- Gesellschaft, Politik
Soziale Stadt statt Law & Order-City
Aspekte kommunaler Kriminalprävention
„Statt die Mittel der Repression auszuweiten, muss der Versuch unternommen werden, die tatsächliche Sicherheit und das Sicherheitsgefühl in den Städten durch eine andere Sicherheitspolitik zu erhöhen. Dies ist eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft.“ 1 (Renate Künast, 1997)
Abgleiten in eine präventive Kontroll- und Verbotsgesellschaft
Bereits 2002 mahnte der auch in Luxemburg bekannte deutsche Bürgerrechtler Dr. Rolf Gössner: „Die moderne Risikogesellschaft hat sich auf den Weg von der repressiven Disziplinar- zur präventiven Kontrollgesellschaft gemacht – eine Gesellschaft im permanenten Ausnahmezustand, die, dem Kontrollideal der Geheimdienste folgend, präventiv kontrolliert und Überwachungsdaten auf Vorrat sammelt und verarbeitet. Dabei werden in erhöhtem Maße alle Bürger in die neuartigen Kontrollmaßnahmen involviert und zu Betroffenen.“ 2 Die Zahl der gesetzlich legitimierten polizeilichen Überwachungs- und Kontrollmöglichkeiten, und damit die Kontrolldichte in unserer Gesellschaft, haben seit damals dramatisch zugenommen. Längst hat sich „eine Sicherheitsideologie, die quer durch alle Parteien geht, etabliert, welche das Primat der Prävention als Weg in einen Überwachungs- und Sicherheitsstaat (…) durchsetzt“ 3.
Auch hierzulande herrscht ein erschreckender sicherheitspolitischer Konsens, der auf eine Ausdehnung einer präventiven Verbots- und Kontrolllogik zielt. So wird besonders gerne in Vorwahlzeiten tief in die repressive Mottenkiste gegriffen und von ADR bis déi Gréng herrscht traute Einigkeit etwa über die vermeintliche Notwendigkeit von Platzverweisen und der Einrichtung von Ordnungsämtern.
Thema Kriminalität in Zeiten wachsender sozialer Unsicherheit
In Zeiten wachsender sozialer Unsicherheit wird das Thema Kriminalität oftmals Blitzableiter für alle möglichen Ängste in der Bevölkerung. Doch dieses Thema verlangt weder Dramatisierung noch Verharmlosung, sondern einen realistischen Umgang mit Furcht und Gefahren. Dadurch erhalten auch die Möglichkeiten der Verbrechensvorbeugung einen erhöhten Stellenwert.
Je nach politischem Credo setzt die Prävention entweder unmittelbar bei der Täterperson an, oder konzentriert sich primär auf die sachlichen Mängel und das soziale Umfeld. Der politische Mainstream favorisiert den direkten Ordnungsstaat („Null Toleranz“) mit mehr Polizeikontrolle und Überwachung, Zwangsmaßnahmen, harten Strafen und dem Wegschließen, ist also auf die Person eines (potentiellen) Täters fixiert. So wird sich auch weniger auf soziale und strukturelle Veränderungen zur vorbeugenden Kriminalitätsbekämpfung konzentriert. Liberaler gesonnene Zeitgenossen bevorzugen erstens therapeutische Maßnahmen und Resozialisation bei ergriffenen Straftätern, zweitens ermahnen sie den Sozialstaat, kriminalitätsverhindernd auch durch entsprechende kompensatorische Maßnahmen im Sozialbereich zu wirken. Gerade in Zeiten in denen parallel zum Abbau des Sozialstaates ein präventiver Kontroll- und Überwachungstaat aufgebaut wird, sollten die Chancen einer auf Prävention basierenden kommunalen Sicherheitspolitik in ihren verschiedenen Aspekten ausgelotet werden.4 Es erscheint um so dringender, auf lokaler Ebene aktiv zu werden und den oben beschriebenen negativen Tendenzen durch eine solidarische und die Grund- und Freiheitsrechte des Einzelnen wahrenden Sicherheitspolitik entgegen zu treten.
Irrungen und Wirrungen einer repressiven Law & Order-Politik
Kommunale Sicherheitspolitik wird stark von den nationalstaatlichen und internationalen Rahmenbedingungen beeinflusst. Und besonders hier ist in den letzten Jahren vieles aus dem sicherheitspolitischen Ruder gelaufen und es kam zu einem verheerenden Angriff auf die Grund- und Freiheitsrechte der Bevölkerung. Parallel zur Militarisierung der EU-Außenpolitik im Zuge der geopolitischen Zerwürfnisse der letzten Jahrzehnte hinterlässt der „War on terror“ auch innenpolitisch immer autoritär-repressivere Spuren. Auch im Inneren rüstet die neoliberale Regierung weiter auf.
Am Beispiel der aktuell diskutierten Polizei-reform sowie der Ausdehnung der Kompetenzen der „agents municipaux“ lässt sich die aktuelle Schieflage verdeutlichen und aufzeigen, dass auch hier sicherheitspolitische Alternativen denkbar sind, welche die individuellen Grund- und Freiheitsrechte nicht durch ein Übermaß an Aufgabenverlagerung auf öffentliche Sicherheitsbehörden bzw. private Sicherheitsdienstleister und allgegenwärtiger technischer Überwachung ersticken.
Wo bleibt eine richtige Polizeireform?
Der Gemeinschaft sind bei der Herstellung von öffentlicher Sicherheit Grenzen gesetzt. Sie ist auf eine funktionierende Institution „Polizei“ angewiesen. Die Polizei aber hat sich in Folge von verfehlten Polizeireformen zunehmend geographisch zentralisiert und ist durch eine verstärkte zunehmende Motorisierung für die BürgerInnen als Ansprechpartner oder Nothelfer zunehmend schwerer erreichbar geworden. Anstatt quer durch alle Parteien nach immer mehr PolizistInnen zu rufen, wäre es sinnvoller eine bessere Erreichbarkeit und Verfügbarkeit der bereits existierenden Kräfte anzustreben.
Die Reformen der Polizeistruktur in den letzten Jahrzehnten sind deshalb als eine eklatante Fehlentscheidung zu bezeichnen, weil sie im Ergebnis zur Steigerung der Unsicherheit beigetragen haben. In der Frage der polizeilichen Präsenz einen anderen Weg zu gehen, darf sich jedoch nicht auf die Interessen der Innenstädte, zentralen Plätze und touris-tischen Aushängeschilder reduzieren. Dazu gehört Präsenz vor Ort durch entsprechende Fußstreifen. Auch die Beförderungskriterien sind mit dem Ziel zu überarbeiten, BürgerInnen-Nähe zu einem wesentlichen Kriterium zu erheben. Beförderung darf nicht die Belohnung für Schreibtischtätigkeit sein. Zudem bedarf es einer lückenlosen Aufklärung der staatsterroristischen Betätigung hoher Polizeioffiziere im Rahmen des „Bommelëëer“-Prozesses um das doch arg lädierte Image der gesamten Polizei wieder aufzupolieren.
Die Idee der Kriminalitätsverhütung bzw. Prävention darf zudem nicht zu einer Ausweitung polizeilicher Vorfeldarbeit umgedeutet und mißbraucht werden. In diesem Kontext muss die Polizei in Richtung Effektivität bei gleichzeitiger strikter Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte reformiert werden.
Grundsätzlich bedarf die Polizei einer Reform, welche die Inhalte ihrer Arbeit neu definiert und dementsprechende effektive Einsatzstrukturen schafft. Neben einer dringend durchzuführenden Verwaltungsreform, die effektive und leistungsorientierte Strukturen schafft, muß dies eine interne Umschichtung der vorhandenen personellen und sachlichen Ressourcen zur Folge haben. Die Schwerpunkte polizeilicher Arbeit sind auf die Bearbeitung von Delikten mit schweren Schäden und die Hilfestellung in Notlagen auszurichten. Die Polizei muss massiv von all den Aufgaben entlastet werden, die nicht zwingend einer hoheitlichen Erledigung bedürfen. Von der Schadensfeststellung bei Autounfällen ohne Personenschäden über eine Entkriminalisierung von Teilen der Drogendelikte und der Entkriminalisierung (bzw. Schaffung einfacher Erledigungsformen) bei Bagatelldelikten, existieren zahlreiche Möglichkeiten, die Polizei auf das Wesentliche zu konzentrieren: ihre Teilnahme an der Aufgabe öffentliche Sicherheit herzustellen.
Die Teilnahme an zivilgesellschaftlichen Modellen der Herstellung von Sicherheit ist allerdings ein zusätzlicher Grund, von der Polizei auch eine zivile Erscheinung und den zivilen Umgang mit Konflikten zu fordern.
Welche Kompetenzerweiterung bei den „agents municipaux“?
Auch wenn eine Ausdehnung der Kompetenzen beispielsweise im Bereich der Verkehrssicherheit und der Kontrolle von kommunalen Bautenreglementen angebracht ist, muss jedoch vor der Schaffung einer „zweiten Polizei“, die zu zusätzlichem Kompetenzgerangel sorgen und bis in eine Neuauflage einer „guerre des polices“ münden könnte, gewarnt werden. Im Sinne einer demokratisch-kontrollierbaren Gewaltentrennung müssen die Kompetenzen solcher Organe der öffentlichen Aufsicht klar ein- und begrenzt werden.
Im Vorfeld der vorgezogenen Neuwahlen überboten sich PolitikerInnen verschiedenster Couleur in der Forderung nach Platzverboten und der Ausweitung der Kompetenzen der „agents municipaux“ auf die Sanktionierung „unsozialen Verhaltens“ wie etwa Bettelei oder das Urinieren im öffentlichen Raum. Letzterer Punkt wurde selbst in das Koalitionsabkommen aufgenommen, ohne allerdings klar festzulegen, wie diese Kompetenzerweiterung konkret aussehen soll. Wird nun der Ansatz der Vertreibung und Verlagerung von Randgruppen, der in Luxemburg-Stadt in mannigfaltiger Hinsicht in den letzten Jahren vollzogen wurde, auf das ganze Land ausgedehnt und werden die Gemeinden ein weiteres Mal in ihrer Autonomie beschnitten, indem ihnen ein einseitig auf Repression, Kriminalisierung und Verlagerung basierendes Modell von oben aufgezwungen wird? Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass aufgrund wachsender Armut „die Präsenz von Marginalisierung in den Innenstädten weiter zunimmt und demzufolge dort die Effekte von Obdachlosigkeit, Armut und Benachteiligung ihren deutlichsten Ausdruck finden. Grund hierfür ist, dass die meisten der Marginalisierten auf die Räume der Innenstädte als Überlebensressource angewiesen sind. (…) Die zentralen Innenstadtlagen sind aus ökonomischer Sicht Orte höchster Verwertbarkeit. (…) Um eine Steigerung innerstädtischer Standortqualitäten für kaufkräftige Kunden und Investoren zu erreichen, verschmelzen somit Strategien kommunalen Stadtmarketings mit Strategien öffentlicher Sicherheit und Ordnung. Die Verdrängung von Randgruppen aus den Innenstadtlagen hat in der Regel deren verstärkte Präsenz in sozial schwächeren Stadtteilen zur Folge, wo ihnen aufgrund des geringeren kommunalpolitischen Einflusses der dortigen Bewohner und Gewerbetreibenden keine oder weniger ordnungsrechtliche Maßnahmen drohen. Mit den kommunalen Verdrängungsstrategien gegen Randgruppen geht somit auch eine sozialräumliche Spaltung der Stadt einher“ 5. Eine solche Spaltung der Stadt muss durch eine fortschrittliche Sicherheitspolitik, z.B. genügend Hilfsangebote vor Ort, verhindert werden.
Kommunale Kompetenz im Bereich der Sicherheitspolitik wieder herstellen
Die Entmündigung kommunaler Exekutiven im Bereich der Sicherheitspolitik durch einen neoliberalen Nachtwächterstaat muss zurückgenommen werden.Es ist an der Zeit, dass der stetigen Entmachtung und Zentralisierung in den Händen der staatlichen Exekutiven ein Ende gemacht und den Gemeinden endlich wieder mehr Kompetenz und Entscheidungsgewalt in sicherheitspolitischen Fragen zugestanden wird. Um auf Sicherheitsprobleme auf lokaler Ebene schnell und adäquat reagieren zu können, müssen Polizeikompetenzen wieder bei der Gemeindeführung angesiedelt werden. Dabei ist es zentral, dass die Gemeinden die BürgerInnen aktiv an der Ausgestaltung der kommunalen Sicherheitspolitik etwa in einem kriminalpräventiven Rat oder bei der Ausarbeitung eines kommunalen Sicherheitsplanes als gleichwertige Partner beteiligen.
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