- Kino
Unverfilmbares Dune-Universum?
Denis Villeneuves Inszenierung des Dune-Stoffes gerät ernsthafter, geerdeter und fokussierter als frühere Versuche – sie ist gleichzeitig aber auch nicht frei von Schwächen.
An der filmischen Adaptation von Frank Herberts Sci-Fi-Zyklus Dune (sechs Bände, erschienen zwischen 1965 und 1985) ist bereits mehr als ein Regisseur gescheitert. Der chilenische Surrealist Alejandro Jodorowsky (El Topo, 1970 und La montaña sagrada, 1973) versuchte in den siebziger Jahren, Herberts vielschichtige, kultige Wüstenplanet-Saga um rivalisierende Herrscherhäuser, die in einem galaktischen Feudalsystem der fernen Zukunft um den Abbau einer bewusstseinserweiternden Droge, Spice, kämpfen, auf Zelluloid zu bannen. Dafür verpflichtete er den französischen Comiczeichner Jean Giraud (Moebius), der die Storyboards zeichnete, sowie den Schweizer Künstler HR Giger als production designer; u. a. Salvador Dalí (!), Orson Welles, Amanda Lear und Mick Jagger waren für Hauptrollen vorgesehen. Allein: Jodorowskys psychedelische Vision war bereits in der Planungsphase derart größenwahnsinnig und kostspielig, dass sich kein Hollywood-Studio daran die Finger verbrennen wollte. In dem unterhaltsamen Dokumentarfilm Jodorowsky’s Dune (Frank Pavich, 2013) blickt der Regisseur persönlich auf sein Scheitern zurück und mutmaßt, dass konzeptuelle Design-Motive, die für sein Projekt ausgearbeitet wurden, schließlich in unzähligen anderen Filmproduktionen Verwendung fanden und das Sci-Fi-Genre so maßgeblich beeinflussten.
Glaubt man den Aussagen eines anderen Visionärs, David Lynch (Blue Velvet, 1986), ist seine realisierte Dune-Verfilmung aus dem Jahr 1984 auch ein Misserfolg – der Regisseur distanziert sich bis heute von dem Werk. Lynchs Version von Dune, bei der er unter dem Druck der Produzenten das abenteuerliche Wagnis eingehen musste, den ersten Band in etwas mehr als zwei Stunden zu erzählen und dabei keinen Final Cut (die Kontrolle über die allerletzte Schnittfassung eines Films) hatte, geriet in der Tat verworren, überhastet und exzentrisch, mit einem per se tollen Schauspielensemble, das aber mehr als einmal die Grenzen zum Overacting überschreitet, sowie konfusen Überblendungen, die die metaphysischen Dimensionen von Herberts Werk nicht unbedingt zugänglicher gestalteten. Der Film, der seinerzeit im kommerziellen Fahrwasser von Star Wars, Alien und anderen Sci-Fi-Blockbustern mitschwimmen sollte, floppte an der Kinokasse und bei der Kritik. Das Dune-Universum galt daraufhin jahrelang als unverfilmbar im Spielfilmformat; daran änderten auch diverse Prequel- und Sequel-Romane, Videospiele sowie eine Miniserie (2000) bis auf weiteres nichts.
Umso mehr ließ die Nachricht aufhorchen, der kanadische Regisseur Denis Villeneuve werde nach Arrival (2016) und Blade Runner 2049 (2017) eine erneute Dune-Verfilmung in Angriff nehmen. Nachdem die Produktion begonnen hatte, wurden quasi monatlich Neuzugänge beim Cast gemeldet – den problembehafteten früheren Versuchen, Herberts wüste Saga zu verfilmen, zum Trotz, entwickelte sich Villeneuves Vorhaben schnell zum begehrten Vorzeigeprojekt, bei dem sich das Who is Who der gegenwärtigen Schauspielgeneration(en) vor der Kamera versammelte, darunter Timothée Chalamet, Oscar Isaac, Josh Brolin, Rebecca Ferguson, Javier Bardem, Stellan Skarsgård, Zendaya und Charlotte Rampling.
Dune: Part One
Um es vorwegzunehmen: Villeneuves Inszenierung des Dune-Stoffes (im Vorspann als Part One angekündigt, wobei der zweite Teil noch gar nicht gedreht wurde) geriet ernsthafter, geerdeter und fokussierter – kurz: sicherer – als Lynchs Adaptation. Villeneuve verzichtete auf die verspielten visuellen Mätzchen und den ausladenden, neobarocken Pomp seines Vorgängers, und inszenierte die Geschichte des jungen Paul (Chalamet), Sohn des noblen Herzogs Leto Atreides (Isaac) und seiner Konkubine Lady Jessica (Ferguson), Anhängerin des mystischen Kultes der Bene-Gesserit, als geradlinige, realistisch* und erdig anmutende Selbstfindungsreise mit messianischem Anklang – eine künstlerische Herangehensweise, die man seit Christopher Nolans Batman-Filmen kennt (*sofern man das von einer Geschichte behaupten kann, in der auch 400 Meter lange, alles fressende Sandwürmer eine Hauptrolle spielen).
Die Handlung von Dune spielt in einer fernen Zukunft, im Jahr 10191. Das Adelshaus Atreides übernimmt die Herrschaft auf dem Wüstenplaneten Arrakis, wo bis dato die konkurrierende Herrscherfamilie der dekadenten Harkonnen (u. a. Stellan Skarsgård als grotesk fettleibiger Baron Vladimir Harkonnen und Dave Bautista als dessen Neffe, Beast Rabban) den Abbau des kostbaren Rohstoffs Spice, psychedelische Droge und intergalaktisches Transportmedium zugleich, kontrollierten. Der Auftrag stellt sich als tödliche Intrige heraus, die es den Harkonnen ermöglicht, auf Arrakis einen Vernichtungsschlag gegen die weitgehend schutzlosen Atreides zu lancieren (die größte set piece des Films) und den jungen Thronfolger Paul mit seiner Mutter auf eine Flucht in die Wüste zu treiben. Dort stoßen sie nicht nur auf besagte Sandwürmer – Shai-Hulud in der Mythologie von Dune –, die das Spice bewachen, sondern auch auf ein arabisch anmutendes indigenes Wüstenvolk, die Fremen (u. a. Bardem und Zendaya), die von den verschiedenen Herrscherfamilien unterdrückt werden und auf die Ankunft eines Erlösers warten …
Dune streift zwar eine Vielzahl historischer und gesellschaftspolitischer Themen von Relevanz, von Kolonialismus und kapitalismusgetriebenen Ressourcen-Raubbau, über Ökologie und das Überleben unter extremen Temperaturen, Eugenik (Paul ist das Resultat eines Zuchtprogramms des Bene-Gesserit-Ordens), Mystizismus und Esoterik bis hin zum Nahostkonflikt, wobei Spice gewissermaßen als das Erdöl der Zukunft fungiert. Wirklich vertieft werden diese Thematiken aber freilich nicht – sie dienen vielmehr als hier und da aufpoppendes Beiwerk bei der Schaffung einer monumentalen, gleichsam desolaten Zukunftsvision, die den narrativen Fokus ganz auf Paul Atreides’ Bestimmung und Heldenreise legt.
Am stärksten ist Dune dann, wenn Villeneuve mit Größenordnungen und Proportionen spielt, und seine Charaktere ameisengleich durch gewaltige architektonische Strukturen wandeln lässt, die sie förmlich verschlingen – ein Effekt, den er bereits in Blade Runner 2049 erprobte, nur dass die Farbpalette hier noch deutlich ausgewaschener erscheint. Musikalisch ist Dune unterlegt mit einem lauten, dröhnenden und trampelnden Score von Hans Zimmer, der zwar nicht zu den einprägsamsten Arbeiten des allgegenwärtigen deutschen Komponisten gehört, dafür aber immerhin einige schräg kombinierte kulturelle Einflüsse zu bieten hat, die von „orientalisch“ (oder was man gemeinhin dafür hält) bis zu galaktischen Dudelsackklängen reichen. In solchen Momenten, und auch in längeren Actionsequenzen wie dem Harkonnen-Überfall auf Arrakis, ist Dune tatsächlich jene Überwältigungsmaschine und jenes Zeugnis handwerklicher Perfektion, für die der Film gepriesen wird.
Dass sich mit zunehmender Filmdauer dennoch eine gewisse Enttäuschung breitmacht, hat mehrere Gründe. In der ersten Filmhälfte gelingt Villeneuve der Spagat zwischen Worldbuilding (die Einführung in das Dune-Universum, mit seinen Protagonisten, Regeln, Hintergründen) und Erzählung noch recht gut. Behutsam (und klarer strukturiert als Lynch) führt er die verschiedenen politisch-religiösen Fraktionen, die um das Spice und damit um die Kontrolle des Universums kämpfen, ein, ordnet ihre Motive, grenzt sie geografisch und ästhetisch voneinander ab, und baut Spannung auf – das erinnert mitunter an die gelungenen ersten Staffeln von Game of Thrones. Allein: Halten kann Villeneuve dieses Niveau nicht. Nach dem spektakulären Harkonnen-Angriff gegen die Atreides verliert der Film von Szene zu Szene an Momentum und Spannung – Pauls und Lady Jessicas Flucht durch die unbarmherzige Wüstenlandschaft, Pauls Selbstfindung sowie das Zusammentreffen mit den Fremen werden zu einer drögen, mitunter zähen Angelegenheit, die einen seltsam unbeteiligt lässt.
Ob diese Wahrnehmung dem Filmrhythmus geschuldet ist (Villeneuve muss schließlich genug Stoff für einen bzw. mehrere weitere Teile übrig lassen), oder doch der Tatsache, dass die Dune-Saga in gewisser Weise ein Opfer ihrer eigenen Popularität ist, da ihre zentralen Erzählmotive – Wüstensetting, an das feudale Mittelalter angelehnte Machtkämpfe und eine übersinnlich begabte Erlöserfigur als Held wider Willen – in Abwesenheit einer kanonischen Dune-Verfilmung längst von anderen Sci-Fi-Werken übernommen und verarbeitet wurden, lässt sich indes noch nicht endgültig bestimmen.
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