Vom Umgang mit (Un-)Sicherheit
Mobilitätserfahrungen junger Menschen
“Although geographic mobility is not a goal in itself, it may offer people better career prospects or professional alternatives.”1
In der EU-Politik wird geographische Mobilität zu Zwecken von Training, Ausbildung und Studium finanziell gefördert (z.B. ERASMUS+). Dadurch sollen Karrierechancen und das Matching auf dem europäischen Arbeitsmarkt optimiert und Arbeitslosigkeit wie Arbeitskräftemangel minimiert werden. Diese politischen Programmatiken decken sich vielfach mit Anforderungen in der Arbeitswelt, in der internationale Erfahrungen, sei es in Form eines Studienaufenthalts, eines Praktikums oder einer regelmäßigen Beschäftigung an Bedeutung gewinnen. Besonders in international orientierten Firmen sind solche Erfahrungen hoch geschätzt und werden dementsprechend mit einer guten Stelle prämiert.2 Auslandserfahrung wird häufig als Indikator für Weltoffenheit, höhere Ausdauer und Kreativität interpretiert. Mobilität wird damit zur Ressource im Wettbewerb um Arbeitsplätze.3 Die Rede ist von einem „mobility imperative“, der ein erfolgreiches Individuum mit einer mobilen und flexiblen Person gleichsetzt.4 Während aus sozialwissenschaftlicher Perspektive eine theoretische Abgrenzung zwischen Mobilität und Migration wenig sinnvoll erscheint, wird in der EU eine klare Linie zwischen Mobilität und Migration gezogen: Das Letztere bedeutet den Zuzug aus Ländern außerhalb der EU, das Erstere meint Populationsbewegungen zwischen Ländern der EU.
Häufig wird allerdings übersehen, dass Mobilität nicht nur positive Effekte hat, sondern sowohl für Menschen wie Regionen auch Nachteile mit sich bringen kann.5 In diesem Artikel wollen wir den Blick auf unterschiedliche Thematisierungsweisen von (Un)Sicherheit und Geborgenheit lenken, die die InterviewpartnerInnen in ihren Mobilitätserzählungen zum Ausdruck bringen. Das Gefühl von Sicherheit kann viele verschiedene Facetten haben: Geborgenheit, physische Sicherheit und Schutz, finanzielle Absicherung, wirtschaftliche Stabilität und die Vertrautheit mit dem Gewohnten. Dabei balancieren die jungen Menschen diese unterschiedlichen Facetten kontextspezifisch aus.
Eine Balance zwischen Enge und Geborgenheit
So wünschen sich junge mobile Leute zwar ein Zuhause, in dem sie sich sicher und geborgen fühlen, gleichzeitig kann aber der Wunsch, die Enge und die zu große Geborgenheit zu verlassen, eine treibende Kraft für einen Auslandsaufenthalt sein. Dieser ist dann ein Aufbruch in mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung: „Dieses Luxemburg ist klein, das Dorf war noch kleiner und die Mentalität ist halt auch anders und (…) ich glaube, ich [habe] mich sehr weiter entwickelt, weil ich einfach mit so vielen Menschen, so vielen Kulturen zusammengestoßen bin, dass ich einfach angefangen habe, sehr vieles zu hinterfragen“ (Anna, 23-26, Studentin6).
Gerade junge Menschen erleben das Zuhause – und damit ist sowohl das Elternhaus als auch das Heimatland gemeint – als ein Zuviel an (Sozial)Kontrolle, Regeln, Grenzen und Schutz. Gleichzeitig wollen junge Menschen dieses Gefühl der Geborgenheit nicht komplett aufgeben und suchen gezielt nach Orten, an welchen dieses gegeben sein könnte. Es geht so gesehen um eine neue Balance von Geborgenheit, Freiheit und Herausforderungen, durch welche sie sich selbst ausprobieren und einen eigenen Lebensstil entwickeln können.
Suche nach physischer Sicherheit
Gleichzeitig gibt es Personen, die durch die Mobilität gezielt Schutz und physische Sicherheit suchen, da diese im Heimatland nicht gegeben sind. “In my home? In my hometown. Jaa. I feel very insecure, although I live in a very public and crowded (…) big plateau. And although the police station is some meters away from my building, where I live in, it’s quite scary for me in the winter, that gets dark really early you are very unsafe as a woman to walk after eight o’clock in the street. Really, I walk and I don’t I look in front of me, I look all the time behind me” (Bea, 23-26, Studentin).
Nach eingehender Prüfung wird also Luxemburg als Zielland ausgewählt. Dabei spielt die Sicherheit und die niedrige Kriminalitätsrate eine besondere Rolle und zwar auch mit Blick auf ein zukünftiges gutes Leben. Für das Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit im Zielland kann auch die Vorstellung einer Gemeinschaft (z.B. Studierende an einer kleinen Universität) bedeutsam sein, oder auch die Präsenz von Personen (Freunde, Partner, Familienangehörige, Bekannte), die unterstützen können. “Why not to combine a moving a-broad with studies, like someone is waiting for you. You have a university, you have a whole community that waits for you. It’s not emigration, it’s not if you know what I mean, it is not a direct migration. It’s like you go abroad for doing studies and there is a whole student community with professors and high skilled people that will accept you, they will hug you, you will be a part of them, a team PLUS you will be protected and you will also learn some things and extend your knowledge, on what you study” (Bea, 23-26, Studentin).
Auch mit wem man lebt – in einem Haus, in einem Studentenwohnheim, in einer Wohngemeinschaft – hat einen Einfluss auf die Qualität der Auslandserfahrung. Die „richtigen“ Personen können nämlich das Gefühl geben, dass es jemanden gibt, der auf einen wartet, dass man nicht allein in dem zunächst fremden Land ist.
Finanzielle und aufenthaltsrechtliche Sicherheit
In unseren Interviews finden wir auch vielfach Ausführungen zur finanziellen Sicherheit. Sie kann eine treibende Kraft sein, das Heimatland zu verlassen und so der ökonomischen und politischen Krise zu entkommen. Diese Motive decken sich mit den bekannten aus der Migrationsforschung, namentlich der Suche nach einer besseren Zukunft. “You realise that you earn money, and you cannot even survive from first to first (month), so it is very important, the economy was very important for us” (Ewa, 27-29, Angestellte).
Dabei wird deutlich, dass sich unterschiedliche Typen von Mobilität in der Perspektive der Personen vermischen können: Manchmal ist nämlich ein Studium ein Mittel zum Zweck, um zunächst Fuß in einem anderen Land zu fassen und danach dort zu bleiben und einen Job zu finden, der materielle Sicherheit garantieren würde.
Fragen von Sicherheit spielen auch im Vergleich zwischen Mobilitätserfahrungen in außereuropäischen Ländern und innerhalb Europas eine Rolle. Angesichts von aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Hürden scheint Mobilität innerhalb Europas aufgrund eines europäischen Passes leichter zu sein: „I mean, in my mindset, it is ok, it is Europe, you just catch a plane, it is two hours away, no problem. I have a European passport. I had a bit of savings, uhm… it is ok, it is Europe and I had a contract, so that was, I meant, I have a passport and I had a contract. I was safe. I was like: cool“ (Leonardo, 27-29, Angestellter).
Diese Hürden nicht zu haben, übersetzt sich in ein Gefühl der Sicherheit. Aber auch die Unterstützung durch die Familie scheint innerhalb Europas greifbarer zu sein, denn Binnenflüge sind günstig und Distanzen dadurch leichter zu überbrücken: “Europe is close. The family, the parents are not far away” (Leonardo, 27-29, Angestellter).
Abwägungen – die Rückkehr nach Luxemburg
Gleichzeitig kann es umgekehrt auch die Frage von Geborgenheit und Sicherheit sein, die z.B. nach Abschluss der Studien (degree mobility) dazu führt, dass Menschen nach Luxemburg zurückkommen. Denn in vielen anderen europäischen Ländern ist es gegenwärtig schwieriger, eine Arbeit zu finden bzw. weniger attraktiv angesichts der Gehälter in Luxemburg. Die materielle Absicherung, auch mit Blick auf die Zukunft, wird dann so relevant, dass alle anderen Ziele und Pläne nicht mehr weiter verfolgt werden. Aber auch das Gefühl der Fremdheit in einem anderen Land, man könnte hier auch von einer Verunsicherung in Bezug auf das Gewohnte sprechen, kann zur Rückkehr nach Luxemburg führen.
Ausblick
Während in Bezug auf die Flexibilität am Arbeitsmarkt das Thema der Sicherheit und Absicherung politisch diskutiert wird (Stichwort: Flexicurity), ist es in Bezug auf die geographische Mobilität junger Menschen bisher wenig im Blick. Die ersten Eindrücke aus unseren Interviews, die im luxemburgischen Kontext stattgefunden haben, machen aber deutlich, dass die Sicherheit – mit vielen verschiedenen Facetten – ein zentrales Thema für junge Menschen und ihre Mobilitätserfahrungen und Entscheidungen ist. Für unsere InterviewpartnerInnen ist es ein permanentes Ausloten zwischen Offenheit und Neugier für das Neue, für das Lernen durch Differenzerfahrungen, und der Bewältigung von unterschiedlichen Formen der Verunsicherung bzw. Unsicherheit.
Als partizipative Debattenzeitschrift und Diskussionsplattform, treten wir für den freien Zugang zu unseren Veröffentlichungen ein, sind jedoch als Verein ohne Gewinnzweck (ASBL) auf Unterstützung angewiesen.
Sie können uns auf direktem Wege eine kleine Spende über folgenden Code zukommen lassen, für größere Unterstützung, schauen Sie doch gerne in der passenden Rubrik vorbei. Wir freuen uns über Ihre Spende!
