Steigende Scheidungszahlen haben dazu geführt, dass immer mehr Frauen und Männer nach einer langjährigen, aber gescheiterten Ehe oder Partnerschaft vor der Entscheidung stehen, ob sie eine Folgebeziehung eingehen wollen. Dieses relativ neue Phänomen wird im Folgenden unter dem Begriff der Secondhand-Beziehungen beschrieben. Welchen Herausforderungen stellen sich Menschen in mittleren oder späteren Lebensphasen, wenn sie nicht einsam bleiben oder alleine alt werden möchten? Wie gehen potentielle Secondhand-Partner eine neue Bekanntschaft an?

Die Fragen danach, wie Frauen und Männer mit der Erfahrung einer Trennung oder Scheidung1 umgehen, ob und wie sich ihr Partnerverhalten anschließend verändert, kann nicht allgemein beantwortet werden. Zu verschieden sind die persönlichen Voraussetzungen, Motive und Lebensziele. Um sich dem Phänomen der wachsenden Zahl an Partnern „aus zweiter Hand“ anzunähern, bietet sich eine exemplarisch kommentierte Fallbeschreibung 2 an.

Joseph ist 51 Jahre alt und seit Kurzem von seiner langjährigen Frau Chantal geschieden. Er beschreibt sich selbst als Secondhand-Partner: „Wer will so einen wie mich? Benutzt und weggeworfen wie ein alter Waschlappen. Zu nichts mehr zu gebrauchen. Ich habe meine beste Zeit hinter mir.“

Das Ende einer langjährigen Beziehung hinterlässt Spuren: Enttäuschungen, Frustrationen, Kränkungen oder Verletzungen lassen häufig Menschen zurück, die in ihrem Selbstwertgefühl geknickt und in ihrem Vertrauen erschüttert sind. Die Erfahrung des Scheiterns prägt ihre Selbstwahrnehmung, ihre Zukunftsvorstellungen sowie ihre Einstellungen gegenüber einer nächsten Beziehung. Manche Frauen und Männer gehen die Herausforderungen des neuen Lebensabschnitts trotz vergangener negativer Erfahrungen aber auch mit Optimismus an.

Chantal ist im Gegensatz zu Joseph ein positiv eingestellter Mensch: „Eine Secondhand-Partnerin ist für mich eine Person, die schon viel erlebt hat, vom Leben gezeichnet und daher unverwechselbar ist, eine Person, die weiß was sie will … und besonders, was sie nicht mehr will.“

Mit der Erfahrung des Scheiterns leben

So verschieden Menschen sind, so unterschiedlich ist auch ihr Umgang mit der Erfahrung des Scheiterns einer langjährigen Beziehung. Modelle und Erfahrungen aus der Herkunftsfamilie prägen in einschneidender Weise den Umgang mit Krisen und Herausforderungen des Lebens. Es spielen aber auch Faktoren eine Rolle, welche die eigenen Zukunftsperspektiven einschränken, wie das Lebensalter, die finanzielle Situation oder die physische oder psychische Gesundheit. Das Vorhandensein oder Fehlen von sozialen Netzwerken, insbesondere der Rückhalt durch Familie und/oder Freundeskreis, kann entscheidend bei der Bewältigung sein. Wer die Trennung aktiv angestrebt hat, ist in der Regel besser auf die Nach-trennungszeit vorbereitet als derjenige, der sie zu verhindern suchte. Von Bedeutung für die Verarbeitung der Scheidung ist ferner die Einschätzung der eigenen Schuld am Zusammenbruch der Beziehung sowie allgemein eine optimistische oder pessimis-tische Lebenseinstellung. Das Verharren in einer Opferrolle sowie das Verteufeln des Ex-Partners erschweren hingegen jeden Neuanfang.

Joseph will das Eheaus nach 25 Jahren nicht wahrhaben, hatten sie sich doch gut zusammen eingerichtet. Und jetzt, wo die Kinder erwachsen sind und ihre eigenen Wege gehen, hätten sie es so bequem haben können: Das Haus ist abbezahlt, Konflikte gibt es kaum noch, das Leben geht seinen geregelten Gang. Doch genau das ist Chantal zuwider. Sie will sich nicht weiterhin an die Erfordernisse des Alltags anpassen müssen. Endlich in ihrem Job, den sie zugunsten der Familie reduziert hatte, durchstarten und sich selbst verwirklichen. Ihren Mann erlebt sie als Bremse. Die weiteren Lebensentwürfe und -erwartungen des Ehepaares sind nach den gemeinsamen Jahren des Familienaufbaus zu unterschiedlich geworden.

Zu sich selbst finden

Ein Beispiel unter vielen. Das Ende einer Beziehung hinterlässt zwei Menschen3, die nach jahrelanger Partnerschaft wieder lernen müssen, zu sich selbst zu finden, eigene Ziele zu entwickeln, ihre Individualität, die sich zum Teil in einem größeren Ganzen – der Dyade – aufgelöst hatte, wiederzuerlangen. Parallel zur räumlichen und materiellen Trennung gilt es, die „innere Scheidung“4 zu vollziehen, die in der psychischen Loslösung vom früheren Partner besteht und eine Neuorientierung in einem selbst gestalteten Leben beinhaltet. Für viele – aber nicht für alle – bedeutet dies auch, eine neue Beziehung eingehen zu wollen.

Joseph kann sich gar nicht vorstellen, eine andere Frau in sein Leben zu lassen. Er ist zutiefst enttäuscht und verletzt, weil seine Frau ihn sitzengelassen hat. Er stellt sein eigenes Verhalten nicht in Frage und erkennt nicht, wie sehr Chantal zunehmend unter seiner Lieblosigkeit gelitten hat. Er richtet sich in der Rolle des Opfers einer „egoistischen und rücksichtslosen Ehefrau“ ein und isoliert sich vom früheren Freundeskreis.

Ganz anders Chantal: Sie stürzt sich nach Jahren, während denen sie in einem – nach eigenen Worten – selbst mitgestalteten Zwangskorsett gelebt hat, in das pralle Leben. Sie ist ständig auf Achse, als müsste sie in kurzer Zeit all das nachholen, was sie meint, verpasst zu haben. Dabei lernt die 48-Jährige – wie könnte es anders sein – auch immer wieder jüngere und ältere Männer kennen, die sie aufgrund ihrer Lebendigkeit umschwärmen wie Motten das Licht. Nach dem Mangel an Zuneigung und Wertschätzung der letzten Jahre genießt sie nun das Gefühl, anerkannt und begehrt zu sein.

Neue Erfahrungen zulassen

Die Nachtrennungsphase ist bei vielen durch einen Bruch mit den Gewohnheiten verbunden. Es besteht ein drängender Wunsch nach neuen Erfahrungen. Man möchte wissen, wie es sich anfühlt, sich selbst nach so vielen Jahren anders, neu zu erleben. Grenzen, die einem scheinbar durch die Beziehung auferlegt worden waren, scheinen plötzlich keinen Bestand mehr zu haben. Manchmal ist es auch der Trotz oder das Bedürfnis ‚es dem Anderen zu zeigen‘, die jemanden dazu bewegen, Dinge zu tun, die er oder sie sich vorher nie getraut hätte.

Joseph hat sich schon immer gewünscht, Motorrad zu fahren. Erst war kein Geld da, später hat Chantal ihn mit Blick auf die Kinder davon abgehalten, seinen Traum umzusetzen. Nun ist ihm das Risiko egal. Mit 51 Jahren macht er den Motorradführerschein und leistet sich eine Maschine schweren Kalibers. Er erfährt, wie so viele Männer in seiner Lebensphase, das Erlebnis einer zweiten Jugend, verbunden mit dem Gefühl grenzenloser Freiheit. Bei seinen Ausflügen lässt er es sich nicht nehmen, so oft wie möglich durch die Seitenstraße zu brausen, in der Chantal nun wohnt, in der Hoffnung, sie möge ihn mit seinem neuen Ichbewusstsein sehen. Mit Frauen tut er sich jedoch weiterhin schwer. Auf Facebook postet er eifrig Fotos von sich als Gummicowboy in der Hoffnung, dass die entsprechenden Cowgirls auf ihn aufmerksam werden, die ihm kurzfristige sexuelle Abenteuer bescheren können.

Auf dem Weg zu neuen Bekanntschaften

Wie es scheint, ist das Netz voll von Frauen und Männern, die sexuelle Bekanntschaften machen wollen. Datingportale schießen wie Pilze aus dem Boden und lassen sich für ihre Dienste gut bezahlen. Getrieben vom Wunsch, die Anerkennung, Liebe und Geborgenheit zu erfahren, die ihnen zuletzt in ihrer Partnerschaft versagt geblieben sind, versuchen Menschen in der Nachtrennungsphase vermehrt ihr Glück in der digitalen Welt zu finden. Sie sind sich ihrer besonderen Verletzlichkeit, aufgrund noch frischer Wunden, oftmals nicht bewusst und gehen ungewollt Risiken ein, die sie möglicherweise teuer bezahlen müssen. In der digitalen Beziehungstombola ist noch lange nicht jedes Los ein Hauptgewinn!

Joseph, gestärkt durch seine Motorraderfahrung, bekommt eine Freundschaftsanfrage auf facebook von einer attraktiven jungen Blondine. Sie stehe auf so harte Burschen in Lederklamotten und dass er 20 Jahre älter wäre als sie, würde ihn umso attraktiver machen. Joseph fühlt sich gebauchpinselt und da er der Ansicht ist, nichts zu verlieren zu haben, lässt er sich auf den anfänglichen Flirt via Chat ein. Er wird nicht misstrauisch, als ein geplantes Date in der realen Welt zum dritten Mal in Folge kurzfristig verschoben wird. Es klingeln auch keine Alarmglocken, als die Angebetete ihn um einen kurzfristigen Kredit angeht, da sie ihren Rückflug nach dem Besuch bei ihrer kranken Tante im Ausland nicht bezahlen könne. Nachdem seine Überweisung auf dem Konto der Unbekannten eingegangen ist, will sie sich ihm erkenntlich zeigen und lädt ihn zu einem frivolen Date auf Skype ein, damit sie sich vor ihrem Rückflug intimer kennenlernen können. Obwohl sich das Bild der Geliebten auf dem Bildschirm wegen technischer Probleme nicht sofort aufbauen kann, ist Joseph bereit, der Aufforderung nachzugeben, sich bereits ‚frei zu machen‘ und ihr ‚sein Ding‘ zu zeigen, während die technische Panne behoben wird. Von der darauffolgenden Erpressung wird Joseph kalt erwischt!

Andere frisch Getrennte sind vorsichtig, vielleicht zu vorsichtig im Umgang mit dem anderen Geschlecht. Das Misstrauen nach verletzenden, demütigenden oder rücksichtslosen Erfahrungen in der Endphase einer Beziehung ist manchmal so groß, dass sich der Argwohn auf alle Menschen des anderen Geschlechts überträgt. Daraus kann sich ein Vermeidungsverhalten entwickeln, das sich bis zu Angst- und Panikreaktionen selbst bei harmlosen Alltagsbegegnungen steigern kann. Meistens wird der Selbstschutzmechanismus in geordnete Bahnen gelenkt und führt zu einem vorsichtigeren Herantasten an eine neue Bekanntschaft. Das Risiko, dass der Datingpartner die Vorsicht als Ablehnung empfindet und der Wunsch nach Annäherung auf halber Strecke aufgegeben wird – besonders bei etwas scheuen oder selbstunsicheren Zeitgenossen – ist groß.

Chantal gehört nicht in die Kategorie der scheuen Menschen. Sie ist aufgeschlossen gegenüber neuen Bekanntschaften, wenngleich auch vorsichtig in der Annäherung. Dabei lernt sie unterschiedliche Männer kennen und macht unerwartete Erfahrungen. Sie, die trotz ihrer enttäuschenden Beziehung niemals auf den Gedanken gekommen wäre, Joseph untreu zu sein, reagiert schockiert auf die offensichtlichen Angebote verheirateter Männer aus dem Freundeskreis oder von Arbeitskollegen, die ihre Flirtversuche als Aufforderung zu einem One-Night-Stand verstehen. Chantal glaubt trotz des Scheiterns ihrer Ehe weiter an die romantische Liebe. Sie ist aber nicht naiv, nein, sie ist überzeugt, dass sie aus ihren Fehlern im Zusammenleben mit Joseph gelernt hat. Sie ist inzwischen selbstbewusster geworden und will sich nicht mehr – wie in der Vergangenheit – der Harmonie zuliebe, anpassen.

Veränderte Erwartungen an Beziehung

Viele Frauen und Männer gehen mit einem veränderten Bewusstsein in eine neue Beziehung. Ganz nach dem Motto „Scheiden tut weh, macht aber klug“ 5, haben sie erkannt, dass jede Liebe Pflege, Kommunikation und Engagement braucht, um mit der Zeit nicht einzugehen wie eine Pflanze, die ohne regelmäßiges Gießen verdorrt. Die Erwartungen an eine Beziehung haben sich verändert: Neben dem Wunsch nach Gemeinsamkeit wird die persönliche – manchmal hart erarbeitete – Selbständigkeit und Freiheit betont. Die Erfahrung, auch gut alleine zurecht zu kommen, führt dazu, dass nicht jeder schmerzhafte Kompromiss mehr eingegangen wird, um eine Beziehung zu retten.

Chantal hat über ein Internetportal, das eine Freundin für sie eingerichtet hat, nach anfänglichen Zweifeln einen liebevollen, verständnisvollen Mann kennengelernt. Dass er noch zwei minderjährige Kinder hat, war anfangs schwer für sie zu akzeptieren. Besonders weil sie sich gerade von den Einschränkungen des Familienalltags befreit hatte, seit ihre beiden erwachsenen Kinder ein selbständiges Leben führen.

Wenn Kinder mit in eine neue Beziehung eingebracht werden, prallen zwei unterschiedliche Familienkulturen mit ihren eingeschliffenen Ritualen aufeinander. Erst nach und nach wachsen die verschiedenen Teile zu einem Flickenteppich zusammen. Die Mutter oder der Vater der Kinder ist weiterhin implizit präsent und kann das Zusammenwachsen der neuen Patchworkfamilie beeinträchtigen – manchmal absichtlich, manchmal ohne eigenes Zutun. Der Vergleich des oder der Neuen mit dem Ex-Partner kann zu belastenden Konflikten zwischen den neuen Partnern führen.

Als Chantal realisiert hat, dass sie in dieser Patchworksituation nicht die Rolle hat, eine – weiterhin existente – Mutter zu ersetzen und ihre Interessen und Hobbies wahren darf, kann sie sich auf dieses für sie ungewöhnliche Experiment einlassen. Die vielen Baustellen und Überraschungen einer zusammengesetzten Nachfolgefamilie kann sie mit ihrem Partner in vielen Gesprächen zufriedenstellend bewältigen. Sie entscheidet sich, nicht ganz zu ihrem neuen Partner zu ziehen, sondern ihr kleines Appartement als zeitweiligen Rückzugsort zu behalten.

Das Ziel von Secondhand-Beziehungen besteht – abhängig von Alter und Lebenssituation der Betroffenen – in den meisten Fällen nicht mehr darin, eine neue Familie aufzubauen, sondern die guten Momente mit jemandem zu teilen, bestenfalls eine Patchworkfamilie mit ihren Besonderheiten und Einschränkungen lebendig zu gestalten. Für manche Secondhand-Partner ist das Zusammenleben unter einem Dach nicht mehr automatisch erstrebenswert. Oft hat sich jeder in seinem Lebensumfeld gut eingerichtet und ist nicht bereit, dieses zugunsten einer unsicheren Zukunft aufzugeben. Daher sind für manche Secondhand-Paare Wochenend- oder Freizeitbeziehungen mit abwechselnden Aufenthaltsorten die bevorzugte Lebensform.

Joseph hat nach mehreren Rückschlägen die zwanghafte Suche im Internet aufgegeben. Nach einer depressiven Phase, die ihn zu einem Klinikaufenthalt gezwungen hat, lernt er dort eine gleichaltrige Frau kennen, zu der er seitdem eine Fernbeziehung aufrechterhält. Er hat in der Klinik an seinem Problem der emotionalen Abhängigkeit gearbeitet und ist nun bereit, seine Zeit zwischen seinem Heimatort und dem Wohnort seiner Freundin zu teilen und kann dieser Lebenssituation sogar Gutes abgewinnen. Mit seiner Ex-Frau hat er kaum mehr Kontakt, zufällige Begegnungen zwischen Beiden verlaufen höflich distanziert. Sowohl Joseph wie auch Chantal haben nach einer schwierigen Übergangszeit ihren inneren Frieden wiedergefunden.

 

[1] Ich mache im Folgenden keinen Unterschied zwischen verheirateten oder nicht verheirateten Paaren. Ich beziehe mich aber auf Frauen und Männer, die eine auf Dauer angelegte Partnerschaft eingegangen waren. Die Altersgruppe, die ich beim Schreiben vor Augen hatte, umfasst die Lebensspanne zwischen ca. 40 und 60 Jahren. Folgebeziehungen nach dem Tod eines Partners besitzen eine eigene Dynamik, die in diesem Artikel aus Platz­gründen nicht ausgeführt werden kann.

[2] Die Namen und die Geschichten sind fiktiv; die geschilderten Erfahrungen wurden jedoch so oder in ähnlicher Form von Frauen und Männern tatsächlich erlebt und berichtet.

[3] Ich gehe in diesem Text nicht auf das Erleben der von einer Trennung mitbetroffenen Kinder ein. Informationen zu diesem Thema: http://www.familljen-center.lu/Pdf/Familien in Trennung.pdf

[4] Jean-Paul Conrad, Der Weg der inneren Scheidung, 2016. Der Artikel kann nachgelesen werden unter: http://www.familljen-center.lu/familljen-center/publikationen.php

[5] Werner Tiki Küstenmacher, Wie Sie mit Ihrer Scheidung besser fertig werden: http://www.simplify.de/die-themen/partnerschaft/trennungsschmerz/einzelansicht/article/wie-sie-mit-ihrer-scheidung-besser-fertig-werden/

 

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