Das Verhältnis von Tier zu Tier ist in Bewegung. Insbesondere das Verhältnis unserer Spezies zu den übrigen. In Luxemburg wird in Kürze ein neues Tierschutzgesetz verabschiedet, das erstmals „Haus- und Nutztieren“ gewisse Rechte zuspricht und reelle Strafen bei Verstößen vorsieht. Der zuständige Minister, Fernand Etgen (DP), erklärt im forum-Interview, wo für ihn die Fortschritte liegen, und kündigt an, dass es kaum noch einmal 34 Jahre dauern wird, bis die nächste Gesetzesnovelle vorliegen wird. Die Juristin Laura Arpetti (Seite 23) analysiert das Gesetzesprojekt vor dem Hintergrund des Unterschiedes von Tierschutz und Tierrechten. Viel wird in Zukunft davon abhängen, inwieweit es gelingen wird, diesen Unterschied noch klarer in der Debatte zu verankern.
Eine Illustration für das steigende Bewusstsein für die Interessen der (wildlebenden) Tiere ist die jüngste Resolution des Jugendparlamentes, die wir auf Seite 24 abdrucken. Das Jugendparlament, das junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren versammelt, hat in diesem Dokument seine Erwartungen an die Zukunft (und die amtierenden Politiker) klar formuliert und Respekt und Rücksichtnahme auch für die nicht-menschlichen Bewohner dieses Landes eingefordert.
Céline Flammang, die das vorliegende Dossier maßgeblich mitinitiiert hat, bietet in ihrem Beitrag ab Seite 26 einen Überblick über die Entwicklung der internationalen Tierrechtsbewegung. Ihr Artikel liefert darüberhinaus einen exzellenten Überblick über die einschlägige Literatur. Camille Muller, Mitbegründer der Vegan Society Luxembourg, zeichnet in seinem Beitrag (Seite 29) die historische Entwicklung der Tierrechtsbewegung in Luxemburg nach. Auch hier beginnen sich die Fronten zu verschieben.
Zur weiteren Orientierung findet der Leser auf Seite 32 ein Glossar zu den wichtigsten Begriffen und zu den markantesten DenkerInnen im Zusammenhang mit der Tierrechtsfrage. Die von Yannick Lambert zusammengestellte Auswahl zeigt auf einen Blick die Komplexität des Themas, deren verschiedene Denkrichtungen kaum mehr in den Bereich der Esoterik abgeschoben werden können.
Dass die Grenzen sich verschieben, zeigt auch der Beitrag der Veterinärmedizinerin Sonja Thill (Seite 38), die der spannenden Frage nachgeht, wodurch sich der Mensch vom „Tier“ unterscheidet. Die meisten klassischen Antworten auf diese Frage hat die Forschung mittlerweile verworfen. Zwei sehr persönlich geschriebene Beiträge beschäftigen sich dann mit dem Thema der Tierversuche. Marthe Schmit (Seite 36), Veterinärin an der Uni Luxemburg, und der in Edinburgh promovierte Biologe Philip Birget (Seite 34) beschreiben jeweils aus einer anderen professionellen Perspektive den Umgang mit Tieren im Labor. Zweifel an der Sinnhaftigkeit des „Verbrauchs“ von Tieren zum Zwecke der medizinischen Forschung haben beide nicht, beim Vergleich der beiden Texte spürt man aber zwischen den Zeilen, dass in Luxemburg die unabhängige Kontrolle der Laborsituation noch keine solche Tradition hat wie in Großbritannien, einem der Ursprungsländer der Tierschutzbewegung.
Zwei Beiträge nähern sich dem Thema aus theologischer Sicht. Sie sind gerade auch für Atheisten und nicht vom Christentum geprägte Menschen unbedingt lesenswert, um zu verstehen, wo wir ideengeschichtlich herkommen. Rainer Hagencord (Seite 40), Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster, bietet auf der Grundlage der weitverzweigten Überlegungen christlicher Denker ein Plädoyer für ein neues respektvolles Verhältnis zum Tier. Gérard Kieffer (Seite 44) stellt einige der wichtigsten Schriften vor, die das Verhältnis zwischen Mensch und Tier im Christentum behandeln. Die von Papst Franziskus 2015 veröffentlichte Enzyklika Laudato si‘ liefert hier einen fast schon dramatischen (vorläufigen) Abschluss.
Ganz am Ende des Heftes greift Françoise Lavabre-Bertrand (Seite 58) das Thema noch einmal aus einem ganz anderen Blickwinkel auf: In ihrem Beitrag geht es um den boomenden Markt elektronischer Applikationen, die die digitale Aufrüstung von Haustieren und Halter versprechen. Sollte homo sapiens sein Projekt der Unterwerfung dieser Welt vollbracht haben und diese Welt nur noch mit Ratten und einigen widerstandsfähigen Insektenarten teilen müssen, wird Gottes ephemere Schöpfung zumindest in der Cloud bewahrt sein.
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