Verliebt, verlobt, verheiratet?

Liebe und Beziehungen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet

Soziale Normen und Sitten, die viele Beziehungen geformt, andere zum Auseinanderbrechen gebracht haben, sowie Erwartungen an den Partner scheinen sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert zu haben. Mann und Frau, zumindest in der westlichen Welt, können frei(er) entscheiden, mit wem sie eine Beziehung eingehen oder ob sie solo bleiben. Tatsächlich ist zu beobachten, dass sich mehr und mehr Menschen dazu entschließen, sich nicht zu „binden“ und solo zu bleiben, auch wenn es oft bei Übergangsphasen bleibt. Zu diesem Thema empfehle ich übrigens den Mitschnitt der äußerst interessanten Konferenz Célibataires ou en couple, quel avenir pour l’amour?, der auf der Webseite von France culture zu finden ist.

Bezogen auf jene, die in ,traditionellen‘ Beziehungen leben, hat Anthony Giddens, britischer Soziologe, Anfang der 1990er Jahre von der „Transformation der Intimität“ gesprochen. Demnach ist Sex(ualität) nicht mehr ausschließlich an Reproduktion gebunden und damit auch nicht mehr an eine bestimmte oder eine einzige Person. Ob die sexuelle Revolution tatsächlich stattgefunden hat, darüber wird bis heute leidenschaftlich diskutiert, interessant ist jedoch Giddens Analyse vom Übergang der „romantischen“ zur „partnerschaftlichen“ Liebe. Demnach ist die Liebe nicht mehr an das romantische Bild der Moderne geknüpft, welches Heirat und ewige Liebe verschmelzen lässt. Auch 25 Jahre später stellen sich nicht nur zahlreiche Kolumnisten, Sozialforscher und Psychologen Fragen zum Dauerbrenner Beziehung. Welches Modell ist das richtige für mich? Gibt es nur die eine Person und dies „bis dass der Tod uns scheidet“? Darf oder kann ich nur einen Menschen lieben? Welche Rolle spielen soziokulturelle Werte in einer Beziehung? forum hat sich diesen und anderen Fragestellungen gewidmet: Die Autoren dieses Dossiers untersuchen aus unterschiedlichen Pers-pektiven Werte und Beziehungskonstellationen von Menschen aus verschiedenen Generationen und mit unterschiedlichem Hintergrund.

Für immer und ewig?

Ein Gespräch mit dem Kulturhistoriker Guy Schons leitet das Dossier ein und zeigt anhand von Beispielen, wie sich die Darstellung von Liebe und Beziehung in der luxemburgischen Musikgeschichte im Laufe der Jahrhunderte verändert hat. Obwohl sich Film- und Valentinstag-Industrie heute weiterhin darum bemühen, das Bild der romantischen und ewigen Liebe zu vermitteln, unterstreichen aktuelle Zahlen den Rückgang von Hochzeiten und die Zunahme von Scheidungen. Trennungen verursachen insbesondere im Leben der Kinder des Paares einen tiefen Einschnitt. Diese Erfahrungen und vor allem der Umgang der Eltern mit der Scheidungssituation sind ausschlaggebend für die Entwicklung und die Beziehungsfähigkeit der Kinder.

Die Psychologin Lisa Schiltz-Clees argumentiert, dass eine feste Beziehung trotz Scheidung der Eltern für Jugendliche an vorderer Stelle steht. Sie bestätigt somit die Ergebnisse zahlreicher Studien, die ergeben haben, dass die Werte, die jung und alt in einer Beziehung suchen, sich eigentlich nicht so sehr verändert haben. Diesen Untersuchungen zufolge spielen eher „konservative“ Werte, wie z.B. Treue und Loyalität, weiterhin eine wichtige Rolle. Der Paartherapeut Jean-Paul Conrad hat Ende November in einem Beitrag auf der forum-Internetseite erklärt, dass solche Brüche Kindern schon im jungen Alter klarmachen, dass eine Beziehung vergänglich sein kann. Folglich gehen junge Menschen heute eine Heirat nicht mit den gleichen Erwartungen an, wie es ihre Eltern vielleicht noch getan haben. Fragen für die Zukunft stellen sich nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für die Eltern, die sich nach langjähriger Ehe oft dann, wenn die Kinder aus dem Hause sind, dazu entscheiden, getrennte Wege zu gehen. Jean-Paul Conrad analysiert in diesem Zusammenhang ebenfalls das Phänomen der „Secondhand-Beziehungen“, einer doch logischen Konsequenz der erhöhten Anzahl an Scheidungen. Der Therapeut untersucht anhand einer Erzählung, ähnlich wie man sie von Bekannten hören könnte, welchen Fragen, Herausforderungen und Chancen sich die Betroffenen stellen müssen. Ob es eher darum geht, Beziehungen zu ,retten‘, indem man die Erwartungen herunterschraubt, die rosarote Brille absetzt und die Beziehung, respektive Ehe, pragmatischer, nüchterner angeht, dazu äußert sich Céline Flammang in einigen Reflexionen zu Arnold Retzers Buch Lob der Vernunftehe.

Liebe in der digitalen Welt

Nadine Besch ist Teil der Generation Y, den Nachfolgern der Babyboomer, also jene 20- bis 35-Jährigen, denen nachgesagt wird, dass sie sich angesichts der vielen Möglichkeiten, welche die postmoderne Multioptionengesellschaft und das Internet bieten, nicht mehr binden möchten oder können. Manche Beobachter sprechen sogar von einer Bindungsphobie. Ihnen zufolge ist die Bereitschaft, eine Beziehung aufzugeben oder oft gar nicht erst einzugehen, äußerst ausgeprägt bei dieser Altersgruppe. Die Autorin widersetzt sich jedoch jenen Etikettierungen, die momentan durch die Medien kursieren und dieser Generation aufgesetzt werden.

Dass neue Informations- und Kommunikationstechnologien das Kennenlernen und das „Daten“ verändert haben, kann aber nicht abgestritten werden. Online-Portale sind jedoch Schnee von gestern und Apps wie Tinder, bei denen Algorithmen und ausgewählte Kriterien potenzielle Partner und „Matchs“ bestimmen, erleben gerade Hochkonjunktur. Inwieweit Tinder in Luxemburg tatsächlich verbreitet ist, bleibt schwer einzuschätzen. Die geringe Größe des Landes spielt hierbei sicherlich eine Rolle: In London, New York oder Paris ist die Gefahr, dass man dem „Match“ von gestern Nacht im Supermarkt über den Weg läuft, jedenfalls geringer. Der Aufschwung des Internets hat neben Veränderungen in puncto Kennenlernen aber auch zum vereinfachten Zugang zu Pornografie beigetragen. Eltern wie Lehrpersonal schlagen Alarm und weisen auf den erhöhten Konsum von Online-Pornografie hin. In diesem Dossier gibt der Sexualpädagoge Simon Görgen Antworten auf Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden: Inwiefern beeinflusst der Pornokonsum auf Youporn & Co. die Erwartungen Jugendlicher im Hinblick auf Beziehungen und Geschlechtsverkehr? Oder wie geht man damit um, wenn schon im Kindesalter Pornos konsumiert werden?

Kommunikation über alles

Unabhängig von der Beziehungskonstellation sind Kommunikation, Respekt und Abstimmung der Bedürfnisse wichtig. Hamadou Zamakoya, ebenfalls Paartherapeut, beschäftigt sich mit interkulturellen Partnerschaften und hebt die Wichtigkeit von Kommunikation hervor, die in diesem Fall angesichts der unterschiedlichen soziokulturellen Herkunft von noch größerer Bedeutung ist. Diese kann sich aber schwieriger gestalten, wenn die Muttersprache nicht die gleiche ist. Es gibt nämlich auch Worte und Handlungen, die mit Liebe zu tun haben, sich aber nicht übersetzen lassen. Viviane Thill beschäftigt sich mit Letzteren und erklärt, dass es tatsächlich einen luxemburgischen Ausdruck für „Ich liebe dich!“ gibt. Eine andere Beziehungskonstellation, in der Kommunikation von besonderer Bedeutung ist, sind offene Partnerschaften. Worin diese bestehen, können wahrscheinlich nur jene festlegen, die in der genannten Beziehung leben. Außenstehende oder besser gesagt jene, die sich für eine traditionelle Zweierbeziehung entschieden haben, schmücken Polyamorie nämlich mit den extravagantesten Vorstellungen. Zwei Personen, die in einer offenen Beziehung leben, stellen dar, wie eine solche Beziehung aussieht und welche Werte für sie zählen.

In diesem Dossier wird sich einem äußerst facettenreichen Thema gewidmet, das nur schwer in einen Rahmen gepresst werden kann: Jeder Beitrag hätte wahrscheinlich ein eigenes Heft verdient. Liebe und Beziehungen sind ja auch eine sehr komplexe Angelegenheit, sie haben für jeden von uns unterschiedliche Bedeutungen. Wir haben einzelne Entwicklungen und Phänomene – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit – ausgewählt und versucht, näher darauf einzugehen. Ob jetzt poly, mono, solo oder interkulturell, wirklich selbst bestimmen, in wen man sich verliebt, kann man nicht – Tinder(ella) hin oder her. Was aus dieser Liebe entsteht, aber sehr wohl in den meisten Fällen. In einer Beziehung können viele Wege eingeschlagen werden, wie hügelig oder lang diese sind, dafür sind dann immer beide Partner verantwortlich.

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