- Geschichte, Gesellschaft, Politik
Portugal und seine Emigranten
Die Delegation des portugiesischen Staatssekretariats für Emigration in Luxemburg und die Emigrationspolitik Portugals (1974-1997)
Am 25. April 1974 setzte die Bewegung der Streitkräfte der beinahe 50-jährigen Diktatur des Neuen Staates (1933-1974) ein Ende. Die Nelkenrevolution hatte begonnen und die Politik der 3 D’s (Demokratisierung, Dekolonisation und desenvolvimento, d.h. Fortschritt) wurde eingeleitet. Das nur wenige Wochen später gegründete Staatssekretariat für Emigration (SEE)1 kündigte am 11. August in Lissabon einen Wandel in der Emigrationspolitik Portugals an.2 Diese sollte sich künftig durch mehr arbeitsrechtlichen Schutz und soziokulturelle Betreuung der Portugiesen im Ausland auszeichnen. In Anlehnung an den Revolutionsspruch Um povo unido jamais será vencido3, verdeutlichte das SEE den portugiesischen Migranten4 mit seinem Slogan Um povo dentro e fora do país5, dass auch die im Ausland lebenden Portugiesen als ein Teil des portugiesischen Volkes gelten und mit in die Demokratisierung einbezogen werden sollten. Die mit dieser Aussage verbundenen Hoffnungen wurden nicht enttäuscht: Bei den seit 1976 in Portugal abgehaltenen Parlamentswahlen konnten die im Ausland lebenden Portugiesen ihre Stimme abgeben und dabei vier (von insgesamt 230) Abgeordnete für das portugiesische Parlament wählen, die dort ihre Interessen vertraten.
Kommunikation zwischen Lissabon und den Migranten
Um diese Emigrationspolitik effektiv gestalten zu können, fuhr der Staatssekretär fort, sei es wichtig, dass das SEE in den von der portugiesischen Migration betroffenen Ländern über Delegationen verfüge, die den Emigranten vor Ort helfen könnten. Als 1975 das bilaterale Anwerbeabkommen von 1970 zwischen Portugal und Luxemburg neuverhandelt wurde, fragte die portugiesische Delegation die luxemburgischen Diplomaten, ob man in Luxemburg eine Delegation des SEE einrichten könnte. Da keine Bedenken geäußert wurden, nahm 1977 die Delegation des SEE, die in der portugiesischen Botschaft Portugals eingegliedert wurde, ihre Arbeit auf. Luxemburg stellte diesbezüglich keineswegs eine Ausnahme dar, denn auch in anderen Ländern mit einer signifikanten Anzahl portugiesischer Migranten wurden Delegationen des SEE eingerichtet. Mitte der 1980er Jahre gab es Delegationen in Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Belgien, den Niederlanden, Großbritannien, der Schweiz, Spanien, den USA, Kanada, Brasilien, Venezuela und Südafrika. Doch die Umsetzung der Emigrationspolitik erforderte zunächst, die in Lissabon ausgearbeitete Politik den portugiesischen Migranten bekannt zu machen.
Die Vermittlung der konkreten inhaltlichen Maßnahmen der Emigrationspolitik an die portugiesischen Migranten erfolgte in Luxemburg durch Rundschreiben. Die Delegation des SEE verschickte sie hauptsächlich an die portugiesischen Migrantenorganisationen, in einigen Fällen aber auch direkt an ihre jeweiligen Adressaten: portugiesische Mutter-sprachenlehrerInnen, Mitglieder portugiesischer Parteien, die Portugiesische Katholische Mission oder portugiesische Medien. Sie waren darüber hinaus auch in der Botschaft und dem Konsulat für jeden frei erhältlich. Etwas mehr als 500 Rundschreiben sind für den Zeitraum von 1977 bis 1996 überliefert und können vier verschiedenen Bereichen zugeordnet werden: Politik, Arbeit und staatliche Sozialleistungen, Wirtschaft und Soziokulturelles.
Politische Partizipation in Portugal
Wenngleich sich der politische Aspekt in den Rundschreiben am wenigsten niederschlug, so ist es doch vornehmlich dieser Bereich gewesen, in dem nach 1974 bedeutende Neuerungen in den Beziehungen zwischen Portugal und seinen Bürgern im Ausland eingeführt wurden: die Inklusion der portugiesischen Migranten in den politischen Entscheidungsprozess in Portugal. Wie bereits einleitend erwähnt, erhielten die portugiesischen Migranten das Wahlrecht und eine eigene parlamentarische Vertretung. Neben dieser Form der politischen Partizipation wurde 1980 eine weitere eingeführt: der Rat der portugiesischen Gemeinschaften. Es handelte sich um ein konsultatives Organ des SEE, das sich aus gewählten Vertretern der portugiesischen Gemeinschaften – so die üblich gewordene Sammelbezeichnung für die portugiesischen Emigranten – verschiedener Länder (darunter Luxemburg mit einem Vertreter) zusammensetzte. Auf den jährlich stattfindenden Plenarsitzungen diskutierte der Rat der portugiesischen Gemeinschaften mit dem SEE über die Probleme, vor denen die portugiesischen Migranten in den jeweiligen Zuwanderungsländern standen, und konnte Vorschläge zur weiteren Gestaltung der Emigrationspolitik des SEE einbringen, die in einigen Fällen auch durchaus umgesetzt wurden.
Der transnationale Sozialraum und der Staat
Die beiden Kategorien Arbeit und staatliche Sozialleistungen sowie Wirtschaft beziehen sich auf den von den Migranten geschaffenen transnationalen Sozialraum zwischen Portugal und Luxemburg und zeigen, dass der portugiesische Staat dessen Entwicklung durchaus zu fördern gewillt war und ihn wirtschaftlich für sich zu nutzen suchte. Die rechtliche Grundlage des Bereichs Arbeit und Sozialleistungen bildeten einerseits das 1965 abgeschlossene Abkommen zur Sozialversicherung und das 1970 unterschriebene Anwerbeabkommen zwischen beiden Ländern (die in den 1970er Jahren durch Zusatzprotokolle modifiziert wurden), andererseits die in Luxemburg und in Portugal jeweils geltenden Gesetze. Erst die Integration Portugals in die EWG im Jahre 1986 und die damit verbundenen Übergangsregelungen bis zum Inkrafttreten der Freizügigkeit für die Portugiesen in Luxemburg am 1. Januar 1993 schufen eine neue Rechtslage bezüglich des Aufenthalts und der Arbeitsaufnahme von Portugiesen in Luxemburg. Die in den Rundschreiben enthaltenen Hinweise zur Dauer der luxemburgischen Schul-ferien oder des Kollektivurlaubs im Bausektor sowie zu wichtigen Reisevorkehrungen für eine vorläufige und zeitlich begrenzte Rückkehr nach Portugal verweisen auf den erwähnten transnationalen Sozialraum. Die Rücküberweisung eines Teils ihres Lohnes nutzten denn auch viele Arbeitsmigranten in Luxemburg, um in Portugal eine Immobilie zu erwerben, ihre zurückgelassene Familie finanziell zu unterstützen oder in infrastrukturell schwachen Regionen Portugals zu investieren. Hierbei wurden sie vom portugiesischen Staat unterstützt, der sie in den Rundschreiben auf spezielle, eigens für Emigranten geschaffene Bankkonten mit vorteilhaften Zinssätzen, Modalitäten für Bankkredite, das portugiesische Mietrecht oder andere finanzielle Anreize hinwies.
Der soziokulturelle Bezug zu Portugal
In den Rundschreiben dominierten hingegen sozio-kulturelle Maßnahmen, die die Beziehungen der portugiesischen Migranten und ihrer Kinder zu Portugal aufrechterhalten oder gar fördern sollten und dies nicht zuletzt in national inkludierender Absicht. Das markanteste Beispiel ist der 1977/78 wieder eingeführte Nationalfeiertag am 10. Juni, dem Tag von Portugal, von Camões und den portugiesischen Gemeinschaften, der seither nicht nur in Portugal, sondern (prinzipiell) überall dort gefeiert wurde, wo portugiesische Gemeinschaften lebten. Das Programm war meist recht anschaulich: Es fanden Sportveranstaltungen oder Folklorevorführungen von Migrantenorganisationen statt, in den portugiesischen Muttersprachenkursen wurden im Vorfeld Schreibwettbewerbe zur portugiesischen Geschichte, Literatur oder Sprache veranstaltet sowie auch Reisen nach Portugal verlost, um dort an den Feierlichkeiten teilnehmen zu können. Neben diesem grenzüberschreitenden Nationalfeiertag und den portugiesischen Muttersprachenkursen bot die Emigrationspolitik den portugiesischen Migranten und ihren Kindern ein ganzes Spektrum an soziokulturellen Aktivitäten an und unterstützte die Migrantenorganisation bisweilen auch bei deren konkreten Ausübung. Diese reichten von speziell für Emigranten geschaffenen Zeitschriften, Radio- und Fernsehprogrammen (oder gar Sender wie RTPi) über Klassenfahrten nach Portugal, organisierte Sommerferien, Sommerseminare für Studenten an portugiesischen Universitäten bis hin zu internationalen Gesang- und Musikfestivals u.a.m., und sollten damit sowohl die erste als auch die zweite Generation ansprechen. Hinsichtlich der zweiten Generation und dem Erlernen der portugiesischen Sprache standen indes diese Maßnahmen auch vor dem Hintergrund einer eventuellen Rückkehr der Eltern nach Portugal, um in diesem Fall deren Kinder besser in die portugiesische Gesellschaft (re-)integrieren zu können.
Fazit
Die Rundschreiben der Delegation des SEE in Luxemburg bieten einen spannenden Einblick in die Bandbreite der Emigrationspolitik Portugals, denn sie zeigen, dass diese Politik mehr als nur symbolische Politik war und ein gemeinsames Ziel verfolgte: die Bewahrung oder Förderung (je nach Alter) der Beziehungen der im Ausland lebenden Portugiesen mit Portugal auf mehreren Ebenen sowie den Schutz ihrer Rechte. u
1 Secretaria de Estado da Emigração.
2 Vgl. „Novo programa para a emigração“ in: 25 de Abril, n° 1, 1974, S. 10-14. 25 de Abril war eine vom SEE für die portugiesischen Emigranten von 1974-1980 herausgegebene Zeitschrift.
3 Ein vereintes Volk kann niemals besiegt werden.
4 Ein Volk innerhalb und außerhalb des Landes.
5 Vgl. Michel Pauly: „Créer des Européens? Les gouvernements luxembourgeois face à la libre circulation des personnes“, in: ALEH (Hg.), Du Luxembourg à l’Europe. Hommages à Gilbert Trausch à l’occasion de son 80e anniversaire, Luxemburg, 2011, S. 425-441.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
