- Geschichte, Gesellschaft, Kultur
Radfahrlobby in Brüssel
Was Europa tun kann und muss, um den Radverkehr voranzubringen
„Getting more people cycle more often“, dies ist das Motto das sich der Europäische Radfahrerverband (ECF) seit seiner Gründung 1983 auf die Fahnen geschrieben hat. Den ECF machen heute in erster Linie seine 80 Mitglieder aus 40 Ländern aus, darunter die Lëtzebuerger Vëlos-Initiativ und Cycle Luxembourg aus dem Großherzogtum, seine 9 Netzwerke wie zum Beispiel der „Cycling Industry Club“ mit seinen 70 Mitgliedern oder das Städtenetzwerk „Cities for Cyclists“, und als das Schaufenster schlechthin, die Velo-city Konferenz als die weltgrößte internationale Fahrradkonferenz, die der ECF alljährlich in enger Kooperation mit einer Gastgeberstadt/-region organisiert.
Wenn es um das Fahrrad als Alltagsverkehrsmittel geht, sind die Niederländer das Maß aller Dinge. 36% aller befragten Personen gaben dort bei einer Eurobarometerumfrage im Jahr 2014 an, den Drahtesel als Hauptverkehrsmittel zu nutzen; im europäischen Mittel waren es 8 %, in Luxemburg ganze 2%. Dies zeigt, wie immens das Potential für den Radverkehr in Europa noch ist.
Dass der wichtigste Akteur in punkto Radverkehrsförderung die lokale Ebene ist, ist klar. Hier werden die wichtigen Entscheidungen wie zum Beispiel über Radwegenetze, die Anbindung an andere Verkehrsträger, verkehrsberuhigte Zonen usw. getroffen … Aber auch die nationale Ebene hat den Radverkehr zunehmend als Spielfeld erkannt, rund die Hälfte aller EU-Mitgliedstaaten hat in den letzten 10 Jahren eine nationale Fahrradstrategie erarbeitet, mit steigender Tendenz. Dass alle Länder der EU fahrradfreundlicher werden, dafür setzen sich 20 Mitarbeiter des ECF vor Ort in Brüssel ein. Bleibt die Frage, was die EU konkret tun kann. Ich will dazu zwei konkrete Beispiele geben.
Erstens: Investitionen in die Infrastruktur mittels der Regional- und Strukturfonds. Waren es 600 Millionen Euro, die im Finanzrahmen 2007 – 2013 in Fahrradprojekte flossen, werden es im Zeitraum 2014 – 2020 bereits 1,5 Milliarden sein. Ein Erfolg, den wir uns auf die Fahnen schreiben, haben wir doch bei der EU massiv dafür geworben, die entsprechenden Konditionen zu ändern und anschließend bei den Regionen ausreichend Fahrradprojekte einzureichen. Besonders erfolgreich war die Mobilisierung unserer Mitglieder, die ihre Europaparlamentarier durch Emails und Anrufe bearbeiteten und dazu brachten, Teile von EuroVelo, dem europäischen Radroutennetzwerk, durch die Connecting Europe Facility zu finanzieren. Bis dahin war dies durch den Gesetzgeber nicht vorgesehen.
Ein zweites, aber schwierigeres, Aktionsfeld sind verbesserte technische Sicherheitsmerkmale bei Autos und LKWs. Angesichts der Tatsache, dass sich die Straßenverkehrssicherheit bei Radfahrern (und Fußgängern) in den letzten Jahren nicht im gleichen Maße wie bei Autoinsassen verbessert hat, fordern wir die serienmäßige Ausrüstung aller neuen Autos mit automatischen Bremssystemen und intelligenter Geschwindigkeitsassistenz (Intelligent Speed Assistance). Technisch ist das machbar. In manchen Großstädten wie London oder Berlin geht fast die Hälfte aller tödlichen Radfahrunfälle auf das Konto von Zusammenstößen mit LKWs, die wiederum dem schlechten Design der Frontpartien und damit den enormen toten Winkeln um die Fahrerkabine herum geschuldet sind. Es liegt an der EU, ein besseres Design rechtlich durchzusetzen. Dass all diese Forderungen bei weiten Teilen der Automobilindustrie, gelinde gesagt, auf Widerstand treffen, ist klar, bringen sie doch höhere Kosten mit sich. Hier etwas bewegen, braucht einen sehr langen Atem und geht nur in Koalitionen mit anderen Partnern aus dem Umwelt- und Straßenverkehrssicherheitssektor, Städten und einigen Mitgliedsstaaten (ohne nennenswerter Automobilindustrie), Zulieferern… Dies geschieht hinter den Kulissen in Gesprächen mit den Gesetzgebern und in Expertengremien, aber natürlich auch in aller Öffentlichkeit durch Pressemitteilungen, offene Briefe und den Einsatz sozialer Medien.
Was der ECF jedoch lernen musste, ist sich und sein Produkt, das Fahrrad, angemessen zu verkaufen. Tatsächlich reicht es nicht pauschal zu sagen, Radverkehr ist gut für die Umwelt oder die Gesundheitsförderung, man muss dies auch seriös quantifizieren und einen makroökonomischen Mehrwert nachweisen können. Dies ist gerade wichtig im Umfeld der hiesigen Juncker-Kommission, die „Jobs and Growth“ zum Mantra erklärt hat. Entsprechend hat der ECF mehrere Studien aufgelegt, die sich mit diesen Themen eingehend beschäftigen.
Es reicht auch nicht zu fordern, dass das Fahrrad Teil der intermodalen Kette werden muss. Wir müssen konkrete Lösungen dafür aufweisen, deswegen arbeitet der ECF zum Beispiel an einer neuen Plattform (Platform for European Bicycle Sharing & Systems), die die heterogene Welt der Anbieter von Fahrradverleihsystemen zusammenbringen soll, um gemeinsame Interesse zu artikulieren und durchzusetzen.
Sind wir damit in Brüssel angekommen, oder mit anderen Worten, sind wir auf Augenhöhe mit anderen Interessenvertretungen, insbesondere der Automobilindustrie? Beileibe nicht. Nach wie vor werden Gesetzesvorschläge vorgelegt, die den Radverkehr, zum Beispiel in Themen der E-Mobilität, sträflich vernachlässigen. Dass die Elektrofahrräder der eigentliche Verkaufsschlager sind und nicht die E-Autos ist dabei nur ein kleiner Trost.
Wie ändern wir das?
Der Radverkehr braucht noch mehr Sichtbarkeit im Brüsseler Politikbereich. Stichwort Fahrradstrategie. Drei EU-Institutionen – der Ausschuss der Regionen, das Europaparlament, und, ganz wichtig, die Verkehrsminister der Mitgliedsstaaten mittels der Luxemburger „Declaration on cycling as a climate-friendly transport mode“ – unterstützen uns in der Forderung nach einem derartigen Strategiepapier. Nur die Kommission ziert sich noch.
Daher arbeiten wir seit einem guten dreiviertel Jahr an einer Kampagne für eine EU-Fahrradstrategie. Dazu haben wir eine Expertengruppe mit 14 anderen Organisationen ins Leben gerufen, zahlreiche öffentliche Veranstaltungen und Treffen mit Kommissionsmitarbeitern in Brüssel durchgeführt, eine Umfrage sowie online eine öffentliche Konsultation getätigt …Insgesamt 1000 Leute haben sich in unsere EU-Fahrradstrategie eingebracht, die der slowenischen Verkehrskommissarin Violeta Bulc auf besagter Velo-city Konferenz im Juni überreicht werden soll. Mit der Erwartung, dass die EU-Kommission in den nächsten zwei Jahren ihre eigene Fahrradstrategie entwickelt und in der nächsten Dekade umsetzt.
Nimmt man den Radverkehr auf allen Ebenen ernst, so unsere Schätzung, ließe er sich bis 2030 europaweit um 50% steigern. Dies entspräche 80 Millionen zusätzlichen Radbewegungen im Vergleich zu heute – jeden Tag. Und wäre damit eine massive Investition in die Liebenswürdigkeit unserer Städte und die Überlebensfähigkeit unseres blauen Planeten.
Bis 2050 muss der Verkehrssektor in der EU seine CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 um 60% senken. Eine Herkulesaufgabe, bedenkt man, dass wir momentan bei ca. +20% sind. Neben der vielzitierten Energiewende bräuchte es eine solche auch im Verkehrsbereich, dazu müssten aber zum Beispiel Prioritäten in Investitionen in Verkehrsinfrastruktur oder steuerliche Anreize gänzlich anders gesetzt werden, als dies noch weitestgehend heute geschieht. Prinzipiell ließe sich deutlich mehr Radverkehr induzieren als die genannten plus 50%. Viele Städte zeigen dies.
„More people cycle more often“. Dies wird auch unser Auftrag für die nächsten Jahre sein. Natürlich weil Radverkehr auch Lebensfreude bedeutet, aber vor allen Dingen weil es kein besseres und effizienteres Verkehrsmittel gibt, um Mobilität in der Stadt zu gewährleisten, und zugleich eine Lösung für so zahlreiche Herausforderungen darstellt – von lokal bis global.
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