Sprache, Geschlecht und gender in forum

Einige Anmerkungen anlässlich eines Leserinnenbriefes

Anfang Juni erreichte uns ein Leserinnenbrief zum aktuellen forum-Heft mit dem Dossier zum Thema „Protest, Revolte, Widerstand“. Die Ausgabe war gerade mal zwei Stunden im Handel, die Abonnent*innen hatten sie seit einem Tag. Eine treue Leserin, die, wie sie schrieb, forum sehr gerne liest, war verärgert. Nicht einverstanden mit der Art und Weise, wie sich in forum der Zusammenhang von Geschlecht und Sprache darstelle. Sie gab zwei Beispiele.

In einem Beitrag stand in der ersten Endnote: „In diesem Artikel wird zugunsten der Lesbarkeit allgemein das generische Maskulinum benutzt, Frauen sind in dieser Form eingeschlossen.“ In einem anderen Beitrag hatte unsere Leserin folgende Wendung gefunden: „droits de l’homme“ statt „droits humains“. Die Leserin beendete ihre Nachricht mit den Worten: „Les femmes existent. Nommez-les!“ Natürlich haben wir ihr ausführlich geantwortet, sind aber der Überzeugung, dass die Antwort von generellem Interesse sein könnte. Deshalb dieser Beitrag.

Wer forum kennt und regelmäßig liest, weiß, dass sich verschiedene sprachliche Formen in unseren Artikeln wiederfinden, die auf je unterschiedliche Weise den Zusammenhang von Sprache und Geschlecht (als biologische Kategorie) sowie Sprache und gender (als soziale Kategorie) reflektieren bzw. nicht reflektieren. Es gibt das Binnen-I, das Gender-Sternchen, es gibt „Autorinnen und Autoren“, und dann gibt es auch die Verwendung des generischen Maskulinums. In einigen Beiträgen wird es stillschweigend benutzt, in anderen wird eine Endnote gesetzt, in der die Autor*innen sagen, dass sie das generische Maskulinum bewusst verwenden.

Warum, so fragte sich nun vermutlich die uns schreibende Leserin, warum vereinheitlichen die bei forum das nicht? Warum greifen die nicht redaktionell in die Texte ein, damit die Menschenrechte eben nicht die Rechte der Männer sind und die Frauen eben nicht in ein Allgemeines eingeschlossen werden, das sie sprachlich sogleich wieder ausschließt?

Sprache schafft Wirklichkeit

Eines ist uns natürlich klar: Sprache schafft Wirklichkeit. Dazu muss man weder John R. Searle noch Judith Butler gelesen haben. Sowohl reaktionäre und konservative als auch progressive und liberale Menschen wissen um die Macht des Wortes und den Mechanismus, dass man durch Benennen auch erschafft. Wenn die polnische Regierungspartei nur lang genug „Gender-Ideologie!“ brüllt, sobald jemand aus ihrem familienpolitisch milde gesagt konservativen Weltbild ausschert, dann entsteht in den Köpfen ihrer Anhänger das Bild einer gefährlichen Gender-Lobby, die das geliebte Polen umbauen möchte. Und wenn der US-Präsident die etablierten Medien in den Staaten weiterhin der fake news bezichtigt, haben wir alle irgendwann ein großes Problem mit einem mächtigen Land, das keine Vorstellung mehr von intersubjektiv überprüfbarer Wahrheit hat.

Wenn wir also als gegeben voraussetzen, dass Sprache Wirklichkeit schafft, liegt die Einsicht nahe, dass die Wahl bestimmter Begriffe, bestimmter Rahmungen, bestimmter sprachlicher Strategien immer auch politisch ist. Dann hat nämlich die Art und Weise, wie wir sprechen und schreiben, immer auch etwas mit der Vorstellung der Welt zu tun, wie sie in unseren Augen sein sollte. Und da gibt es natürlich unterschiedliche Vorstellungen.

Zurück zum Leserinnenbrief: Die Kritik setzt an der Wahl männlicher Sprachformen für die Beschreibung von Männern und Frauen an. Der Vorwurf, direkt an uns als Redaktion gerichtet, lautet: Wir würden durch unser Nichteingreifen in die Sprachwahl der Autor*innen die Frauen also nicht sichtbar werden lassen, unsichtbar machen. Wenn man davon ausgeht, dass, wer an Frauen und Männer denkt, sie auch als Männer und Frauen benennen soll, der hat mehrere sprachliche Möglichkeiten.

Vom Binnen-I und Partizipialformen

Wem es wichtig ist, Frauen nicht in männliche Sprachformen zu integrieren, aber nach wie vor von zwei Geschlechtern ausgeht, hat folgende Möglichkeiten. Sie*er kann Autor/innen mit einem Schrägstrich splitten, und auch mit dem/der Kolleg/in ist ein solches Splitting möglich. Ähnlich verhält es sich mit dem Binnen-I, das sich in den meisten Fällen relativ einfach konstruieren lässt, etwa bei StudentInnen, das sich aber, so wie das Splitting, nicht aussprechen lässt. Bei einigen Substantiven kann man auch das Partizip Präsens benutzen, also von Studierenden sprechen, komisch wird das dann natürlich bei den Kochenden. Denn kochen kann ich auch, deshalb aber noch lange kein Restaurant eröffnen.

Man kann natürlich auch das generische Maskulinum in ein generisches Femininum umkehren. Damit verleiht man dem Wunsch Ausdruck, uralte patriarchalische Strukturen zu matriarchalisieren. Man spricht dann von Demonstrantinnen, meint damit aber auch die Demonstranten. Damit aber kleidet man ein sprachliches Problem nur in neue Tücher und öffnet Türen für Kritik von Männern, die sich nun ihrerseits ausgegrenzt fühlen.

Das Gender-Sternchen

Und dann gibt es die Position, die davon ausgeht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, sowohl biologische als auch soziale. Oder noch radikaler: Man kann die Trennung in sex (biologisches Geschlecht) und gender (soziales Geschlecht) als solche als kulturelle Erfindung ansehen und sprachlich versuchen, diese „Erfindung“ mittels spezifischer Sprachformen zu überwinden. Wer also an mehr als zwei Geschlechter oder gender denkt und dies sprachlich umsetzen will, muss Möglichkeiten finden, nicht die alte Zweigeschlechtlichkeit zu reproduzieren. Hier bieten sich der Gender Gap an, der mit einem Unterstrich arbeitet, oder das Gender-Sternchen, das, der Name sagt es, den Asterisken verwendet. Man spricht also von Verkäufer_innen oder von Architekt*innen.

Kritik am Gap kam auf, weil all diejenigen, die sich nicht in einer zweigeschlechtlichen Ordnung wiederfinden, durch eine Leere, den Gap, repräsentiert würden. Dies, so ein Vorwurf, könne die Diskriminierung sogar noch verstärken. Das Sternchen hingegen, das ausstrahlt, gilt bis heute bei vielen, die genderpolitisch korrekt sprechen wollen, als gute Lösung. Und auch mich überzeugt sie bisher am meisten. Christoph Purschke, der in diesem Heft zur Normierung des Luxemburgischen schreibt, arbeitet wiederum mit Punkten. Schauen Sie sich das doch mal an – auch eine Möglichkeit.

Man sieht, es gibt sehr viele Möglichkeiten, sich geschlechtersensibel auszudrücken. Die Wahl der Form hängt jeweils ab von den Annahmen, die man zum Thema Geschlecht als überzeugend ansieht. Indes, viele Menschen halten davon – absolut nichts.

Die Position des „Alles-Quatsch“!

Es wäre einfach und amüsant, an dieser Stelle Beispiele von gebildeten und ungebildeten Menschen zu bringen, die sich über eine geschlechtergerechte Sprache lustig machen. Das dient der Unterhaltung, trägt aber nur wenig zur Problemanalyse und -lösung bei. Also hier nur ein sehr prominentes Beispiel, das mir wichtig und exemplarisch erscheint. Die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff hat eine klare und dezidierte Position zu den Versuchen, sprachlich auf geschlechtliche Vielfalt zu reagieren: „Eine mutwillig verhässlichte Sprache hat sich da durchgesetzt. Allein die sternchenbesäten Schreiben, die ich bisweilen von einer Universität bekomme, wenn es um eine Veranstaltung geht, bringen mich zur Weißglut. Es entsteht ein holpriges Schriftbild, das mich beim Lesen aus der Bahn wirft, als müsse man mir einen pädagogischen Befehl erteilen, dass ich niemals vergessen darf, auch im kleinsten Wurmfortsatz von drei, vier Wörtern geschlechtsgerecht zu denken.“1 Der Vorwurf: Die Sprache wird hässlich, und Sprache wird belehrend. Für den*die, der*die überzeugt davon ist, dass es richtig sei, das Gender-Sternchen zu verwenden, und ich bin davon überzeugt, klingen die Worte der Büchner-Preisträgerin natürlich hart, rückständig, uneinsichtig. Eine weiße, heterosexuelle, christliche und deutsche Frau kann also damit leben, denke ich auf den ersten Blick, dass sie in ihrem Schreiben und Sprechen tagtäglich vielleicht 70 Prozent der Bevölkerung ausschließt. Einen Punkt aber muss ich ihr lassen: Sprachbildung wird kompliziert und pädagogisiert.

Zur Kompliziertwerdung: Diese Herausforderung sollte jede*r gerne annehmen. Bequemlichkeit als Argument gegen eine gerechte Sprache vorzubringen, hat etwas sehr Saturiertes, offenbart eine Haltung, die sich von den sozialen Konfliktfeldern unserer Gesellschaften verabschiedet hat. Doch der Vorwurf des Pädagogischen? Ist da nicht was dran? Jede*r Student*in der gender studies, wenn er*sie richtig nachdenkt, muss doch einsehen, dass ihre*seine Position zwar begründet und legitim, aber nicht zwangsläufig die einzig legitime ist. Sind nicht auch andere Positionen denkbar? Ist es vielleicht sogar denkbar, dass es nie im Leben die eine richtige Lösung geben wird? Student_innen, Student*innen, Studenten, Studentinnen, Studierende, Student.innen – das sind doch andere Fragen als die Frage nach der richtigen Schreibung von Fuss oder Fuß? Letzteres lässt sich mit dem Blick in den Duden beantworten, anderes hat viel mit Politik, Weltsicht und persönlichen Einstellungen und Präferenzen zu tun. Kann man da eine einzige Sprache vorschreiben?

forum als Autor*innenzeitschrift

forum will das nicht. forum will nichts vorschreiben. forum will nicht oktroyieren. Jede*r Autor*in soll selbst entscheiden. Ich bin der Überzeugung, dass Realität Realitäten schafft und nicht die Vorschrift. Vorschriften haben in der Geschichte schon häufig das Gegenteil von dem erzeugt, wofür sie ursprünglich gedacht waren. Anders ausgedrückt: Wenn wir einer Autorin, die, aus welchen Gründen auch immer, das generische Maskulinum verwendet, vorschreiben, mit dem Gender-Sternchen zu arbeiten, wird sie das in ihrer Ablehnung womöglich noch verstärken.

Wir setzen eher auf die Kraft des Faktischen: Indem viele Texte erscheinen, die reflektiert mit dem Zusammenhang von Geschlecht, gender und Sprache umgehen, setzt vielleicht auf diesem Weg ein Reflexionsprozess ein. Ich habe in den letzten sechs Monaten bei forum Autor*innen beobachtet, die plötzlich auf das Gender-Sternchen umgestellt haben, ohne dass wir darüber jemals diskutiert hätten. Aber sie haben Artikel gesehen und gelesen, in denen es Gender-Sternchen gab. Das ist eine Entwicklung, die nichts mit Vorgaben, sehr wohl aber mit der Präsenz des Gender-Sternchens in einigen unserer Artikel zu tun hat.

Ein Forum bildet ab, was ist

Last, but not least, wer wäre ich, und bewusst sage ich hier ich, da meine Präferenz für den Stern nicht die Präferenz der Redaktion im Ganzen abbildet, wer wäre ich, wenn ich glaubte, das Gender-Sternchen wäre der Weisheit letzter Schluss? Wer wäre ich, dies als Regel vorzuschreiben? Vielleicht irre ja auch ich? (Zu der Möglichkeit des eigenen Irrtums vgl. meinen Beitrag zum Thema „Glück und Kritikfähigkeit“ in der kommenden forum-Ausgabe.) Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, das Gender-Sternchen zu verwenden, also tue ich es. Aber diese Überzeugung kann und will ich nicht unseren Autor*innen aufzwängen. Für die deutsche Sprache haben wir eine Richtlinie: Das ist der Duden. Und wenn jemand Fuss statt Fuß schreibt, dann korrigiere ich das. Wie ein*e Autor*in aber mit dem Thema Geschlecht, gender und Sprache umgeht, ist ihm*ihr selbst überlassen. Und diese Haltung teilen wir alle in der Redaktion: forum ist eine Autor*innenzeitschrift, in der die Autor*innen entscheiden, was und wie sie schreiben. Das macht ein Forum aus: Es präsentiert die Vielfalt der Positionen, die zu einem gegebenen Zeitpunkt in unserer Realität existieren. Oder in den Worten von Hans Magnus Enzensberger: Wir geben keine Richtungen vor, wir zeigen Verbindungen an. Und so verstehen wir unsere Aktualität.2

  1. https://www.welt.de/kultur/plus189999687/Sibylle-Lewitscharoff-ueber-Sprachpolizei-und-Gender-Unfug.html (letzter Aufruf: 23. September 2019).
  2. Im Wortlaut: „Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an, und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität.” Aus dem „Editorial“ zur ersten Ausgabe der Zeitschrift Kursbuch (Juni 1965).

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