„Preise, die die ökologische Wahrheit sprechen“

Felix zu Löwenstein, promovierter Agrarwissenschaftler und Landwirt über die globale Nahrungssicherung, Fleischkonsum und politische Steuerungsinstrumente

Sie bestreiten in ihren Büchern, dass mehr Nahrung produziert werden müsste, um eine globale Nahrungssicherung herzustellen. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Hungersnöten und Mengenproblemen?

Felix zu Löwenstein: Das ist eine Aussage, die jede Organisation der Entwicklungszusammenarbeit macht, weil die Erfahrung zeigt, dass überall dort, wo Menschen hungern, genug Nahrung vorhanden ist, aber der Zugang nicht gewährleistet ist. Sei es, weil Krieg herrscht, wie gerade in Syrien, oder weil den Menschen die wirtschaftlichen Ressourcen fehlen. Letzteres gilt für Indien, ein Land, das Reis exportiert, obwohl dort viele hungern. Des Weiteren belegt eine Zahl der Food and Agriculture
Organization of the United Nations (FAO), dass wir das Zweieinhalbfache von dem produzieren, was wir brauchen. Über den Zugang hinaus stellt sich auch die Frage, was mit dem Erzeugten passiert. In Ländern des Südens verzeichnet man Nachernte-
verluste von zum Teil 50%, bedingt durch schlechte Lagerungen und Transportinfrastrukturen. Auch in unseren Breitengraden herrscht eine hohe Lebensmittelverschwendung: 20% aller Lebensmittel kommen
nicht an der Ladentheke an und 30% gammeln in den Haushaltsregalen bis sie im Müll landen.

Immer öfter wird die Effizienz der industriellen Landwirtschaft in Frage gestellt – zuletzt in dem Dokumentarfilm „10 Milliarden“. Stimmen Sie der Analyse zu?

F.z.L.: Es kommt bei diesen Rechnungen auf die Bezugsgröße an. Wenn wir die Bezugsgröße Fläche oder Arbeitskraft nehmen, dann ist die industrielle Landwirtschaft hocheffizient. Aber diese Rechnung ist verkürzt, weil die Landwirtschaft viele öffentliche
Güter beeinflusst: z.B. Wassergüter und die biologische Vielfalt. Industrielle Landwirtschaft schädigt solche Güter. Vor kurzem wurde in Nordrhein-Westfalen ein Insektenrückgang von 80% über die letzten 50 Jahre bekannt gegeben. Genau so dramatisch ist der Rückgang von feldbrütenden Vögeln; seit 1980 ist die Hälfte dieser Art ausgestorben. Diese Beispiele – ich könnte noch viele weitere aufzählen – zeigen, dass diese Landwirtschaft hohe Erträge produzieren kann, aber dabei Ressourcen zerstört, die wir in Zukunft bräuchten, um Nahrung zu produzieren.

Ist die ökologische Landwirtschaft besser aufgestellt, um eine globale Nahrungsknappheit zu verhindern?

F.z.L.: Wenn man die globale Nahrungssicherung auf lange Sicht ermöglichen will, dann ist die Frage, wie wir mit Ressourcen wie beispielsweise Böden umgehen, ganz entscheidend. Hier kann die inputintensive Chemielandwirtschaft nicht weiterhelfen, aber auch die traditionelle Landwirtschaft in Entwicklungsländern nicht. Deshalb orientiere ich mich an dem Konzept der ökologischen Intensivierung, das unter den schwierigen Bedingungen der Kleinbauern, in ariden Klimazonen, aber auch unter tropischen Bedingungen höhere und sichere Erträge ermöglicht. Bereits heute gibt es viele interessante Initiativen, die zeigen, dass diese umsetzbar ist.

Ich habe in Äthiopien Bauern getroffen, die nachhaltig Erträge erhöhen, die Bodenfruchtbarkeit aufbauen und sogar trocken gefallene Quellenwieder belebt haben.

Sie fordern auch eine Änderung unseres Ernährungsstils. Zu viel Eiweiß verschwinde im Futtertrog von Masttieren. Wie sollten sich die Menschen in Industrienationen denn ernähren, um eine weltweite Nahrungssicherung zu ermöglichen?

F.z.L.: Europa führt um die 35 Millionen Hektar Sojabohnen aus Südamerika ein. Wenn man weiß, wie diese Soja-Anbauflächen entstehen, durch Umbruch von Savanne und Urwaldrodung; wenn man weiß, was für Schäden – für Mensch und Umwelt –
diese mit Round-up gespritzten Monokulturen anrichten, dann wird deutlich, dass unser Ernährungsstil auf Dauer nicht funktioniert. Nehmen wir den deutschen oder luxemburgischen Fleischkonsum – der um die 65 Kilo pro Jahr pro Einwohner liegt – multiplizieren ihn mit dem hierfür erforderlichen Futterkonsum und rechnen diese Zahl hoch auf 7 Milliarden Menschen. Dann kommt man auf 2,3 Milliarden Tonnen Futter. Die Weltproduktion an Getreide und Sojabohnen beträgt insgesamt
aber nur 1,8 Milliarden Tonnen. Wenn alle Erdenbürger also nur 2/3 unseres Fleischverzehrs nachmachen würden, bleibt kein Gramm mehr übrig für Brot. Unser Verbrauch an tierischen Proteinen ist auch unter gesundheitlichen Aspekten viel zu hoch. Wenn wir diesen Verbrauch deutlich reduzieren, also auf ein Maß, das für unsere Gesundheit zuträglich ist, würden wir viel mehr Nahrungsmenge sicherstellen als durch eine Erhöhung der Produktivität.

Was empfehlen Sie in Bezug auf Fleischkonsum?

F.z.L.: Ich würde den Leuten raten, Tiere zu essen, die artgerecht gehalten und mit ökologischem Futter gefüttert wurden, d.h. Biofleisch zu essen. Durch den Preis von Biofleisch reguliert sich der Konsum von selbst. Das Max Rubner Institut in Karlsruhe hat festgestellt, dass Personen, die sich vorwiegend Bio ernähren, auch weniger Fleisch kaufen.

Dieses Konsumverhalten kann auch durch ein Bewusstsein für den hohen Ressourcenverbrauch bei der Fleischproduktion bedingt sein.

F.z.L.: Ja und es gibt Menschen, die deshalb zu Vegetariern werden. Aber ich suche nach Lösungen für die breite Bevölkerung. Unsere Großeltern hatten den Begriff des Sonntagsbratens. Den gab es ja nicht zusätzlich zu einem Braten an jedem anderen Wochentag. Heute ist Fleisch so billig, dass wir es zu jedem Zeitpunkt verzehren können. Wenn wir wieder einen Punkt erreichen, an dem Lebensmittel die tatsächlichen Produktionskosten enthalten, würde ein neues Konsumverhalten entstehen. Dies wäre kein Verlust, sondern würde einen Gewinn an Genuss, Wohlbefinden und Wertschätzung von Nahrungsmitteln bedeuten.

Resultieren die Missstände ebenfalls aus einer fehlgeleiteten Politik?

F.z.L.: Davon spreche ich ja eigentlich. Es genügt nicht, zu sagen: „So jetzt reicht es mit diesem Fleischkonsum“. Menschen sind Menschen und die Mehrzahl greift immer zum billigeren Produkt. Das ist normal. Deshalb muss die EU dafür sorgen, dass die Preise die ökologische Wahrheit sprechen. Hierfür gibt es zwei Wege. Die EU könnte eine Abgabe auf Stickstoff einführen. Das würde die Produktionskosten und den Stickstoffeinsatz völlig verändern und eine wirkliche Kosteninternalisierung herbei-
führen. Und sie müsste ihre Agrarfördermittel so einsetzen, dass Landwirte für Leistungen bezahlt werden, die wir als Gesellschaft von ihnen brauchen und für die der Markt sie nicht bezahlt. Dieses Förderungsinstrument ist deshalb wichtig, weil wir in Konkurrenz zu anderen Wirtschaftsräumen stehen. Denn wenn die Kosten steigen, droht die Gefahr, dass Produkte aus Nicht-EU-Ländern importiert werden. Deshalb kann man nur in Grenzen Auflagen und Abgaben einführen, welche die
Produktionskosten erhöhen. Man muss des Weiteren die benötigte Produktion kostengünstiger gestalten – durch Ausgleichszahlung an die Produzenten.

Und schließlich muss es Ausbildungsangebote geben, die Landwirte auf den Öko-Landbau vorbereiten? Sind die Ausbilder an den landwirtschaftlichen Schulen wichtige Akteure des Agrarbereichs?

F.z.L.: Ob es mehr Bauern gibt, die auf Öko-Landbau umstellen wollen, hängt ganz offensichtlich nicht nur von Marktfragen ab. Ob sich junge Landwirte für diese Alternative interessieren, hängt natürlich ganz entscheidend von der Ausbildung ab. Die Landwirtschaft ist ein Wirtschaftszweig auf dessen Erzeugnisse alle Tag für Tag angewiesen sind. Zudem ist dieser Zweig auf öffentliche und knappe Güter angewiesen.

Wer sollte sich in die Landwirtschaftsdebatte einmischen?

F.z.L.: Die Landwirtschaft geht mehr als irgend-ein anderer Wirtschaftszweig mit öffentlichen Gütern um, deshalb können wir Landwirte nicht zu den Bürgern sagen: „Haltet euch raus“. Das geht nicht. Diese Debatte gehört nicht in irgendwelche rauchigen Hinterstuben, sondern mitten in die Gesellschaft.

(Das Interview führte Stéphanie Majerus, Ethnologin.)

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