Statuen, welche die mythologische Figur des Atlas darstellen, können unterschiedliche Assoziationen zutage fördern. Ein bärtiger – manchmal mehr, manchmal weniger bekleideter – Typ sitzt gekrümmt da und streckt die Arme empor. Je nach Version trägt er das Himmelsgewölbe oder den Globus auf den Schultern. Man kommt nicht umhin, an den Muskelkater zu denken, den der arme Kerl sich dabei zugezogen haben muss. Der eine oder die andere Physiotherapeut:in wird sich wohl die Hände reiben beim Anblick dieses in Stein gemeißelten Inbegriffs des Dauerkunden. Denkt man an die Bedeutung, die wir heute mit dem Wort „Atlas“ verknüpfen, nämlich an eine Kartografie unseres gemeinsamen Lebensraumes, so wirkt diese Bildsprache nicht nur veraltet, sondern auch gefährlich. Denn die Wahrnehmung der Welt war und ist nicht so statistisch, wie diese Darstellungen vorgeben. Es existiert nicht nur ein allgemeingültiges Narrativ, und es ist auch nicht sinnvoll, einem alten weißen Mann mit Rückenproblemen die gesamte Verantwortung dafür zu überlassen.
Der multiperspektivische Ansatz des Subjective Atlas-Projektes ist dem gerade Beschriebenen diametral entgegengesetzt. Das Konzept, das ein intersubjektives Mapping der eigenen Stadt oder des eigenen Landes seitens der Zivilgesellschaft vorsieht, geht auf die niederländische Designerin und Forscherin Annelys de Vet zurück. Nachdem sie bereits mit unterschiedlichsten Bürger:innen Atlanten für Mexico, Palästina, Serbien, Kolumbien oder auch Pakistan angefertigt hatte, war sie auch im luxemburgischen Casino – forum d’art contemporain zu Gast. Im Rahmen zahlreicher Workshops konnten so Zugezogene, Urgesteine, Geflüchtete, Menschen mit spezifischen Bedürfnissen, Kunstschaffende, Sozialarbeiter:innen und viele andere ihre Sicht, auf das Land in dem sie leben, präsentieren. Das Resultat, das 2019 in Buchform publiziert wurde, hat etwas von einem sozio-kulturellen Kaleidoskop, dessen Nutzung weniger Gliederschmerzen, dafür aber mehr Weitsicht mit sich bringt. Forum zeigt an dieser Stelle einige Beispiele. Wer den ganzen Atlas sehen will kann ihn hier bestellen: subjectiveeditions.org
Anne Schaaf
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