Studien, Studien, Studien
Wohin mit den Migrationsstudien in diesem Land?
Die Veranstaltung vom European Migration Network (EMN) am 6. und 7. Oktober 2014 veranlasste mich hinter dem Ofen hervorzukriechen und nach Neumünster zu radeln, weil mich das Thema Business related migration. The position of Luxembourg within Europe and beyond interessierte.
Aus diversen Gründen war es mir letztendlich doch nicht möglich, an allen drei Veranstaltungstagen in Neumünster anwesend zu sein. Um dem Thema trotzdem nachspüren zu können und EMN besser kennenzulernen, vereinbarte ich ein Interview mit Christel Baltes-Löhr, Koordinatorin des Luxemburger Ablegers des europäischen Migrationsnetzwerkes EMN. Das Interview fand schließlich am 21. Oktober auf dem Campus Walferdingen statt. Die Essenz dieses Gespräches möchte ich den forum-Lesern nicht vorenthalten.
Zunächst machte ich Frau Baltes-Löhr darauf aufmerksam, dass die Veranstaltung zwar hochkarätige Beiträge zu business related migration aus dem kanadischen und mexikanischen Raum enthielt, mir aber der Bezug zum luxemburgischen Kontext fehlte. Sie erkennt in solchen Beiträgen trotzdem einen Mehrwert: „Aus unserer Wahrnehmung und Einschätzung stellt sich heraus, dass durch detaillierte Kenntnisse der jeweiligen Migrations- und Asylpolitiken, z.B. in Kanada oder Neuseeland, neue Perspektiven eröffnet werden.“ Es stimme jedoch, dass es bei Veranstaltungen internationalen Charakters leider oft an Zeit fehle, Verknüpfungen zu der jeweiligen lokalen Realität herzustellen.
Seit dem Bestehen des Netzwerks zeichnet es sich durch einen regen Publikationseifer aus. Mich interessierte, welchem Schicksal diese Schriften erliegen. Verschwinden sie in einem verstaubten Regal des Campus Walferdange? Anscheinend ist dem nicht so: „Das Festival des migrations stellt seit Jahren einen ganz wichtigen Rahmen dar, um unsere Publikationen vorzustellen und auch zu verteilen. Seit 2009 haben wir sechs politische Jahresberichte für Luxemburg in französischer und englischer Sprache verfasst; 21 Studien zu Themen wie reguläre, irreguläre, temporäre oder zirkuläre Migration; Visapolitiken, Arbeitskräftemangel und Migration, soziale Sicherungssysteme und Migration, wirtschaftsbezogene Migration, Situation internationaler Studierender. Die Themen der Studien werden zusammen mit allen NCPs und der Kommission jeweils im Vorjahr diskutiert und in einem geregelten Verfahren verabschiedet. […] So sind aus den umfangreichen — oft englischen — Dokumenten zugänglichere „Heftchen“ geworden, die eine größere LeserInnenschaft erreichen. Auch haben wir seit einigen Jahren die Studienergebnisse regelmäßig mit Ministerien und NGOs erörtert.“
Doch die Frage bleibt im Raum, wen diese Publikationen im Endeffekt erreichen — etwa auch die politischen Entscheidungsträger? Die Antwort fällt eher ernüchternd aus. Baltes-Löhr meint, es wäre in der Tat sinnvoll die Publikationen Politikern vorzulegen, dies hätte aber bisher über das Festival des migrations hinaus nicht realisiert werden können.
Dann fährt sie fort, ihren Einsatz zu erklären: „In diesem Jahr haben wir auf nationaler Ebene noch ein neues Format entwickelt, indem wir neben der alljährlichen European Migration Network — National Contact Point Luxembourg Konferenz seit November Lunchtime-Seminare mit ausgewiesenen ExpertInnen ausrichten. Jedem Lunchtime-Seminar folgt am nächsten Tag ein thematisch nahe stehender Film, der im Kino Utopia gezeigt und auch diskutiert wird.“ Hier stellt sich allerdings die Frage, wer zu solch vielversprechenden englischsprachigen Veranstaltungen kommen wird.
Da das Office Luxembourgeois d’Acceuil et de l’Intégration (OLAI) ein Partner von EMN ist, stellt sich mir des Weiteren die Frage, wie die vielseitige Kritik an OLAI sich gegebenenfalls auf die Zusammenarbeit mit EMN auswirken kann. Vom Audit1 habe man in der Presse gelesen, die Zusammenarbeit mit OLAI sei hochprofessionell … Irgendwie freut es mich zu hören, dass zumindest einer das OLAI so einschätzt.
Nun werden auf dem Walferdinger Campus Lehrer und Sozialarbeiter für die multikulturelle Luxemburger Gesellschaft ausgebildet. Es interessiert mich, wie sich die Forschungserkenntnisse bezüglich Migration auf die Ausbildung dieser jungen Leute auswirken. Auch hier ist die Antwort enttäuschend. Baltes-Löhr erklärt mir nämlich, dass Migration ein Bereich sei, in dem an der Uni Luxemburg zwar viele Doktoranden arbeiten, der auf der Bachelor- und Masterebene jedoch wenig präsent sei.
Ohne die Module der jeweiligen Ausbildung genau zu kennen, ist, laut Baltes-Löhr, Migration bei einzelnen Kollegen ein Thema. Hier drängt sich die Frage nach der fächerübergreifenden Koordination von Lehre und Forschung in der Universität Luxemburg auf.
Frau Baltes-Löhr hat zudem ein EMN-Dokument2 über das Centre de rétention3 (wobei der deutsche Begriff „Abschiebehaft“ besser verdeutlicht, worum es sich hierbei handelt) zu verantworten. Dieses soll auch Alternativen zur Haft aufzeichnen.
EMN hatte vor der Verfassung dieses Berichts ein Gepräch mit der Direktion, jedoch keines mit Betroffenen (retenus). Ich persönlich schätze die Direktion des Centre sehr, aber ich kann mir vorstellen, dass die Sicht der Betroffenen von Interesse, wenn nicht sogar von großer Bedeutung für den Bericht gewesen wäre. Ein Gespräch mit Betroffenen hätte laut Baltes-Löhr jedoch forschungsmethodologische Fragen aufgeworfen. „Um die Menschen, die in den Zentren leben, miteinzubeziehen, hätten wir eine anders ausgerichtete Studie machen müssen. Es war nicht Gegenstand dieser Studie zu fragen, welche Perspektiven Menschen in solchen Einrichtungen haben.“ Ich tue mich schwer mit dieser Aussage. Sind die Perspektiven der Menschen in diesen Einrichtungen denn irrelevant für die Politiker, die den Bericht lesen werden? In punkto Alternativen zur Abschiebehaft, schlägt EMN die assignation à résidence vor, elektronische Fesseln und Bürgschaften. Letztere sind aber wahrscheinlich nicht umsetzbar, denn wer würde zahlen? Von den belgischen Maisons de retour — hauptsächlich für Familien — habe man gehört, kenne man jedoch nicht im Detail auf Seiten vom Luxemburger Contact point des EMN.
Damit kommen wir zu Gebrauch, Anwendung und Nutzen dieser Studie. Wie werden zum einen die Alternativen aus andern Mitgliedstaaten zur Kenntnis genommen, was geschieht zum anderen mit dem Luxemburger Bericht, wie werden die gesammelten Ergebnisse angewendet und verbreitet? Öber die Erstellung einer Kurzfassung hinaus, die in den Ministerien verbreitet werden wird, sind keine Aktionen geplant. Auf Nachfrage hin: auch mit den Organisationen wie dem Flüchtlingsrat wird EMN die Studie jedoch erörtern!
Seit November 2014 liegt eine Synthese der 29 EMN Ableger zu diesem Thema vor. Dieses Dokument sollte eigentlich von EMN-Luxemburg in die gesellschaftliche Debatte miteingebracht werden können.
Ohne ein Spezialist zu sein, erwarte ich mir von dieser Art von Forschung etwas mehr und frage mich, warum die Mühe gescheut wird, die Erkenntnisse in die Gesellschaft zu tragen und politische Entscheidungsträger herauszufordern?
1.Die DP-LSAP-Greng Regierung hatte bei Ernst & Young ein Audit zum OLAI beantragt. Daraus geht hervor dass OLAI unstrukturiert und führungslos war. Seither wurde die Direktion ersetzt.
2. The use of détention and alternatives to detention in the context of immigration policies / Luxembourg. EMN Luxembourg NCP, 2014
3. Im hiesigen Centre de rétention auf Findel werden „zurückgehalten“ bis zur effektiven Abschiebung: abgewiesene Asylbewerber, Menschen ohne gültige Papiere (sans papiers) und Menschen, die ihre Gefängnisstrafe bis auf den letzten Tag abgesessen haben, deren Abschiebung aber erst im Centre de rétention vorbereitet wird
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