„Keine Festung ist so stark, dass Geld sie nicht einnehmen könnte“
Marc Tullius Cicero
Geld, kommt aus dem althochdeutschen Gelt und bedeutete Lohn, Zahlung, Vergeltung und zu gelten. Würde man auf der Straße fragen, was „Geld“ ist, bekäme man vermutlich Antworten wie: „ein gesetzliches Zahlungsmittel“, „der Inhalt meines Portemonnaies“, „ein Wert“.
Damit wäre jedoch die Frage beantwortet als was Geld gilt und nicht was es ist. Geld ist so selbstverständlich, dass wir in der Regel nicht darüber nachdenken. Wagen
wir das. Zuerst scheint es geboten, die Wirtschaftswissenschaften danach zu befragen, was Geld ist. Zumindest ihr sollte eine Antwort auf diese Frage keine Probleme bereiten.
Die Ökonomie und das Geld
Die gängige Lehrbuchökonomie scheint klar und gibt eine zweifellos einfache wie einleuchtende Antwort, so zum Beispiel im weltweit millionenfach verkauften Standardwerk Principles of Economics von N. Gregory Mankiw:
„Money is the set of assets in an economy that people regularly use to buy goods and services from other people. Money has three functions in the economy: It is a medium of exchange, a unit of account, and a store of value.“2
Die Standardökonomik beantwortet die Frage nach dem, was Geld ist, also die Frage nach seinem Wesen, rein deskriptiv und funktional. Es drängt sich die Frage auf, ob die Wirtschaftswissenschaft hier nicht etwas leichtfertig mit einer ihrer großen Fragen, vielleicht sogar ihrer größten, verfährt. Soll das alles sein? Drei Funktionen hat das Geld. Punkt.
Zyniker werden unterstellen, dass diese Antwort eine effizienzoptimierte ist und die Ökonomik als „präzise Wissenschaft“ die für sie unangenehmen Teile der Antwort auf die Frage nach dem Wesen des Geldes kurzerhand an die Philosophie „geoutsourced“ hat.
Der dieses Jahr verstorbene Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger zeigte bereits in seiner Habilitationsschrift von 1969 Markt und internationale Währungsordnung auf, dass der angebliche „Numéraire“3 Geld in keiner seiner tatsächlichen ökonomischen Funktionen im Rahmen der Theorie des allgemeinen Gleichgewichts abgebildet wird und dass vorhandene Versuche seiner Verknüpfung mit den realen Austauschprozessen fehlschlagen.4 Nach der Ökonomin Silja Graupe ist Geld in der Ökonomie ein Denkzwang.
Denn unsere Wirtschaftswissenschaft setzt die Existenz von Märkten voraus und damit Preise und Geld.5 Der Kreativitätsforscher und Volkswirt Karl-Heinz Brodbeck drückt diesen Irrtum über den eigenen Forschungsgegenstand in der Ökonomik wie folgt aus:
„Das Was des Gegenstandes, den eine Wissenschaft behandelt, geht ihr immer voraus; sie stellt es nicht in Frage. Die Ökonomie in ihrer modernen Form ist das, was Aristoteles die Chrematistik, die Lehre von der Kunst des Gelderwerbs nannte. So wie aber die Physik nicht als Physik mit physikalischen Mitteln erklärt werden kann, so kann auch die Wissenschaft vom Geld nicht mit einer Chrematistik erkannt werden. Das ist der tiefere Grund, weshalb die Ökonomie daran gescheitert ist, ihren eigentlichen Gegenstand – das Geld – zu erklären.“6
Wir halten also fest: Die Ökonomik setzt ihren eigentlichen Gegenstand voraus, statt ihn zu untersuchen. Darin, dass die Ökonomik und mit ihr fast alle Menschen sich über das Wesen des Geldes keine tieferen Gedanken machen, liegt auch ein tiefer Erklärungsansatz der großen Wirtschaftskrisen der Moderne. Mangels einer allgemeingültigen Antwort, die dem Wesen des Geldes Rechnung trägt, wenden wir uns nun einem alternativen Antwortversuch zu.
Geld als Denkmodell
Der bereits zitierte Ökonom Karl-Heinz Brodbeck hat in langjähriger philosophischer Auseinandersetzung mit dem Geld eine These entwickelt, die hier kurz nachgezeichnet werden soll. Er ist der Auffassung, dass „das Geld ein sozialer Prozess des Bewusstseins ist“.7 Geld sei in seiner physischen Dimension in Form von Münzen, Scheinen oder Kreditkarten nicht wirklicher als im Denken der Händler oder in Kategorien der Religion oder Mathematik. Denn der soziale Prozess, der als Geldrechnung erscheint, war nie getrennt vom Denken. Aber warum ist Geld beziehungsweise die Geldrechnung ein sozialer Prozess? Hier kann man Brodbeck antworten lassen: „zuerst war das Wort – dann kam die Zahl“. Geld ist als sozialer „Urprozess“ nicht möglich ohne die Sprache, sie geht dem Geld voraus.
Die grundlegende Form der Vergesellschaftung ist die Sprache, andere Formen wie Geld vollziehen sich in ihr. Allein die Zeichen des Geldes – der symbolisierte Wert beruht auf vorgelagerten sozialen und sprachlichen Prozessen. Ein 10€-Schein, dessen Bedeutung niemand versteht, ist kein Geld. Der Wert des Geldes kommt nicht von dem Zeichen oder beispielsweise einer Golddeckung, sondern es ist der soziale Prozess des „Bedeutens“ selbst – „er ist damit weder am Ding noch im individuellen Bewusstsein, weder exklusiv im Objekt noch im Subjekt“.8 Geld als Denkform bedeutet also konträr zum Bestehen eines realen, exogenen, außerbewussten Geldes, dass sich der Prozess des Geldes als Denken manifestiert, dass sich der Bedeutungsinhalt des Geldbegriffes erst im Denkprozess definiert. „Das Geld ist in seinem ‚Sein‘ also kein äußeres Ding, sondern der endlos vermittelte soziale Denkprozess der Rechnung in Geldeinheiten“9
Geld als Denkmodell und Form der Vergesellschaftung beruht stets auf der Anerkennung vieler Marktteilnehmer*innen. Das Geld gilt, weil es als Rechnungseinheit anerkannt wird. Wie? Dadurch, dass sie in ihm und mit ihm rechnen. Da dieser Prozess nicht bewusst geschieht, glauben Menschen Geld (als Ding) habe einen Wert, deshalb benutzen sie es. Inflation und wirtschaftliche Zusammenbrüche lassen diesen Glauben schwinden. Der Wert des Geldes ist also eine performativ zirkulär erzeugte soziale Illusion, deren Aufrechterhaltung für die Menschheit viel bedeutet – doch auch diese Münze hat zwei Seiten, wie noch zu zeigen bleibt.
Ratio regiert die Welt
Mit der Geldrechnung schleicht sich schrittweise neben der sprachlichen Vernunft, dem Logos, eine andere Bewusstseins- und Vernunftform in den menschlichen Geist. Es ist die Rechnung in einer abstrakten Entität – Ratio, was im römischen zunächst Rechnung, Rechnungs-legung und Buchhaltung heißt, wird später Vernunft: Wer einen Grund für etwas angibt „legt Rechenschaft ab“. Es beginnt die Zeit der Ratio als vorherrschende Art der Vernunft. Man erblickt in der Welt überall die Herrschaft solcher Abstraktion: Die Zahl. Die in der Sprache liegenden Ideen werden im Denkprozess durch die Herrschaft der Zahl überlagert: Der Logos unterwirft sich der Ratio. Selbst Platon, der die Geldgier als Ausdruck der Leidenschaft bekämpfte, behauptet in seinem Spätwerk auf den Spuren der phytagoreischen Schule, dass alle Ideen letztlich Zahlen seien. Später versteht dann Thomas
Hobbes gar rationelle Erkenntnis als Berechnung. Wenn Ideen letztlich Zahlen sind und diese rationell zu erkennen sind, scheint es kein Wunder zu sein, dass mehr immer besser ist. Der Wahn der Punkte-systeme, Zahl der Likes und Klicks – schneller, höher, weiter – Quantität oder quantitative Bewertung über Qualität oder Charakter. „Die Welt als Zahl, ihre mathematische Deutung, das hat also eine sehr profane Quelle. Das Geld hat sich in den menschlichen Geist so tief eingenistet, dass seine Spuren – das rechnende Denken – gar nicht mehr erkannt werden“.10
Es ist kaum verwunderlich, dass die Ratio als berechnende Vernunft dem Logos als empathische sprachliche Vernunft den Rang abgelaufen hat. Denn die Zahl wie auch das Geld waren und sind noch immer verheißungsvoll. Beides ermöglicht, Mensch und Natur zu kontrollieren und Herrschaft auszuüben. (Ab)zählen ermächtigt, macht Welt er- und begreifbar. Mit Ratio als dominanter Vernunftsform, der Aufklärung und später der Industrialisierung hielt auch ein mechanistisches Weltbild Einzug in unser Denken. Die Welt und Gesellschaft als Maschine, dieses Weltbild ist streng zahlenmäßig, nur so ist es kontrollierbar.
Die innere Herrschaft des (be)rechnenden Denkens korrespondiert mit der äußeren Herrschaft des Geldes sowie mit der Ignoranz in Form der modernen, insbesondere Naturwissenschaft und deren Dominanz über die Natur. Die subjektive Ratio vollzieht eine scharfe Trennung von „rational“ und „irrational“ – auch gleichgesetzt mit vernünftig und unvernünftig. Das Irrationale ist dabei nicht, wie Sigmund Freud und seine Nachfolger meinen, nur das Unbewusste oder die dunkle Seite des Menschen, es ist lediglich „nicht-rational“ und damit eine andere, jedoch nicht per se minderwertige Form der Vernunft.
Rational = Vernünftig?
Wohin führt uns die Herrschaft der Zahl und des Geldes? Und wo ist eigentlich der Logos? Durch die Modernisierung, also die Überspannung unserer Welt mit einer kapitalistischen Wirtschaftsweise und Naturbeherrschung dringt die Ratio unaufhaltsam in die letzten Bereiche des Logos vor – ökonomischer Imperalismus ist analog zur Eroberung des Logos durch die Ratio. Dabei hinterlässt die Blindheit und Gefühlsarmut des kühlen berechnenden Verstandes eine tiefe Spur der Zerstörung in Mensch und Erde. Individualisierung, Klimawandel, soziale Ungleichheit, alles Konsequenzen der abstrakten Herrschaft des Geldes in Form der Ratio. Hierzu Brodbeck:
„Was mit leuchtenden Augen als Fortschritt und Modernisierung gepriesen wurde, war stets nur die verlockende Vorderseite eines Prozesses, dessen Rückseite aufgrund der dem Geld zugrunde liegenden abstrakten Gleichgültigkeit sich als Destruktion bewährt. Der monetäre Zugriff auf die Natur ist der wohl langfristig verhängnisvollste Aspekt dieses Prozesses, denn die Logik des Geldes kennt keine Grenze.“11
Solange „rational“ gleichbedeutend mit „vernünftig“ gilt, können wir die Krise der Ratio, wie Brodbeck sie nennt, nicht lösen. Die entwickelten Programme, Modelle und Theorien zur Begegnung der Krisen unserer Zeit sind zumeist aus genau dieser Denkform entstanden – Zweck-Mittel-Rationalität, Messung und Berechnung. Das wohl eindrucksvollste Beispiel hierzu ist derzeit der Klimawandel und die Versuche, die Temperatur zu begrenzen: Hier wird gerechnet und geprüft, CO2 ist das Maß aller Dinge. Doch dieser Problemansatz, der noch mehr berechnet und erhebt, versteht nicht, dass er das eigentliche Problem ist. Ebenso wenig wie ein erweiterter technischer Zugriff wie beispielsweise der Versuch, CO2 künstlich im Boden zu speichern. Einzig eine neue Bescheidenheit scheint Ausweg zu sein. Diese wünschenswerte Bescheidenheit ist notwendig zur Auflösung der global destruktiven Kräfte des Geldes und setzt nach Brodbeck eine neue Selbstreflexion der Vernunft voraus: Die Kritik der Ratio als Modus des Geldes. Dem Titel dieses Heftes entsprechend, ist also der Mensch mit seiner Ratio im Denkmodell Geld „alles was zählt“. Es ist an uns, zu entscheiden, ob wir alles zählen wollen und ob weniger rational zu sein, manchmal der vernünftigere Weg ist.
1 2000: Zitate für Manager, ISBN 9783409116077, Seite 101, Gabler Verlag
2 N. Gregory Mankiw, Principles of Economics, 6th Edition, 2011, South-Western, Cengage Learning, Part X, Chapter 29, Page 620
3 Numéraire; in der Mikroökonomik das Gut, dessen Preis auf 1 normiert wird, um den Preis der übrigen Güter in Einheiten des Standardgutes auszudrücken (relativer Preis). https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/standardgut-42314/version-265665, zuletzt aufgerufen am 29.05..2018
4 Hans Nutzinger, Roland Kley (Hg.) 2010: Der Ökonom Hans Christoph Binswanger, VGS St. Gallen, S. 122-143
5 Silja Graupe, Geld als Denkzwang?“, S. 122, Geld! Welches Geld? Metropolis 2016
6 Karl-Heinz Brodbeck, Das Geld als Ratio, S. 2, zuletzt aufgerufen am 02.06.2018 http://khbrodbeck.homepage.t-online.de/ratio.pdf
7 Karl-Heinz Brodbeck, „Geld als Denkform“, S. 24, Geld! Welches Geld? Metropolis 2016
8 Karl-Heinz Brodbeck, „Geld als Denkform“, S. 41, Geld! Welches Geld? Metropolis 2016
9 Karl-Heinz Brodbeck, „Geld als Denkform“, S. 41, Geld! Welches Geld?Metropolis 2016
10 Karl-Heinz Brodbeck, Geld als Ratio, http://www.khbrodbeck.homepage.t-online.de/ratio.pdf, zuletzt aufgerufen am 03.06.2018
11 Karl-Heinz Brodbeck, Geld und Sprache, Vortrag beim Top Management Symposium, 2.-4. Juni 2011, „Die Wirtschaft des 21. Jahrhunderts!?“, S. 14,
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