Vor fast 22 Jahren, am 24. November 1998, diskutierte Luxemburgs Parlament über ein leidiges Problem: die Neugestaltung der hauptstädtischen Stäre­plaz. In dieser Chamberdebatte, die dem einstimmigen Votum des Gesetzes vom 10. Dezember 1998 „autorisant le Gouvernement à faire procéder aux travaux d’infrastructures routières et souterraines nécessaires à l’assainissement et à la réurbanisation du quartier ,Place de l’Etoile‘“ vorausging, wurde die grotesk unendliche, mit prozeduralen Fallstricken gespickte Geschichte widerstreitender öffentlicher und privater Interessen rund um jenen beschämenden „Schandfleck“ am Westeingang zur Stadt natürlich allseits beklagt. Zugleich machte sich im Plenum freudiger Optimismus breit, auf dass sich in absehbarer Zukunft alles zum Besseren wenden und rund um den Platz ein schmuckes neues Quartier aus dem Boden sprießen werde. Dies umso mehr, als der Gemeinderat der Stadt Luxemburg schon am 11. Juli 1994 den entsprechenden Plan d’aménagement particulier verabschiedet hatte, der dem Gesetz beigefügt war. Heute wissen wir, dass der Lichtblick, den die treuherzigen Volksvertreter, Stadtbürgermeisterin Polfer und Bautenminister Goebbels am Ende des Tunnels zu erblicken glaubten, nichts weiter war als eine trügerische Fata Morgana.

Gott sei Dank, mögen jetzt die Grünen sagen. Denn ihre damalige Motion, beim Umbau der Stäreplaz genügend Raum vorzusehen für eine Trambahn und Radwege, wurde von allen anderen Fraktionen ohne viel Federlesens abgeschmettert. Eine zeitnahe und zügige Urbanisierung des Areals hätte also womöglich dazu geführt, dass an diesem Verkehrsknotenpunkt für eine spätere Tram kein Platz mehr gewesen wäre.

Gott sei Dank, mögen zudem die Rigoristen des Privateigentums sagen. Zu ihrer großen Erleichterung blieb nämlich Artikel 2 des Gesetzes („L’assainissement et la réurbanisation du quartier […] sont déclarés d’utilité publique“) toter Buchstabe. Die öffentliche Hand war nicht geneigt, dem endlosen, undurchschaubaren Spekulationspoker alter Platzhirsche und neuer Konquistadoren um den renditeträchtigen Besitz von Grund und Boden mittels beherzter Enteignung einen Riegel vorzuschieben und die Initiative an sich zu reißen. In Luxemburg ist die utilité publique ein äußerst zaghaftes, fragiles Elfenwesen, das sich nach etablierter Sitte – warum eigentlich? – nicht mit kapitalkräftigen Baupromotoren anlegt.

Gott sei Dank, mag nicht zuletzt die fraktionsübergreifende Lobby der High-net-worth individuals sagen. Schließlich kann mit den Petrodollars des emiratischen Staatsfonds Abu Dhabi Investment Authority (Adia) jetzt weltstädtisch geklotzt statt nur provinziell gekleckert werden. Dem unlängst von Stadtbürgermeisterin Polfer, Bautenminister Bausch und Bauunternehmer Giorgetti präsentierten Urbanisierungsprojekt nach zu folgern, erwartet die betuchten Bewohner der künftigen Stäreplaz ein Lebensgefühl an der Schnittstelle von Manhattan und Monaco – sofern sie denn realiter und nicht nur zum vermögenstechnisch kalkulierten Schein dort einziehen werden. Dass die rund 540 Luxusappartements – weitere 60 Wohneinheiten sollen, was immer das heißt, unter die Kategorie „à coût modéré“ fallen – in keinster Weise dazu beitragen dürften, die dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt zu entschärfen und die für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zerstörerische Preisspirale umzukehren, bedarf wohl keiner ökonometrischen Demonstration.

Immerhin waren die Investoren so klug, auf die ursprünglich eingeplante Shopping-Mall, noch dazu in der Nähe des – ästhetisch fragwürdigen – Royal Hamilius, zu verzichten. Denn erstens ist der Markt mit dieser Sorte Konsumtempel mittlerweile übersättigt, und zweitens zeigt die Evolution in Europa und Übersee, dass das Geschäftsmodell seine beste Zeit längst hinter sich hat. In den USA begann das Massensterben der Mall-Dinosaurier um 2010. Nach dem Siegeszug des Onlinehandels, zusätzlich befeuert durch die Coronakrise, spricht man dort von einer Retail apocalypse.

Wo die Stäreplaz-Planer allerdings die Überzeugung hernehmen, in Zeiten tiefgreifender Umbrüche durch Corona seien 45.985 Quadratmeter zusätzlicher Bürofläche eine bombensichere Zukunftsinvestition, können sie wahrscheinlich selbst nicht erklären. Dass ihnen eine harmonische Kombination von Wohnen und Arbeiten vorschwebt, was bedeuten würde, dass die HNWI-Bewohner der schicken Flats und Lofts ihren Arbeitsplatz nach Möglichkeit gleich nebenan (oder obendrüber) hätten, darf getrost bezweifelt werden. Und so bleibt trotz der angenehm begrünten Dächer auf den Computer-Simulationsbildern der schale Eindruck haften, als könne das Projekt weder in Bezug auf Gemeinwohlverträglichkeit noch auf Nachhaltigkeit einer ernsthaften Prüfung standhalten. Wie auch von inklusiver Beteiligung der Bürger an der Entwicklung ihrer Stadt einmal mehr keine Rede ist. Sie widerspräche ja auch diametral dem seit 1982/2013 in der Hauptstadt bewährten System matriarchaler Politikgestaltung.

Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.

Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!

Spenden QR Code