„Post-Snowden“ ist heute sowohl in Massenmedien als auch in Fachzeitschriften ein oft wiederkehrender Begriff. Die Kombination der Datensammelwut der Internetriesen mit dem umfassenden staatlichen Öberwachungswillen macht den NSA-Skandal zur realexistierenden Dystopie. Es gibt ein Vor und Nach dem Juni 2013, und auch jeder Beitrag dieses Dossiers erwähnt Edward Snowden.

Ein Wendepunkt

Solche Wendepunkte sind in der Etablie- rung eines neuen Politikfeldes wichtig. Damit Umweltpolitik sich ab den Siebzigerjahren etablieren konnte, bedurfte es sozialer Bewegungen und Journalisten, die sich des Themas annahmen, Bestseller wie Die Grenzen des Wachstums, Umweltkatastrophen und -problemen (Bhopal, das Ozonloch …) und nicht zuletzt eines entstehenden Umweltrechtes.

Und tatsächlich scheint eine neue Ära des Datenschutzes anzubrechen: In der EU verhandeln Parlament, Rat und Kommission intensiv über die Reform des europäischen Datenschutzes. Der Europäische Gerichtshof spricht wegweisende Urteile — wie etwa zur Vorratsdatenspeicherung. Eine neue Datenschutzbewegung nimmt gerade in Deutschland Gestalt an, in Luxemburg beginnt eine ähnliche Entwicklung, wenn auch noch etwas zaghaft.

Bewusstsein als Währung

Neonfarben leuchtet das Cover auf dem Schreibtisch: Dave Eggers Roman The Circle war offensichtlich die Sommerlektüre von Tine Larsen — die neue Präsidentin der Datenschutzkommission. Erschienen im Herbst 2013 — wenige Monate nach den NSA-Enthüllungen — ist The Circle für viele das 1984 der Post-Snowden-Ära. Eggers erzählt die Geschichte eines übermächtigen Internetkonzerns, der jede Form von Privatsphäre abschaffen will. Mit seiner Dystopie traf Dave Eggers bei zahlreichen Menschen einen Nerv und schuf Bewusstsein für das schleichende Ende der Privatsphäre.

Doch genau dieses Interesse an Datenschutz vermisst Tine Larsen noch hierzulande (siehe das Interview ab S. 21), denn sowohl Nutzer als auch Unternehmen müssten Verantwortung übernehmen. Mathieu Farcot beschreibt ebenfalls, wie schwierig es ist, den Nutzern und Bürgern die Risiken der neuen Technologien zu vermitteln. Für Kim Claude Meyer (ab S. 32) ist es zu einseitig, lediglich die „Großen Brüder“ wie NSA und Facebook für das Ende der Privatsphäre verantwortlich zu machen. Wir kultivieren alle einen „Beobachtungsfetischismus“. Oft akzeptieren wir bei der Nutzung von Online- Plattformen, uns in einer Art und Weise zu entblößen (und anderen dabei zuzuschauen), die uns in der „analogen“ Welt nicht in den Sinn käme. Dies thematisieren auch Julia Angwin, Peter Schaar und Max Schrems, deren Bücher Pia Oppel in ihrem Beitrag bespricht (ab S. 16). Doch es ist nicht einfach seine Daten zu schützen. Julia Angwin hat im Selbstversuch festgestellt, dass es dazu aufwändige Prozeduren und komplizierte Tools braucht.

Es bleibt eine politische Debatte

Um bei der Analogie zum Umweltschutz zu bleiben: Natürlich ist es sinnvoll, wenn jeder weiß, wie er zum Klimaschutz beitragen kann. Doch zu glauben, dass so- bald alle fleißig Strom sparen und das Auto stehen lassen, alles gut werden wird, ist naiv. Umwelthistoriker machen darauf aufmerksam, dass Umweltschäden im 19. Jahrhundert den Zeitgenossen durchaus bewusst waren, aber sie die Industrialisierung trotz dieses Wissens vorantrieben.

Blättert man durch forum-Dossier von Dezember 1985, das dem Datenschutz gewidmet war, hat man ein Déja-vu: das Bewusstsein der Bürger für das Problem sei unterentwickelt, die Datenschutzkommission verfüge nicht über ausreichend Mittel und die Gesetzgebung sei nicht an den technischen Fortschritt angepasst. Nichts Neues unter der Sonne.

Trotz der Warnungen in den Achtzigerjahren ist die Privatsphäre heute gefährdeter denn je. Es braucht damals wie heute eine politische Auseinandersetzung über die Grenzen, die den technischen Möglichkeiten und Begehrlichkeiten des Staates und der Unternehmen gesetzt werden müssen. Das sollte uns Snowden gelehrt haben.

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