Einbezug einer Vielzahl von Akteuren ausloten. Vor genau diesem Hintergrund muss auch der populäre Befund über die vermeintliche „Verrohung“ der Sprache diskutiert werden, die in erster Linie zwei Entwicklungen impliziert: 1) einen Zeitpunkt in der Vergangenheit, an dem die Sprache eine andere Qualität besessen hätte und 2) eine Überschreitung dessen, was allgemein als „angemessen“ gilt. Dass im direkten Vergleich zu heute etwa in den 70er Jahren nationalistische Tendenzen verpönt waren, liege in erster Linie daran, dass die Nachkriegszeit noch von der Resistenzerfahrung, also einer kollektiven Grundstimmung geprägt war, die auf allgemeinem Konsens beruhte, so der Historiker Michel Pauly. Dass einst ideologisch vorbelastete Wörter heute und in Zukunft allerdings wieder von einem Großteil der Sprechergemeinschaft wertneutral und unbefangen verwendet werden (siehe z.B. den Begriff „Sonderbehandlung“, der als NS-Euphemismus für den Mord an Juden verwendet wurde, heute aber hauptsächlich im Sinne einer Begünstigung oder Bevorteilung zu verstehen ist), lässt sich auf Veränderungen im Begriffsgebrauch zurückführen. Eine isolierte Wortkritik kann insofern nur wenig Aufschluss bieten, weil sprachliche Verhältnisse immer kontextgebunden und in ihrem historischen Zusammenhang gelesen werden müssen.1 Die Annahme, dass sich die derzeitige politische Rhetorik wesentlich verändert habe, ist demnach nur bedingt haltbar, zumindest wenn man die Erkenntnisse der Politolinguistik, jenes Teilbereiches der Linguistik, der den Sprachgebrauch in der Politik untersucht, hinzuzieht. So lässt sich etwa am Beispiel der NS-Sprache zeigen, dass viele ihrer Begriffe eben keine „Erfindung“ der NS-Zeit waren, sondern schon in der Kaiserzeit nachgewiesen werden konnten, sie allerdings durch u.a. eine erhöhte Frequenzsteigerung im Gebrauch in alle Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens ausstrahlen und sich im allgemeine Bewusstsein der Menschen verankern konnten (vgl. Niehr). Dass Sprachphänomene heute vermehrt in den Fokus der Diskussion rücken, führt die Sprachwissenschaft nicht zwangsläufig auf gravierende Veränderungen im Sprachgebrauch zurück, sondern auf die Tatsache, dass sich durch die mediale Entwicklung immer mehr Akteure (Fachleute und Laien gleichermaßen) am sprachlichen Diskurs beteiligen, weshalb dem Phänomen heute größere Aufmerksamkeit zukommt als früher.

Am Anfang stand das Wort. Oder?

Die Macht von Sprache gilt nicht erst seit den Untersuchungen der Kognitionsforschung als unbestritten. Die Erkenntnis, dass lediglich geschätzte 2 Prozent (!) unseres Denkens bewusste Vorgänge sind, erscheint schon fast unheimlich, weil man davon ausgehen muss, dass unser Gehirn bei der Sprachverarbeitung auf Autopilot schaltet und eigenständig und ohne dass es uns bewusst wäre, über Sprache Deutungsrahmen (sog. „frames“) aktiviert, die wir auf die zu interpretierenden Situationen legen und die infolgedessen unser Denken und Handeln leiten.2 So war es dann auch kaum überraschend, dass sich ein zentraler Aspekt der Diskussion mit der Frage befasste, ob eine Veränderung des Sprachgebrauchs eine veränderte politische Praxis herbeiführte oder umgekehrt.

Bedenkt man, dass Zustimmung des/der Rezipienten sprachwissenschaftlich betrachtet die Grundvoraussetzung für Redeerfolg darstellt, muss man davon ausgehen, dass eine ideologisch gefärbte Rhetorik dort nicht Früchte tragen kann, wo sie nicht bereits auf fruchtbaren Nährboden stößt. Anders ausgedrückt: Wie Sprache verwendet wird, steht symptomatisch für das geistige Klima, in dem sie verwendet wird. Dass eine bestimmte Rhetorik virulent werden kann, wäre demnach u.a. auf eine entsprechende, bereits vorherrschende rezeptive Grundstimmung zurückzuführen. Eine grundsätzliche und immenente negative Bedeutungsebene einzelner Wörter und Begriffe zu vermuten, würde nicht dem Umstand Rechnung tragen, wie und in welcher Intention sie verwendet werden.

Gerade der Befund einer sprachlichen „Verrohung“ beinhalte demnach schon, so die Präsidentin des Presserates Ines Kurschat, eine moralische Wertung, die in der Diskussion über einen veränderten Sprachgebrauch einer präziseren begrifflichen und inhaltlichen Verortung bedürfe. Wie problematisch der Versuch sein kann, den Rahmen des Sagbaren abzustecken, zeigt sich schon an der Grundsatzfrage um die sog. „political correctness“ und ihre Zweck- und Rechtmäßigkeit, die im aktuellen Sprachdiskurs selbst zum Topos geworden ist. Nicht zuletzt deswegen, weil die moralische und moralisierende Sprachkritik über den ihr immanenten Anspruch auf moralische Überlegenheit und Deutungshoheit stark anfällig für ideologische Vereinnahmung durch die Gegnerseite ist. Die Forderung nach Sprachsensibilisierung und einem bewussteren Umgang mit Sprache lässt sich so in dem stark ideologisch gefärbten Diskurs um den Schutz vermeintlicher europäischer Grundwerte mit Berufung auf die Meinungs- und Redefreiheit als Einschränkung der Grundrechte und Unterschlagung einer vermeintlichen „Wahrheit“ auslegen. Politische Korrektheit wird dann als Versuch einer Tabuisierung und Zensur diskreditiert und als Maßnahme des Sprachpurismus/der Sprachreinigung oder -hygiene erklärt.

Sprache im Wahlkampf

Etwas weiter gingen die Meinungen beim Thema Sprache in den rezenten Parlamentswahlen in Luxemburg auseinander. Vor allem DP und déi gréng mussten sich mit ihren Wahlslogans „Zukunft op Lëtzebuergesch“ und „Well mer eist Land gär hunn“ die Frage gefallen lassen, ob sie mit Sprach- und Heimatliebe klassische Themen besetzen, die eigentlich der ADR zugeordnet werden – eine Frage, die allerdings nicht ohne eine Analyse der allgemeinen politischen Landschaft in Luxemburg diskutiert werden konnte.

Allgemeiner Konsens herrschte darüber, dass rechtsradikale, extremistische oder (neo-)faschistische Tendenzen in Luxemburg weder den öffentlichen Diskurs in besonderer Weise prägen noch auf Parlamentsebene angekommen sind, sondern sich, wenn überhaupt, hauptsächlich auf sozialen Netzwerken ausdrücken. Im Gegensatz zur „Identitären Bewegung“ in Deutschland, die ihre völkisch-rassistische Gesinnung nicht versteckt, gebe es eine solche Gruppierung in Luxemburg nicht. Insofern seien Vorwürfe des Extremismus oder Faschismus hier unzutreffend, weil sie das historische Ausmaß solcher Begriffe stark reduziere und ad absurdum führe, meint Michel Pauly. Fehlende terminologische Trennschärfe wird von den Anwesenden allgemein bei der Verwendung der Begriffe des Populismus, Radikalismus, Extremismus und Faschismus bemängelt, die z.T. synonym verwendet werden, ohne den unterschiedlichen graduellen Abstufungen und Ausprägungen der Begriffe Rechnung zu tragen. Laut Maxime Weber, der aufgrund seiner Beschäftigung mit der rechten Szene angibt, selbst als Linksextremist bezeichnet worden zu sein, seien auch linksextreme Tendenzen in Luxemburg nicht direkt erkennbar. Das liege vor allem daran, dass die linke Szene in Luxemburg keine antifaschistischen Gruppen entwickelt hat.

Für die Entdramatisierung des Rechtsphänomens in Luxemburg plädierte auch der Soziologe Fernand Fehlen, der die Rede von jeglichen Formen von Rassismus im politischen Diskurs in Luxemburg für marginal und damit irrelevant einschätzt und es hauptsächlich auf ein Internet-Phänomen zurückführt, das Menschen ein Sprachrohr biete, deren Gesinnung und politische Einstellung in der Öffentlichkeit ansonsten kaum Beachtung finden würden. Statt das Phänomen künstlich aufzubauschen, wäre es sinnvoller, diese Menschen in genau dieser gesellschaftlichen Isolation zu lassen. Nichtsdestotrotz sei laut Ines Kurschat in diesem Zusammenhang auf die Mehrheit der überwiegend ausländischen in Luxemburg ansässigen, aber nicht wahlberechtigten Bevölkerung zu verweisen, die für aufkeimende Tendenzen des Nationalismus und seine Auswirkungen eine andere Sensibilität aufweisen könnte als jener Teil der luxemburgischen Bevölkerung, der sich von diesen marginalen Phänomenen nicht betroffen fühlt.

In der knapp eineinhalbstündigen Diskussion konnte der Inhalt und Zustand politischer Sprache allgemein abgesteckt werden. Ein Aspekt, der nicht ausführlich besprochen wurde, war der Anteil und die Funktion der Medien im politischen Diskurs und der öffentlichen politischen Meinungsbildung. Auch die Frage nach einer möglichen Verantwortung oder Vorbildfunktion der Medien konnte nicht abgedeckt werden.

1) Vgl. Thomas Niehr: Einführung in die Politolinguistik, Gegenstände und Methoden. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2014.
2) Eine Sprachwissenschaftlerin, deren Name innerhalb der sprachpolitischen Debatte selbst zum „frame“ geworden ist, ist Elisabeth Wehling. Auch forum hat sich mit der Autorin des Grundlagenbuches Politisches Framing. Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht, unterhalten. (siehe forum Nr. 372/April 2017)

 „Weißer Raum“ von Lars Werner (Kasten)

Im sächsischen Lampertswalde, einem Ort in der Umgebung von Dresden, wird der Gleiswärter Uli Bäumer zum Held der Weihnachtsnacht, als er eine Vergewaltigung verhindert und dabei den Täter totschlägt. Als solcher wird er zunächst in der Lokalpresse und von einem jubelnden Mob gefeiert – bis ausgerechnet die Frau, die er vor der versuchten Vergewaltigung durch einen Asylbewerber rettete, Zweifel an den Motiven der geleisteten Hilfeleistung äußert. Denn Uli Bäumer ist ein Wiederholungstäter, wenn es um Gewalt gegenüber Ausländern geht, diesmal sogar mit Todesfolge. Dennoch will man dem unscheinbaren Durchschnittsmenschen Bäumer, einem der „kleinen Leute“, den man im Privatraum der Familie eben nicht als rechtsradikalen Machthaber, sondern eher als kleinmütigen und recht einsilbigen Mitläufer erlebt, keinen Vorsatz unterstellen. Doch auch die Journalistin Marie Stolze, die beinahe Opfer der Sexualstraftat geworden wäre, will nicht mehr so recht in die Opferrolle passen, als sie sich nach dem Vorfall ausgerechnet dem Kampf gegen den deutschen Rechtsextremismus verschreibt – eine Trotzreaktion gegen ihren Retter, die sich erst allmählich als Flucht vor der eigenen Schuld entpuppt. Während Bäumer den eigenen Gewaltrausch noch vor den Hintergrund eines edlen Dienstes, nämlich dem der Hilfeleistung verteidigen kann, muss sich die Journalistin plötzlich wegen unterlassener Hilfeleistung mit Schuldgefühlen auseinandersetzen. Und dann wäre da noch Bäumers Sohn Patrick, der sich aus tiefer Verbitterung über das empfundene Unrecht am Vater selbst als Opfer sieht und dadurch zur Rache berechtigt fühlt.

Trotz des zugegebenermaßen z.T. übersättigenden Overloads an Klischeebildern und -parolen, kann man Lars Werners „Weißer Raum“ keine fehlende Komplexität unterstellen. So bewegen sich seine Protagonisten immer im Spannungsverhältnis zwischen Opfer- und Täterschaft, zwischen begangener Schuld und eigenem Gerechtigkeitsempfinden, das durch eine ideologisch gefärbte Rhetorik die Sicht auf die Dinge verklärt und das eigene Handeln relativiert. So lässt sich Totschlag dann auch als rechtschaffene Bürgerpflicht und Zivilcourage, Rechtsradikalismus als Dienst am Vaterland und Notwehr als Mitschuld lesen.

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