26. April 2018

Heute war der schwärzeste Tag in meinem Leben. Schwärzer als der Stoff, aus dem ich gefertigt bin, düsterer als die Schublade, in der ich sowieso die meiste Zeit verbringe. Und schwarz sehe ich für meine Chancen, jemals wieder das Tageslicht zu erblicken.

Diese Westler mit ihren absurden politischen Diskussionen! Ich wünsche ihnen eine Epidemie an den Hals, so eine wie 2003 in China, damit sie meinesgleichen schätzen lernen!

17. Mai 2018

Drei Wochen eingesperrt in der Schublade – das neue Gesetz hat sich als wirksam erwiesen. Sich zu vermummen, ob mit Niqab oder Balaclava, ist in Luxemburg jetzt unter bestimmten Umständen verboten. Weil, so das Argument, sich ins Gesicht zu sehen notwendig ist für das gute Zusammenleben. Ignoranten! Halb Ostasien trägt Masken und lebt trotzdem – oder gerade deshalb – gut zusammen.

Eigentlich dürfte das Gesetz nichts ändern, denn als Balaclava habe ich zwar in Bussen und Zügen Hausverbot, nicht aber auf Straßen und Radwegen. Allerdings glaubt mein Träger, das Gesetz werde zur Anwendung des Gemeindereglements führen, das Vermummung in der Hauptstadt seit 1902 sowieso verbietet. Es ist jetzt Mai, und ich könnte jeden Morgen in kühler Morgenluft durch die Stadt radeln – genau das, wofür mein Träger mich angeschafft hatte. Nun fährt er ohne mich.

21. Februar 2020

Fast zwei Jahre in der Schublade – zum Glück kann ich wenigstens Radio mithören. Und hatte schon wieder Hoffnung geschöpft: Es heißt, eine neuartige Grippe-Epidemie sei im fernen China ausgebrochen, und ganz Ostasien trage wieder Masken. Doch hier im Westen wird das anders gesehen: „Experten raten vom Tragen einer Maske ab, da dies ein falsches Sicherheitsgefühl vermittelt.“ Wenn ich den Schwachsinn nur höre… Noch gibt es kaum Fälle in Europa, aber wenn die hier weiter besserwisserisch und maskenlos umherlaufen, bricht die Krankheit auch im Westen aus.

Andere Geschichten machen ebenfalls die Runde. Von Ding zu Ding erzählt man sich so einiges – immerhin kommen die meisten Haushaltsobjekte und Kleidungsstücke mittlerweile aus Ostasien. Asiatische Menschen, so heißt es, werden misstrauisch beäugt, sie trauen sich kaum, eine Maske zu tragen. Und manche wurden schon bespuckt oder geschlagen, weil sie genau das tun, was in ihren Herkunftsländern sowohl als Höflichkeit, als auch als normales Schutzmittel vor Luftverschmutzung und Epidemien gilt.

18. März 2020

COVID-19 ist angekommen! So wird die neue Krankheit offiziell genannt – die einen behaupten, sie komme von chinesischen Fledermäusen, und werden dafür von den anderen des Rassismus bezichtigt. So sind die Westler, wollen immer Recht haben und nennen es Streitkultur. Als Maske verstehe ich ja nichts davon, aber dafür einiges von Höflichkeit: Ich habe den Eindruck, dass man sich hier vor allem gegenseitig beschimpft.

Die Regierung hat gewartet, bis es den ersten Toten gab, doch nun hat sie strenge Maßnahmen ergriffen: Die Menschen sollen zwei Meter Abstand voneinander halten und sich häufiger die Hände waschen. Und was tun sie? Täglich strömen sie in die Supermärkte (weil nur die noch geöffnet sind) und kaufen Berge von Klopapier, hat mein Träger gestern berichtet. Dabei haben die Leute immer ihr teuer erworbenes Alkoholgel (statt Seife!) dabei – man gönnt sich als Luxemburger ja sonst nichts. Unterm Strich: Sie versuchen fleißig, sich gegenseitig anzustecken. Denn wir Masken gelten immer noch als „nicht empfehlenswert“ – und die meisten Menschen hören lieber auf „Empfehlungen“, als selber nachzudenken.

So, wie sie auch nicht darüber nachdenken, warum alle Läden schließen mussten, die keine Lebensmittel verkaufen… ohne dass dafür die Non-Food-Abteilungen in den Supermärkten abgesperrt wurden. Ich verstehe es vielleicht nicht, aber die Maßnahme erscheint mir halbherzig (oder mit einem großen Herz für bestimmte Branchen). Genau wie der Verzicht darauf, die Tankstellen einfach auf Pumpen mit Kartenautomaten zu reduzieren, wo doch sowieso weniger Auto gefahren werden soll.

5. April 2020

Ach diese Menschen, die sich immer so wichtig nehmen! Bei meinem Träger zuhause wird darüber diskutiert, ob das Coronavirus eine „Rache der Natur“ sei. Er selber sagt, das sei eine Metapher für „die Geschlossenheit des Systems Terra“, doch andere nehmen es wörtlicher und führen Gespräche mit „der Erde“. Und dann gibt es die, die das bescheuert finden und für eine „faschistoide Verschwörungstheorie“ halten – vielleicht, weil sie es auch zu wörtlich nehmen. Am besten sollte man alle zwingen, Masken anzuziehen: Mit ein paar Lagen Stoff oder Papier vor dem Mund klängen solche pompösen Sprüche so albern, dass sie sie für sich behalten würden.

Es gibt aber eine gute Nachricht für mich: Immer mehr Menschen tragen Masken, ja, sie sollen sogar ausverkauft sein. Das, obwohl Vermummung ja eigentlich verboten ist. Erstaunlich, dass mit viel Leidenschaft und Halbwissen über die Ausgangsbeschränkungen und die Opferstatistiken diskutiert wird, aber nicht über das Auftauchen von illegalen Masken im öffentlichen Raum. Warum kommt es nicht zu Massenverhaftungen? Die Ausnahme für „medizinisch notwendige“ Maskierung kann ja wohl nicht gelten, wurde doch offiziell vom Maskentragen abgeraten.

Irgendwie scheint das Vermummungsverbot jetzt nicht mehr wichtig zu sein. Ja, im vergangenen Herbst hatten viele Westler sogar die sogenannte Demokratiebewegung in Hongkong unterstützt, und sie fanden das Vermummungsverbot dort auf einmal falsch. Die Argumente, mit denen sie mich in die Schublade gebracht haben, scheinen auf einmal nicht mehr zu gelten. Mit anderen Worten, es ging bei dem Verbot eigentlich um meine Schwestern, Schailas und Niqabs. Besser gesagt, es ging gegen Musliminnen als deren Trägerinnen.

16. April 2020

Hurra, sie haben die Maskenpflicht eingeführt! Ab Montag gilt sie überall da, wo man eine Sicherheitsdistanz von zwei Metern nicht einhalten kann. Also nicht einfach überall im öffentlichen Raum, was die Anwendung verkomplizieren wird. Klar geregelt ist immerhin, dass man Busse, Züge und Läden nur noch mit Maske betritt. Die Regierung scheint ihre Meinung recht plötzlich geändert zu haben, denn wie die Leute kurzfristig an die Masken kommen sollen, wurde nicht mitgeteilt. Mein Träger zum Beispiel hat noch immer keine beschafft, und wann die versprochene Verteilung beginnt, ist unklar.

Zum Glück gibt es ja mich. Heute morgen hat er mich aus der Schublage gekramt und sich übern Kopf gezogen. Und dann gleich ein Selfie beim Gassigehen im Park gemacht. Dummerweise hat er die Nase freigelassen und sich auf Facebook damit ziemlich blamiert. Aber keine Sorge, er kann mich auch bis über sein Riechorgan ziehen, ich bin elastisch!

23. April 2020

Die Fragen werden langsam unangenehm. Wie man Masken wiederverwenden kann und – ob man mich kochen kann! Natürlich nicht, und „nur 30 Grad“ reichen völlig aus. Wenn ihr nämlich Seife nehmt, ihr Deppen! Gut, anscheinend hat der Epidemiologe X gesagt, es müssten mindestens 40 Grad sein, und Y empfiehlt gar, Papiermasken über heißem Wasserdampf zu desinfizieren. Ich hätte lieber, mein Träger würde sich mit solchen Fragen an Materialforscher wenden.

Maskenlogik und Menschenlogik sind zweierlei. Immerhin hat man hier das Velofahren nicht, wie anderswo, verboten. Aber um die Radfahrer zu schützen, hätte man Tempo 30 einführen können und autofreie Sonntage… Oder mit Fahrverboten mehr Raum fürs Social distancing in den Innenstädten schaffen… Logik? Die Polizei hat seit Mitte März Autofahrer kontrolliert, ob sie nicht „nur“ zum Spazieren irgendwohin fahren. Und nun wurde offiziell erklärt, Motorradfahren als Freizeitaktivität sei die ganze Zeit erlaubt gewesen.

29. April 2020

Heute im Bus: Die Leute stellen sich wirklich an mit ihren Masken. Sie rutschen mehreren Fahrgästen unter die Nase, was die Schutzwirkung reduziert. Vielleicht sind es ja asiatische Ausführungen, und nicht für Langnasen geeignet?

In Asien tragen die Leute ihre Papiermasken ordentlich. Aber hier! Mein Träger war letzte Woche ganz stolz, den Nasendraht oben zu haben – und hatte sie doch verkehrtrum auf, blaue Seite nach innen! Viele ziehen sie zwischendurch runter, stülpen sie übers Kinn. Und saugen danach den Schmierfilm vom Kinn, oder gar vom Bart, tief in die Lungen!

Doch statt zu lernen, wie man die Masken richtig benutzt, streiten die Westler lieber darüber, ob etwas wissenschaftlich bewiesen ist oder nicht. „Es ist nicht bewiesen, dass Kinder nicht an Corona sterben können, also müssen die Schulen geschlossen bleiben“, habe ich einen sagen hören. Und ein anderer: „Der Nutzen der Tracing-Apps ist unter den Bedingungen der Freiwilligkeit nicht etabliert“ – will heißen, er sucht Argumente gegen eine Maßnahme, die in China Teil der erfolgreichen Corona-Bekämpfung war.

Tja, ich muss zugeben, es ist auch nicht erwiesen, dass Masken bei der Infektionsbekämpfung im Westen wirklich helfen, von wegen falsches Sicherheitsgefühl und so. Ich finde die Maskenpflicht trotzdem richtig. Immerhin ist es wahrscheinlich, dass sie unterm Strich die Ansteckungen verringert. Und was ist mit den ganzen Maßnahmen von Mitte März? Dass die erforderlich waren, war bestimmt nicht bewiesen – hätte die Luxemburger Regierung länger gezögert, dann gäbe es ein paar Hundert Besserwisser weniger.

5. Mai 2020

Die Maskenverteilung ist im Gange. Fünf Stück pro Kopf sind im Briefkasten gelandet. So komme ich weniger häufig an die Reihe, aber ich freue mich trotzdem darüber, dass die Vernunft sich auch hier durchgesetzt hat.

Allerdings nicht überall. Die Masken für Angestellte müssen zentral abgeholt werden. Wer sich das wohl ausgedacht hat? Jeder, der für ein paar Stunden eine Nounou oder eine Putzfrau beschäftigt, soll gefälligst fünf Masken abholen. Und zwar nicht in einem Drive-in, sondern in einer ansteckungsfreundlichen langen Warteschlange. Doch über solchen Wahnsinn rege wohl nur ich mich auf.

Sollte ich es mit Humor nehmen, wie die Menschen sagen? Ehrlich, als Mensch wäre mir der Humor längst vergangen – Masken haben sowieso keinen. Sie grämen sich, und dann werden die Stoffoberfläche speckig und die Elastanfasern schlaff. Ich lasse mich aber nicht unterkriegen!

17. Mai 2020

Nach Corona wird die Welt eine andere sein. Sagen die Westler, die immer davon träumen, die Welt mit einer einzigen Geste zu verändern, statt den Lauf der Dinge behutsam umzulenken. Aber bitte: Vielleicht ändert ihr ja was am unsäglichen Vermummungsverbot, und ich kann mich auf Dauer frei bewegen.

In Frankreich sind Schleier zum Beispiel nur dann verboten, wenn sie aus religiösen Gründen benutzt werden – da fällt mein Träger nicht drunter. Was im Vaterland der Menschenrechte geht, ist wohl auch in Luxemburg mit den Grundrechten vereinbar… Oder, wenn das nicht geht, weil man verstecken will, dass das Verbot gegen den Islam gerichtet ist, kann man ganz pragmatisch nur den Frauen die Verschleierung verbieten und sie den Männern erlauben.

Man soll von China lernen, das sagt auch mein Träger. Vielleicht entsteht ja im Westen ein neues Bewusstsein für Hygiene, und das Maskentragen ist hier bald so normal wie in Ostasien. Stattdessen wären auf einmal das eklige Händeschütteln und das Küsschengeben verpönt.

Auch Demokratie und Freiheit, die die Westler sonst so gerne anderen verordnen, stehen zur Disposition. Jetzt ist es der Osten, der den Weg vorgibt, zuerst mit Maskenpflicht und Handy-Überwachung, bald schon mit Internet-Filtern und Social scoring. Schutz und Sauberkeit sind eben erste Priorität. Eine andere Welt nach Corona? Als Maske kann ich nur sagen: eine bessere!

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