The kids are alright

Ein kurzes, recht subjektives Plädoyer dafür, die junge Generation nicht für dumm zu verkaufen

Die Bezeichnung „Generation Youporn“ verzeichnet bei Google knapp 1,5 Millionen Treffer. Darunter rangieren teils extrem Unheil verkündende, sich nicht gerade zwingend auf Fachliteratur stützende Artikel, ein Song des Schweizer Singer-Songwriters Faber sowie Bücher mit Untertiteln wie Appst du schon oder lebst du noch? Ultra-konservative rechte Gruppierungen warnen vor „Frühsexualisierung“, und zahlreiche Eltern wie Lehrkräfte meiden es, das Thema Sex bei den Jüngeren überhaupt nur anklingen zu lassen.

Sind dies nun tatsächlich Hinweise dafür, dass die aktuell Heranwachsenden als hypersexualisiert, extrem gefährdet oder wahlweise auch besonders unselbstständig und daher betreuungsbedürftig einzustufen sind, oder hat sich da jemand die Sache vielleicht doch etwas zu einfach gemacht? Mit wem haben wir es eigentlich zu tun, wenn wir durch die Erwachsenen-Brille schauend von der „jungen Generation“ sprechen?

Digitale Bildung

Der frühe Kontakt mit teils außerordentlich harter Pornografie wird ohne Zweifel durch eine Art digitale Hyper­mobilität, die bereits im Kindesalter durch den Besitz eines Smartphones entsteht, gefördert. Jedoch leben die gleichen Kinder und Jugendlichen in einer Zeit, in der man mit ebenso wenig Klicks auf Netflix die britische Bildungsserie Sex Education1 schauen, lehrreiche Podcasts wie Im Namen der Hose (Produktion des Bayerischen Rundfunks)2 hören oder auch Instagram-Channels wie @givingthetalk abonnieren kann. Auf YouTube klären Sexolog:innen humorvoll auf (zum Beispiel bei Sexplanation), und eher unkonventionelle Formate wie Sex School stellen die moderne Gesellschaft vor die Frage, ob sie einer offenen und ehrlichen Auseinandersetzung zum Thema Sex gewachsen ist.

Bei Letzterem handelt es sich um Aufklärungsfilme, die von Therapeut:innen in Zusammenarbeit mit Sexarbeiter:innen und Pornodarsteller:innen entwickelt wurden. Hier werden Themen erst gemeinsam diskutiert und dann praktisch umgesetzt. So geht es beispielsweise einerseits um klischeebehaftete, mythenumwobene Fetische, andererseits aber unter anderem auch um Küssen, dem, in Fall von Sex School, 13 von Zärtlichkeit und Lust geprägte Minuten gewidmet sind. Neben der eigentlichen Wissensvermittlung wird durch solche Formate eine weitere Diskussionsebene eröffnet und die Akteur:innen erlangen eine andere Sichtbarkeit als dies in hochgradig gestellten Produktionen der Fall ist. So entsteht der Raum für eine viel direktere Kommunikation über die Arbeitnehmer:innen selbst und die Arbeitsbedingungen in dieser Branche. Obwohl das vergangene Jahrzehnt feministische Porno-Produzentinnen wie die mehrfach ausgezeichnete Erika Lust hervorbrachten, tummeln sich immer noch Millionen von Erwachsenen (!) auf jenen Plattformen, die kostenlosen – nicht selten geklauten – Content anbieten.

Statt unrealistischerweise zu versuchen, den Konsum einzudämmen – was bei näherer Betrachtung der Statistiken zum Gratis-Pornokonsum der Luxemburger:innen3 auch in Bezug auf volljährige luxemburgische User:innen vergebene Liebesmüh darstellen würde –, könnte es eine interessante Alternative sein, jungen Menschen beizubringen, was sie wie bewusst konsumieren können. Und dass man verantwortungsbewusst mit der eigenen Lust am Visuellen umgehen kann, indem man beispielsweise auf Seiten wie Pinklabel.tv für fair produzierte Pornos4 bezahlt.

Aufgeklärte Jugend

Die aktuelle Generation auf ihren Pornokonsum reduzieren zu wollen, ist nicht nur faktisch falsch, sondern trägt auch zahlreichen weiteren Aspekten, welche die Kinder und Jugendlichen des 21. Jahrhunderts in ihrem sexuellen Werdegang begleiten, nicht Rechnung. Denn es ist gerade diese Generation, die seit der Einführung des Fachs Vie et Société in Luxemburg vor vier Jahren klar zu eigener Meinungsbildung in Bezug auf Beziehungsformen, Sexualethik und sexuelle Identitäten angehalten wird. Statt unreflektiert jene Konzepte wiederzugeben, die jemand ihnen „vorgekaut“ hat, stellen sich die Schüler:innen einer Herausforderung, der sich im Großherzogtum viele nicht einmal angenähert haben – auch zahlreiche selbsternannte satirische, teilweise sexistische Journalist:innen oder extrem ausgrenzende, konservative Politiker:innen nicht.

Während sich mittlerweile die Sammelklagen gegen Pharmakonzerne häufen, in denen Schadenersatz für die dramatischen Nebenwirkungen von bestimmten hormonellen Verhütungsmitteln eingefordert werden, wollen luxemburgische Gymnasiast:innen laut Aussagen von ESA-Mitarbeiter:innen5 bereits in jungen Jahren wissen, was die Alternativen zu dieser Verhütungsform sind und informieren sich auf Seiten wie macontraception.lu über die Vielfalt an Möglichkeiten, sich selbst zu schützen.

Die gerade Heranwachsenden gehören ebenfalls zur Generation #metoo. Das Schweigen, in das sich die vorherigen Generationen hüllten, ist gebrochen und stellt wohl keine akzeptable Alternative für die neue Generation dar. Zurückkehren wollen sie sicher nicht. Ihre Pubertät ist von einer tatsächlich bahnbrechenden Zäsur geprägt, die sich auf ihr künftiges Privat- und Arbeitsleben auswirken kann und muss. Außerdem gehören gerade luxemburgische Kinder nicht mehr zur Generation „CSV in Dauerschleife“. Unabhängig von ihrer weiteren politischen Entwicklung ist es die Generation, die mit einem Premierminister aufwächst, der mit einem Mann verheiratet ist, mehrere Minister miterlebt, die offen gleichgeschlechtliche Beziehungen führen und sieht, dass auch eine weibliche luxemburgische Europaabgeordnete Hand in Hand mit ihrer Partnerin auftritt. Es handelt sich ebenfalls um die Generation, die mehr als alle anderen zuvor miterlebt, dass sexuelle Identität ein Grund für eine Flucht in ein anderes Land sein kann. An einem dieser Zufluchtsorte leben sie und wachsen mit Menschen auf, die sich hier nicht mehr verstecken müssen.

Es ist eine beeindruckende Generation, die wissbegierig ist, das Nachfragen nicht scheut und damit ihren Vorgänger:innen einiges voraus hat. Genau diese Generation sollte man daher nicht für dumm verkaufen, sondern sie ernst nehmen und stärken.

  1. Auf diese Serie wird auf S. 66 näher eingegangen.
  2. Mehr Informationen zur luxemburgisch-sprachigen Alternative erhält man auf S. 52.
  3. Detaillierte Informationen hierzu können dem Beitrag auf S. 55 entnommen werden.
  4. Ein Artikel in der neuen Rubrik Klausur-Kultur auf www.forum.lu wird dieses Thema am 3. April 2020 beleuchten.
  5. Siehe den Beitrag ab Seite 38.

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