- Geschichte, Politik, Wissenschaft
Rechts abbiegen oder stehen bleiben
Die politische Orientierung der ADR
Anfang 2015 stufte Die Zeit die „Alternative Demokratische Reformpartei“ (ADR) aufgrund von „Forderungen nach Spracherhalt und Verschärfung des Asylrechts gegen ‚Wirtschaftsflüchtlinge‘“1 als „rechtskonservativ bis rechtspopulistisch“ ein. Diese Einstufung nahm ich zum Anlass, um in meiner Bachelorarbeit anhand des Grundsatz- und Parteiprogramms sowie des öffentlichen Auftretens von Parteimitgliedern2 der Frage nachzugehen, ob die ADR tatsächlich rechtspopulistisch ist. Um kurz vorzugreifen: Nein, sie ist es nicht. Denn ihr fehlt ein nach Ansicht zahlreicher Autoren3 zentrales Merkmal des Populismus: das Misstrauen gegenüber der politischen Elite und der repräsentativen Demokratie. Vielmehr sind bei der ADR Züge des Rechtskonservatismus zu erkennen.
Was ist was?
Beim Rechtspopulismus ist vor allem der zweite Wortteil ausschlaggebend. Populismus impliziert, das politische System als korrupt, fehlerhaft und „krank“ zu bezeichnen. Populistische Parteien streben in der Regel nach einer deutlichen Abgrenzung zu den „alten“ und „verstaubten“, etablierten Parteien und werfen diesen Machtmissbrauch vor. Daraus erfolgt eine Teilung der Gesellschaft in zwei homogene und antagonistische Gruppen: „‚The pure people‘ versus ‚the corrupt elite‘“4. Populismus zeichnet sich durch einen proklamierten Antagonismus zwischen einem abstrakten Volk und der politisch-gesellschaftlichen Elite aus. In dieser Segmentierungskonzeption liegt auch der Hauptunterschied zum Rechtskonservatismus.
Was Rechtskonservatismus betrifft, so bildet dieser allem voran eine Untergruppierung des Konservatismus. Dessen große Themen lauten: Identität, Sicherheit und Beständigkeit. Das Bestehende soll erhalten bleiben, Veränderungen wird in erster Linie misstraut. Allein aus diesem Grund, die Ideologie rechts der viel zitierten „politischen Mitte“ zu verorten, kann allerdings ein Fehlschluss sein.5 Die Wortschöpfung „Rechtskonservatismus“ ist in Anbetracht des ebenfalls existenten Linkskonservatismus keine Tautologie. Sie soll in den folgenden Zeilen einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden.
Die „Neue Rechte“
Rechtskonservatismus (auch Nationalkonservatismus oder Autoritär-Konservatismus) stellt eine Untergruppierung des Konservatismus dar. Richard Stöss zufolge6 müssen Forderungen rechtskonservativer Parteien nicht unbedingt kohärente, konservative Denkmuster zu Grunde liegen. Stöss erkennt dennoch eine „gemeinsame thematische Grundausrichtung“ der Rechtskonservativen: weniger Einwanderung, weniger EU, mehr innere Sicherheit. Zudem macht er eine interessante Beobachtung in Bezug auf die Wandlung des „klassischen Rassismus“ hin zu einem „Ethnopluralismus“. Die Verschiedenheit in der Lebensweise und im äußerlichen Erscheinungsbild von Menschen wird zwar anerkannt, aber nur unter der Bedingung: Bitte jeder in seinem Land, wie er will. Hier macht man es so, und nicht anders! Somit hat das „vermeintliche Recht jedes Volkes auf seine Identität“ das Rassendenken verdrängt. Nachdem nun die Grundzüge von und Unterschiede zwischen Rechtspopulismus und -konservatismus kurz skizziert wurden, wenden wir uns den programmatischen Grundzügen der ADR zu.7
Eckpfeiler im Parteiprogramm
Das bei Weitem maßgebende Kernthema der Partei lautet „Nation und Identität“, hier wird wiederholt vor einer Verwässerung durch Zuwanderung und fehlender Pflege der Kulturgüter gewarnt. Nach außen hin pflegen die Sprachrohre der ADR eine emotionsgeladene Sprache, die Tatbestände in einem übertriebenen Ausmaß darstellt. „Kulturkrieg“, „Zustrom von Wirtschaftsflüchtlingen und Scheinasylanten“ sowie „Kultur- oder Sportghettos“ sind nur einige Schlagwörter im Kontext von Einwanderung. Ein für die Untersuchung auf Rechtspopulismus bzw. -konservatismus hin maßgeblicher Indikator ist die Positionierung einer Partei zu Immigration. Um es mit den Worten der ADR auszudrücken (Wahlprogramm 2013): „Grundsätzlich steht die ADR für eine Einwanderungs- und Integrationspolitik im Einklang mit und im Respekt vor der luxemburgischen Identität.“ Immigration und nationale Identität korrelieren auffallend stark. Auf Aspekte bezüglich Einwanderung treffen besonders oft Forderungen nach einer „Wahrung der luxemburgischen Identität“. Einwanderung wird solange gutgeheißen, wie sie die wirtschaftliche Entwicklung ankurbelt
In Bezug auf innere Sicherheit plädiert man für eine Ausweitung der polizeilichen Befugnisse und deren öffentlichen Präsenz. Mutmaßliche Gewalttäter sollen bis zum Gerichtsprozess in Untersuchungshaft verbleiben; auch minderjährige vermeintliche Straftäter sollen für diese Zeit in eine „geschlossene Anstalt“.
Ein weiteres, relevantes Thema ist die Gestaltung demokratischer Prozesse. Hier stehen vor allem Transparenz im Rechts- und Verwaltungswesen sowie der Datenschutz im Fokus. Die ADR bekennt sich in ihrem Grundsatzprogramm deutlich zur (parlamentarischen) Demokratie, spricht sich aber gegen einen alleinigen Einfluss der Parteien und für mehr direktdemokratische Entscheidungsprozeduren aus.
Was das gesellschaftliche Zusammenleben betrifft, so sorgt sich die ADR um eine mögliche Benachteiligung von luxemburgischen gegenüber ausländischen Staatsbürgern und warnt vor einem Missbrauch des Sozialsystems. In Bezug auf alternative Lebensentwürfe akzeptiert die Partei „Multikulturalität“ nur unter der Voraussetzung, dass diese auch zu einer „Bereicherung des Allgemeinwesens“ beiträgt. Einzig das traditionelle Familienmodell entspricht der idealen Form des Zusammenlebens; Adoptionsrechte für gleichgeschlechtliche Paare, Leihmutterschaft, Transsexualität, Euthanasie, Genforschung und Schwangerschaftsabbrüche (mit einigen Ausnahmen) lehnt die ADR grundsätzlich ab.
Vielleicht doch nur Opportunismus?
In Anbetracht des nachweislich umfangreichen Gebrauchs von Schlagwörtern im öffentlichen Auftreten könnte man denken, die ADR wünsche auf einen immigrationskritischen Zug aufzuspringen und Wähler anzusprechen, die sich von anderen Parteien nicht repräsentiert fühlen. Der Politikwissenschaftler Oliver Geden merkt beispielsweise an, dass populistische Politik nicht mit einer Form von Opportunismus zu verwechseln sei, der mit „unrealistischen, aber populären Versprechungen versuchen würde, kurzfristig ein Maximum an Wählerstimmen zu mobilisieren“8.
Der Gebrauch einer polarisierenden und überzeichnenden Sprache, mit der sich die ADR bewusst von anderen Parteien abgrenzt, könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Partei eine Angebotslücke im Parteienwettbewerb schließen möchte. Dennoch sollte eine Politik, die auf dem Schüren von Angst zu Lasten bestimmter Bevölkerungsteile basiert, nicht als simple Stimmenmaximierung abgetan werden.
Von konservativ bis autoritär
Die Konzeption von gesellschaftlichen Werten, von Tradition, Familie und Ehe bei der ADR ist klassisch konservativ. Schnittpunkte zwischen konservativen Parteien und der sog. „Neuen Rechten“ sind bei den Themen der inneren Sicherheit sowie der starken Rolle, die der Staat in diesem Bereich einnehmen soll, zu finden. Die Vorschläge der ADR zur Verwahrung von Verdächtigen tragen wiederum stark autoritäre Züge. Die Partei plädiert für eine „selektive“ Einwanderung, bei der man vor allem qualifizierten Arbeitskräften Aufenthalt gewährt. Hier drängt sich die Frage auf, inwiefern die ADR ihre programmatische Ausrichtung ändern würde, wären diese Bedingungen nicht (mehr) erfüllt. Die Partei als konservativ zu bezeichnen, würde ihrem Umgang mit dem Thema Einwanderung nicht gerecht werden. Bei vergleichsweise geringer Zuwanderung benutzt der Abgeordnete Fernand Kartheiser polarisierende Begriffe wie „Flüchtlingsstrom“ oder „Flüchtlingswelle“.
Außerdem warnt er davor, Luxemburger gegenüber Immigranten zu benachteiligen. Solche Ausdrucksweisen können durchaus mit der Absicht einhergehen, bestehende Angst im Kontext der Migrationsströme nach Europa zu schüren bzw. noch nicht vorhandene Besorgnis in der Bevölkerung zu erregen.
Aktive Figur des politischen Systems
Im Gegensatz zu rechtspopulistischen Parteien wie etwa dem belgischen Vlaams Belang bezeichnet die ADR das politische System nicht als dysfunktional. Sie sieht sich nicht als Gegner, sondern als Teil des politischen Establishments. Das Fehlen des „Wir-gegen-die-da-oben-Credo“ und die Akzeptanz des politischen Systems in seiner momentanen Form legen nahe, dass es sich bei der ADR nicht um eine rechtspopulistische Partei handelt.
Das unter den untersuchten Bereichen mit Abstand am ausführlichsten behandelte und am häufigsten vorkommende Thema lautet „Nation und Identität“. Das Konzept der „luxemburgischen Nation“ und des „nationalen Bewusstseins“ spielen eine zentrale Rolle. Pluralismus nebeneinander wird akzeptiert, die Trennung voneinander gefordert und eine „Vermischung“ demnach abgelehnt. Aufgrund der konservativen Elemente im politischen Programm (Konzeption der Familie, Tradition und Werte) und angesichts des Umgangs mit Identität, Nation und innerer Sicherheit ist die Partei dem Rechtskonservatismus zuzuordnen. Die Forderung der ADR nach einem besseren Schutz vor vermeintlichen Bedrohungen wie Einwanderung, Sozialmissbrauch und Ausländerkriminalität untermauern dieses Urteil.Klassifizierungen von Parteien sind stets Momentaufnahmen, politische Gruppierungen sind keine statischen Gebilde. Auch wenn das Urteil „rechtskonservativ“ in der öffentlichen Wahrnehmung womöglich weniger negativ behaftet ist als „rechtspopulistisch“ – aus Sicht der Politikwissenschaft und im Hinblick auf die politischen Inhalte lässt sich eine solche Annahme nicht begründen.
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