- Geschichte, Kultur, Politik
Toleranz in Zeiten des Terrors
Mit dem Verzicht auf ein gesetzliches Verbot der Vollverschleierung hat Luxemburgs Regierung der Religionsfreiheit einen wichtigen Dienst erwiesen. Wie man der Presseerklärung des Premierministers Xavier Bettel entnehmen kann, wollen die Regierungsparteien mit ihrer Entscheidung vor allem vermeiden, die ohnehin wenigen betroffenen Frauen in Luxemburg zu stigmatisieren. Es ist bemerkenswert, dass die Regierung gerade in dieser Zeit, nur
wenige Tage nach den verheerenden islamistischen Attentaten von Paris, die Toleranz gegenüber den religiösen Symbolen nicht-christlicher Religionen und insbesondere des Islam hoch hält. Denn nichts wäre einfacher gewesen, als in einer Stimmung der Angst vor den Gefahrenpotenzialen des islamischen Extremismus ungleich rigidere Entscheidungen zu treffen. Auch von der Politik der unmittelbaren Nachbarn Belgien und Frankreich hebt sich Luxemburg mit seiner Entscheidung ab. Belgien hat bereits im Jahr 2010, Frankreich im Jahr 2011 ein entsprechendes Gesetz erlassen. In beiden Ländern können Verstöße durch nicht unbeträchtliche Geldbußen und im Nötigungsfall sogar durch Gefängnisstrafen geahndet werden. In Frankreich besteht ergänzend die Möglichkeit, bei Zuwiderhandlungen Kurse in Staatsbürgerkunde aufzuerlegen. Doch obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unlängst das französische Gesetz für rechtens erklärt hat, sieht es bislang nicht nach einer Konjunktur des sogenannten „Burka-Verbots“ in Europa
aus. Insbesondere die skandinavischen Länder
und Deutschland setzen auf einen weniger autoritären
Politikstil. Zwar gibt es auch in diesen Ländern
Möglichkeiten, gegen die Ganzkörperverschleierung
entweder durch eine Nikab, die noch einen Spalt
für die Augen lässt, oder durch eine Burka, bei der
die Augen durch ein Stoffgitter zusätzlich überdeckt
werden, im öffentlichen Raum vorzugehen. Doch
die Regelungen kommen ohne ein generelles Verbot
aus. So entscheidet in Schweden und Norwegen
eine Ombuds-Stelle, ob ein Verbot an Schulen
oder am Arbeitsplatz angebracht ist. In Deutschland
wurde ein allgemeines Verhüllungs-Verbot zwar hitzig
diskutiert, jedoch bald als unvereinbar mit dem
Grundgesetz eingeschätzt. Auch hier sind es lokale
Instanzen, die von Fall zu Fall entscheiden. So verbot
im Jahr 2014 ein bayrisches Verwaltungsgericht
einer Schülerin, den Gesichtsschleier in der Schule
anzulegen.
Von verfassungsrechtlichen Fragen abgesehen
herrscht in diesen Ländern der Grundtenor, dass
sich freiheitlich-demokratische Grundwerte wie die
Ideen der Menschenwürde und der Gleichheit der
Geschlechter eher durch Partizipation am gesellschaftlichen
Leben und Bildung als durch Verbot
und Ausschluss vermitteln lassen. Der Beschluss Luxemburgs
schließt sich dieser Haltung demokratischen
Selbstbewusstseins an, wenn er vorsieht, es in
Zukunft den kommunalen Behörden zu überlassen,
in diesen Fragen zu entscheiden
In der Tat steht es den europäischen Regierungen
gut zu Gesicht, in Belangen religiöser Vielfalt eine
weniger protektionistische Politik an den Tag zu legen.
Denn die europäische Menschenrechtskonvention
sieht eine Einschränkung der Religionsfreiheit
nur unter sehr gewichtigen Bedingungen vor. Das
zeigt auch das bereits erwähnte Urteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte vom 1. Juli
2014 zum französischen Burka-Gesetz. Die Richter
Sibylle van der Walt ist Senior Research Fellow am UNESCOLehrstuhl
für Menschenrechte, Universität Luxemburg. Sie käme
im Traum nicht auf die Idee, sich hinter einer Burka zu verstecken,
doch ist sie überzeugt, dass persönliche Vorlieben, ästhetische
Neigungen oder weltanschauliche Entscheidungen das Streben
nach journalistischer, juristischer oder politischer Objektivität nicht
beeinträchtigen sollten.
Toleranz in Zeiten des Terrors
Luxemburg und die Diskussion um das Burka-Verbot
Sibylle
van der Walt
Man muss kein
Rechtsexperte
sein, um die
systematische
Benachteiligung
nicht-christlicher
Religionen in der
großen Mehrheit
der Fälle zu
konstatieren.
8 forum 358 Gesellschaft
argumentierten hier, dass die Vollverschleierung sich
weder durch den Verweis auf einen Verstoß gegen
die Menschenwürde, noch mit dem Argument einer
generellen Gefährdung der Sicherheit verbieten
ließe. Als verhältnismäßig sahen die Richter eine
Beschränkung der Religionsfreiheit nur für den Fall
an, dass die Vollverschleierung das Recht anderer,
in einem das Zusammenleben erleichternden öffentlichen
Raumes zu leben, verletze. Wenn für den
französischen Staat die komplette Verhüllung des Gesichts
an öffentlichen Orten, die für das Zusammenleben
von Bedeutung seien, in Konflikt stehe mit
dem Ideal der Brüderlichkeit, dann ließe sich ein
generelles Verhüllungs-Verbot im Interesse der Sicherung
der Bedingungen des Zusammenlebens
rechtfertigen.
Wie der deutsche Verfassungsrechtler Rudolf
Steinberg bemerkt hat, war dabei die Entscheidung
der Richter für eine Bestätigung des französischen
Burka-Verbots durchaus ambivalent. Ihm zufolge
gab vor allem der Verweis auf die nachrangige Rolle
des Gerichtshofs und auf den bedeutenderen Einschätzungsspielraum
des französischen Staates und
seiner demokratisch gewählten Regierung den Ausschlag.
Gleichzeitig mahnten die Richter in ihrer
Begründung an, dass „Pluralismus, Toleranz und
Offenheit Kennzeichen einer demokratischen Gesellschaft
sind” und beklagten die diskriminierenden
Folgen des Verbotes für die betroffenen Frauen.
Auch die islamophoben Tendenzen der Diskussion
in Frankreich waren den Richtern ein Dorn im
Auge.
Es bestätigt sich mithin, dass es bei rechtlichen Auseinandersetzungen
um Symbole islamischer Provenienz
wie Kopftuch oder Burka in Europa kaum um
das demokratische Gut der Religionsfreiheit geht.
Man muss kein Rechtsexperte sein, um die systematische
Benachteiligung nicht-christlicher Religionen
in der großen Mehrheit der Fälle zu konstatieren.
Vielmehr werden auf diesem Wege vor allem Fragen
der nationalen Identität und der kulturellen
Definitionsmacht verhandelt. Sicher, auch moderne
Staaten westlichen Typs, die viel auf ihre pluralistischen
und weitgehend säkularen Verfassungen
geben, dürfen und sollen sich einen Spielraum
der Gestaltung der “Wertegemeinschaft“ der sie
tragenden Bevölkerungen offenhalten. Doch der
Königsweg dieses Bestrebens liegt in der Sprach-,
Bildungs- und Kulturpolitik eines Landes, in Angeboten
zu Integration und Teilnahme am öffentlichen
Leben, nicht in Repression und Ächtung
harmloser Bekleidungsgepflogenheiten. u
In Luxemburg wären nur 16 Frauen von dem Gesetz betroffen gewesen. (Public Domain)
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