… ist eine Redewendung aus der antiken römischen Rechtssprache. Sie bezeichnet unkörperliche Sachen (res incorporales), „die man nicht angreifen kann“, was sie von den res corporales unterscheidet, deren Eigenschaft das quæ tangi possunt ist. In den Institutiones, einem Lehrbuch aus dem 2. Jahrhundert, erklärt der römische Jurist Gaius, die res incorporales seien „diejenigen, die in einem Recht bestehen, wie z. B. eine Erbschaft, ein Nießbrauch (…)“. Im übertragenen Sinn, dem philosophischen, bezieht sich der Spruch auf jene Dinge, die nicht antastbar, nicht zu hinterfragen sind. Auf das unumstößliche, unverrückbare Dogma.
An einem solchen Dogma vergriff sich jüngst CSV-Präsident Frank Engel, indem er öffentlich kundtat, er könne sich die (Wieder-)Einführung der Vermögenssteuer für Privatpersonen, einer Erbschaftssteuer in gerader Linie sowie einer Finanztransaktionssteuer vorstellen. Ausgerechnet in der eigenen Partei löste Engel damit einen Shitstorm aus. Um Haut und Haar zu retten, musste sich der desavouierte CSV-Chef für seinen Solo-Husarenritt durchs Sommerloch entschuldigen. Inhaltlich machte er erwartungsgemäß keinen Rückzieher.
Dass Engel sich in seinem Verteidigungsplädoyer auf sozialethische Maximen berief, zeigt im Grunde, wie wenig er seine Partei (noch) kennt. Einer fühlbaren Mehrheit von CSV-Wählern und -Gewählten ist die christliche Soziallehre mittlerweile nämlich gänzlich unbekannt oder herzlich egal. Andererseits wäre es aufschlussreich zu klären, ob Engel mit seiner Grundsatz-Apologetik richtig liegt oder ob er raffiniert mit alternativen Fakten operiert.
Vom „roten Engel“ zu sprechen und ihn einen Marxisten zu schimpfen, erscheint jedenfalls grob unnuanciert. Kapitalbesteuerung – dazu gehören Vermögens- und Erbschaftssteuer – setzt ja nicht notgedrungen voraus, dass man die Abschaffung des Privateigentums im Schilde führt. Viel eher lautet die Ausgangsprämisse, dass Kapitalbesitz und dessen Übertragung auf die nachgeborenen Generationen per se legitime, aber nicht verabsolutierte Rechte sind. In Großbritannien, dem Mutterland des Kapitalismus, liegt der Erbschaftssteuersatz nach Abzug des pauschalen Freibetrags bei 40 % des Nettowerts der Erbmasse – unabhängig von der verwandtschaftlichen Stellung der Erben.
Von dieser Warte aus könnte man Frank Engel auch als authentischen Liberalen betrachten, der in übermäßiger unproduktiver Kapitalakkumulation eine Gefahr für die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft sieht, eine Bedrohung des bürgerlichen Ideals der Meritokratie, des sozialen Aufstiegs durch eigenes Verdienst.
Besonders für standfeste Christsoziale ist ehrliche Arbeit ein zentraler Bestandteil menschlicher Würde. In seiner Enzyklika Laborem exercens (1981) betonte Papst Johannes Paul II. die immerwährende Gültigkeit des Vorrangs der Arbeit gegenüber dem Kapital. Dieses Primat wird dort mit Füßen getreten, wo Arbeit steuerlich stärker belastet wird als Kapital. „Arbeit muss sich wieder lohnen“? Für viele Zeitgenossen, auch und gerade auf dem sündhaft teuren Pflaster Luxemburg, ein zynischer Witz.
„Eigentum verpflichtet“ schreibt die CSV in ihrem Grundsatzprogramm Jidder Eenzelen zielt von 2002. Der junge Frank Engel und seine Gefolgsleute vom Cercle Joseph Bech hatten damals einen Änderungsvorschlag eingebracht, um den Passus zu streichen, woraufhin Jean-Claude Juncker seine ganze rhetorische Kraft in die Waagschale werfen musste, um erfolgreich dagegenzuhalten.
Fast zwei Jahrzehnte und eine wundersame Engel’sche Wandlung später sollen jetzt parteiinterne Arbeitsgruppen den frommen Satz im Spiegel der radikal neuen, ökonomisch wie sozial zerrütteten Post-Corona-Realitäten mal konkret deklinieren. Was könnte am Ende herauskommen? Dass Schutz und Förderung von Familie, mittelständischen Betrieben und bäuerlicher Landwirtschaft sowie Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand für die CSV nach wie vor allerwichtigste Anliegen sind, was sich folglich auch im Steuerrecht niederschlagen muss? Ja klar, keine Frage. Entstünde allerdings in Abwandlung des biblischen Gleichnisses der Eindruck, eher gehe ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass die CSV die Schwerreichen zusätzlich besteuert, wäre das fatal – ein Offenbarungseid, dass die Christsozialen ihr ideelles Kapital in der Tat soweit aufgebraucht haben.
Um dem zuvorzukommen, sollten sie gezielt auf Expertise von außen zurückgreifen, etwa um zu ergründen, was es in der katholischen Soziallehre mit dem Prinzip der allgemeinen Bestimmung der Erdengüter und dessen Bezug zum Gemeinwohl auf sich hat. Empfehlenswert wären etwa der Wirtschaftsmathematiker Gaël Giraud und die Philosophin Cécile Renouard, er Jesuitenpater, sie assumptionistische Ordensschwester. Gemeinsam haben sie zwei erfolgreiche Bücher veröffentlicht: 20 propositions pour réformer le capitalisme (Flammarion, 2009) sowie Le facteur 12. Pourquoi il faut plafonner les revenus (Carnets Nord, 2012). Die Titel sind schon mal evokativ, nicht wahr?
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