Psychiater*in werden: ja oder nein?

Als Medizinstudent, der zugleich einen Bachelor-Abschluss in Psychologie hat, habe ich mich oft im Austausch mit anderen Studierenden mit dem Thema Psychiatrie auseinandergesetzt, wobei einige Vor- und Nachteile in Bezug auf die Berufswahl immer wieder zur Sprache kamen.

Ein relevantes Argument für die Spezialisierung als Psychiater*in ist der allgemeine Bedarf in diesem Fachbereich. Beispielhaft sei erwähnt, dass ich von meinem Umfeld in Deutschland mehrfach erfahren habe, dass den einzelnen Patient*innen teilweise Wartezeiten von bis zu sechs Monaten für Psychotherapie zugemutet werden müssen. Vor allem jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie können vermehrt psychische Belastungen in der breiten Bevölkerung beobachtet werden, und es ist zu erwarten, dass dies ebenfalls in einer Erhöhung der Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfeleistungen münden wird. Obwohl es noch ein langer Weg hin zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen ist, zeigen sich bereits jetzt Erfolge aktueller Bemühungen, die Betroffenen von Schamgefühlen zu befreien und zu motivieren, Hilfe aufzusuchen. Da psychiatrische und psychotherapeutische Therapien laut aktueller Studienlage vielen Menschen zu einer besseren Lebensqualität verhelfen können, ist dies ein durchaus motivierendes Argument zur Facharztausbildung im Bereich Psychiatrie.

Ein weiteres Argument, welches für mich persönlich ein relativ hohes Gewicht hat, ist die Komplexität psychiatrischer Erkrankungen. Im Gegensatz zu „klassischen“ medizinischen Krankheitsbildern, wo die pathophysiologischen Mechanismen auf biologischer Ebene mehr oder weniger klar nachzuvollziehen sind, liegen bei psychiatrischen Erkrankungen kaum eindeutige, vergleichbare Erklärungsmodelle vor. Dies ist vor allem der Komplexität der Erkrankungen geschuldet. Um diese Krankheitsbilder therapieren zu können, bedarf es immer einer ganzheitlichen Sicht auf die Patient*innen. Biologie, Psyche und soziales Umfeld bedingen das Krankheitsbild (auch Bio-Psycho-Soziales Modell genannt). Es erfordert eigenes intensives Mitdenken, um dem Patienten helfen zu können. 

Allerdings gibt es auch einige Argumente gegen die Ausbildung zum*r Psychiater*in. Zum einen fehlt im Bereich der Psychiatrie das hands-on, welches viele Studierende an der Medizin eigentlich erst begeistert. Die Medizin versteht sich selbst als eine Art Handwerk. In der Psychiatrie ist das Hauptinstrument allerdings die Sprache. Dem ist prinzipiell auch nichts entgegenzusetzen, allerdings reicht dies vielen  Studierenden oft nicht aus. Selbst in den nicht-operativen Fächern (z. B. Neurologie, Nephrologie) gibt es doch einzelne praktische Tätigkeiten, die den praktizierenden Facharzt durch den Alltag begleiten. Dies kann u. U. dem*r Psychiater*in fehlen.

Ein weiteres äußerst relevantes Argument ist die Entlohnung als Facharzt für Psychiatrie. Durch das oben beschriebene Fehlen von praktischen Tätigkeiten (welche i. d. R. deutlich besser entlohnt werden als rein verbale Prozeduren) verdienen Psychiater*innen im Vergleich zu anderen Fachärzten deutlich weniger. Dies schreckt durchaus viele Studierende ab. Hinzu kommt, dass v. a. psychotherapeutische Sitzungen eine erhebliche Nachbearbeitung mit sich bringen, wodurch nach den Terminen mit den Patient*innen viel Zeit in die Dokumentation fließen muss, welche letztlich nicht zusätzlich bezahlt wird.

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