Das Regierungsprogramm 2013-2018 kündigt für Anfang 2017 eine Steuerreform an.1 Anfang 2015 ist (wohl durch Indiskretion?) ein Dokument über fiskalische Daten, das aus der Feder des Finanzministeriums (in Zusammenarbeit mit den Steuerverwaltungen) stammt, an die Öffentlichkeit gelangt.2 Ende letzten Jahres veröffentlichte dann der Conseil économique et social eine Analyse eben dieser Daten3, sein Bericht zeigte jedoch noch keine neuen Wege auf.
Nachdem nun kurz vor Fertigstellung dieses Artikels doch schon die geplante Steuerreform am 29. Februar der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, was eigentlich erst zum „état de la nation“ angekündigt war, und nun hier noch keine eingehende Analyse dieser Reform möglich ist, beschränkt sich dieser Artikel auf eine kritische Analyse der wichtigen Konzepte dieser Steuerreform und möglichen Alternativen.
Ist Steuerpolitik multidimensional und muss sie es sein?
Steuerpolitik muss üblicherweise mehrere – zum Teil konkurrierende – Ziele im Blick behalten.4 Sie ist erstens dazu da, dem Staat die nötigen Einnahmen zu verschaffen, die er für die Bewältigung seiner vielfältigen Aufgaben zur Sicherstellung des Gemeinwohls braucht. Sie dient auch dazu, die primäre Verteilung der Einkommen am Markt zu verändern. Man spricht hier vom sogenannten Robin-Hood-Effekt5: Den Reichen wird genommen, um den Armen zu geben. So soll das Auseinanderklaffen der Einkommensschere begrenzt werden. Außerdem verfolgt die Steuerpolitik häufig die Absicht, Prozesse zu lenken, indem durch Verteuerung oder Verbilligung bestimmter Verhaltensweisen Einfluss genommen wird.
Es ist aber nicht immer möglich, diese drei Elemente unter einen Hut zu bringen. Alleine schon die beiden ersten sind nicht unbedingt kompatibel. Wenn die Steuerungsabsicht hinzukommt, riskiert das eine Ziel das andere zu ver- oder zumindest zu behindern. So kann man zwar durchaus verstehen, dass z.B. durch die Absetzbarkeit einer Haftpflichtversiche-rung vom steuerpflichtigen Einkommen der Staat zum Abschluss einer solchen Versicherung einladen will. Hier stellt sich aber dann die Frage, warum die genau so wichtige Sturm- und Feuerversicherung nicht ähnlich begünstigt wird. Die Lenkungsabsicht in einem progressiven Steuersystem impliziert jedoch noch viel größere Herausforderungen: Eine davon entsteht durch die Tatsache, dass die genannten Absetzungsmöglichkeiten Personen mit hohem Einkommen eine höhere Begünstigung bieten, als jenen mit niedrigem Einkommen. Wer aufgrund seines niedrigen Einkommens überhaupt keine Steuern zahlt, kann also gar nicht in den Genuss solcher Fördermaßnahmen kommen. Im Gegensatz zu steuerlichen Maßnahmen (z.B. Förderung des Wohnungsbaus, Kapitalbildung, Anschaffung verbrauchsärmerer Fahrzeuge), wären im Hinblick auf die Lenkung eine direkte Bezuschussung, Steuerkredite oder eine negative Steuer sinnvoller und gerechter. Als Beispiele für die Umwandlung in Steuerkredite können der ehemalige Kinderfreibetrag, der durch den Kinderbonus ersetzt wurde und der Arbeitnehmer- sowie der Rentnerfreibetrag gelten. Ebenso beispielhaft ist das „abattement“ für Alleinerziehende: Sie alle werden jetzt im Falle einer geringen oder keiner Steuerschuld ausbezahlt.
Gibt es den „Mittelstandsbuckel“?
Das Regierungsprogramm 2013-2018 sieht vor, dem „Mëttelstandsbockel“ bei einer zukünftigen Steuerreform besonders Rechnung zu tragen6 und die aktuell vorgestellten Pläne sollen dies bewerkstelligen. Die Bezeichnung an sich ist aber schon irreführend, denn es geht nicht um den „Mittelstand“ im Sinne der „classes moyennes“, also Handel, Handwerk und freie Berufe, sondern um die „Mittelschicht“, also jene Einkommensklassen in der Mitte der Einkommensskala. Es gibt verschiedene Methoden, um diese Mittelschicht in Zahlen zu definieren. Überlicherweise entspricht sie den Dezilen 4-8, die Dezile 1-3 stellen dabei die 30% der Bevölkerung mit den niedrigen Einkommen dar, die Dezile 9 und 10 entsprechen den 20% mit den höchsten Einkommen.7 Sie kann aber auch den Einkommen zwischen 70% und 150% des Medianeinkommens8 zugeordnet werden. Diese beiden Methoden werden sowohl vom CREDOC9, als auch vom STATEC benutzt. Nun kann man aber nicht von einem „Buckel“ sprechen, denn das würde ja bedeuten, dass ab einem bestimmten Einkommen jene mit einem höheren Einkommen weniger Steuern bezahlen würden, was nicht der Fall ist: Jeder aus einem bestimmten Einkommensdezil bezahlt höhere Steuern als alle aus den darunter liegenden Dezilen.10
Nun kann man bei höheren Einkommen feststellen, dass der Durchschnittsprozentsatz ab Erreichen des Spitzensteuersatzes (momentan 40% in Luxemburg, demnächst wohl 42%) abnimmt, weil die Progressivität der Einkommensteuer nicht hundertprozentig fortgeführt wird, sondern eben nur bis zum Höchstsatz. Außerdem fängt die Progressivität (zu) früh an und verläuft zu steil: Eine Person in Steuerklasse 1 (Junggeselle, Witwe oder Witwer, aber auch Geschiedene und damit Alleinerzieher nach einer gewissen Karenzzeit) erreicht den Grenzsteuersatz von 39% bei einem Einkommen von 41793 Euro. Der seit kurzem gültige Spitzensteuersatz von 40% greift aber erst ab einem Einkommen von mehr als 100000 Euro. Dies zeigt, dass man nicht wirklich von einem „Mittelschichtbuckel“ und schon gar nicht von einem „Mittelstandsbuckel“ sprechen kann. Daher schlagen wir eine „Abflachung der Progression“ vor: Der Anstieg der Progression sollte bei höheren Einkommen etwas später einsetzen und nicht so steil verlaufen. Der heutige Steuertarif würde dabei am oberen Ende um einige Stufen erweitert, sodass der Spitzensteuersatz höher als heute wäre und später (bei höherem Einkommen) greifen würde. Dadurch könnte der Effekt des sinkenden Durchschnittssatzes zwar nicht ausgeschlossen werden – das wäre nur im Falle eines Spitzensteuersatzes von 100% möglich – aber er würde vermindert und die Folgen würden zumindest für die untere Mittelschicht (70% bis 110% des Median-
einkommens) abgefedert werden.
Einige Empfehlungen für die große Steuerreform 2017
Es gibt einige wünschenswerte Änderungen in unserem Steuersystem, die uns besonders am Herzen liegen.11 Bei dieser Steuerreform gibt es verschiedene Alternativen für einen Schritt hin zu mehr Gerechtigkeit, das heißt auch: mehr Solidarität!
Zuerst stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen den verschiedenen Steuern: den direkten zu den indirekten Steuern, der Einkommenssteuer für Haushalte gegenüber Steuern für Betriebe, etc. Bezüglich der Besteuerung der Alleinerziehenden drängen sich ebenfalls Fragen nach der Gerechtigkeit zwischen den Steuerklassen auf. Sollte man Alleinerziehende nicht so wie Verheiratete in der Klasse zwei besteuern? Und sollte dann das splitting nur noch für Eltern mit Kindern gelten und nicht mehr generell für alle Verheirateten? Luxemburg muss auch die vielen Abweichungen in der Besteuerung in Angriff nehmen. Die niedrigere Besteuerung der Kapitaleinkommen, die nur zur Hälfte besteuert werden und jene der stock options, die sogar nur mit 17,5% versteuert werden, stellen nur einige Beispiele dar. Dasselbe gilt auch für die Besteuerung der Einkommen aus Immobilienbesitz und -bewirtschaftung.12
Zur Betriebsbesteuerung: Die BEPS-Initiative der OECD13 wird für multinationale Konzerne in Zukunft die verschiedenen Möglichkeiten aufheben, Steuern zu sparen. Durch die Herabsetzung des nominalen Steuersatzes auf z.B. 15% (aktuell wird ein schrittweises Absenken auf 18% angepeilt) und das gleichzeitige Verschwinden der „Schlupflöcher“ (da-rüber konnte bisher nichts in Erfahrung gebracht werden), würde jedes Unternehmen auch tatsächlich 15% bezahlen und es würden drei Ziele erreicht werden:
1) die multinationalen Konzerne würden 15% statt 2-3% Steuern bezahlen; 2) die kleinen nationalen Betriebe, die bis jetzt wenig Möglichkeit hatten Steuern zu sparen, würden demnach nur noch 15% statt bisher 30% bezahlen und 3) Luxemburg könnte eine kompetitive Steuerpolitik betreiben und Betriebe nicht nur anziehen, sondern sie vor allem auch im Land halten.
Im Bezug auf die Erbschaftssteuer sollte Folgendes gelten: Für Verwandte ersten Grades sollte es weiterhin eine Steuerbefreiung geben, es sei denn es handelt sich um größere zu vererbende Vermögen.
Die 2005 abgeschaffte Vermögenssteuer müsste wieder eingeführt werden, besonders vor dem Hintergrund der spektakulären Forschungsergebnisse von Thomas Piketty.14
Selbstverständlich ist eine Reform der Grundsteuer notwendig, weil diese auf veralteten Einheitswerten beruht.15 Sie kann somit ihren Zweck nicht mehr erfüllen, da das Aufkommen knapp den Verwaltungsaufwand deckt.16 Großen Nachholbedarf hat Luxemburg auch im Bereich der so genannten Ökosteuern17: Die richtige Devise18 wäre, den Verbrauch von Ressourcen und Umweltverschmutzung stärker zu besteuern und gleichzeitig die Belastung der Produktionsfaktoren zu verkleinern.
Es besteht die Notwendigkeit eines sinnvollen Steuermixes, der den Schwerpunkt eher auf die Besteuerung der Umweltverschmutzung als auf die des Einsatzes der Arbeitskraft legt, der die nötige Energieumstellung beachtet und die langfristige Finanzierung der Renten sowie die Konkurrenzfähigkeit nicht vergisst. Soweit das nach einer kurzen Durchsicht und ohne zur Verfügung stehenden Details möglich ist, kann geschlussfolgert werden, dass die nun vorliegende Reform diesen Anliegen wohl nur in Ansätzen gerecht wird. Genaueres kann aber erst nach einer gründlichen Analyse folgen.
1 Gouvernement luxembourgeois (2013). Programme gouvernemental annexé à la déclaration sur le Programme gouvernemental (http://www.gouvernement.lu/3322796/Programme-gouvernemental.pdf).
2 Ministère des Finances (2015). Compendium sur les données statistiques des impôts luxembourgeois, Luxembourg.
3 Conseil économique et social (2015). Analyse des données fiscales au Luxembourg, Avis, Luxembourg.
4 Vgl. Ewringmann, D. & Gerhards, E. (2015). „Finanzwissenschaftliche Kriterien für ein gutes Steuersystem und ein Blick auf Luxemburg“ in: Georges,N.; Schronen, D. & Urbé, R. Sozialalmanach 2015,Luxemburg.
5 Siehe STATEC (2004). Statnews 54/2004,Luxembourg.
6 Gouvernement luxembourgeois (2013).
7 Bigo, R., Croutte, P., Müller, J. & Osier, G. (2012).„Les classes moyennes sont-elles perdantes ou gagnantes dans la redistribution socio-fiscale ?“ Cahier de recherche 297, Centre de recherche pour l’étude et l’observation des conditions de vie (Crédoc), Paris,p. 6.
8 Das Medianeinkommen ist jenes Einkommen, das die Bevölkerung in zwei gleich große Teile trennt, nämlich diejenigen, deren Einkommen höher ist als das Medianeinkommen und diejenigen, deren Einkommen
niedriger ist als das Medianeinkommen. Das Medianeinkommen ist somit nicht dasselbe wie das Durchschnittseinkommen,welches üblicherweise höher ist.
9 Der Crédoc (Centre de recherche pour l’étude et l’observation des conditions de vie) in Paris ist ein Studien-und Forschungsinstitut in Diensten der Akteure des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Es entwickelt methodologische Werkzeuge, die den jüngsten Forschungsergebnissen Rechnung tragen und die Qualität seiner Studien sichern.
10 Siehe STATEC (2013). Rapport travail et cohésion sociale, Cahier économique n°116, Luxembourg.
11 Dieser Abschnitt orientiert sich zu großen Teilen an den Abschnitten 4.1.1 und 4.1.2 des Sozialalmanach 2015 von Caritas Luxemburg, weitere Details sind dort nachzulesen: siehe Urbé (2015).
12 Europäische Kommission (2015). Rapport 2015 pour le Luxembourg, Document de travail des services de la commission, SWD (2015) 35 final, Bruxelles.
13 BEPS = Base erosion and profit shifting, siehe Haslehner (2015). „Implications of the OECD BEPSInitiative for a small country like Luxembourg“ in: Georges, N.; Schronen, D. & Urbé, R. (Hrsg.) Sozialalmanach 2015, Luxemburg.
14 Piketty, T. (2013). Le capital au XXIe siècle, Les Livres du Nouveau Monde, Éditions du Seuil, Paris;Landais C., Piketty, T. & Saez, E. (2011). Pour une révolution fiscale. Un Impôt sur le revenu pour le XXIe siècle, Éditions du Seuil et La République des Idées.sowie Georges (2015). „Travaux de Piketty: quellesconclusions pour le Luxembourg?“, in: Georges, N.;Schronen, D. & Urbé, R. (Hrsg.) Sozialalmanach 2015,Luxemburg.
15 Europäische Kommission (2015).
16 Europäische Kommission (2015), sowie auch Ewringmann & Gerhards (2015).
17 Europäische Kommission (2015) und Mahler, A. &Runkel, M. (2016). Ein nachhaltiges Steuersystem für Luxemburg, Eckpunkte und Ausgestaltungsvorschläge für eine ökologisch-soziale Steuerpolitik, Studie im Auftrag von Mouvement écologique, Forum ökologisch-soziale Marktwirtschaft, Berlin.
18 Europäische Kommission (2014). „Towards tax reforms that reconcile efficiency and equity concerns“,Beilage zu EU Employment and Social Situation Quarterly Review, Dezember 2014, Luxemburg.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
