„Sprache muss ernster genommen werden.“
Ein Gespräch mit der Linguistin Elisabeth Wehling von der Universität Berkeley über die unbewusste Macht der Wörter
Frau Wehling, Sie hatten mit Ihren Kollegen vor der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl 500 Dollar auf einen Wahlsieg von Donald Trump gesetzt. Was hatte Sie so sicher gemacht, dass Trump gewinnen würde ?
Elisabeth Wehling: Meine Einschätzung basierte auf einer Studie mit unentschiedenen Wählern, die wir in meinem Labor an der Universität Berkeley durchgeführt hatten: diesen Versuchspersonen wurden zwei Formen von Argumenten, jeweils für und gegen Donald Trump und Hillary Clinton, vorgelegt. Auf der einen Seite waren dies faktische Argumente, zum Beispiel „Experten meinen, dass unter Trump die Arbeitslosigkeit in den nächsten fünf Jahren enorm steigt“, und auf der anderen Seite standen moralische Argumente, wie „Experten meinen, dass Donald Trump genau der strenge Vater ist, den unsere Nation braucht“.
Es stellte sich durch diese Studie heraus, dass die unentschiedenen Wähler nur durch moralische Argumente zu überzeugen waren. Da der Wahlkampf tatsächlich gezeigt hatte, dass Donald Trump auf der moralischen und nicht auf der faktischen Ebene argumentierte, konnte ich mir sicher sein, dass viele Menschen für ihn stimmen würden. Donald Trump hatte zwar keine Inhalte zu bieten, aber er hatte eine Moral anzubieten.
Was sagt uns das über Wähler und über Menschen im Allgemeinen?
E. W.: Es beweist, dass Fakten an und für sich in der Kommunikation nicht viel erreichen. Der Mensch ist kein „rational actor“ im Sinne des Aufklärungsgedankens.
Auch in der Politik haben Fakten an und für sich betrachtet keine Bedeutung, sondern sie müssen erst in eine sinnstiftende Moralvorstellung eingebettet werden. Donald Trump hatte die sozusagen gleich mitgeliefert.
Aber hat Frau Clinton denn nicht auch ständig über Moral gesprochen? Hat nicht jeder Politiker einen moralischen Diskurs?
E. W.: Jeder Politiker gestaltet die Politik nach seinem moralischen Weltbild, aber nicht jeder Politiker schafft es gleichermaßen gut, diese moralische Prämisse seines politischen Handelns erfolgreich zu kommunizieren. Hillary Clinton hatte sehr stark auf Programmebene argumentiert, und blieb außerdem in Donald Trump’s ‚Frames‘: Als Trump zum Beispiel ankündigte, für jede neue Regulierung zwei vorhandene abbauen zu wollen, unterstrich Clinton darauf hin die Wichtigkeit der Regulierungen. Sie blieb somit in dem gleichen ‚Frame‘ haften.
Sie verweisen immer wieder darauf, dass in der Sprache jedes Wort beim Zuhörer einen ‚Frame‘ aktiviert. Damit meinen Sie im Prinzip einen etablierten Kontext, d.h. dass mit jedem Wort, jedem Begriff Wertungen, Deutungen, Erfahrungen, Umfelder assoziiert werden. Ist das nicht banal?
E. W.: Bis in die 1980er Jahre und vielerorts noch heute geht die „klassische“ Linguistik davon aus, dass Sprache eine intrinsische Bedeutung hat. Sprachverarbeitung würde demnach durch die Aktivierung eines abstrakten Systems von Symbolen ermöglicht werden. Die letzten Jahrzehnte stellte sich aber in der sogenannten Kognitionsforschung heraus, dass ein Wort seine Bedeutung erlangt, weil es im Geist bestimmte Rahmen – sogenannte ‚Frames‘ – aufruft, die wiederum einen weit über das jeweilige Wort hinausgehenden Wissensschatz aktivieren.
Wenn ich zum Beispiel das Wort „Wiesel“ lese, dann wird ein ‚Frame‘ aktiviert, in dem u.a. Geschwindigkeit vorkommt, da ich durch meine Welterfahrung weiß, dass Wiesel sich schnell bewegen. Wenn ich in diesem Moment ein fahrendes Auto sehe, überschätze ich das tatsächliche Tempo dieses Wagens, weil der Geschwindigkeits-‚Frame‘ gerade in meinem Kopf aufgerufen wurde. Sobald Sie wissen, welches Wort welchen ‚Frame‘ aktiviert, können Sie eine ganze Reihe von Denk- und Verhaltensweisen besser nachvollziehen oder auslösen. Und das ist hochinteressant!
Wie entsteht überhaupt das semantische Potential eines Begriffes? Gibt es individuelle oder gruppenspezifische Unterschiede? Haben Begriffe von Sprachgruppe zu Sprachgruppe unterschiedliche Bedeutungen?
E. W.: Es gibt bestimmte ‚Frames‘, die Sie mit allen Menschen auf der Welt teilen, weil unsere Körper und unsere Gehirne ein Stück weit gleich sind. Das bedeutet, dass wir die gleichen sogenannte Primärerfahrungen machen. So eine Primärerfahrung kann zum Beispiel sein, dass wenn Sie aufrecht stehen, Sie mehr Kontrolle verspüren, als wenn Sie gebückt sind. So entstehen Primärmetaphern wie diejenige vom „aufrechten Menschen“. Diesen ‚Frame‘ teilen wir also alle miteinander, weil wir alle diese Erfahrungen machen, egal welche Sprache wir sprechen, und egal wie wir aufwachsen. Es handelt sich um grundlegende Erfahrungen, die jeder Mensch mit der Umwelt macht und gleichermaßen abspeichert.
Danach kommen die subjektiven Unterschiede ins Spiel. Die beginnen schon dort, wo unsere Körper unterschiedlich funktionieren. Zum Beispiel haben Rechtshänder und Linkshänder unterschiedliche Primärmetaphern für Moral. Für Rechtshänder ist rechts gut, und links schlecht, weil sie als Säuglinge bereits die Erfahrungen machen, dass das Agieren mit der rechten Körperhälfte mit einem Erfolgserlebnis und daher positiven Emotionen einhergeht. Beim Linkshänder ist es genau anders herum. Allerdings ist unsere sprachliche Konvention so, dass wir sagen „rechts ist gut‘, wie beim Ausdruck „es geht hier nicht mit rechten Dingen zu“. Obwohl ein Linkshänder ständig linguistisch der Idee ausgesetzt ist, dass rechts gut ist, ändert er deswegen trotzdem nicht sein Denken. Das zeigt Ihnen, dass die Sprache an seine Grenzen stößt, wenn das Gehirn Primärmetaphern erlernt hat, die ihr widersprechen.
Darüber hinaus lernt man aber aufgrund der jeweiligen Kultur und Muttersprache unterschiedliche ‚Frames‘, die die Weltsicht auch unterschiedlich prägen. Unterschiedliche Sprachgemeinschaften lernen unterschiedliche Blicke auf die Welt. In Sprachen, die grammatikalisch Geschlecht enkodiert haben, trainieren wir zum Beispiel unsere Köpfe darauf, Gegenstände als männlich oder weiblich einzuordnen, und dies wirkt sich direkt auf unser Weltbild aus. Nicht immer ist dieser Einfluss relevant, aber dort wo es um unser soziales Miteinander geht, wird es relevant. Spricht man von Menschen, die finanziell schlecht dastehen, als ‚die da unten‘, und von Menschen die viel Geld haben als ‚die da oben‘, trainiert man sein Denken darauf, Menschen die viel Geld haben, als besser einzuordnen, da wir alle bereits als Säuglinge die Metapher lernen: Oben ist gut – daher sprechen wir davon, zu jemandem aufzuschauen oder auf jemanden herabzublicken.
Sie raten politischen Akteuren, nicht das Vokabular des politischen Gegners zu nutzen, denn durch die Verwendung der gegnerischen ‚Frames‘ hätte man schon die Auseinandersetzung verloren. Wie soll das funktionieren, ohne für jeden Sachverhalt eine neue Sprache zu erfinden?
E. W.: Ja, das ist in der Tat schwierig, aber man muss sich der Aufgabe trotzdem stellen. Jeder spricht zum Beispiel von Regulierung, selbst die progressivsten Linksparteien. Regulierung ist allerdings ein Begriff, welcher die moralische Prämisse der eigenen Politik völlig im Unklaren lässt. Hinter Umweltregulierung, Arbeitsmarktregulierung oder Marktregulierungen zum Beispiel steht ja ein und derselbe moralische Anspruch: seine Mitmenschen vor Schaden schützen. Es geht um Schutz – und das muss man auch so benennen! Es geht nicht um das ‚Regulieren‘ vermeintlich naturgegebener Marktgesetze an und für sich.
Ein Politiker, der viel Energie und Zeit darauf verwendet, für Themen zu kämpfen, die ihm am Herzen liegen, sollte nicht an seiner Sprache sparen. Da spart man am falschen Ende, denn Sprache ebnet den Weg zur demokratischen Befähigung.
Gute Sprache ist harte Arbeit, auch weil viele Debatten derzeit ideologisch sehr einseitig ‚geframt‘ sind, aber diese Arbeit muss einfach gemacht werden. Sprache muss ernster genommen werden!
Wir sehen jetzt, was passieren kann, wenn politische Sprache vernachlässigt wird. Populisten erleben einen Aufschwung, und zwar auch, weil der Wähler die moralische Dringlichkeit der Programmatik anderer politischer Gruppierungen nicht mehr versteht.
Es heißt also nicht, dass man das Agenda-Setting des Gegners komplett ignoriert, sondern dass man das Thema jeweils anders formulieren muss?
E. W.: Sowohl als auch: es geht darum, die moralische Prämisse der eigenen politischen Gestaltungsansprüche deutlich zu machen. Das kann bedeuten, dass man eine andere Position als der politische Gegner bezieht, und diese dann so argumentiert, dass jeder Bürger auch wirklich versteht wo die ideologischen Unterschiede liegen. Es kann aber auch sein, dass beide die gleiche Politik umsetzen wollen. Beide sagen zum Beispiel, dass man Menschen, die auf der Flucht sind, aufnehmen sollte. Dennoch kann diese Haltung unterschiedlichen Prämissen entspringen. Vielleicht geht es dem Einen primär um Empathie und europäische Solidarität, und dem Anderen geht es eher um das nationale Eigeninteresse, wenn er die Flüchtenden als zukünftigen Steuerzahler betrachtet.
Jede Partei muss ihre eigene Sprache finden, um dem Bürger eine echte Wahlfreiheit zu bieten.
Was bedeuten diese Erkenntnisse für die Wahlen dieses Jahr in Europa, wo populistische Parteien auf dem Vormarsch sind?
E. W.: Jeder, der nationalistische und autoritäre Gesinnungen ablehnt, sollte sofort sprachlich umschwenken, wo er bisher Sprachbilder der Populisten nutzt! Es ist zum Beispiel unglaublich, dass fast alle politischen Akteure von der sogenannten Flüchtlingswelle reden. Da machen sich Menschen auf den Weg aus einem u.a. global und systemisch bedingten Krieg, ertrinken zum Teil, werden Opfer von Menschenhandel, prostituieren sich, kommen dann bei uns an und bitten um Schutz – und wir sprechen allesamt von Überflutung! Ungeachtet dessen, dass viele von uns eine Politik der Empathie und des Schutzes befürworten. Wir widersprechen uns selbst mit Bildern der „Überflutung“, die ja Menschen, die zu uns geflüchtet sind, primär als Gefahr begreifbar macht. Von diesen Bildern müssen nicht-populistische Gruppen sich unbedingt distanzieren und solche Wörter aus dem Vokabular streichen.
Sie haben Frau Merkel für ihre Aussage „Wir schaffen das“ kritisiert. Muss man denn nicht manchmal an die Ehre der Menschen appellieren und sie mit direkter Sprache auf eine Herausforderung vorbereiten?
E. W.: Ich bewundere Angela Merkel für die Haltung, die sie in dem Moment gezeigt hat und hätte mir gewünscht, dass sie für ihre moralische Haltung eine treffendere Sprache gefunden hätte. Sie hätte ihre tiefgreifende politische Entscheidung und die Wertehaltung für die diese Entscheidung stand, sprachlich erfolgreicher vermitteln können, um dem Moment mehr Gewicht zu geben. Sie und ihr Team haben den Kommunikationsmoment viel zu leichtfertig behandelt, was sich später ja auch gegen sie gewendet hat.
Haben Sie bei diesem Interview eigentlich die Framingmethode angewandt?
E. W.: Sicher! Und zwar, indem ich darüber nachgedacht habe, ob ich die Ideen, die ich vermitteln will, auch erfolgreich für Sie transparent mache – über die richtige Sprache. Es gibt natürlich Leute die Framing benutzen, um Zuhörer zu manipulieren – im Alltag, in der Wirtschaft und in der Politik. Wie Framing eingesetzt wird, das bedingt wie alles soziale Handeln die Intention des Handelnden oder Sprechers. Aber meine primäre Frage ist immer, ob es jemand schafft, das was er wirklich meint und wirklich will, seinem Zuhörer zu vermitteln. Und das ist harte Arbeit.
Danke für das Gespräch!
Das Interview wurde am 3.3.2017 per Skype geführt (CF/JST).
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