- Kultur, Wissenschaft
Vom Start Up-Modus zur Hochschule des 21. Jahrhunderts
Die Universität geht durch ihre erste große Krise
Die Universität Luxemburg, für die Sichtbarkeit immer zu den Prioritäten gehörte, hat in den letzten Wochen weit öfters in der lokalen Presse gestanden, als ihr lieb sein kann. Ein vorübergehender Ausgabestopp hat zu Unruhe und Unmut in den Fakultäten geführt. Presse und Opposition zeigten sich besorgt, die Hochschule hätte jetzt endgültig ihre Autonomie verloren und würde von Regierung und Wirtschaft gesteuert. Seit Mitte 2016 wird der Conseil de gouvernance, der so etwas wie ein von der Regierung eingesetzter Aufsichtsrat ist, von einem Mann aus der Wirtschaft präsidiert. Yves Elsen (CEO von Hitec SA) hatte seit 2010 dem Fonds national de la recherche vorgesessen und dort nach Aussage seines Generalsekretärs insbesondere für eine „valorisation socio-économique des résultats de la recherche et les partenariats entre recherche publique et entreprises“ gesorgt. Im siebenköpfigen Aufsichtsrat der Universität sind die Wirtschaftsvertreter zwar in der Minderheit (Yves Elsen hat an seiner Seite noch Gérard Hoffmann, CEO von Tango, und Alain Kinsch, Managing Partner von Ernst & Young), doch von den vier anderen (akademischen) Mitgliedern des Conseil de gouvernance hat nur einer einen Luxemburg-Bezug. Der neue Präsident hatte umgehend die Ausgabenpolitik der Universität einer Prüfung unterziehen lassen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die Institution Verpflichtungen eingegangen war, die sie auf Dauer nicht bedienen kann.
Am 1. April veröffentlichte der Conseil de gouvernance eine Presseerklärung, wonach die Universität mit elfmonatiger Verspätung ein Budget für 2017 verabschieden konnte. Der Conseil universitaire, ein gewähltes Gremium von Universitätsvertretern, hatte noch in der Woche zuvor gegen dieses Budget sein Veto eingelegt. Das Budget sieht trotz einer allgemeinen Erhöhung der zur Verfügung stehenden Mittel Einschnitte vor, die die Handlungsfreiheit der Fakultäten empfindlich einschränken. An das Rektorat (und damit auch an den Verwaltungsdirektor) ging im Pressekommuniqué des Aufsichtsrates die Aufforderung, schnellstens (sans delai) auf eine moderne Buchführung umzuwechseln, eine Aufforderung, die einer öffentlichen Desavouierung der Verwaltung gleichkam. Exzellenz in Lehre und Forschung sei ohne eine gleichzeitige Exzellenz in der Verwaltung kaum zu erreichen, formulierte das Communiqué ohne große Rücksichtnahme. Eine freischaffende Unternehmensberaterin hat zudem den Auftrag erhalten, eine Analyse der Verwaltungsabläufe zu erstellen. In der Privatwirtschaft kündigen solche Schritte die imminente Ablösung des Führungspersonals an, und so konnte es auch nicht verwundern, als der Rektor am 2. Mai seinen Rücktritt erklärte.
Rückblick
Die Universität war 2003 gewissermaßen als Start-Up gegründet worden, d.h. ausgestattet mit viel Geld, großen Erwartungen und vagen Ideen, wo es hingehen soll. Der damalige Regierungsrat im Hochschulministerium, Germain Dondelinger, der mittlerweile in der Universität den Status eines Säulenheiligen genießt, wollte eine auf Forschung fokussierte Universität. In welche Richtung die Forschung gehen sollte, war auch nach den ersten 10 Jahren nicht geklärt. Die Strategie der ersten Jahre wird selbst an der Universität mit dem Begriff „opportunistisch“ bezeichnet. Jede Gelegenheit, die Wachstum und Sichtbarkeit versprach, wurde ergriffen. Auch die Regierung brauchte unbedingt Erfolge, pumpte sie doch parallel zwei Milliarden € öffentliche Gelder in die Umwandlung der Industriebrache Esch/Belval in eine Cité des Sciences. Getrieben wurde die Entwicklung von der Hoffnung, dass in dem mühsam von Vierjahresplänen und vom Fonds national de la recherche kanalisierten Wachstum auch die eine oder andere Erfolgsstory herauskommen würde.
Tatsächlich ist diese Rechnung 15 Jahre nach den Anfängen der Universität aufgegangen. Die Rankingsysteme und internationalen Evaluationen bescheinigen der einzigen Hochschule des Großherzogtums mittlerweile sehr gute Ergebnisse (Platz 178 unter den weltweit besten 1000 Universitäten nach Berechnung des renommierten „Times Higher Education (THE) World University Rankings“). Die Universität profitiert dabei u.a. von ihrer internationalen Ausrichtung (d.h. hohe Anzahl ausländischer Mitarbeiter und Studenten), die von den Rankings honoriert wird – eine Gegebenheit, die sich in Luxemburg jedoch kaum verhindern lässt.
Erfolgreich in den Augen der OECD und anderer Prüfer sind insbesondere die beiden interdisziplinären Zentren (personalisierte Medizin, jetzt Parkinsonforschung sowie ICT-Sicherheit und Kryptographie). Hier konnten die eingesetzten Direktoren (der Genetiker Rudi Balling und der Elektroingenieur Björn Ottersten) am Rektorat und Conseil de gouvernance vorbei Forschungsinhalte und Strategien bestimmen und ihre Mitarbeiter auf klare Ziele verpflichten. Da Geld keine Rolle spielte, waren die Direktoren auch in der Lage, das Personal anzuwerben, das schnelle Erfolge – in Form von Publikationen in internationalen Journals – versprach. Ansonsten ist insbesondere die relativ große sozial- und geisteswissenschaftliche Fakultät eine schwierige Einrichtung, eine Ansammlung von akademischen Einzelunternehmern, die der klassischen (kontinentalen) Vorstellung von akademischer Freiheit und Autonomie anhängen.
Die ersten zehn Jahre der Universität waren maßgeblich geprägt vom Zusammenspiel zweier Männer, die sich geschickt die Bälle zuwarfen. Auf der einen Seite der oben erwähnte oberste Beamte im Hochschulministerium, Germain Dondelinger, der seine Vorbilder in der angelsächsischen Welt hatte. Als Regierungskommissar betätigte er sich im Conseil de gouvernance als undurchsichtiger Strippenzieher, nebenbei war er noch Präsident des Fonds Belval und damit für die gesamte Planung der Cité des Sciences verantwortlich (mit Alex Fixmer als Direktor des Fonds Belval hatte er einen ebenso gutgelaunten wie rücksichtslosen Pragmatiker an seiner Seite).
Auf der anderen Seite stand Rektor Rolf Tarrach, ein blendender Unterhalter, der schnell begriffen hatte, wie man in Luxemburg überlebt. Zusammen nutzten diese beiden das Hochschulgesetz in einer Weise, die ihnen maximale Sicherheit bot – der eine wirkte dabei macchiavellistischer als der andere, aber beide waren wohl überzeugt, dass man am Anfang eines solchen Abenteuers nicht auf zuviele Befindlichkeiten und Prinzipien Rücksicht nehmen sollte. Wenn dann Universitätsangehörige sich über mangelnde Vision oder erratisches Management wunderten, übersahen sie, dass diese Zustände möglicherweise intendiert und implizit im Interesse der Führungsebene waren.
Tarrach hatte verstanden, dass man sich in Luxemburg arrangieren muss, und er navigierte von einer akademischen Feier zum nächsten Vierjahresplan, ohne große Entscheidungen zu fällen oder gar großen Schaden zu nehmen. Konnte man es den beiden verdenken, diese junge Universität in den ersten Jahren wie ein nicht ganz flugtüchtiges Raumschiff durch einen Asteroidenschwarm zu lenken? Sie mussten aufpassen, nicht selber unter die Räder zu geraten, die ständig unzufriedenen Professoren auf Armlänge halten und die am Geldhahn sitzende Politik mit Versprechungen ködern. Im übrigen entsprach Navigation auf Sicht dem Vorgehen aller öffentlichen Einrichtungen in diesen Jahren, als Luxemburg Wachstumsraten von 5 bis 8% erreichte.
Der Bruch
Als sich die neue Regierung 2014 auf die Suche nach einem Nachfolger für Rolf Tarrach machte, war klar, dass der Kandidat nicht ganz so glamourös sein musste, dafür aber Verwaltungserfahrung haben sollte. Der von der Universität Frankfurt kommende Wirtschaftsprofessor Rainer Klump schien die nötige Seriösität und Erfahrung mitzubringen und versprach noch dazu den Wirtschafts- und Finanzwissenschaften den Stellenwert zu geben, der ihnen paradoxerweise bislang in Luxemburg fehlte. Klump scheint dann aber „nie richtig an seiner Universität angekommen zu sein“, wie das Lëtzebuerger Land einen Mitarbeiter der Institution zitiert. Lag es an seinem etwas unzugänglichen Stil oder daran, dass er einfach die Luxemburger Realitäten (bzw. die Motivationen der Stakeholder) unterschätzt hatte? Die Entwicklungsstrategie, die Klump nach einem längeren Konsultationsprozess mit allen Ebenen der Universität vorlegte, wurde jedenfalls vom Conseil de gouvernance als zu wenig handfest beurteilt: „Digital, europäisch und luxemburgisch“ höre sich nach einem guten Slogan für die Universität an, sage aber noch nicht viel über die Prioritätensetzung aus, so lautete der Vorwurf.
Gerade die ausdrücklich europäische Positionierung der Universität musste den Luxemburger Vertretern im Conseil de gouvernance naiv und kontraproduktiv erscheinen. Die gesamte politisch-wirtschaftliche Führungsschicht des Landes sieht sich mittlerweile in einem globalen Rahmen agieren (bzw. seit neuestem wohl auch interplanetarisch…), wo Europa die zu nutzenden Rahmenbedingungen stellt, aber kein Ziel an sich darstellt. Wie das ganze Land, so soll sich auch die Universität als Player der Globalisierung definieren und nicht als Vorreiter einer europäischen Einigung.
Die Prioritätensetzung der Universität muss jetzt im Rahmen des nächsten Vierjahresplans 2018-2021 geleistet werden. Doch zur Zeit scheint nicht einmal klar, wer den Vierjahresplan schreiben soll. Nach einhelliger Meinung brechen jetzt alle Kinderkrankheiten aus, die über die Jahre verschleppt worden waren, was in erster Linie die Kernkompetenz des Rektorats betrifft: die Verwaltung. Die kontinuierlich steigenden Zuwendungen der Regierung hatten über die letzten Jahre verschleiert, dass zwar die jährlichen Ausgaben immer gedeckt waren, aber die eingegangenen Verpflichtungen auf Dauer nicht zu bedienen sind. Wie überall in Luxemburg war auch hier so etwas wie ein Schneeball-System entstanden: Nur immerwährendes Wachstum hätte die Stabilität dieses Systems und die Zufriedenheit der Mitarbeiter garantiert.
Mit dem Wechsel an der Spitze des Conseil de gouvernance wurde die Flugbahn des Raumschiffes jäh gebrochen. Die neue Generation an der Spitze des Aufsichtsrates sieht die Universität als öffentlichen Dienstleister, der nach den Kriterien einer gesunden Unternehmensführung organisiert sein muss, und verlangt vom Rektorat professionelles Management und eine vorausschauende Buchhaltung. Das vom Aufsichtsrat durchgeboxte Budget kalkuliert die zukünftige Ausgabenentwicklung ein, was sich insbesondere auf die Gestaltungsfreiheit der Fakultäten auswirkt. Jetzt müssen Projekte heruntergefahren werden, und wissenschaftliche Mitarbeiter, die die Projekte abarbeiten sollen, erhalten teilweise keine Anschlussverträge. Die Stimmung ist mies und einige der besten, im Ausland rekrutierten Wissenschaftler werden sich bald die Frage stellen, was für ein Interesse sie haben, in Luxemburg auf Dauer zu bleiben.
Die Zukunft
Damit ist die Universität in der akademischen Realität angekommen. Wer Einsparungen sagt, sagt Prioritäten. Wer Strategie sagt, sagt Prioritäten. Die Universität wird sich auf Kerngebiete zurückziehen und auch einmal eingegangene Kooperationen auf den Prüfstand stellen müssen. Sie wird sich mehr um das Stiefkind Lehre und Ausbildung kümmern müssen und diese auch mehr an den Bedürfnissen der luxemburgischen Schulabgänger und des luxemburgischen Arbeitsmarktes ausrichten als am Bedarf der internationalen Forschungsgemeinschaft. Wie alle Universitäten weltweit wird auch die hiesige eine Antwort auf die Frage finden müssen, was ihre Diplome wert sind auf einem Arbeitsmarkt, der sich so schnell wandelt, dass die in Zukunft notwendigen Ausbildungsprofile heute noch nicht einmal in Ansätzen bekannt sind.
In Zukunft wird das Gewicht innerhalb der Universität voraussichtlich noch weiter zu den interdisziplinären Zentren wandern, die das passende Organisationsmodell darstellen, um an allen Kontrollorganen vorbei eine effiziente Arbeit zu leisten. Das neue Universitätsgesetz ermöglicht die Gründung weiterer derartiger Institutionen. Damit ist aber auch klar, dass nicht die vielbeschworene akademische Freiheit der Professoren im Vordergrund stehen wird, sondern der Output hierarchisch strukturierter Institute. Das Modell der Fakultät mit einem nur der akademischen Community verpflichteten Professor dürfte zumindest in Luxemburg wenig Zukunft haben. Vielleicht stellt sich am Ende heraus, dass die Bezeichnung Universität einfach falsch gewählt war.
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