Gespannt durchblätterten wir im Dezember forum 401 und fanden das angekündigte große Interview mit Sam Tanson, unserer Kulturministerin. Wir erwarteten nicht weniger als die Ankündigung einer Revolution. Schnell überflogen wir die Floskeln. Kultur ist bei Sam Tanson nicht „alles“ (Guy Arendt) oder „die DNA einer Nation“ (Xavier Bettel), sondern „überlebensnotwendig“. Sympathisch. Dann spricht Tanson von kleinen Strukturen der Marken Bottom-up und unabhängig, die zukünftig unterstützt werden sollen. Nett, aber kein großer Wurf. Tanson wäre sogar gewillt, Künstler*innen finanziell zu unterstützen, deren Ziel der Kritik sie selbst sein könnte, wie z. B. Richtung22. Herzstillstand. Schneller Anruf beim Kassenwart unserer kleinen Bottom-up-unabhängigen Struktur: Tut sich etwas auf dem Konto? Als Antwort kommt die durchaus berechtigte Gegenfrage, ob wir denn Gelder angefragt hätten? Oder ob, und hier wird uns Tansons weitere Überlegung aus forum vorgehalten, „Richtung22 keine staatlichen Gelder annimmt, aus Angst vor Abhängigkeit“. Da fällt uns vor Schreck das CEDIES-finanzierte Smartphone aus der Hand. Staatliche Gelder ablehnen? Hoffentlich liegt dieses in forum nun verewigte Gerücht nicht bereits auf dem Schreibtisch von Nancy Braun (Esch2022) – direkt neben unserem Förderantrag für die Kulturhauptstadt.
Ohne öffentliche Gelder droht der Kunst die Abhängigkeit vom Mäzenat, vom Kommerz, von den Eltern. Aber wieso haben wir keine Gelder angefragt? Die Geschichte gibt Auskunft. Einst schritten wir hoffnungsvoll ins Hotel des terres rouges. Octavie Moderts Getreue, begeistert von unserer Arbeit, versprachen uns „bereits im nächsten Jahr“ eine Konvention. Doch bereits im nächsten Jahr hatte die DP die Macht übernommen und aufgeräumt. Maggy Nagels Getreue, unbeeindruckt von unserer Arbeit, versprachen uns „vielleicht“ 2.000 €. Diese beantragten wir ein Jahr später, aus Rache, um offiziell verpflichtet zu sein, das Logo des Ministeriums auf unsere „Lëtzebuerg, du hannerhältegt Stéck Schäiss“-Plakate drucken zu müssen. Ziehen wir von diesem Geld die durch Klagen der Staatsanwaltschaft gegen unsere Kunst entstandenen Kosten ab, ist unser bisheriges Verhältnis mit dem Staat ein Verlustgeschäft. Wir archivierten also unsere Zukunftspläne. Arm, perspektivlos und unterernährt gerieten wir in jenen Trance-Zustand, der den Liberalen zufolge Voraussetzung für die wahre Kunst sei. Im Fiebertraum erschien uns der wohlgenährte heilige Tonnar und sprach, dass es nicht nur um uns gehe. Dass wir nur eines von vielen Opfern einer Kulturpolitik mit falscher Prioritätensetzung seien.
In der Folge kämpften wir nicht mehr für die eigene Tasche, sondern heldenhaft für ein kulturpolitisches Umdenken. Wir zertrümmerten die falsche Harmonie der ersten Kulturassisen mit Transparenten. Wir versuchten im Parlament, das „Recht auf Kultur“ in der Verfassung zu verankern. Wir wurden konkret: Gelder der Kunstprogrammation müssten in die Kunstproduktion verlagert werden. Stipendien sollten das Potenzial der 1.400 Kunststudent*innen entfachen. Doch kein Einziger der 61 belanglosen Punkte des Kulturentwicklungsplans interessierte sich für den Nachwuchs, keiner für das Publikum, für Zukunft, für die Gesellschaft. Wir bemerkten, dass wir Jahr für Jahr junge Talente auf der Studierenden-Messe unter dem Motto „Verschäiss dir deng Zukunft – Studéiert Konscht“ tatsächlich in den Abgrund trieben. Wir erahnten, dass die Kulturpolitik nur noch eine leere Hülle war: ausgehöhlt von der DP, zerfressen vom Nepotismus und der Standortpolitik unterworfen. Freeport, Nation Branding, Art & Finance, Filmfund, Expo2020Dubai.
Erst als 2018 der Messias im Kulturministerium erschien, regte sich in unserer von fanatischem Altruismus ausgebrannten Gruppe Hoffnung. Beginnt nun der Neuaufbau der Kulturpolitik? Erst beim Lesen von forum 401 wurde uns bewusst: Es geht Sam Tanson nicht um „alles“. Nicht um „die DNA der Nation“. Es geht ihr lediglich ums „Überleben“. Sam Tanson steht inmitten von moralischer Verwüstung und Ruinen mit dem Erste-Hilfe-Köfferchen und hält Ausschau nach Kunst, die am Leben gehalten werden könnte. Und wir hatten vergessen Gelder zu beantragen.
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