Waren Sie krank in den letzten sieben Wochen? Keine schöne Vorstellung. Und doch hat die luxemburgische Regierung alles dafür getan, das Gesundheitssystem in Corona-Zeiten aufrecht zu erhalten. Wo Service bei herkömmlichen Hotlines klein geschrieben wird, übertreffen sich die Mitarbeiter*innen an der Corona-Hotline 8002 8080 gegenseitig an Freundlichkeit. Jede*r Bürger*in erhielt fünf Masken, Überweisungen zu Fachärzt*innen werden per Mail zugestellt, Corona-Tests im Drive-In abgenommen und Ergebnisse per SMS verschickt. Die Gesundheitsministerin macht einen fantastischen Job. Spricht man dieser Tage mit Freund*innen im Ausland über unser Gesundheitssystem, folgt nur ein Schweigen der Ungläubigkeit. Oh wie schön ist Luxemburg, denkt man sich da in der hiesigen Blase des Glücks. Aber mit diesen Blasen ist es wie mit Hollywood-Schmonzetten, das wusste schon der junge Adorno: Sie lullen uns ein, sie machen blind für lauernde Gefahren und verunmöglichen Kritik. Die Geschichte hat gezeigt, wie schnell rechtsstaatliche Sicherheiten und grundrechtliche Garantien kippen können. Und deshalb ist es umso wichtiger, gerade in Zeiten von Krisen besonders aufmerksam zu sein.
Vor 13 Jahren erschien Naomi Kleins Buch The Shock Doctrine, in dem die Autorin aufzeigt, wie ein von den Lehren Milton Friedmans inspirierter Katastrophen-Kapitalismus in zahlreichen Ländern der Welt stets dort, wo Krieg, Krisen und Naturkatastrophen eine Gesellschaft unter Schock setzten, fundamentalistische Kapitalismusstrategien durchsetzen konnte. In Capitalism and Freedom schrieb Friedman, der Ideengeber einer pervertierten freien Marktwirtschaft, 1962: „Nur eine Krise – eine tatsächliche oder empfundene – führt zu echtem Wandel. Wenn es zu einer solchen Krise kommt, hängt das weitere Vorgehen von den Ideen ab, die im Umlauf sind. Das ist meiner Ansicht nach unsere Hauptfunktion: Alternativen zur bestehenden Politik zu entwickeln, sie am Leben und verfügbar zu halten, bis das politisch Unmögliche politisch unvermeidlich wird.“1 Ehemalige Studenten Friedmans, die sogenannten Chicago Boys, konnten als Berater und Minister Pinochets nach dem Militärputsch 1973 in Chile ausprobieren, wie fundamental man nach einem Schock einen Staat umkrempeln kann. Klein zeigt in ihrem Buch, dass es in Chile zum extremsten kapitalistischen Umbau der Weltgeschichte kam: Steuerkürzungen, Privatisierung von Dienstleistungen, Einschnitte bei den Sozialausgaben und Deregulierung, all das ging als Schockbehandlung in die Geschichte ein und sollte sich später in Großbritannien, China, Russland, Sri Lanka oder in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina wiederholen, wo die öffentlichen Schulen innerhalb kürzester Zeit durch Privatschulen ersetzt wurden: auf Kosten der farbigen Bevölkerung. Es heißt also, genau zu beobachten, was sich jetzt, auch hier, im Notstand einschleicht. Es gilt zu verhindern, dass die Krisenmaßnahmen zur Gewohnheit werden. Home Schooling, Totaldigitalisierung, bargeldloses Zahlen: alles normal zurzeit. Und Tracing ist in einigen Ländern schon Bedingung der Möglichkeit, das Haus noch zu verlassen.
Dennoch gibt es Hoffnung. Hoffnung nicht im Sinne einer Ponyhof-Publizistik wie der des sogenannten Zukunftsforschers Matthias Horx, der in seiner Post-Corona-Vision davon ausgeht, dass nach Corona nicht nur vieles, sondern wirklich alles besser wird. Ich meine eher die Hoffnung auf dem Markt der Ideen, wie sie auch Naomi Klein kürzlich in einem auf YouTube zu findenden Gespräch mit The Intercept ausdrückte. „The future will be determined by whoever is willing to fight harder for the ideas they have lying around.“ Es sind eben nicht nur internationale Investor*innen und neoliberale Berater*innen, die sich auf die Zeit nach Corona vorbereiten, es sind Stimmen aus der Zivilgesellschaft, die sich nicht durch den Schock betäuben lassen und stattdessen eine Welt imaginieren, die anders wäre. In Luxemburg hat bereits der Mouvement écologique ein Positionspapier veröffentlicht, und auch die Fondation Robert Krieps hat Ideen für die Zeit No der Kris in Umlauf gebracht. forum wird im kommenden Monat ein Dossier mit Ideen publizieren mit dem Ziel, für kommende Krisen besser vorbereitet zu sein. Was die Aufgabe derjenigen Teile der Zivilgesellschaft sein wird, die morgen nicht in einer digital und neoliberal noch stärker pervertierten Welt aufwachen wollen, hat Naomi Klein vor 13 Jahren so formuliert: „Vor allem aber bauen sie Widerstandskräfte auf – für den Tag, an dem der nächste Schock zuschlägt.“2 In diesem Sinn: Wir brauchen Resilienz. Und die bekommen wir nun wirklich nicht unter der Nummer 8002 8080.
- Zit. n. Naomi Klein, Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt a. M., S. Fischer, 2007, S. 17.
- Ebd., 685.
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