Public Value: Erfolg ist mehr als Quote

Ein neuer Maßstab zur Bestimmung des Mehrwertes von öffentlich-rechtlichen Medien

„Es gibt einen Ort, wo Lügen und Fake-News zu Nachrichten werden“, twitterte der österreichische Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Februar 2018. Er zielte damit auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk des Landes, den ORF.

War der gesellschaftliche Wert eines öffentlich-rechtlichen Mediums bislang kaum ein strittiges Thema, sondern im Gegenzug dessen Gründungszweck, steht diese traditionelle Sonderstellung jetzt nicht nur in Österreich auf der Kippe.

Der politische Gegenwind bläst oft aus der rechts-populistischen Ecke. So wurden in Polen die Aufsichtsgremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und des Fernsehens entmachtet und in Ungarn hunderte von regierungskritischen Journalisten gleich ganz entlassen. Den dänischen öffentlich-rechtlichen Anstalten wurde das Budget um ein Fünftel gekürzt. In den kommenden zwei Jahren sollen hier drei Fernseh- und drei Radiosender eingestellt werden. In der Schweiz hatte die letztlich gescheiterte, ‘No-billag-Initiative zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren’ gleichzeitig die Debatte nach der Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks losgetreten. Und selbst über den französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ist zu lesen, dass er die französischen Öffentlich-Rechtlichen schon einmal als ‘Schande der Republik’ beschimpft haben soll.

Die allgemein angenommene Existenzberechtigung vieler Sender, von der die Zuschüsse aus Zuschauergebühren und weiteren öffentlichen Geldern abhängt, ist somit offen in Frage gestellt.

In der derzeitigen globalen Situation ist Medienvielfalt, zu der ein starker öffentlich-rechtlicher Rundfunk gehört, jedoch nötiger denn je. Seine Legitimation und Identität muss daher neu ausgehandelt werden.

Die oft relativ niedrige Quote erschwert hierbei die Debatte für die Sendeanstalten. Quotenfetischisten fühlen sich wegen einer vermeintlich zu kleinen Reichweite von öffentlich-rechtlichen Medien darin bestärkt, diese in eine Nischenfunktion zu drängen und ihre Mittel zu kürzen. Doch die Leistung eines Programmes lässt sich natürlich nicht an der absoluten Größe eines Publikums ablesen, höchstens an der Evolution von diesem und an der Zielguppengenauigkeit. Es liegt nämlich in der Natur eines Programmangebotes, welches ‘für jeden etwas’, anstatt ‘etwas für alle’ anbieten soll, dass es in den Quotenrankings hinter Anbietern eines homogeneren, massentauglicheren Angebotes zurückliegt.

Dazu kommt, dass derzeit auch bei privaten Sendern die Quote als Indikator für Erfolg und Reichweite an Bedeutung verliert, da sie den Online-Medienkonsum nicht erfasst. Auch die Persistenz der Nutzer, also die Frage, wie ein Angebot genutzt wird, ob die Nutzer vorzeitig abschalten oder ein Programm durchgängig und langfristig nutzen, gerät zunehmend in den Vordergrund.

Die Frage ist also: Wenn nicht über die Quote, wie sonst kann und sollte die Leistung und die Systemrelevanz von öffentlich-rechtlichen Medien heutzutage definiert und vermittelt werden? Immer öfter lautet die Antwort auf diese Legitimationsfrage, und dies sowohl im akademischen Diskurs als auch in der PR-Strategie der Sender: ‘Public Value!’

Mehrwert für alle – nicht nur für Aktionäre

Geprägt hat diesen Begriff die BBC. Sie hat ihn 2004 anlässlich der Formulierung eines neuen Zehnjahresplans aus der Managementtheorie übernommen, wo er für die Neuausrichtung und Neubewertung der öffentlichen Verwaltung jenseits eines exklusiv ökonomischen Imperativs steht. Er passt damit gut in die heutige Zeit, die die dominierenden Dogmen des freien Marktes zunehmend hinterfragt.

“For us, public value is the sum of the civic, social and cultural benefits the BBC delivers when it meets its public purposes“, schreibt die BBC in ihrer Charta ‘Building Public Value’.1 Es geht der BBC um gesellschaftliche Ziele wie Partizipation, Meinungsvielfalt und Vermittlung von Kultur. Hinzu kommt ein Qualitätsmanagement durch regelmäßige Evaluierung der Reichweite, Relevanz und Qualität. Es wird unterstrichen, dass die BBC sich permanent durch Transparenz und Publikumspartizipation gegenüber der Gesellschaft verantworten muss, und sämtliche Prozesse und Stellungnahmen daher veröffentlicht werden müssen.

Die größte Neuerung besteht in dem so genannten ‘Public value assessment’. Der neu eingeführte ‘BBC Trust’ testet in einem maximal sechsmonatigem Verfahren den Wert jedes neuen Programmelementes, welches die Geschäftsführung einführen will. Es versucht hierbei eine Antwort auf die Frage: „Was leistet das Programm für das Gemeinwohl?“ zu finden. Ein Kernelement in diesem Test sind öffentliche Befragungen. Auch die Marktauswirkung des geplanten Angebotes wird in diesem Rahmen evaluiert.

Dieser Test diente später als Vorbild für den deutschen ‚Drei-Stufen-Test‘, ein 2009 eingeführtes Genehmigungsverfahren, welches feststellt, ob bestimmte Online-Angebote der deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von deren Auftrag erfasst sind. In den drei Stufen wird analysiert, ob das Angebot den demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der Gesellschaft entspricht, in welchem Umfang es zum publizistischen Wettbewerb beiträgt und welcher finanzielle Aufwand hierfür erforderlich ist.

2010 wird das Thema in Österreich ebenfalls aufgegriffen und ein Public-Value-Beirat „zur Bewertung der Angebotsvielfalt und -konzepte“ eingesetzt. Auch dieser studiert im Rahmen einer Auftragsvorprüfung für neue Angebote, ob diese aus publizistischer Sicht zur wirksamen Erbringung des öffentlich-rechtlichen Kernauftrags zweckmäßig erscheinen. Jedes Jahr gibt das ORF zudem einen Public-Value-Leistungsbericht heraus.

2012 erscheint das Manifest Empowering Society. A declaration on the core values of public service media von der Europäischen Rundfunkunion (EBU), in welchem sie die Leitwerte öffentlich-rechtlicher Medien definiert. Das Radio 100,7 überprüfte im Frühling 2018 in einem Peer-review-Verfahren der EBU seine Orientierung an diesen Werten.2

Im Juli 2018 startet die ‘Public Value’-Kampagne der deutschen ARD, welche den Wert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den Mittelpunkt stellen soll, mit folgender Aussage: „Die ARD dient der Gesellschaft. Dafür wollen wir nicht nur ‘senden’, sondern auch ‘empfangen’: So setzen wir in den verschiedenen Landesrundfunkanstalten auch auf einen verstärkten Dialog mit unserem Publikum, um mehr Transparenz zu bieten und mehr Wissen über die ARD zu vermitteln“, erklärt der ARD-Vorsitzende, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, zum Start dieser Kampagne.

Ähnlich wie bei der derzeit allseits beliebten ‘Corporate Social Responsibility’ von Unternehmen geht es bei ‘Public Value’ um das Bewusstsein einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung sowie die attraktive Darstellung von diesem.In der Praxis ist es allerdings für ein x-beliebiges Unternehmen sehr viel leichter, Zuspruch für eine Spende an Menschen ohne festen Wohnsitz oder für das Einführen einer neuen Nachhaltigkeitsmaßnahme zu erhalten, als für ein Medium Lob für ein gesellschaftlich wertvolles Radio- oder Fernsehprogramm einzufahren. Denn nicht alles, was das Publikum schätzt, nützt ihm auch. Von der Kommunikationswissenschaft ist tatsächlich auf eine ernüchternde Art nicht nur belegt, dass Qualität und Nutzen medialer Inhalte für Zuschauer schwer abschätzbar sind, sondern auch, dass Zuschauerpräferenzen stärker von Gewohnheiten und momentanen Affekten bestimmt sind, als von dem Wunsch nach umfassender Information und Meinungsbildung. Daher darf man sich ruhigen Gewissens von den Öffentlich-Rechtlichen wünschen, dass sie sich nicht nur von politischen und wirtschaft-lichen Interessen unabhängig machen, sondern auch von reinen Publikumsinteressen.

Public value bedeutet somit weniger ‘what the public values’ sondern vielmehr ‘what is good for the public’.

Über Werte zur Wertschätzung

Genau hier entsteht der Entfaltungsraum für ‘Public Value’: Sie vermag die primären Publikumsinteressen um soziale, kulturelle und demokratische Werte zu ergänzen. Die Medienrezipienten werden vermehrt als Bürger denn als Konsumenten begriffen. Doch das ‘Public Value’-Konzept ist nicht einfach erfassbar. Zusätzlich zu den üblichen journalistischen Werten wie Aktualität, Relevanz, Glaubwürdigkeit, Wahrhaftigkeit oder Ausgewogenheit rückt der Public-Value-Diskurs Themen wie binnenpluralistische Vielfaltssicherung – das vorhin erwähnte ‘etwas für jeden’, Grundversorgung, Unabhängigkeit, ‘Accountability’, Exzellenz und Innovation in den Vordergrund. Diese Werte müssen wegen ihrer Komplexität oder ihres Abstraktsheitsgrades immer wieder neu definiert, erklärt und mit dem Publikum ausgehandelt werden. Die Zeit des blinden Vertrauens ist also vorbei – und das ist letztlich auch gut so.

Denn genau in diesem Erklärungsbedürfnis liegt das Potential von Public Value, eröffnet es doch den Diskurs über die inneren Werte eines medialen Angebotes, die ungleich bedeutsamer sind als die rein äußerlichen Sichtweisen, zu denen man die reine Quote zählen kann.

Aus diesem Diskurs kann ein neues Verhältnis der Öffentlich-Rechtlichen zur Gesellschaft erwachsen, in dem sich gegenseitige Wertschätzung neu entfalten kann.

1 https://downloads.bbc.co.uk/aboutthebbc/policies/pdf/bpv.pdf

2 https://www.100komma7.lu/article/aktualiteit/de-radio-100-7-gouf-ennert-d-lupp-geholl

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code