- Klima, Natur
Strom aus Wasserkraft
Im Spannungsfeld von Klima- und Naturschutz
2019 wurde knapp die Hälfte des Stromverbrauchs (46,9 %) in Luxemburg durch Wasserkraft gedeckt.1 Dabei wird diese Form der Stromproduktion des Öfteren wegen ihrer vermeintlichen Vorteile für die Umwelt als „grün“ bezeichnet – aber ist sie das wirklich?
Seit den frühen 1960er Jahren wird in Luxemburg mit Hilfe der Wasserkraft Strom produziert. Ein Großteil des produzierten Stroms entfällt dabei auf die 1964 erbaute Wasserkraftanlage in Vianden. Diese stellt jedoch als Pumpspeicherkraftwerk eine Besonderheit dar. Bis auf eine weitere Ausnahme – das Speicherkraftwerk am Obersauer-Stausee – sind die restlichen rund 35 Wasserkraftwerke sogenannte Laufwasserkraftwerke, bei denen das Flusswasser durch die Anlage fließt, ohne vorher in einem größeren Speichersee zurückgehalten zu werden.2 Allen Anlagetypen ist dagegen gemein, dass bei der Erzeugung von Strom aus Wasserkraft die Energie des Wassers in elektrische Energie umgewandelt wird. Damit die erzeugte Energie möglichst groß ist, versucht man den Höhenunterschied zwischen Oberwasser und Unterwasser eines Wasserkraftwerks zu vergrößern. Um dieses Ziel zu erreichen, wird an Flüssen Wasser über ein künstliches Wehr oder eine Staumauer aufgestaut, wodurch sich der Wasserspiegel im Oberwasser der Wasserkraftanlage erhöht.
Erneuerbare Energie – Klimaschutz
Bei der Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energien zur Eindämmung des Klimawandels spielt die Wasserkraft weltweit gesehen eine wichtige Rolle. Laut IPCC-Bericht soll die jährlich global erzeugte Strommenge mittels Wasserkraft von 2008 bis 2035 um 70 % gesteigert werden.3 In Luxemburg zeichnet sich hingegen für die Zukunft eine Stagnation der durch Wasserkraft produzierten Strommenge ab.4 Da bis 2040 keine Zunahme des aktuellen Stromverbrauchs erwartet wird, bleibt der Anteil der luxemburgischen Wasserkraft am Stromverbrauch voraussichtlich gleich und beträgt ungefähr 1,5 %.5 Die Diskrepanz dieses deutlich geringeren Prozentsatzes im Vergleich zum Gesamtanteil der Wasserkraft von 46,9 % am Stromverbrauch erklärt sich durch die massiven Stromimporte Luxemburgs.
Dabei ist zu bemerken, dass das Pumpspeicherkraftwerk an der Our bei Vianden nicht in diese Bilanz der Wasserkraft einfließt, da es Energie zwischenspeichert und in der Nettobilanz keinen Strom erzeugt. Wenn ein Überschuss an Strom im europäischen Netz besteht, der Strom also billig ist, wird Wasser aus dem Our-Stausee in den höher gelegenen künstlichen See gepumpt. Steigt die Nachfrage an Strom wieder an, wird das Wasser auf die umgekehrte Reise geschickt, um mit Hilfe der Turbinen Strom zu produzieren.6 Warum wird die erneuerbare Energie aus Wasserkraft in Luxemburg nicht weiter ausgebaut? Ist dies nicht fahrlässig im Ringen um ein Eindämmen der Klimaerwärmung?
Naturschutz
Die Wehre einer Wasserkraftanlage stellen Wanderhindernisse für Fische dar, die dadurch an ihren Reisen durch die Flussläufe gehindert werden. Fische benötigen jedoch diese Reisefreiheit, um zu Nahrungsgebieten, Winterunterkünften oder zu Laichplätzen zu wandern. In Luxemburg wird z. B. der Europäische Aal durch die Staumauern am Obersauer-Stausee und am Kraftwerk in Vianden an seiner natürlichen Wanderung in die obere Sauer und die Our gehindert.7 Hinzu kommt, dass Wehre den natürlichen Geschiebetransport eines Flusses, also den Transport von Feststoffen wie Kies und Steinen durch die Fließkraft des Wassers, unterbrechen. Durch den Mangel dieses Geschiebes im Unterlauf fehlen Kiesbänke als Brutplätze für einzelne Vogelarten, und im Kies laichenden Fischarten wie der Bachforelle gehen Laichplätze verloren.
Das natürliche Gleichgewicht aus Erosion und Ablagerung an der Flusssohle wird durch die Wasserkraftanlagen gestört. Da der Geschiebetransport durch das Wehr verringert wird, überwiegt im Unterwasser von Wehren die Erosion. Flüsse graben sich also immer tiefer in ein Tal ein. Ein Beispiel für eine solche Eintiefung lässt sich an der Mamer zwischen Schoenfels und Mersch beobachten. Unterhalb des Wehres der nicht mehr betriebenen Mühle in Schoenfels hat sich die Mamer eingetieft.
Warum kann die Eintiefung eines Flusses problematisch sein? Natürlicherweise tritt ein Fluss im Schnitt alle ein bis zwei Jahre bei Hochwasser über die Ufer und überschwemmt den angrenzenden Talraum, die Flussaue. Durch eine Störung des Geschiebetransportes und eine Vertiefung der Flusssohle verbleibt das bei Hochwasser natürlicherweise in der Aue zurückgehaltene Wasser im Flussbett. Eine ursprüngliche Aue ist jedoch auf regelmäßige Überflutungen angewiesen. Fallen diese weg, ist dieser artenreiche Lebensraum nicht mehr überlebensfähig.
Bei einer Überflutung der Aue würde durch die Bremswirkung der Vegetation auch die Fließgeschwindigkeit des Wassers gedrosselt. Durch eine Eintiefung des Flusses werden folglich weder die Wassermenge noch deren Tempo in Richtung unterliegender Ortschaften bei höheren Abflüssen reduziert, was zu größeren Hochwasserschäden führen kann. Eine natürliche Anbindung der Aue ist daher nicht nur für den Naturschutz wichtig, sondern bietet zudem einen natürlichen Schutz vor Hochwasser.
Wehre haben auch negative ökologische Auswirkungen auf das Oberwasser, welches vom Wehr zurückgestaut wird. Durch die damit verringerte Fließgeschwindigkeit des Wassers können sich feine Sedimente an der Flusssohle absetzen, wodurch ein Sauerstoffmangel im Boden verursacht wird, der wiederum zum Verlust wichtiger Laichplätze für Fische führt. Durch das nur noch langsam fließende Wasser erhöht sich zudem die Wassertemperatur und die Sauerstoffkonzentration im Wasser wird reduziert. Beide Faktoren können sich negativ auf eine Vielzahl verschiedener Tier- und Pflanzenarten auswirken.
An vielen Wasserkraftanlagen wird ein Teil des Flusswassers über das Wehr in einen separaten Kanal ausgeleitet und erst nach dem Durchfluss der Turbine wieder in das ursprüngliche Flussbett zurückgeführt. Entlang des Kanals fehlt somit Wasser im ursprünglichen Flussbett – der sogenannten Ausleitungsstrecke. Vor allem in trockeneren Jahreszeiten kann dies dazu führen, dass in der Ausleitungsstrecke nicht mehr genügend Wasser für Fische und andere Lebewesen zur Verfügung steht.
Wasserrahmenrichtlinie
Mit der europäischen Wasserrahmenrichtlinie8 wurde auch für Luxemburg ein rechtlicher Rahmen geschaffen, der für einen Großteil der Gewässer den guten ökologischen Zustand bis 2027 als Ziel definiert hat. Dabei gilt ein Verschlechterungsverbot, nach dem der aktuelle ökologische Zustand eines Gewässers zumindest erhalten werden muss. Aufgrund der beschriebenen ökologischen Probleme ist daher der Neubau einer Wasserkraftanlage heute mit sehr hohen Auflagen verbunden. Zudem gilt ein Verbesserungsgebot, dass in Bezug auf bestehende Wasserkraftanlagen vor allem deren Passierbarkeit für die Fischfauna fordert. Dafür werden in Luxemburg bei der Erneuerung der sogenannten Wasserrechte, die den Anlagenbetreibern eine Nutzung des Flusswassers erlauben, die Fischdurchgängigkeit mit Hilfe von Fischtreppen und eine Mindestwasserabgabe in die Ausleitungsstrecken vorgeschrieben.9
Fischtreppen sind jedoch kein Allheilmittel. Die komplexen Strömungsverhältnisse in Flüssen machen deren richtige Gestaltung schwierig und nicht immer gelingt allen Fischen deren Durchwanderung. Zudem lassen sich weder der fehlende Geschiebetransport im Unterwasser noch Staueffekte im Oberwasser durch diese Hilfsmaßnahme merklich beheben.
Verbesserungsgebot und Verschlechterungsverbot der Wasserrahmenrichtlinie führen daher in Luxemburg dazu, dass die aus Wasserkraft produzierte Strommenge wegen der negativen ökologischen Auswirkungen sehr wahrscheinlich nicht maßgeblich zunehmen wird. Es muss gleichwohl erwähnt werden, dass das Potenzial für die Wasserkraft in Luxemburg auch wegen der topografischen Randbedingungen und der schon bestehenden Anlagen bereits größtenteils ausgeschöpft ist.10
Weiternutzung und Rückbau
Eine Kompromisslösung zu finden, bei der Klimaschutz und Naturschutz gleichermaßen berücksichtigt werden, ist nicht einfach. Ein Leitgedanke ist der Rückbau von nicht mehr genutzten Wasserkraftanlagen einschließlich ihrer Wehre und die ökologische Verbesserung weiterhin betriebener Anlagen. Die Installation effizienterer Turbinen kann dabei eine Möglichkeit sein, die Stromproduktion zu erhöhen, ohne zusätzlich in den Fluss durch bauliche Maßnahmen eingreifen zu müssen.
Beim aus ökologischer Sicht zu begrüßenden Rückbau von nicht mehr genutzten Anlagen ist zu berücksichtigen, dass bestehende Infrastruktur wie Straßen und Bauwerke oder auch schützenswerte historische Gebäude (z. B. Mühlen) durch den Rückbau negativ beeinträchtigt werden können. Hier kann eine Kompromisslösung zum Beispiel der teilweise Rückbau eines Wehres sein, bei dem die Infrastruktur geschützt wird und die Durchgängigkeit des Flusses verbessert wird.
Schlussgedanken
Den Rückbau oder die Weiternutzung einer Wasserkraftanlage objektiv gegeneinander abzuwägen, ist nicht immer einfach. Ist der Nutzen einer Anlage für den Klimaschutz und die Versorgungssicherheit größer, oder überwiegen die negativen Auswirkungen auf die Natur und das Gewässersystem? Der Rückbau von Wasserkraftanlagen kann neben den positiven Folgen für die Gewässerökologie auch vorteilhaft für den Hochwasserschutz oder sogar den Klimaschutz sein. Die Wiederherstellung von naturnahen Auwäldern an Flüssen leistet zum Beispiel auch einen Beitrag bei der Reduzierung von Treibhausgasemissionen.11 Andererseits wird die CO2-Bilanz von Wasserkraftwerken im Vergleich zu vielen weiteren Energieträgern als sehr „klimafreundlich“ eingeschätzt, was eher für eine Weiternutzung von bestehenden Anlagen spricht.12 Zudem gewinnen Pumpspeicherkraftwerke wie in Vianden im Zuge des Ausbaus der Windkraft immer mehr an Bedeutung als Energiespeicher.13
Wasserkraftanlagen sind trotz allem bei Weitem nicht der einzige Faktor, der den ökologischen Zustand von Flüssen und Bächen negativ beeinträchtigt. Pestizid- und übermäßige Nährstoffeinträge, Schifffahrt, Begradigungen und das Verbauen von Ufer und Flusssohle sind nur ein Teil weiterer Faktoren, die negative Auswirkungen auf die Gewässer haben.
Der Ausbau erneuerbarer Energien ist im Hinblick auf den Klimaschutz unerlässlich. Jede Form der Energieerzeugung bleibt aber ein Eingriff in die Natur und stört das natürliche Gleichgewicht intakter Ökosysteme mit weitreichenden Folgen. Die Senkung des Ressourcen- und Energieverbrauchs bleibt daher das oberste Gebot, um die Klimakrise möglichst im Einklang mit der Natur zu bewältigen. Denn: Wer durch reduzierten Ressourcenverbrauch die Natur schont, schützt die Lebensgrundlagen des Menschen. Sollte die Erhaltung eben dieser Lebensgrundlagen nicht wichtiger sein als unsere vermeintliche Freiheit auf unendlichen Konsum?
- Institut Luxembourgeois de Régulation – Règlement ILR/E20/30 du 10 juillet 2020 portant publication de la composition et de l’impact environnemental du mix national pour l’année 2019 – Secteur électricité.
- Ministère du Développement Durable et des Infrastructures – Administration de la gestion de l’eau, „Umsetzung der europäischen Wasserrahmenrichtlinie (2000/60/EG) – Bewirtschaftungsplan für die luxemburgischen Anteile an den internationalen Flussgebietseinheiten Rhein und Maas (2015-2021)“, Luxemburg, 22. Dezember 2015, S. 58, 100, 249.
- https://www.ipcc.ch/site/assets/uploads/2018/03/Chapter-5-Hydropower-1.pdf, S. 487 (alle Internetseiten, auf die in diesem Beitrag verwiesen wird, wurden zuletzt am 24. August 2020 aufgerufen).
- Ministére de l’Énergie et de l’Aménagement du territoire, Ministére de l’Environnement, du Climat et du Développement durable, „Entwurf – Integrierter nationaler Energie- und Klimaplan Luxemburgs für den Zeitraum 2012-2030”, Luxemburg, 7. Februar 2020, S. 36-37.
- Hierbei sei angemerkt, dass diese Prognose eine mögliche Ansiedlung von größeren Stromverbrauchern (wie z. B. dem Google Datacenter in Bissen) nicht berücksichtigt.
- https://www.tageblatt.lu/wirtschaft/story/Spitzenstrom-fur-den-deutschen-Markt-24073496.
- Siehe Anm. 2, S. 339.
- Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik.
- Siehe Anm. 2, S. 296.
- Ebd., S. 249.
- Mathias Scholz u. a., „Ökosystemfunktionen von Flussauen. Analyse und Bewertung von Hochwasserretention, Nährstoffrückhalt, Kohlenstoffvorrat, Treibhausgasemissionen und Habitatfunktion“, Münster, BfN, 2017 (= Naturschutz und Biologische Vielfalt, Nr. 124).
- https://www.bundestag.de/resource/blob/406432/70f77c4c170d9048d88dcc3071b7721c/wd-8-056-07-pdf-data.pdf, S.21-25.
- Siehe Anm. 4, S. 161-162.
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