Als heilig und mächtig, aber auch als böse und furchterregend angesehen, hat die Menstruation viele Gesichter. Ihre Ideengeschichte ist bunt und widersprüchlich, und es gibt weder ein universelles noch ein epochenübergreifendes einheitliches Konzept von ihr. Dieser Beitrag möchte mithilfe der Begriffe Stigma und Tabu kurze und gezielte Einblicke in diese Ideengeschichte liefern.
Spätestens seit Sigmund Freuds Klassiker Totem und Tabu. Einige Übereinstimmungen im Seelenleben der Wilden und Neurotiker hat der Begriff Tabu Einzug ins sogenannte westliche Denken gehalten und wurde zu einem wichtigen (wenn auch kontroversen) Ansatz in der Psychoanalyse. Seinen Ursprung findet das deutsche Wort „Tabu“ im polynesischen Sprachraum; es ist vom Wort tapu abgeleitet. Das Wort tapu bezeichnet einen Zustand, der zu mächtig und heilig ist, um überhaupt in Worte gefasst zu werden. Es kann aber auch für Dinge, Personen oder Orte benutzt werden, welche weder berührt noch betreten werden dürfen.
Mit dem Begriff Stigma verhält es sich ähnlich, obwohl dieser noch negativer konnotiert zu sein scheint. Die etymologische Geschichte des Begriffs Stigma geht auf die griechische Antike zurück und bezeichnet das Brandmal, welches Sklav*innen und Gefangenen zugefügt wurde, damit diese von der restlichen Gesellschaft als abstoßende Außenseiter*innen, zu denen jeder Kontakt strengstens untersagt war, erkannt werden konnten.
Stigma, Tabu und Menstruation
Konkrete Beispiele von Tabuisierung und Stigmatisierung der Menstruation lassen sich zu verschiedenen Zeitpunkten in verschiedenen Regionen der Welt ausmachen. Alma Gottlieb nennt im Aufsatz Menstrual Taboos: Moving Beyond the Curse das Beispiel der Bevölkerung des Ulithi-Atolls, wo sich Menstruierende zusammen in sogenannte Menstruationshütten zurückziehen, um dort zu kohabitieren1. Die menstruierenden Personen werden somit zu einem tapu, welche über einen gewissen Zeitraum, nämlich während ihrer Menstruation, in einem Exil außerhalb der restlichen Gesellschaft leben müssen.
Ein weiteres Beispiel, welches im genannten Aufsatz auftaucht und mir hier erwähnenswert erscheint, ist das der Aschanti, die im heutigen Ghana leben. Hier ist es Menstruierenden verboten, bestimmte Trommeln oder Amulette zu berühren, und sie werden sogar ermordet, falls sie einen Schrein, in dem sich Hocker verstorbener Personen befinden, betreten. Menstruierende Menschen gelten hier als böse und unrein, müssen vermieden und im Extremfall sogar vernichtet werden. Menstruierende sind ein Tabu, wobei ihre Blutung ihr verstecktes Stigma ist, welches sie in Lebensgefahr bringen kann.
Zurzeit wird Menstruation auch hier in Luxemburg thematisiert. Von einer Petition, die zwei zusätzliche Urlaubstage im Monat als Menstruationsurlaub für Frauen fordert, bis hin zu kulturellen Events rund ums Thema Menstruation. Es wird versucht, die Menstruation als einen wichtigen Bestandteil einer öffentlichen Diskussion zu etablieren. Auch weltweit scheint sich ein Trend der Enttabuisierung auszuweiten. Auf feministischen Demos sieht man immer mehr Menschen, die Tampons durch die Luft wirbeln, und im Feminismus gibt es seit geraumer Zeit die Sparte der menstrual activists, die sich gezielt auf Menstruationsthemen innerhalb feministischer Kämpfe konzentrieren. Aber auch an den Universitäten, in den sogenannten menstruation studies, findet Menstruation eine Plattform, wo sie theoretisch durchdacht werden kann und stigmatisierende und tabuisierende Diskurse analysiert werden.
Jenseits des Feminismus
Ein stigmatisierender Diskurs findet sich bereits im Alten Testament. Im Buch des Leviticus gibt es explizite Textstellen, wo menstruierende Frauen als unrein und moralisch schlecht beschrieben werden. Die Unreinheit gilt zudem als ansteckend, und jede Person, die in Kontakt mit der menstruierenden Frau kommt, muss sich einer Reinigung unterziehen.
Aber auch im antiken Griechenland lassen sich bereits Äußerungen zum Thema Menstruation ausmachen, wie beispielsweise bei Aristoteles oder auch bei Hippokrates. Im Denken dieser beiden Autoren wurde die Menstruation hauptsächlich in Verbindung mit der Gebärfähigkeit von Frauen diskutiert. Frauen sind nach Aristoteles gegenüber Männern die weitaus schwächeren Wesen, und Hippokrates zufolge müssten magische Sprüche eingesetzt werden, wenn die Menstruation einmal nicht eintritt. Die Menstruation bedürfe also einer Regulierung von außen und werde außerdem zu einem Stigma, das Frauen gegenüber Männern als minderwertig brandmarkt.
Im antiken Rom finden sich beim Naturphilosophen Gaius Plinius Secundus ähnliche Ideen, die stark an die aus dem Alten Testament erinnern. Dem Menstruationsblut werden übernatürliche Kräfte zugeschrieben, welche Vergiftungen beim Menschen verursachen und Ernten verderben, aber auf der anderen Seite auch diverse Beschwerden wie Kopfschmerzen lindern können.2
Frauen, die menstruieren, werden also tabuisiert, sie gelten während ihrer Periode als besonders mächtig, wobei ihr Menstruationsblut Krankheiten sowohl heilen als auch hervorrufen kann. Da sie aber immer auch eine Gefahr darstellen, müssen sie gemieden werden. Dies sieht der mittelalterliche Philosoph Albertus Magnus ganz ähnlich, die Menstruation ist nach ihm sowohl Fluch als auch Segen, da sie einerseits als Entgiftungsmittel im Körper wirkt und so Frauen eine längere Lebenspanne als Männern ermöglicht, aber auch als Ursprung verschiedener Übel gilt.
Die Liste mit Beispielen ließe sich jetzt noch weiter ausdehnen, als kurze Illustration der Problematik will ich es hier bei diesem kleinen Einblick belassen, jedoch noch dringend darauf aufmerksam machen, dass den genannten Beispielen ein exklusives binäres Geschlechterdenken – also ein Denken, welches nur zwei Geschlechterkategorien, nämlich „Mann“ und „Frau“ kennt – unterliegt und jegliche nicht-binäre Identitäten ausschließt.
Tabuisierung und Stigmatisierung tauchen aber nicht nur in ferner Vergangenheit auf, sondern sind auch in der Gegenwart, wenn auch subtiler, präsent. Es bedarf nur eines kurzen Blicks auf die unzähligen Werbeartikel, welche die Konsumindustrie als Mittel vermarktet, die die Menstruationsblutung verbergen, ja unsichtbar machen sollen. Es soll nicht erkannt werden, dass jemand gerade menstruiert, und Gerüche sollen überdeckt werden, da Menstruationsblut als abstoßend beschrieben wird.
Tampons oder Binden dürfen auf keinen Fall beim Gang zur Toilette von Dritten gesehen werden, denn sonst weiß ja jede*r, dass es „wieder einmal soweit ist“ und die betroffene Person – aufgrund von möglichen Menstruationsschmerzen – gereizter als sonst sein könnte.
Menstrual activism
Feministisches Denken und Handeln lassen sich in verschiedene sogenannte Wellen einteilen. Es ist umstritten, wie viele es genau sind und wann sich erste feministische Diskurse in der Menschheitsgeschichte kenntlich gemacht haben. Manche Autor*innen sind der Meinung, dass es bereits in der Antike Spuren solcher Ansätze gibt, andere lassen ihre Geschichte viel später, gegen Mitte des 19. Jahrhunderts, beginnen. Es ist schließlich genau in dieser Zeit, in der sich Bewegungen ausfindig machen lassen, die sich für das Frauenwahlrecht und mehr politische Beteiligung von Frauen im öffentlichen Raum einsetzen. Der genaue Verlauf der Geschichte des Feminismus soll uns hier weiter nicht interessieren, ich will nur anmerken, dass ich Feminismus als Sammelbegriff sehe, der das Ziel gerechterer Lebensverhältnisse aller Menschen und das Bekämpfen jeglicher Form von Diskriminierung verfolgt.
Wann kommt jetzt das Thema Menstruation ins Spiel? Chris Bobel, Expertin im Bereich der menstruation studies, skizziert in ihrem Buch New Blood. Third-Wave Feminism and the Politics of Menstruation ganz genau, wie Menstruation und Feminismus zusammenhängen.3 Bobel zufolge keimt der menstrual activism erst ab den 1990er Jahren richtig auf. Dieser Aktivismus entwickelt sich innerhalb eines Feminismus, der versucht, queer – also gegen heteronormatives Denken gerichtet – zu sein. Es ist ein Feminismus, der zudem intersektional und antikapitalistisch sein will.4
Die Frage nach einer gerechten Gendersprache bezüglich menstruierenden Menschen gewinnt in den letzten Jahren zudem an immer größerer Bedeutung, und es wird gezielter darüber nachgedacht, welche Bedeutung die Menstruation etwa für trans*Personen, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung oder people of color hat. Wie sieht es etwa mit menstruierenden Obdachlosen oder Gefangenen aus? Das Feld der Diskussion um das Thema Menstruation hat sich auf einmal ausgebreitet, und die ganze Dimension der Enttabuisierung und Stigmatisierung wird sichtbar.
Obwohl schon viel Enttabuisierungsarbeit für menstruierende Frauen geleistet wurde, stellt sich immer auch die Frage, welche Personen unter den Begriff „Frau“ fallen. Welche „Frauen“ sind hier genau gemeint? Haben etwa Lesben, cis-Frauen, trans*Frauen dieselben Anliegen, wenn es um das Thema Menstruation geht, und wie ist ein vollkommen nicht-tabuisierender Diskurs möglich? Es wird deutlich, wie wichtig ein inklusiver und gerechter Diskurs eigentlich ist.
In Luxemburg ist es vor allem die queer-feministische Organisation Pink Ladies, welche einem solchen Denken nahesteht und die sich auch kritisch gegenüber dem zurzeit heiß diskutierten Thema Menstruationsurlaub äußert. Denn spricht man bei diesem Thema ausschließlich von „Frauen“, kann die Diskussion schnell in einen exklusiv auf cis-Frauen (Menschen, denen bei der Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde und bei denen dieses mit ihrer Geschlechtsidentität übereinstimmt) orientierten Diskurs umschlagen. So werden weite Teile menstruierender Menschen tabuisiert, sie kommen also gar nicht in der Diskussion vor, über sie wird nicht gesprochen.
Es ist somit wichtig, immer auch die Ideengeschichte der Menstruation im Hinterkopf zu behalten, um sich zu vergegenwärtigen, welche Dimensionen Stigma und Tabus einnehmen können, um dann Wege zu finden, um diese heute zu bekämpfen.
- Alma Gottlieb, „Menstrual Taboos: Moving Beyond the Curse“, in: Chris Bobel et. al. (Hg.), The Palgrave Handbook of Critical Menstruation Studies, London, Palgrave Macmillan, 2020,
S. 143-162. - Victoria Louise Newton, Everyday Discourses on Menstruation. Cultural and Social Perspectives, London, Palgrave Macmillan, 2012, S. 19-47.
- Chris Bobel, New Blood. Third-Wave Feminism and the Politics of Menstruation, London, Rutgers University Press, 2010.
- Intersektional bedeutet, dass man verschiedene Diskriminierungskategorien gleichzeitig bei einer Person betrachtet, etwa Geschlecht und eine körperliche Beeinträchtigung.
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