- Kultur, Medien
„There’s nothing in the world more powerful than a good story“
Zur finalen Staffel (S08) von Game of Thrones
Der folgende Text enthält Spoiler aus der achten Staffel von Game of Thrones.
King’s Landing und seine Einwohner: Asche. Der „Eiserne Thron“: Ein glimmender Haufen geschmolzenes Metall. Die mächtigen Herrscherfamilien der Sieben Königreiche von Westeros: Dezimiert bis auf einige wenige Überlebende. Königin Daenerys Targaryen (Emilia Clarke): Erdolcht von ihrem Liebhaber, Jon Snow (Kit Harington), nachdem sie dem Wahnsinn verfallen war.
Die Jahre des anhaltenden Kriegszustandes seit dem Tod von König Robert Baratheon (Mark Addy) in der ersten Staffel von Game of Thrones (2011) haben tiefgreifende Spuren und Veränderungen auf dem Kontinent hinterlassen – und doch endet die letzte Folge der Erfolgsserie, die den treffenden Titel The Iron Throne trägt, mit einem dezenten Hoffnungsschimmer. Nach all dem Blutvergießen, den Intrigen und Machtkämpfen einigen sich die verbleibenden Machthaber*innen gemeinsam auf einen König. Die Wahl fällt, auch für die Zuschauer durchaus überraschend, auf den letzten männlichen Nachfahren der Stark-Dynastie, Bran (Isaac Hempstead Wright), der nach einem absichtlich herbeigeführten Fenstersturz durch Jaime Lannister (Nikolaj Coster-Waldau) in der ersten Folge der Serie (Winter is coming) behindert ist und sich seitdem zu einer Art allwissendem Medium entwickelt hat. „There’s nothing in the world more powerful than a good story. [And] who has a better story than ‚Bran the Broken‘? The boy who fell from a high tower and lived“, beginnt der weise Tyrion Lannister (Peter Dinklage) sein Plädoyer für die Einführung neuer politisch-gesellschaftlicher Strukturen in Westeros, die man mit etwas gutem Willen als eine Vorform neuzeitlicher Demokratie(n) begreifen kann.
Ergo: Ende gut, alles gut? Mitnichten, denn obwohl in der Fantasy-Mittelalterwelt von Game of Thrones (vorläufig) Frieden eingekehrt ist und der Thron, um den sich acht Jahre lang alles drehte, nur noch eine metaphorische bzw. historische Bedeutung hat, gingen Fans und Kritiker in den letzten Wochen hart mit der Serie ins Gericht. Eine „gute Story“ konnten sie in den letzten sechs Episoden, die das Intrigenspiel um die Vorherrschaft in Westeros und den Kampf gegen die Armee der „White Walkers“ (zum größten Teil in Spielfilmlänge) zu Ende erzählte, nämlich nicht mehr erkennen. Zu kurz, zu gehetzt, zu inkohärent, zu klischeehaft – die Liste der Vorwürfe, die sich an die beiden Showrunner und Autoren David Benioff und D.B. Weiss, sozusagen die Gesichter der Serie, richteten, ließe sich mühelos fortsetzen. Die Enttäuschung und Wut der Fans kanalisierten sich nicht nur in den Foren und Bewertungen der IMDB, sondern auch in einer (nicht ganz ernstgemeinten, aber dennoch Aufsehen erregenden) Online-Petition, die einen vollständigen Neudreh der achten Staffel „mit kompetenten Autoren“ einforderte und mittlerweile über 1.5 Millionen (!) Mal unterzeichnet wurde. (Stand: Juni 2019)
So kontrovers Game of Thrones wegen seiner expliziten und wenig zimperlichen Darstellung von Gewalt, Sexualität und Inzest mitunter rezipiert und diskutiert wurde, konnte sich die Serie doch stets auf eine überaus treue Fangemeinde verlassen, die gnädig über erzählerische Mängel und unlogische Wendungen hinwegsah, und in den sozialen Netzwerken eifrig über den weiteren Storyverlauf spekulierte. Game of Thrones ist ein Produkt des „Social-Media“-Zeitalters und hat gleichzeitig durch eine inzwischen unüberschaubare Zahl an Memes, Tweets, Live- und „Reaction“-Videos zu dessen kontinuierlicher Ausformung und Popularisierung beigetragen.
Was ist also passiert? Wieso haben die Verantwortlichen just auf der Zielgeraden in solchem Maß die Unterstützung ihrer Anhänger verloren?
Eine Analyse.
Eine Beschäftigung mit den Reaktionen auf diese finale Staffel von Game of Thrones sollte mit einer grundlegenden Unterscheidung beginnen, nämlich zwischen gefühlter Enttäuschung im Hinblick auf Charakter- und Storyentwicklung, und tatsächlichen handwerklichen Schwächen in der Erzählung und filmischen Umsetzung.
Der weltweite Hype um die Serie und ihr Identifikationspotenzial weit über die Publikumsgrenzen des Fantasygenres hinweg sind in eine Erwartungshaltung gemündet, die kaum noch zu erfüllen war. Welchen Ausweg auch immer Benioff und Weiss aus ihrem eigenen Handlungsgeflecht (seit zwei Staffeln hatte die filmische Adaptation die A Song of Ice and Fire-Romane von George R. R. Martin überholt, so dass beide Showrunner die Geschichten ohne literarische Vorlage weiterspinnen mussten) gewählt hätten, sie wären bestenfalls einem Teil der Erwartungen gerecht geworden. Im Gegensatz zu Filmproduktionen, bei denen das Ende im Prinzip von vorneherein feststeht, haben Serien den Luxus, über die Dauer von mehreren sukzessive gedrehten Staffeln unterschiedliche Erzählvarianten und -stränge auszuloten, ihr Publikum mit falschen Pisten und vagen Handlungsverläufen gleichzeitig in die Irre zu führen und doch bei der Stange zu halten, und sich erst spät für ein bestimmtes Szenario entscheiden zu müssen. Diese erzählerische Freiheit ist aber nicht immer von Vorteil, und von Seinfeld (1989-1998) über Lost (2004-2010) bis hin zu How I Met Your Mother (2005-2014) ist die Liste der TV-Serien lang, die ihre Fangemeinde im Schlussakt durch vermeintlich unbefriedigende Auflösungen enttäuscht haben – Game of Thrones befindet sich diesbezüglich also in guter Gesellschaft.
Eine Fessel haben sich Benioff und Weiss aber selbst angelegt: Die nach der sechsten Season getroffene Entscheidung, die Serie in lediglich zwei weiteren, vergleichsweise kurzen Staffeln (von sieben bzw. sechs Episoden) auserzählen zu wollen. Dieses grundsätzlich lobenswerte Vorhaben – Produzenten neigen nämlich tendenziell eher dazu, erfolgreiche Serien künstlich in die Länge ziehen zu wollen – erwies sich hier aber mutmaßlich als Fehlgriff, da sie den Machern den Weg in eine geordnete Auflösung der unzähligen losen Handlungsstränge aus den früheren Staffeln abschnitt; so wurden beispielsweise weder Brans komplexe seherische Fähigkeiten und Möglichkeiten zur Kontrolle anderer Wesen noch die „Valonqar“-Prophezeiung um Königin Cersei (Lena Heady) wirklich wieder aufgegriffen.
Benioff und Weiss mussten sich in der achten Season auf ein überschaubares und dazu nur mäßig interessantes Figurengeflecht (Jon – Daenerys – Tyrion/Varys) fokussieren, um das Ringen um den Thron zu einem Abschluss zu bringen. Das Resultat: Voraussehbare „Nummer-sicher-“Wendungen und vernachlässigte (Neben-)Charaktere, die nicht viel mehr als reine Stichwortgeber waren.
In groben Zügen lässt sich die Erzählung der achten Staffel in zwei Hälften einteilen.
Während sich die ersten drei Episoden (Winterfell, A Knight of the Seven Kingdoms und The Long Night) mit den Vorbereitungen auf, sowie mit der großen, als allesentscheidend angepriesenen Endzeitschlacht zwischen Lebenden und Toten, zwischen Menschen und „White Walkers“ beschäftigen, erzählen die folgenden drei Episoden (The Last of the Starks, The Bells und The Iron Throne) vom Auseinanderdriften dieser Anti-Eiszombie-Koalition und Daenerys’ schrittweisem Verfall in Paranoia und Wahnsinn, der schließlich in der vieldiskutierten Zerstörung von King’s Landing sowie ihrer Inthronisierung gipfelt. Diese per se interessante Volte hätte möglicherweise funktioniert, wenn sie genügend erzählerischen Raum gehabt hätte, um sich anzukündigen und zu entfalten – so aber wirken sowohl Daenerys’ abrupter Sinneswandel als auch die anhaltende Blauäugigkeit ihres Liebhabers (Jon) bzw. ihrer Berater (Tyrion, Varys) unglaubwürdig und forciert.
Zwar fahren die Macher in den Episoden The Long Night und The Bells wieder die inzwischen zum Markenzeichen gewordenen imposanten Materialschlachten auf, doch auch diese vermögen es nicht, den Eindruck erzählerischer Unausgewogenheit auszuräumen – im Gegenteil, sie potenzieren ihn sogar: Während frühere Schlachtsequenzen in Game of Thrones wegen ihrer Multiperspektivität und clever in die Kampfhandlungen integrierten Charaktere das Publikum noch mitreißen konnten, muten die beiden großen Schlachten in den Episoden Drei (82 Minuten) und Fünf (78 Minuten), ihrer ganzen technischen Perfektion zum Trotz, seelenlos, beliebig und repetitiv an.
Und dafür gibt es mehrere Gründe:
Enttäuschende Figurenzeichnungen
Neben narrativen Inkohärenzen und Regelbrüchen (mal gelingt es, mittels einer Artilleriearmbrust binnen weniger Sekunden gleich mehrere präzise Treffer gegen einen fliegenden Drachen zu setzen, mal sind dieselben Waffen völlig wirkungslos) liegt das wie bereits erwähnt auch an der Entwicklung der Charaktere, die dieses Mal nicht einer gewissen Gleichgültigkeit entbehrt. Wer in einer Schlacht gerade was macht, wer gegen wen kämpft, was auf dem Spiel steht – all dies geht in einem donnernden Effektgewitter unter, das zwar im Hinblick auf Kostüme, Make-Up und Set-Design herausragend ist, aber mehr als einmal in einen völlig enttäuschenden Ausgang mündet. Groß angekündigte Figuren wie Harry Strickland und seine „Golden Company“, eine Söldnerarmee aus Essos, oder jahrelang aufgebaute Widersacher wie der „Nightking“, Anführer der gefürchteten „White Walkers“, werden dabei halbherzig ins Aus gekegelt, ohne dass ihre Motivationen oder Präsenz für den Handlungsverlauf entscheidend gewesen wären – ein Zustand, der sich sehr zutreffend mit dem englischen Begriff underwhelming beschreiben ließe.
Auch anderen Figuren abseits des Schlachtfeldes ergeht es nicht viel besser: Insbesondere Cersei Lannister, die brillante und nachtragende Machtstrategin, die in den früheren Staffeln stets versuchte, das Wohl ihrer Familie mit der Sicherung ihrer politischen und militärischen Macht in Einklang zu bringen, und sich für jedwede erlittene Schmach gnadenlos rächte, wurde zu einer weintrinkenden Stichwortgeberin und Karikatur ihrer selbst degradiert, die entweder gänzlich abwesend ist oder der Zerstörung ihrer Stadt plan- und tatenlos zusieht. Auch Euron Greyjoy (Pilou Asbæk), der gerne mal aus dem Nichts auftauchende Chaosonkel von Yara (Gemma Whelan) und Theon Greyjoy (Alfie Allen), darf nicht viel mehr tun, als sich über einen Sohn freuen, der aber gar nicht von ihm ist, sowie über die Tatsache, den „Kingslayer“ Jaime Lannister niedergestreckt zu haben – bevor er selbst monologisierend an seinen Wunden stirbt.
Einen würdigen Abschluss fanden die Köpfe hinter Game of Thrones allenfalls für die Priesterin Melisandre (Carice van Houten), die sich, nachdem sie ihrer Bestimmung in der Schlacht um Winterfell nachgekommen ist, in einer eindrucksvollen Szene selbst auflöst, sowie für den mürrischen Sandor „The Hound“ Clegane (Rory McCann), ohnehin eine der stärksten Figuren der Serie, der im Staffelfinale endlich mit Arya Stark (Maisie Williams), aber auch mit sich selbst und seinem Bruder ins Reine kommt.
Andere Nebenfiguren wie Beric Dondarrion (Richard Dormer), Missandei (Nathalie Emmanuel), Lord Varys (Conleth Hill) und Qyburn (Anton Lesser) wurden um des bloßen Schockeffekts willen überstürzt aus der Serie herausgeschrieben – der Eindruck drängt sich auf, Benioff und Weiss hätten die finale Season phasenweise nach dem Checking the Box-Prinzip geschrieben. Sie verraten damit in gewisser Weise auch eine bisherige Kerntugend von Game of Thrones: Die Nachvollziehbarkeit.
Basierend auf der Romanreihe von Martin entwarfen beide über Jahre hinweg eine komplexe und anarchische, oft krude Fantasywelt, die aber gleichzeitig mit einer überraschenden Tiefe, plausiblen Gesetzmäßigkeiten und ambivalenten, präzise gezeichneten Figuren ausgestattet war, die ihre Ambitionen in geradezu shakespeareschen Machenschaften umsetzten. Überraschende, aber eben nachvollziehbare Wendungen im Handlungsverlauf sorgten dafür, dass sich keine Serienfigur allzu lange in Sicherheit wähnen konnte – man denke beispielsweise an die Hinrichtung der Hauptfigur der ersten Staffel, Eddard „Ned“ Stark (Sean Bean) oder die berüchtigte „Red Wedding“, die das Ende seines Sohns Robb Stark (Richard Madden) besiegelte. Beide Figuren scheiterten letztlich an ihrem moralischen Kompass bzw. an Herzensentscheidungen, für die in der rational-gnadenlosen Welt von Game of Thrones kein Platz war.
Von ebendieser erzählerischen Komplexität und Geschlossenheit war in der letzten Staffel nicht mehr viel zu spüren – stattdessen diktierten abrupte und aktionsgetriebene Entscheidungen den Handlungsverlauf, wie etwa der bereits zitierte Abschuss des Drachens Rhaegal das sinnlose Verheizen der Dothraki-Armee vor den Toren Winterfells oder die unmotivierte Hinrichtung Varys’.
Ärgerliche Klischees haben sich auch bei der Darstellung der Frauenfiguren eingeschlichen.
Zwar kultivierte Game of Thrones von jeher ein problematisches Frauenbild – Frauen waren (bzw. wurden) immer nur durch traumatisierende Erfahrungen stark, im Gegensatz zu männlichen Figuren, die qua ihrer Natur mit positiv konnotierten Eigenschaften wie Kraft, Intelligenz, strategischem Denken und Willen zur Machterhaltung ausgestattet waren – doch in den finalen Episoden verpassen die Autoren die Chance, diese Grundhaltung zu revidieren und ein positives Signal zu setzen. Daenerys’ geistiger Niedergang bedient – neben den üblichen visuellen Anspielungen auf Leni Riefenstahls NS-Propagandafilm Triumph des Willens (1935) – das Stereotyp der hysterischen Herrscherin, die mit Emotionalität auf (Staats-)Krisen reagiert, und auch Sansa Stark (Sophie Turner), die lange Zeit als würdige Anwärterin auf den „Eisernen Thron“ präsentiert wurde, wird lediglich mit einem unabhängigen „Königreich im Norden“ aus der Serie verabschiedet.
Nichtsdestotrotz hatte diese achte und letzte Season auch ihre positiven Momente. In der wohl besten Episode, A Knight of the Seven Kingdoms, die unmittelbar vor der großen Schlacht gegen die „White Walkers“ spielt, passiert auf wohltuende Weise sehr wenig. Dafür werden sämtliche bis dato verbliebenen Figuren noch einmal zusammengeführt und bekommen ihre (gemeinsamen) Szenen zum Glänzen; auch die wohlige Endzeitstimmung, die Game of Thrones-Veteran David Nutter hier im Warten auf die Ankunft der „White Walkers“ entwirft, ist atmosphärisch und glaubhaft. Schließlich ist auch die Idee, die das blutige Ringen um die Macht in Westeros besiegelt, nämlich die Einführung einer quasi-Demokratie, durchaus reizvoll – wäre sie nur konsequenter geschrieben worden.
Das Ende von Game of Thrones
So spektakulär und kontrovers wie Game of Thrones acht Jahre lang die Serien- (bzw. Streaming-)Landschaft umpflügte und ihr neue Regeln diktierte, so spektakulär endete die Serie jetzt auch.
Konnte das Ende jemals perfekt sein und allen Erwartungen gerecht werden? Nein – aber die Macher haben zumindest einen Versuch unternommen, dem eigenen Erbe und der erdrückenden und oft irrationalen Erwartungshaltung der Fans gerecht zu werden; als Fehlgriff erwies sich aber letztlich die Entscheidung, das Manko an erzählerischem Freiraum und einer „guten Story“ durch Bombast auszugleichen. Warum beschäftigte diese Produktion so viele Menschen, Fans (den Autor dieser Zeilen eingeschlossen) wie Nicht-Fans? Vielleicht, weil Game of Thrones in insgesamt mehr als 70 Stunden Laufzeit immer ein bisschen mehr war, als reine Unterhaltung: Ein kulturell-gesellschaftliches Phänomen, das durch sein moralisch ambivalentes Figurenensemble und seine cleveren Erzähl- und Vermarktungstechniken einen Hype entfachte, der in dieser Form wohl kaum reproduzierbar ist. Interessanter ist deshalb die Frage, wieviel von diesem Hype in ein paar Jahren übrigbleibt, und mit welchen Augen die Serie mit einiger zeitlicher Distanz von neuen Generationen von Zuschauer*innen gesehen werden wird.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
