Vegetarismus, Veganismus und Tierrechte in Luxemburg

Ein historischer Überblick

Tierrechte und die eng verbundene vegetarische Lebensweise scheinen uns in Luxemburg erst im späten zwanzigsten Jahrhundert verstärkt ins Bewusstsein gekommen zu sein. Besonders die vegane Bewegung ist in den letzten Jahren zunehmend von den Medien aufgegriffen worden. Beim Versuch, eine der beiden zu thematisieren, kann man die andere schlecht außer Acht lassen – zudem die Landwirtschaft und das damit verbundene Konsumverhalten ein zentrales Thema in der Bewegung sind.1

Dies hat mittlerweile auch seinen Einfluss auf den klassischen Tierschutz und die Tierschutzpolitik. Redete man bis in die späten Neunziger fast ausschließlich von Tierschutz, ist die Vorstellung, dass Tiere Rechte haben können und somit der Mensch nicht das Recht haben kann, sie auszubeuten oder gar zu essen, älter als allgemein angenommen. Diese Vorstellung wurde schon bei vielen Denkern weit vor dem 20. Jahrhundert laut2,  doch war es bis vor einigen Jahrzehnten noch keine zivilgesellschaftliche Forderung. Dabei schaut die Bewegung gerne von Pythagoras über Da Vinci bis zu Albert Schweitzer und Franz Kafka zurück, um sich die Lebensanschauung großer Denker eigen zu machen.

Recherchiert man nach tierrechtlichen Bestrebungen in Luxemburg, stößt man schon in einigen Ausgaben des Luxemburger Wortes von 1908 auf Artikel, in denen sich über das „Unding“ eines Tierrechtes beklagt wird.3 Von Tierschutzfanatikern ist die Rede, welche (Zitat) „Tierrechte ausbilden, die Tiere als Rechtsobjekte und sprachlose Brüder des Menschen behandeln, und im Anschluss daran ein allgemeines Jagdverbot, die Vivisektion, bisweilen sogar ein Verbot der Tiernutzung und (von Seiten der Vegetarier) der Tiertötung verlangen.“ Dennoch sollte es bis Ende des 20. Jahrhunderts dauern, bis sich konkrete Tierrechtsorganisationen bilden. Vermehrt finden sich zwar schon Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts erste Bemühungen, die Ausbeutung von Tieren über die Ernährung zu reduzieren.

Obwohl Organisationen wie die Régéneration universelle, eine der ältesten Vereinigung für eine gesunde Lebensweise, oder die Alternativgruppe des Jeunes et Environnement nicht als vegetarische Bewegungen gelten können4, finden sich
in ihren Schriften Artikel, in denen empfohlen wird, den Konsum von Fleisch drastisch einzuschränken oder ganz einzustellen und auf Milchprodukte „mit Verstand“ zurückzugreifen.

Augenscheinlich ging es hier nur um ökologische und gesundheitliche Aspekte – die nachher aber auch in den Grundpfeilern des Veganismus und Vegetarismus zu finden sind. Dass sich in diesen Bewegungen jedoch schon vereinzelte Kräfte mit Interessen für den Tierschutz vermuten lassen können, zeigt sich in Artikeln über den Boykott von Pelzhandel5 und „Tierfabriken“6. So stößt man ebenfalls auf Artikel von Biokrees und der Organisation Jeunes et Environnement, die schon in den frühen achtziger Jahren auf Probleme aufmerksam machten, die heute Binsenweisheiten sind, wie u.a. die Probleme der Massentierhaltung, von Sojaimporten und ungerechter Nahrungsverteilung – Argumente, die von der veganen Bewegung in einer holistischen Sichtweise übernommen wurden.

Von den ersten Tierrechtsbewegungen bis heute

Die erste Organisation, welche konkret die vegetarisch-vegane Ernährung zugunsten des Tierrechtes fördern wollte, wurde 1996 gegründet. „De Vegabond“7 konzentrierte sich jedoch zum Leidwesen einiger Aktivisten nur auf Veröffentlichungen in Zeitungen – nicht politisch genug und noch immer zu vegetarisch für eine aufstrebende vegane Bewegung. Tierrechte wurden nur zurückhaltend thematisiert. Kurze Zeit danach wurde der luxemburgische Ableger der deutschen Animal Peace gegründet. Eine Organisation, die sich weniger mit Veröffentlichungen von Artikeln und Teilnahmen an vegetarischen Konferenzen abgab, sich  dafür aber laut ihrer Statuten8 ausschließlich dem aktiven Tierschutz und den Rechten der Tiere verpflichtete. Der Veganismus war elementarer Bestandteil davon. Diese erste richtige Tierrechtsbewegung errang dann auch außerhalb von veröffentlichten Artikeln in Zeitungen Beachtung. Mit Öffentlichkeitsarbeit in den Straßen, Mahnwachen und anderen Aktivitäten gegen die Jagd, den Zirkus und die Pelzmode erreichte man die Leute proaktiv. Als sich diese Vereinigung nach einigen Jahren auflöste, übernahm 2006 Animal Justice das Ruder der kleinen aber lebhaften Tierrechtsbewegung. Wie bei ihrem Vorgänger versammelte sich um Animal Justice eine Protestkultur, wie man sie vorher nur aus dem Ausland kannte. Größeren Einfluss bemerkte man aus dem deutschsprachigen Raum. Im Fokus waren weiterhin die Tierrechte und der Antispeziesismus. Zum Teil bestimmte das Bild der Bewegung eine Symbolik ähnlich der Antifa-Bewegung – partei- politisch neutral, dennoch links, mit
einem Hauch Anarchie. Mit mehr Punk als Öko ließ sich lauter protestieren. Einschlägige Flyer und provokantere Parolen wie „Go Vegan“ und „Artgerecht ist nur die Freiheit“ kamen weit wirksamer unter die Leute. Tierbefreiungsorganisationen wie ALF waren das Vorbild.

Mit Animal Peace und Animal Justice entstand eine Tierrechtsbewegung, die heute noch existierende und neue Gruppierungen beeinflusst. Eine Splittergruppe der Justice Animals, die Save Animals, ist heute noch aktiv und organisiert zuweilen noch Mahnwachen. Sie ist auch verantwortlicher Organisator der alljährigen International Animal Right Conference – eine Konferenz, die sich als internationale Plattform für Aktivisten und Interessenten der Tierrechtsbewegung versteht. Ein wesentlicher Aspekt der IARC ist die praktische Tierrechtsarbeit.9

Nicht weniger politisch, doch in einem wesentlich breiteren Spektrum, sind die Organisationen Vegan Society Luxembourg und VegInfo Luxembourg aktiv. Diese zwei ONGs beschäftigen sich in unterschiedlicher Weise mit den vier Grundpfeilern des Veganismus – bestehend natürlich aus Tierrecht, Umwelt, Nahrungsgerechtigkeit und Gesundheit. Während die VSL noch an Mahnwachen teilnimmt, konzentriert sich die jüngst gegründete VegInfo ausschließlich auf die Verbreitung von Informationen über Workshops für das Schulwesen, Gemeindeaktivitäten, Vereinigungen und Konferenzen. Beide Organisationen üben sich, wie die Organisationen aus den 80er Jahren auch, an Gastbeiträgen in Zeitungen, offenen Briefen, Wahlforderungen und Schriftverkehr an amtliche Stellen. Neue Wege und Strategien begann man auch durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen zivilgesellschaftlichen Plattformen wie „Votum Klima“ und „Meng Landwirtschaft“. Neu dabei ist, dass man sich für gemeinsame Schnittstellen innerhalb der Zivilgesellschaft einsetzt und gleichzeitig versucht, den Veganismus als eine von vielen Lösungen für Probleme im Klimaschutz und in der Landwirtschaft voranzubringen.

Die wohl populärsten Aktivitäten veganer Vereinigungen sind weniger politisch und gewannen im Bereich der Ernährung immer mehr an Beliebtheit. Brunchs, Kochworkshops, vegane Wanderungen und einiges mehr lenken vom militanten Image ab. Dies hat einen doppelschneidigen Nebeneffekt. Zweck ist an erster Stelle immer die Förderung der Tierrechte – das Thema Gesundheit und Ökologie wurde jedoch neu in den Vordergrund gestellt. Zudem wurde der Veganismus nicht von der industriellen Lebensmittelindustrie verschont und von den Medien zu häufig zum Modetrend degradiert. Die Bewegung muss sich somit immer neuen Herausforderungen stellen. Obwohl es für die Tiere egal zu sein scheint, ob man aus Gründen der Gesundheit, Umwelt oder Tierethik vegan lebt, kann die Ablenkung von den Tierrechten kontraproduktiv sein, will man in erster Linie ein neues Bewusstsein im Mensch-Tierverhältnis erreichen. Denn die Tierethik ist wohl das hartnäckigste Argument der veganen Bewegung.

Die neuen Medien – Segen und Fluch

Im Gegensatz zu den früheren Vereinigungen, die noch mit Flyern zu Protesten, Mahnwachen oder Boykotts aufriefen, haben die heutigen Bewegungen ganz andere Mittel – insbesondere die der sozialen Medien. Ohne Zweifel hätte die Verbreitung tierrechtlicher und veganer Bewegungen nicht die gleichen Auswirkungen ohne Facebook & Co.

Vereinigungen, die sich mit Schriften, Publikationen und politisch aufwendigeren Arbeiten eine Interessengemeinschaft erarbeiteten, sind Vergangenheit. Heute scheinen täglich neue Gruppierungen aufzutauchen, die lediglich virtuell
existieren. Anders als vor zwanzig Jahren wird weniger an eigenen Recherchen gearbeitet, dagegen aber oft unkritisch auf existierende Dokumente im Internet zurückgegriffen. Wo früher kommuniziert, analysiert und militiert wurde, wird heute immer mehr „geshared“ und „gelikt“.

Daher wird es besonders im Internet schwerer, neugegründete Gruppierungen in rein virtuelle und reale Gruppierungen zu unterscheiden. Eine komplette Übersicht von Vereinigungen, virtuellen Gruppen und Blogs im Internet zu erstellen, würde den Rahmen sprengen.

Die wachsende vegane Bewegung hat ohne Zweifel auch Einfluss auf die klassische Tierrechtsbewegung. So rückte eine schon seit längerem etablierte Tierschutzorganisation wie die ALPA immer mehr in die Tierrechtsszene und gilt heute als
Tierrechtsorganisation – neu entstandene Tierschutzgruppen wie AMIAVY verstehen sich auch als Aktivisten für Tierrechte.

Einfluss auf das neue Tierschutzgesetz?

Tierrechtsorganisationen haben ohne Frage ihren Anteil am neuen Bewusstsein für das Mensch-Tier-Verhältnis. Nicht nur was den aktiven Tierschutz und das Tierrecht angeht, auch der politische Einfluss ist unumstritten.
Eine besondere Entwicklung ist das Übergreifen des klassischen Tierschutzes in den Bereich der Landwirtschaft. Ob sich überhaupt jemals der Tierschutz von Haustieren mit dem von sogenannten Nutztieren verschmelzen lässt, bleibt abzuwarten. Die Tendenz, sich sogar in politischen Kreisen diese Frage zu stellen, macht die Schaffung eines neuen modernen Tierschutzgesetzes nicht leichter – im Gegenteil – wie man an der langwierigen Geburt eines neuen zeitgemäßen Tierschutzgesetzes sieht. Hier wird versucht, sich dem (unmöglichen) Spagat zwischen Landwirtschaft und klassischem Tierschutz zu stellen – Tierrecht inklusive von vornhinein ausgeschlossen …

Dass dieses Tierschutzgesetz auf Prostest der Landwirtschaftslobby stößt, war von vornherein klar – dass sich Tierschützer und Tierrechtler an halbherzigen Änderungen stören auch.

Dass dieses Tierschutzgesetz verzweifelt versucht, theoretisch jedem gerecht zu werden und damit praktisch keinem gerecht wird, beweist u.a. die komplizierte Diskussion um die Definition einer „Tierwürde“. Diese Diskussion wurde ebenfalls im Hinblick auf eine neue Verfassung mit Tierrechtsaktivisten in der Abgeordnetenammer diskutiert, nachdem zahlreiche Organisationen und Privatpersonen dem Aufruf der Vegan Society Luxembourg im März 2015 nachgekommen waren, um dies im Rahmen einer öffentlichen Umfrage zu fordern.10

Dieser Einfluss macht sich ebenfalls durch rezente Konferenzen von politischen Parteien oder Umweltschutzorganisationen wie dem Mouvement écologique zum Thema neues Tierschutzgesetz bemerkbar. Politik und Landwirtschaft reagieren auf das Thema „Tierrechte“ oft mit dem Totschlagargument der „Ideologie“ sowohl defensiv als auch offensiv. Dem steht wiederum die Meinung der Tierrechtsbewegung, dass Tierausbeutung die einzige und zudem gewaltvolle Ideologie sei, diametral gegenüber.

Das neue Tierschutzgesetz – so fortschrittlich es auch sein mag – wird Tierrechtsbewegungen sicher nicht gerecht. Tierschützer werden bestenfalls eine gute Richtung feststellen können. Dass das neue Tierschutzgesetz aus Tierschutzsicht zum Teil eine Verzweiflungstat ist, sieht man an der Abstrusität, für eine quasi nichtexistierende Population von Emus ideale Haltungsbedingungen zu schaffen, während die wohl qualvollste Haltung von Nutztieren, die der Schweine, einer minimalen EU-Regulierung überlassen wird.

Laut Minister Etgen bleibt zu hoffen, dass für eine weitere Erneuerung des Tierschutzgesetzes keine weiteren 30 Jahre vergehen werden, da sich der Umgang und das Verhältnis zu Tieren dank der Tierrechtsbewegung dynamischer denn je entwickelt.

1 Neben der Ernährung spielt auch die Bekleidung, Unterhaltung durch Tiere und der Umgang mit Haustieren eine Rolle.

2 Jean-Pierre Wils: „Tierethik“. In: Jean-Pierre Wils und Christoph Hübenthal (Hrsg.): Lexikon der Ethik. S. 362–370; S. 367.

3 „Tierrecht und Tierschutz“ In Luxemburger Wort 1 Januar 1908, S.2.

4 Kéisecker 2/1979. 5 Kéisecker 3/1983 „Boykott dem Pelzhandel“ Bericht über eine von Jeunes et Environnment veranstaltete Flugblattaktion.

6 Kéisecker 6/1982 „Tierfabriken“. 7 https://ivu.org/news/evu/news964/toolate.html

8 http://www.etat.lu/memorial/1996/C/Pdf/ c5563010.pdf

9 http://ar-conference.org

10 http://www.xn--rvirschli-u2a7d.lu/LU/ Aufruf der Chambre des députes an alle Bürger, Vorschläge für die neue Verfassung einzureichen. Die Vegan Society Luxembourg reichte am 29.03.2017 ihren Vorschlag ein und forderte über die sozialen Netzwerke den Text zu kopieren, ggf. persönlicher zu gestalten, um ebenfalls die Würde des Tieres in die Verfassung zu fordern (Bericht auf RTL unter http://www.rtl.lu/letzebuerg/721841.html)

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