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Storytelling at its best
Zur transdisziplinären Ausstellung „Von Orchideen, Kakao und Kolibris – Luxemburger Naturforscher und Pflanzenjäger in Lateinamerika“ im natur musée
In einem rezenten Blogbeitrag mit dem Titel Unicorn Horns: How Storytelling Transforms Museum Experiences1 geht Tiffany Rhoades, (Audience Development Assistant beim US Museum Tour Operator Museum Hack) auf die „Seven principles of Museum Storytelling“2 ein. Hierbei greift sie auf den Aufsatz „Constructing a Cultural Context through Museum Storytelling“ der Vermittlungsforscher Margaret und Raymond DiBlasio aus dem Jahr 1983 zurück. Auf was hierbei genau zu achten ist, kann anhand der aktuellen Ausstellung „Von Orchideen, Kakao und Kolibris – Luxemburger Naturforscher und Pflanzenjäger in Lateinamerika“ exemplarisch gezeigt werden. Kuratiert wurde die Ausstellung vom Historiker und früheren Sekundarschullehrer Claude Wey. Es mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, dass das Luxemburger naturhistorische Museum einem externen Historiker das Kuratorium seiner großen jährlichen Sonderausstellung überträgt. Es zeugt aber vor allem von einer in Museumskreisen leider immer noch nicht selbstverständlichen interdisziplinären Aufgeschlossenheit der Verantwortlichen. Die Szenografie lag in den Händen der hauseigenen Gestalterin Simone Backes. Man merkt der Schau an, dass sich die beiden Ausstellungsmacher gegenseitig durch ihre Freude am Erzählen beflügelten.
„An effective museum story balances entertainment and factual soundness“
Angesichts der Heterogenität des heutigen Museums-publikums ist dies sicher die wichtigste der sieben goldenen Regeln der DiBlasios. Sie spricht die Suche von heutigen Museums-Besuchern wie Nicht-Besuchern nach „extended learning“ oder „Infotainment“ an, auf die in Publikumsstudien wie der von der niederländischen Museumsvereinigung in Auftrag gegebenen „Agenda 2026“3 hingewiesen wird.
Angefangen beim geschickt verfremdet nachempfundenen großbürgerlichen Salon bis hin zu den comicartig gestalteten Urwaldschauplätzen, trägt die bemerkenswert gut in die urige Architektur des balkenreichen Dachgeschosses des natur musée eingepasste Ausstellungsarchitektur wesentlich zum Unterhaltungswert der Schau bei. Simone Backes gekonntes Spiel mit Plastikpflanzen und Ethnomobiliar verwandelt die Ausstellung in ein Filmset. Ästhetisch ist der Gestalterin dabei hoch anzurechnen, dass sie nicht krampfhaft versucht, Wirklichkeit nachzubilden, sondern den Kitsch der Accessoires einsetzt, um dem Publikum die Künstlichkeit des Ausstellungsraumes bewusst zu machen. Dabei vergisst sie nicht, dass die wesentliche Aufgabe jeder Ausstellungsszenografie die Unterstützung der Narrative ist.
Im bereits erwähnten Salon, in dem die surreale Reise beginnt, ist der Besucher bemüht, nicht auf die aufgedruckten Perserteppiche zu treten, wenn er sich dem Porträt Jean-Pierre Pescatores nähert, um herauszufinden, was der Luxemburger Vorzeige-
geschäftsmann und Bankier des 19. Jahrhunderts mit den Luxemburger Naturforschern, die zwischen 1830 und 1930 Lateinamerika bereisten, zu tun hat. Orchideen sind das Zauber- und Schlüsselwort.
Hier tritt der Erzähler Claude Wey in Erscheinung. Er verbindet „harte“ historische Fakten mit seiner persönlichen Einschätzung derselben, um den Besucher dazu zu bewegen, selbst Stellung zu beziehen. Pescatore, dessen Kunstsammlung im städtischen Kunstmuseum Villa Vauban eine definitive Bleibe gefunden hat, wird weniger als Kunstsammler denn als einer der bekanntesten europäischen Orchideen-Sammler in die Geschichte eingehen, so Wey. Mitte des 19. Jahrhunderts besaß er eine der reichsten und vielfältigsten Orchideen-Sammlungen auf dem europäischen Kontinent. Ihre Entstehung wäre ohne die Zulieferungen der Luxemburger Pflanzensammler und Forschungsreisenden Nicolas Funck, Jean Linden
und Louis-Joseph Schlim undenkbar gewesen.
„An effective museum story is compact“
Wey und Backes haben eine spannende Ausstellungsdramaturgie entwickelt und ihre Geschichte mittels verschiedener Schauplätze, die der Besucher durchwandert, in kompakte kurze Episoden gegliedert: im Salon, auf dem Schiff, bei den Missionaren, auf Pflanzenjagd, etc. Diese „Sets“ dienen, wie es der Kulturwissenschaftler und Museologe Gottfried Korff ausdrückt, der „Anordnung von Objektensembles unterschiedlicher Valeur, Überlieferungsart und Anmutungsqualität, entsprechend der Aussage-
absicht“ der Ausstellung. Die Ausstellungsmacher haben in den kompakten Kapiteln, „einprägsame, suggestive Bilder“ geschaffen, die „historische Imaginationen und Einsichten“ befördern. Sie schaffen es, den „Besucher (zum) Teil des Ambientes, welches zum Zweck der Eindrucks- und Einsichtvermittlung aufgebaut ist (zu machen). Rezeptionsästhetisch gesprochen: Der Besucher wird […] in der Rezeption der Dingarrangements […] Sinnproduzent.“4
Bedauerlich ist, dass es den Ausstellungsmachern nicht gelungen ist, den Rundgang mit einem dramaturgisch starken Akzent zu beenden. Dies mag zum Teil daran liegen, dass der Sonderausstellungsraum keinen Rundgang zulässt, es ist aber auch der Verwässerung der Inhalte gegen Ende der Ausstellung geschuldet.
„An effective museum story is concrete, employing highly visual language“
Das natur musée zeigt bisher wenig bekannte Exponate aus Privatsammlungen wie aus eigenen Beständen. Zu nennen sind hier die aus dem Familienarchiv Servais stammenden Zeichnungen, die der Ingenieur und Mineraloge Frantz Majerus (1819-1877) während seiner Mexikoaufenthalte anfertigte. Darüber hinaus stellte die Familie Servais dem Museum eine Mineraliensammlung, die Majerus von einem Mexikoaufenthalt 1853 mitgebracht hatte, zur Verfügung. Diese ergänzt eine andere mexikanische Mineraliensammlung, welche der Forscher dem Museum bereits 1854 abgetreten hatte.
Ein weiterer Genuss für die Augen sind prachtvolle historische Vogelpräparate aus den Sammlungen L.A. Picard et Jules Saur, die über ihren dokumentarischen Wert für die Ausstellung hinaus auch noch ein Stück Museumsgeschichte erzählen. 1872 schenkte L.A. Picard dem Museum 41 Kolibris aus Brasilien, Mexiko, Peru, Venezuela und Ecuador. Jules Saur überließ dem Haus etwa zur gleichen Zeit 165 Artefakte aus Südamerika, meist Kolibris, Tukane und Papageien.
Last but not least sind Exponate aus dem reichhaltigen Museumsfonds Edouard Lujas zu sehen.
„An effective museum story is personally appealing“
Claude Wey präsentiert „seine“ Abenteurer, Forscher und Geschäftemacher als individuelle historische (Anti-?)Helden. In der Wissensvermittlung setzt er auf die Empathie, die der Betrachter zu ihnen aufbaut, „als produktive Irritation im Lernprozess“. „Das Potenzial der Empathie liegt aber nicht nur darin, Alterität zu überbrücken, sondern sie auch spürbar und erkennbar werden zu lassen“, erläutert die Bildungsforscherin Juliane Brauer den Zusammenhang zwischen „Empathie und historischen Alteritätserfahrungen“. „In der Konsequenz dieses Lernens kann historische Empathie an den Vorstellungsbildern des Beobachters rütteln und eben auch eine höhere Sensibilität gegenüber dem Anderen/Fremden einfordern.“5
So unternimmt der Besucher zusammen mit dem Naturforscher Nicolas Funck, der zwischen 1835 und 1846 auf vier Expeditionsreisen Südamerika, Mittelamerika und die Karibik erforschte, eine beschwerliche Schiffsreise. Auf der Überfahrt berichtet ihm Funck, dass die „Galiasse, von kaum 300 Tonnen […] 8 Matrosen, Kapitän und Steuermann, im Ganzen also nur zehn Mann, inklusive des Koches, der auch Matrosendienste zu leisten hatte (zählt). Dagegen […] die Ratten und Kakerlaken in unzähligen Scharen vertreten (sind)“. 6
Die gelungene Verschmelzung von didaktischen Texten mit Quellentexten, Briefen und Erinnerungen ist eine der intellektuellen Stärken der Schau. Der Historiker Claude Wey beweist sich auf der Textebene als erfahrener Pädagoge, der es versteht, sein Publikum zu führen. Wohl dosiert kann der Besucher auswählen, wie weit er in die Tiefe gehen will, respektive wie intim er seine Helden kennen lernen will. In Schriftrollen, die in einem Möbel verstaut sind, kann er u.a. erfahren, was er „über das Privatleben der Luxemburger Forschungsreisenden beim Ausstellungsbesuch wissen (wollte), aber bisher nicht zu fragen wagte!“ So erkundigt sich der Halbedelstein-Prospektor Robert Becker in einem Brief, den er am 26. Mai 1897 in der brasilianischen Ortschaft Caitité abschickte, bei seinem Freund Dr. Nepper aus Ettelbrück: „Ist Syphilis direkt durch Berührung oder Vermittlung von Gebrauchsgegenständen ohne geschlechtlichen Verkehr ansteckend?“
„An effective museum story not only describes artefacts, but tells how some of them are made“
Eine allein schon durch ihre Größe beeindruckende Installation, in der das Publikum das zerstörerische Wirken von lebenden brasilianischen Blattschneiderameisen beobachten kann, lässt den Besucher verstehen, warum der Anleger von Kaffeeplantagen Edouard Luja sich für diese Insekten interessierte: „Les dégâts que ces bestioles causent aux cultures, notamment à celles du maïs, à la canne à sucre, aux bananiers, aux orangers, aux caféiers et à d’autres plantes cultivées sur une grande échelle, représentent des sommes fantastiques.“7
„An effective museum story dislodges mistaken stereotypes“
Wey räumt auf mit dem Bild des weltfremden Forschers, dem es nicht auf materielle Werte ankommt. Edouard Luja, der sich selbst zeitlebens als Agronom bezeichnete, stand während seiner sukzessiven Kongo-Aufenthalte im Dienste belgischer Firmen, wie z.B. der Compagnie Lacourt und der Compagnie congolaise des cafés, für die er Plantagen anlegte. Der Historiker kommentiert trocken: „Es ist also kaum vermessen zu behaupten, dass die berufliche Karriere des luxemburgischen Staatsbürgers Luja sich größtenteils im Kontext der belgischen Kolonialpolitik und wirtschaftlichen Kolonialinteressen abspielte.“
„An effective museum story invites crosscultural comparison“
Die Ausstellung „Von Orchideen, Kakao und Kolibris – Luxemburger Naturforscher und Pflanzenjäger in Lateinamerika“ ist sowohl historisch, wie anthropologisch als auch naturwissenschaftlich. Jede Episode lädt den Besucher ein, sich zu fragen, wie er in einer bestimmten Situation reagiert hätte. Und dass „Helden“ auch ihre dunklen Seiten haben, lässt ihn Wey insbesondere am Beispiel des Wirkens Luxemburger Missionare erfahren. Im 17. Jahrhundert legten die Jesuiten Johann Philipp Bettendorff und Gaspar Misch in Brasilien sowie Guillaume Hotton in Mexiko durch ihr Wirken die Grundlage für religiös-kirchliche, aber auch für entwicklungspolitisch orientierte Beziehungen zwischen Luxemburg und Lateinamerika. Zunächst erfährt der Besucher, dass Johann Philipp Bettendorff 1677 den Kakaoanbau in der Maranhão-Gegend einführte. Aus der Information, dass er sich zusammen mit seinem ersten Vorgesetzten, Provinzial António Vieira, im Kontext der jesuitischen Missionierungsvorhaben für die Belange der Indio-Völker einsetzte, ergibt sich ein ansprechendes positives Bild, das der Kurator dann durch kritische Worte seines Historikerkollegen Bodo Bost zu relativieren weiß: „Die neuen Garantien für die Indios waren jedoch nur möglich, weil Vieira eine andere Gruppe von Schutzbedürftigen, gegen deren Ausbeutung er vorher in seinen Predigten ebenso vehement gekämpft hatte wie gegen die der Indios, nämlich die aus Afrika importierten Sklaven, den kolonialen Interessen geopfert hatte.“8
Fazit
Die aktuelle Ausstellung des natur musée ist ein gelungenes Beispiel für die Umsetzung der Publikumsstrategie des Hauses, die sein Kommunikations-beauftragter Patrick Michaely kurz und prägnant in dem von Marion Colas-Blaise, Céline Schall et Gian Maria Tore herausgegebenen Textband zur gleichnamigen Tagung „Parlons musées!“ dargestellt hat: Sie richtet sich unterhaltsam und informativ an die fünf Nutzerkategorien, die das Museum mit seinem Programm ansprechen will: Kinder von 6-10 Jahren (inner- und außerhalb des Schulbetriebs), Jugendliche von 11-18 Jahren, Familien, Erwachsene und Experten.9
„Von Orchideen, Kakao und Kolibris – Luxemburger Naturforscher und Pflanzenjäger in Lateinamerika“ spricht die Ausstellungssprache des ausgehenden 20. Jahrhunderts und zeigt damit, dass diese Stilmittel auch heute noch attraktiv sein können. Der Ausstellungskritiker hätte sich allerdings auch ein partizipatives Angebot gewünscht, um insbesondere mit dem (Nicht)-Publikumssegment der jungen Erwachsenen in Dialog zu treten. Wer aber dem Kommunikationsbeauftragten des natur musée Patrick Michaely in den sozialen Medien folgt, der ahnt, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis das Haus mit attraktiven transmedialen extended learning Angeboten überraschen wird.
Es gilt für jegliche museale Publikumsarbeit das John Steinbeck Zitat: „If a story is not about a hearer, he will not listen. And here I make a rule – a great and interesting story is about everyone or it will not last.“
1 https://museumhack.com/unicorn-horns/ (Stand: 4.3.2016).
2 Margaret DiBlasio, Raymond DiBlasio: „Constructing a Cultural Context through Museum Storytelling“, in: Roundtable Reports, Vol.8, No. 3 (Spring, 1983), S. 7-9.
3 http://www.museumvereniging.nl/Portals/0/6-Publicaties/Bestanden/Agenda%202026%20PDF%20v4%2035231%20eng%20hires.pdf (Stand: 4.3.2016).
4 Gottfried Korff (2007): Museumsdinge: deponieren – exponieren,Köln, S. 380.
5 Juliane Brauer (2013): „Empathie und historische Alteritätserfahrung“,in: dies., Martin Lücke (Hg.), Emotionen, Geschichte und historisches Lernen. Geschichtsdidaktische und geschichtskulturelle Perspektiven, Göttingen, S. 89.
6 Nicolas Funck (Jahr): „1909. Reise-Erinnerungen“, in: OnsHémecht: 349.
7 Luja (1946) „Les Atta. Acromyrmex discigera, Mayr. fourmis coupeusesde feuilles du Brésil“, in : Bulletin de la Société des naturalistes luxembourgeois 51 : 5-11, vr. S. 5.
8 Bodo Bost (2005): Johann Philipp Bettendorff SJ. (1625-1698),in : Hémecht 1/2005, Luxembourg, S. 87.
9 Patrick Michaely (2014): „Le Musée national d’histoire naturelle“in: Marion Colas-Blaise, Céline Schall et Gian MariaTore , Parlons Musée! Panorama des théories et pratiques, Luxembourg, S.191-194.
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