Was tut der Manager eines international expandierenden Medienkonzerns, der einen Platz im europäischen Spitzenpeloton visiert und sein Portfolio mal eben um einen 170-jährigen Stockluxemburger Traditionsbetrieb erweitert? Richtig, er verteilt, so wie einst Stahlmagnat Lakshmi Mittal bei der Übernahme von Arcelor (der guten alten Arbed), Beruhigungspillen. „Wir sind davon überzeugt, dass die Medienindustrie langfristig gesunde, solide Perspektiven hat und wir glauben, dass dies auch auf Luxemburg zutrifft. […] Und wir glauben daran, dass Saint-Paul Luxembourg ein gesundes Unternehmen ist und auch in Zukunft sein kann“, verriet Mediahuis-CEO Gert Ysebaert dem zufriedenen Chefredakteur des Luxemburger Wort im Interview vor einem halben Jahr. Dann setzte der verschmitzte Flame noch einen bedeutungsschwangeren Satz drauf: „Mediahuis hat keinen Plan zum Stellenabbau. Durch den Kauf von SPL an sich werden keine Arbeitsplätze gefährdet. Die Frage wird jedoch sein, wie sich die derzeitige Krise auf das Geschäft von SPL auswirken wird und wie das Unternehmen darauf reagieren muss.“

Damit war die Rollenverteilung in der bevorstehenden Tragödie fürs Erste klar: Mediahuis hält sich vornehm zurück, wünscht allenfalls generelle Kosten­senkungen, und das Management vor Ort kümmert sich, der kollektivvertraglichen Beschäftigungsgarantie bis Ende 2021 zum Trotz, um die Schocktherapie. Mit dem Ergebnis, das dieser Tage publik wurde: Rund 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, teils mit jahrzehntelanger Betriebszugehörigkeit, verlieren ihren Job, mitten in der Coronakrise, acht Wochen vor Weihnachten.

Über tausend Beschäftigte zählte das Unternehmen, damals hieß es noch Imprimerie Saint-Paul, zum Ende des 20. Jahrhunderts. Das Luxemburger Wort hatte eine Auflage von fast 90.000 Exemplaren, samstags oft mehr, 100 gedruckte Seiten im Broadsheet-Format waren keine Seltenheit. Die Betriebskultur atmete eine Form von autosuggestivem Exzeptionalismus, der bei Weihnachtsfeiern, Neujahrsempfängen, Personalehrungen, Sommerfesten und Anciens-Treffen zelebriert wurde. Man wähnte sich als epochen- und generationenübergreifende, einem gemeinsamen Ideal verpflichtete Wort-Familie, als Vorzeigebetrieb im Sinne der katholischen Soziallehre. Dazu gehörte ganz selbstverständlich, dass, ähnlich wie bei Staat und Gemeinden, auch Menschen mit Schwächen und Gebrechen eingestellt wurden, die auf dem gängigen Arbeitsmarkt keine Chance gehabt hätten. In den Redaktionen war tagtägliche Knochenarbeit, manchmal bis spät in die Nacht, angesagt, dafür waren die Gehälter inklusive zahlreicher Vergünstigungen attraktiv. Bei alldem galt die Maxime von Chefredakteur Léon Zeches, wonach Journalismus mehr sei als ein Broterwerb, sondern eine Berufung im Dienste des Landes und seiner Bürger. Eine Zeitung müsse zwar auf wirtschaftlich nachhaltigen Füßen stehen, doch sei es nicht deren Mission, Profit abzuwerfen.

Diese Betriebskultur gibt es nicht mehr. Von sukzessiven Umstrukturierungen, Wirtschaftskrisen, Sozialplänen, Fehlentscheidungen und erodierender Solidarität gebeutelt, starb sie binnen zwei Jahrzehnten einen langsamen Tod. Stand November 2020 ist Saint-Paul im rein renditegetriebenen globalen Kapitalismus angekommen. Spätestens jetzt wäre also der Zeitpunkt, sich einen unverfänglicheren, weniger selbstverpflichtenden Namen zuzulegen.

Das Signal an die öffentliche Wahrnehmung, ausgehend von der Entlassung von mehr als einem Dutzend altgedienter Journalisten mit einem kumulierten Vierteljahrtausend Berufserfahrung – darunter Ressortleiter, Leitartikler und Schlussredakteure – zuzüglich der gesamten Korrekturabteilung, dürfte verheerend sein: Journalismus gehört zum Niedriglohnsektor, sprachliche Akkuratesse, fachliches Wissen und Know-how, kritisches Analyse- und Urteilsvermögen sowie ein flächendeckendes Netzwerk aus persönlichen, zum Teil vertraulichen Kontakten sind neuerdings verzichtbare Größen. In Zeiten, wo im Internet jeder auf eigene Faust den Enthüllungs- und Empörungsjournalisten mimen darf und das weltweit versprühte Gift des Trumpismus („Fake News“) und Putinismus (Russia Today, Sputnik) die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medien unterhöhlt, erweisen die Gaspericher sich und der gesamten Branche damit einen Bärendienst.

Von der Presse wird gerne behauptet, sie sei die unentbehrliche Vierte Gewalt im demokratischen Gemeinwesen. Wäre Journalismus nicht folglich als systemrelevant zu betrachten? Obschon: In Luxemburg ließe sich Systemrelevanz auch dahingehend deklinieren, dass gut ausgebildete, anständig besoldete Journalisten ihre Arbeit künftig als Kommunikationsexperten in Staats- und Gemeindeverwaltungen, Unternehmen und Lobbyverbänden verrichten, von wo aus sie die staatlich bezuschussten Billig-Newsrooms aller Paperjams dieses Landes mit gefälligen, unterhaltenden, mundgerecht und druckfertig aufbereiteten Infos füttern könnten. Das Ganze mit Message-Control-Gütesiegel und einem Unbedenklichkeitszertifikat von Luxembourg for Finance.

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