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Sie kam, sah (Pornos) und siegte nicht
Die Rede ist von Alice Schwarzer. Dem selbsternannten Sprachrohr des deutschen Feminismus. Das jüngere Publikum kennt die heute 73-jährige deutsche Feministin wahrscheinlich von Werbeplakaten der auflagestärksten, gedruckten Meinungsmache Deutschlands. Neben ihrem Portrait prangte nämlich vor nicht all zu langer Zeit der monumentale Satz: „Jede Wahrheit braucht eine Mutige, die sie ausspricht“. Dies ist nicht nur schwarzer Humor in seiner reinsten Form, sondern stellt auch das zeitloseste aller Totschlagargumente dar. Dass Schwarzer letzteres schon zu früheren Zeiten als Vorwand
nutzte, um eigene Realitäten zu schaffen, daran erinnert sich wohl eher die etwas ältere Generation, welche mitbekam wie sie als Flüstertüte auf dem feministischen Schlachtfeld agierte. Seitdem hat sich vieles geändert, aber zwei Dinge sind geblieben: Ihr Faible für plakative Aussagen und die Frage danach, wessen Wahrheit sie eigentlich verkündet.
Am 25. November 1987 wurde im Rahmen der sogenannten „PorNO-Kampagne“ allen Abgeordneten des damaligen deutschen Bundestages ein Entwurf für ein Anti-Pornografie-Gesetz zugestellt. Darin erklärte Schwarzer Pornografie für verfassungswidrig, da diese gegen Artikel 1 1 und 3 2 des Grundgesetzes verstieße und somit elementare Menschenrechte von Frauen gefährde und verletze.3 In der Generalklausel des Gesetzesentwurfs wurde die Schadensersatzpflicht all derjenigen gefordert, die Pornografie herstellen, verbreiten und öffentlich machen.4 Alle Frauen hätten somit die Möglichkeit bekommen, benannte Akteure aufgrund der Verletzung ihrer Würde als Frau zu verklagen. Das geltende Strafgesetz sollte auf zivilrechtlicher Ebene so ergänzt werden, dass die Schadenshöhe dabei nicht mehr nach Ermessen des Staatsanwaltes, sondern jenem der betroffenen Frauen errechnet wird. Schwarzer forderte zudem, die Definition von Pornografie, wie sie bis heute im Strafrecht5 gilt, zu ändern. Ihrer Auffassung nach definiert Pornografie sich nämlich nicht nur durch die Verletzung des Anstandsgefühls, sondern vor allem durch ihr angebliches zentrales Ziel: die Frauenverachtung. Historischer Rückwärtsgang? Die Mutter des Gedankens war Schwarzer nicht. Anfang der 1970er Jahre hatte die American Presidential Commission on Obscenity and Pornography in den Vereinigten Staaten davon abgeraten, Erwachsenen den Zugang zu Pornografie zu verwehren, da ihre Untersuchungen nicht auf Schäden durch Pornokonsum hinwiesen. Trotz der Wissenschaftlichkeit der Befunde war die Ablehnung aus Teilen der Gesellschaft quasi vorprogrammiert mit der Folge, dass sich das sogenannte Anti pornography movement selbst auf den Plan rief. Die Front der Pornografie-Gegner und -Gegnerinnen war keineswegs homogen6 und so formierten sich neben Morality in the Media unter Führung des jesuitischen Priesters Father Hill beispielsweise auch feministische Gruppen wie Women Against Violence in Pornography and Media oder Feminists Fighting Pornography. Schwarzers Vorlage, die Antipornography Civil Rights Ordinance der amerikanischen Rechtswissenschaftlerin Catherine MacKinnon und der als „alttestamentarische Prophetin der Frauenbewegung“ 7 bezeichneten Schriftstellerin Andrea Dworkin kann ebenfalls als ein Resultat der damals entfachten Debatte gelten.
Der Entwurf wurde, wie Schwarzers Text später auch, verworfen. Man argumentierte schon damals damit, dass Pornografie unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit zu betrachten sei und daher nicht verboten werden könne.
Wenn der Weg nicht das Ziel sein kann
Einen aktuellen Anlass gab es bei der „PorNO“-Kampagne insofern, als dass zu eben jener Zeit der illegale Handel mit gewaltverherrlichender Pornografie in Deutschland florierte. Dass dieser sich nicht in erster Linie die Menschenwürde auf die Fahnen geschrieben hatte, sollte genau so eindeutig sein, wie die Notwendigkeit auf gewaltverherrlichende Darstellungen zu reagieren. Ebenso wenig kann man der Anti-Pornografie-Front – damals wie heute – die Problematisierung von Pornografie an sich vorwerfen. Es gab, gibt und wird immer auch Pornografien geben, die sich durch Grenzüberschreitung, Gewalt
und mangelnden Respekt auszeichnen. Dies liegt nicht an dem Genre selbst, sondern daran, dass es so lange Darstellungen von menschenverachtendem Handeln geben wird, wie es menschenverachtende Haltungen gibt. Pornografie ist nur eine Möglichkeitn der Transposition solcher Gedanken. Sie ist ein mögliches Medium, aber nicht die Botschaft selbst. Und genau deswegen kann die Antwort auf derartige gesellschaftliche Probleme weder die Zensur noch das Verbot einer Darstellungsart bedeuten, denn der problematische Inhalt bleibt bestehen. Die Verlegerin Claudia Gehrke befürchtete sogar, die Pornoindustrie, welche zuvor als legaler Akteur auf dem Markt auch Regeln folgen musste, würde in eine schwerer zu kontrollierende Illegalität abrutschen, falls „EMMAs Utopie“8 sich durchsetze. Diese bestünde nämlich darin, dass durch massive Schadenersatzforderungen die Produktion von Pornos nicht
mehr rentabel bleibe.9
Diese Fehleinschätzung ist jedoch nicht der einzige Grund dafür, dass sich der Gesetzesentwurf nicht durchsetzte. Aus Schwarzers Äußerungen in der PorNO-Debatte ließ sich oftmals mehr der Wunsch nach (Einschlag-)Schlagkraft, denn nach wohl bedachter Differenzierung schließen. Da das Genre
Pornografie sich mit grundverschiedenen Ausführungen der menschlichen Sexualität beschäftigt, ist es weder möglich ein einheitliches Bild zu zeichnen, noch eine einheitliche Definition zu schaffen. In einem Bereich, in dem jeder dieses Abstraktum für sich interpretiert, scheint es sinnfrei, um Deutungshoheit kämpfen zu wollen. Und deswegen muss man sich gerade in einer Diskussion rund um Pornografie die Frage stellen, ob man mit einem großen Arsenal an Kampfbegriffen wirklich passend ausgestattet ist. Obwohl Schwarzer bereits durch ihre amerikanischen Kolleginnen mit den „Hürden“
namens Kunst-, Meinungs- und Pressefreiheit konfrontiert worden war, argumentierte sie im Rahmen von PorNO damit, dass auch diese Freiheiten ihre Grenzen haben müssten. Allem voran die Pressefreiheit dürfe nicht im Dienste „der Anti-Aufklärung (und) der Volksverhetzung“10 stehen und somit sei
nach dem Verbot antisemitischer und rassistischer Darstellungen, auch das Verbot sexistischer pornografischer Darstellungen in der Presse erforderlich. Die Wortwahl sowie die Juxtaposition der Themen lassen keine friedliche Stimmung erahnen.
Andrea Dworkin schlug in eine ähnliche Bresche und holte ebenso weit aus: Vor der Kampagne in Deutschland verglich sie in der EMMA den Kampf gegen Pornografie mit einem Krieg und alle Pornoproduzenten mit der SS. Dieses sehr einseitige Bild bekam einen absurden Feinschliff durch die Aussage,
es handle sich bei der Pornoindustrie um eine „sadistische, militärisch organisierte Vorhut“, welche ein System betreibe, das darauf abziele, „Frauen und Kinder als minderwertige Kreaturen“ zu terrorisieren.11 Geht man auf die Wortwahl der Damen ein, so wundert es nicht weiter, dass es ihrer Meinung nach nur eine „End-Lösung“ geben konnte: In Dworkins Werk Pornography – Men Possessing Women, das wahrscheinlich rein zufällig pünktlich zum Start der PorNO-Kampagne im EMMA Verlag erschien und zu dem Frau Schwarzer noch viel zufälliger das Vorwort verfasste, stellte diese nämlich folgendes klar: „Wir wissen alle, dass wir frei sein werden, wenn es keine Pornografie mehr gibt“.12 Auch Schwarzer legte mit ihrem Entwurf einen ganz bestimmten Betroffenheitsgrad in Bezug auf Pornografie fest: „Direkt dafür benutzt werden bisher ‚nur’ einige Frauen, aber es sind wir alle.“13 Sie betonte außerdem, dass auch Frauen, welche nicht gegen Pornografie seien, zur Kategorie der Opfer gehörten, „ob sie wollen oder nicht“14.
Weiblicher ziviler Ungehorsam
Dass Frauen jedoch gerne selbst eine Wahl haben, hätten gerade Dworkin und Schwarzer eigentlich besser wissen müssen. In der Folge war auf jeden Fall mehr als nur eine Soldatin im diktierten Befreiungskampf nicht bereit, in Reih und Glied zu marschieren. Beispielsweise die feministische Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch berichtete kurz nach der PorNO-Kampagne, dass einige Filmemacherinnen bereits überlegten, ob sie in Form von Selbstanzeigen auf den Gesetzesentwurf reagieren sollten. Die weibliche Deutung des Pornografie-Begriffes dürfe zudem nicht von Einschätzungen „selbsternannter feministischer Z(entral)-K(omitee)s“15 abhängen. Die Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen nahm an, dass jegliche Differenzierungen als „kampagnenuntauglich“16 zurückgewiesen worden waren, und kritisierte den „propagandistischen Tenor“17 der Kampagne. Durch ihn sei ein zu dualistisches Bild der gegensätzlichen Auffassungen gezeichnet worden; man suggeriere nämlich, dass jeder, der sich der Kampagne nicht anschließt, für Vergewaltigungen sei.
An dieser Stelle muss auf einen recht häufig genutzten Slogan an der Anti-Pornografie-Front verwiesen werden, nämlich auf Robin Morgans: „Pornografie ist die Theorie, und Vergewaltigung die Praxis“.18 Obwohl es schon länger als gesichert gelten darf, dass Pornografie eine Wirkung auf seine Rezipienten
hat (sonst würde sie wahrscheinlich gar nicht erst produziert werden), so sind derartige monokausale Schlüsse doch als äußerst problematisch einzustufen. Dementsprechend weisen sowohl die amerikanische Filmwissenschaftlerin Linda Williams, als auch die Kulturwissenschaftlerin Corinna Rückert solche simplistischen Gleichungen zurück. Ihrer Auffassung zufolge verharmlost die Gleichstellung von inszenierten Handlungen in Pornofilmen und realer sexueller Gewalt tatsächliche Akte von sexueller Gewalt.19
Statt einseitige „Wahrheiten“ zu schaffen und sich mit einem festgefahrenen Blick geradewegs in eine argumentative Einbahnstraße zu manövrieren, hätte gerade in dieser Debatte Raum für vielfältige Definitionen und Deutungen entstehen sollen. Doch bei der PorNO-Kampagne fanden ohnehin eine ganze
Reihe Frauen keine Erwähnung, nicht zuletzt auch, weil Frau Schwarzer ihre Existenz förmlich negierte. Eben diese Frauen erkämpften sich ihren eigenen Platz in der Debatte. Um sie und ihren kreativen Umgang mit dem Thema geht es in der nächsten Ausgabe.
1 (1): Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
2 (3): Niemand darf wegen seines Geschlechtes […] benachteiligt oder bevorzugt werden.
3 Vgl. Schwarzer, Alice: Gesetz gegen Pornografie: Begründung, in: EMMA 1.12.1987, http://www.emma.de/artikel/gesetz-gegenpornografie-begruendung-264423 (4.1.2016).
4 Vgl Schwarzer, Alice: Pornografie: Das Gesetz, in: EMMA1.12.1987, http://www.emma.de/artikel/pornografie-dasgesetz-264424 (4.1.2016).
5 § 184 StGB:Eine Darstellung ist dann pornografisch, wenn sie zum Ausdruck bringt, dass sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielt und sie die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreitet.
6 Ihre Homogenität wird wohl in ähnlicher Weise verbal ausgetragen worden sein, wie jene zwischen der Volksfront von Judäa und der judäischen Volksfront.
7 Diese Bezeichnung steht (scheinbar lobend gemeint) auf demBuchrücken ihres Werkes.
8 Gehrke, Claudia: Frauen und Pornografie (Vorwort), in: dies. (Hg): Frauen und Pornografie Tübingen 1988, S. 22.
9 Ebd, S.22.
10 Wie Anm. 3.
11 Vgl. Bremme, Bettina: Sexualität im Zerrspiegel, Münster 1990, S. 98.
12 Dworkin, Andrea: Pornografie – Männer beherrschen Frauen, Köln 1987 , S. 268.
13 Schwarzer, Alice: Pornografie: Die Würde der Frau ist antastbar, in: EMMA (1987).
14 Ebd.
15 Koch, Gertrud: Die neue Sittlichkeit. Zur gegenwärtigen Debatte um die Pornografie, in: Classen, Brigitte (Hg.): Pornost. Triebkultur und Gewinn, München 1988, S. 68-75., hier: S. 71.
16 Bovenschen, Silvia: Auf falsche Antworten gibt es keine richtigen Antworten. Anmerkungen zur Pornografie-Kampagne, in: Classen, Brigitte (Hg.): Pornost. Triebkultur und Gewinn, München 1988, S.56-67, S. 63.
17 Ebd.
18 Morgan, Robin: Theory and Practice: Pornography and Rape, in: Lederer, Laura (Hg.): Take Back the Night. Women in Pornography, New York 1980, S. 134-140, hier: S. 139.
19 Vgl. Williams, Linda: Hard Core – Macht, Lust und die Traditionen des pornografischen Films, Basel und Frankfurt am Main 1995., S. 43. Vgl. auch: Rückert, Corinna: Pornografie – Was ist das?, in: querelles-net, 1 (2010), https://www.querellesnet.de/index.php/qn/article/view/830/832 (4.1.2015).
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