Schattenboxen um die psychotherapeutische Gesundheitsversorgung in Luxemburg
Das am 14. Juli 2015 in Kraft getretene luxemburgische Psychotherapeutengesetz sieht eine prinzipielle Kostenerstattung psychotherapeutischer Dienstleistungen vor. Die luxemburgische Gesundheitskasse (CNS) tut sich jedoch äußerst schwer damit, ihrem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden und eine erfolgreiche Konventionsverhandlung mit dem zuständigen Berufsverband der psychotherapeutischen Gesundheitsdienstleister – in diesem Fall der FAPSYLUX – umzusetzen. Der vorliegende Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, weshalb sich diese Verhandlungen weit über den erforderlichen Zeitraum hinziehen und sich die Verhandlungspartner nicht auf angemessene Lösungen verständigen können.
Durch das Psychotherapeutengesetz wurde der Titel „Psychotherapeut*in“ geschützt sowie die berufliche Qualifikation dieser Berufsgruppe definiert. Bedingt dadurch, dass im Juli 2015 noch kein repräsentativer Berufsverband der Psychotherapeut*innen in Luxemburg existierte, forderte die CNS in einem ersten Schritt die Psychotherapeut*innen auf, sich unter einem Berufsverband zusammenzufinden, der ihre Interessen vertreten und als Verhandlungspartner dienen sollte. Mit Gründung der FAPSYLUX (Fédération des Associations représentant des PSYchothérapeutes au G.-D. de Luxembourg) am 2. Februar 2017 wurde diese Voraussetzung erfüllt, und seitdem finden mehr oder weniger regelmäßig Verhandlungstermine zwischen den beiden Parteien statt.
Wichtiger Ausgangspunkt ist, dass die in Luxemburg gesetzlich anerkannten Psychotherapeut*innen unumstritten über die erforderlichen Berufsqualifikationen verfügen, um autonom wissenschaftlich fundierte Diagnosen, Indikationen und Interventionen bei Patient*innen durchzuführen.1 Die ausgesprochen hohe akademische Qualifikation von Psychotherapeut*innen anerkennend sind diese dann auch neben Ärzt*innen, Zahnärzt*innen und Apotheker*innen als vollwertige und gleichgestellte Mitglieder in der luxemburgischen Ärztekammer (Collège Medical) aufgenommen worden. Bei Psychotherapeut*innen handelt es sich demzufolge um eine den Ärzt*innen äquivalente, gleichgestellte Berufsgruppe und nicht um sogenannte paramedizinische Dienstleister.
Zudem ist unumstritten und wissenschaftlich vielfältig belegt, dass unterschiedliche Formen der Psychotherapie bei unterschiedlichen psychischen Störungen äußerst erfolgreich wirken.2 Psychotherapeut*innen, bedingt durch ihre ausgewiesene und gesetzlich geforderte Qualifikation, werden hierbei als die primär heranzuziehenden Dienstleister für psychotherapeutische Behandlungen im Bereich der Gesundheitsversorgung angesehen.3 Dies in Abgrenzung zu anderen medizinischen Dienstleistern, die primär medikamentöse Interventionen anbieten, um psychische Störungen zu behandeln.
Unumstritten ist auch – nicht nur innerhalb der modernen Psychotherapie –, dass die Abklärung der Durchführung sowie der Erfordernisse einer Psychotherapie (Indikation sowie Diagnose) durch Psychotherapeut*innen erfolgen kann und sollte.4 Gesetzlich verankert, und durch den Staatsrat in einem zusätzlichen Gutachten5 bestätigt, sind Psychotherapeut*innen in Luxemburg daher berechtigt, autonom bzw. eigenständig – ohne Weisung einer anderen Berufsgruppe – die bei Psychotherapie erforderlichen diagnostischen und interventionistischen Schritte vorzunehmen.6
Die Verhandlungsstrategie der Gesundheitskasse
Unumstritten ist sicherlich auch, dass die Gesundheitskasse a) einen ausgeprägten psychotherapeutischen Behandlungsbedarf – insbesondere zu Pandemie-Zeiten – erkennt und den politischen Auftrag hat, diesen Bereich der Gesundheitsversorgung zu stärken sowie b) über begrenzte finanzielle Mittel verfügt, die von der CNS adäquat einzusetzen sind, und deren korrekte Verwendung zu kontrollieren ist.
Betrachtet man nun die Verhandlungsführung der CNS, um zu einer Konvention mit der FAPSYLUX zu gelangen, ist festzustellen, dass sie die wenig erfolgversprechende Strategie gewählt hat, gezielt und wiederholt die Berufsqualifikation von Psychotherapeut*innen in Frage zu stellen, um darüber die Verteilung der finanziellen Mittel zu Gunsten einer anderen Berufsgruppe zu steuern.
Sehr lange beharrte die CNS darauf, die gesetzlich festgelegte Autonomie des*r Psychotherapeut*in (hinsichtlich Diagnose, Indikation und Interventionsentscheid) durch ein Delegationsverfahren auszuhebeln. Spätestens das Gutachten des Staatsrats7 sollte die CNS veranlasst haben, sich von dieser nicht haltbaren Position zu lösen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Weiterhin versucht die CNS über die (in-)direkte Infragestellung der Berufsqualifikation der Psychotherapeut*innen deren Autonomie einzugrenzen.
Aktuell wird von ihr vorgeschlagen, zwischen leichten, mittleren und schweren psychischen Störungen zu unterscheiden und über ein sogenanntes Pilotprojekt die Leistungsfähigkeit der Psychotherapeut*innen zu prüfen. Psychotherapeut*innen sollen sogenannte schwere psychische Störungen nur unter Delegation behandeln und abrechnen dürfen. Nicht nur, dass bei diesem Vorschlag erneut eindeutig die Autonomie der Psychotherapeut*innen in Frage gestellt wird, auch wird eine laienhafte Systematik eingeführt, die in dieser Form keiner der klassischen professionellen Klassifikationssystemen psychischer Störungen entspricht und standhält.8 Erneut ist darauf hinzuweisen, dass die Kompetenz zur Diagnose und Behandlung aller psychotherapeutisch relevanten Störungsbilder (definiert in den Klassifikationssystemen) einen eindeutigen Bestandteil der Qualifikation von Psychotherapeut*innen darstellt. Der Vorschlag der CNS entspricht in etwa der Aufforderung an einen Allgemeinmediziner, in Zukunft nur noch grippale Infekte zu diagnostizieren und zu behandeln und bei allen anderen medizinischen Einsätzen die Delegation durch einen Facharzt abzuwarten!
Die Sackgasse oder Schattenboxen par excellence
Unumstritten ist für jeden, der an vergleichbaren Verhandlungen partizipiert hat, dass eine derartige Strategie, die auf einer ständigen Abwertung des Verhandlungspartners fußt, inhaltlich nicht zielführend sein kann. Die Vertretung einer Berufsgruppe, in diesem Fall der Psychotherapeut*innen, kann in keinem Falle eine fachliche Einschränkung ihrer gesetzlich verankerten und anerkannten Berufsqualifikation tolerieren oder akzeptieren. Diese Verhandlungsstrategie der CNS, von ihrem eigentlichen Auftrag abzuweichen und gezielt die fachliche Berufsqualifikation der Psychotherapeut*innen einzugrenzen, führt dann zwangsläufig zu einem nicht lösbaren Konflikt zwischen den beiden Parteien und verhindert eine konstruktive Lösung. Erschwerend kommt hinzu, wenn die CNS einmal getroffene Vereinbarungen unbegründet widerruft. Dieses Verhalten stellt insgesamt keine vertrauensbildende Maßnahme dar, die jedoch Grundlage jeder erfolgreichen Verhandlung ist.
Dies berücksichtigend ist es daher wenig erstaunlich, dass die Verhandlungen seit Jahren nicht vorankommen und im Status quo verharren. Unklar bleibt, worin sich die Motivation der CNS begründet, wiederholt in den Verhandlungen den Gesundheitsberuf disqualifizierende Vorschläge vorzulegen, die für den Verhandlungspartner per se nicht akzeptabel sein können.
Die Kostenersparnis durch den Zeitgewinn, indem über viele Jahre kaum finanzielle Mittel in diesen Bereich der Gesundheitsversorgung investiert wurden, kann für sich allein nicht der Grund sein. Dies mag ein sekundärer Effekt sein. Finanzielle Gründe können demnach nur bedingt ausschlaggebend sein, berücksichtigt man zudem, dass dieses Jahr erstmalig ein eigenständiges Budget zur Finanzierung psychotherapeutischer Behandlung definiert wurde.
Die Motive, die zu dieser kontraproduktiven Verhandlungsstrategie geführt haben, bleiben insgesamt schleierhaft. Sind es nicht transparente gesundheitspolitische Ziele oder gar kompetenz- oder konkurrenzbezogene Gründe, die die CNS zu diesem Verhalten führen?
Ein potenzieller Lösungsansatz
Fast sechs Jahre nachdem das Psychotherapeutengesetz verabschiedet wurde, sollten die Verhandlungspartner endlich respektvolle Verhandlungen zum Wohle der Patient*innen durchführen, und mittels fairer Vorschläge zu tragfähigen Entscheidungen kommen.
Vereinfacht lässt sich das erforderliche Vorgehen wie folgt beschreiben:
- Es steht eine Summe X für einen spezifischen Bereich der gesellschaftlichen Gesundheitsversorgung zur Verfügung,
- es steht eine qualifizierte Berufsgruppe zur Verfügung, die diese Versorgung fachlich adäquat umsetzen kann.
- Wie können nun diese finanziellen Mittel am effektivsten eingesetzt werden, damit möglichst viele Personen mit einer psychischen Störung eine effiziente therapeutische Behandlung durch Psychotherapeut*innen erhalten können?
Sollte ein reelles politisches Interesse bestehen, endlich die seit Jahren zugesagte psychotherapeutische Gesundheitsversorgung der luxemburgischen Bevölkerung zu gewährleisten, wäre der zuständige Minister gut darin beraten, seine positionale Autorität einzusetzen, um Sorge dafür zu tragen, dass die CNS ihre blockierende Verhandlungsstrategie ändert. In diesem Falle könnte der Minister auch sein Versprechen einhalten, dass jeder „Mensch, der es braucht, Zugang zu psychotherapeutischer Behandlung bekommen soll“.9
Fazit
Eine angemessene Konvention über die einzusetzenden finanziellen Mittel zur psychotherapeutischen Gesundheitsversorgung in Luxemburg ist mehr als überfällig und weiterhin möglich. Eine unabdingbare Grundvoraussetzung ist, dass die CNS die Berufsqualifikation der staatlich anerkannten Psychotherapeut*innen uneingeschränkt anerkennt.
Literaturhinweise: Die in den Anmerkungen aufgeführten Beiträge von Georges Steffgen finden sich auch unter: https://wwwen.uni.lu/research/fhse/dbcs/people/georges_steffgen – Rubrik Psychotherapie
- Manfred Amelang/Lothar Schmitz-Atzert, Psychologische Diagnostik und Intervention, Heidelberg, Springer, 2006; Claus Vögele/Georges Steffgen, „Was ist Psychotherapie?“, in: Luxemburger Wort vom 3. Juli 2012, S. 12.; Georges Steffgen, „Was ist das Problem? Diagnostisches Handeln in der Psychotherapie“, in: Luxemburger Wort vom 30. Januar 2016, S. 17; ders., „Der Patient im Mittelpunkt! Autonomes Handeln von Psychotherapeuten im Dienst des Patienten“, in: Luxemburger Wort vom 11. Februar 2017, S. 18; ders., „Der Psychotherapeut übt seinen Beruf in autonomer Weise aus“, in: Tageblatt vom 4. März 2017, S. 12.; ders., „Der Patient hat ein Recht drauf!“, in: D’Lëtzebuerger Land vom 10. März 2017, S. 13.
- Vögele/Steffgen. „Was ist Psychotherapie?“, a. a. O.
- Georges Steffgen, „Die Psyche, ein wertvolles Gut“, in: Luxemburger Wort vom 2. Mai 2014, S. 14; Steffgen, „Was ist das Problem?“, a. a. O.
- Ebd.
- Conseil d’Etat, Avis du Conseil d’Etat – Projet de règlement grand-ducal portant réglementation des relations entre la Caisse nationale de santé et le groupement représentatif de la profession de psychothérapeute au Grand-Duché de Luxembourg, N° CE: 60.064, 17. November 2020.
- Steffgen, „Der Patient im Mittelpunkt!“, a. a. O.
- Avis du Conseil d’Etat, a. a. O.
- World Health Organization, The ICD-10 classification of mental and behavoural disorders: Clinical descriptions and diagnostic guidelines, Genf, WHO, 1992.
- https://tinyurl.com/vvvsbm8 (letzter Aufruf: 20. Mai 2021).
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