Von der Glaubensgemeinschaft zur Machtmaschine

Wie die Europäische Volkspartei immer größer und mächtiger wurde und warum sie heute vor Kraft kaum noch laufen kann

Teil 1: Die konservative Frage

Der folgende Beitrag in zwei Teilen behandelt die weltanschauliche Evolution der Europäischen Volkspartei (EVP) von 1976 bis heute. Diese Entwicklung wurde von einschneidenden historischen Ereignissen geprägt, innenpolitischen und geopolitischen. Der Fall des Eisernen Vorhangs und das Ende des Kalten Krieges, die sukzessiven Erweiterungen der Europäischen Gemeinschaft bzw. Union, die Wiederherstellung der Demokratie in Spanien und Portugal, der Zusammenbruch der Ersten Republik in Italien… all das prägte und veränderte die EVP. Was vor über 40 Jahren als europäisches Projekt gleichgesinnter Christdemokraten begann, mündete rasch in Konflikte um divergierende strategische Optionen. Nach dem Wendejahr 1989 setzte sich das Konzept einer Öffnung nach rechts durch. 2019 ist die EVP numerisch zwar ein Koloss, programmatisch und ideologisch aber ein Sammelsurium für das Eine und sein Gegenteil, für alles und nichts. Ein politischer Gemischtwarenladen. Das Angebot reicht von christlich-sozial bis völkisch-nationalistisch. Von Juncker bis Orbán.

Am Anfang waren sie zu neunt1. Neun Parteien aus sieben Mitgliedstaaten, die am 8. Juli 1976 in Luxemburg die Europäische Volkspartei als Dachverband der Christlichen Demokraten in der Europäischen Gemeinschaft gründeten. Heute zählt die EVP 80 Mitgliedsorganisationen in 42 Ländern, definiert sich als “political family of the centre-right” und besetzt sämtliche Spitzenposten, die es in Brüssel und Straßburg zu verteilen gibt.2 Insofern es in der Politik auf numerische Dominanz zur hegemonialen Ausübung von Macht ankommt, kann die EVP eine beeindruckende Erfolgsbilanz vorweisen. Dabei hatte sie im Wettbewerb mit konkurrierenden Sozialisten und Sozialdemokraten einerseits, Liberalen und Konservativen andererseits spätestens ab der ersten EG-Erweiterung von 1973 die schlechteren Karten. Einzig in den sechs Gründerstaaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und Niederlande – sowie in Österreich und diversen Kantonen in der Schweiz blickten christlich-demokratische und christlich-soziale Bewegungen auf eine lange Tradition, zum Teil weit bis ins 19. Jahrhundert zurück, waren tief in der Gesellschaft verwurzelt und führten nach dem Zweiten Weltkrieg – abgesehen von Frankreich seit Einführung der V. Republik – in aller Regel (aber nie allein) die Regierungsgeschäfte.

Schwarz-rote GroKo baut Europa

Ihr Erfolgsrezept lässt sich in einem geflügelten Bonmot3 resümieren: « Siéger au centre et faire avec des électeurs de droite une politique de gauche ». Das heißt: Den Christdemokraten gelang in ihren jeweiligen Ländern das Kunststück, weit über ihre im Milieu- und Verbandskatholizismus, insbesondere in christlichen Arbeitervereinen, Gewerkschaften und ländlichen Genossenschaften organisierte Kernwählerschaft hinaus einen bedeutenden Teil der soziologischen Rechten (« le peuple de droite ») an sich zu binden: wohlhabende Besitzbourgeoisie und sparsames Kleinbürgertum, Händler und Handwerker, Bauern und Staatsdiener, Monarchisten und Militärs… Dieser kulturell und politisch konservativen Wählerschaft gemein war die Angst vor dem Kommunismus, der sowohl als innere wie äußere Bedrohung empfunden wurde. Deshalb auch willigte sie, manchmal murrend, in den reformistischen Grundkonsens von Christ- und Sozialdemokraten ein, wonach die „freie Welt“ ein attraktives Gegenmodell zu revolutionären marxis­tischen Utopien aufbauen müsse. Neben Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und unternehmerischer Freiheit gehörten dazu auch ein starker, schützender und sorgender Sozialstaat, ökonomische Mitbestimmung und fiskalische Umverteilung.

Schon an der Wiege zur ersten Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) standen neben verantwortlichen Politikern und Diplomaten vor allem sozialistische und christliche Gewerkschafter. Der Pariser Vertrag vom 18. April 1951 zur Umsetzung des Schuman-Plans trug auch ihre Handschrift und räumte ihnen umfangreiche Mitgestaltungsrechte ein. Liberale Industriebarone standen dem Vorhaben anfangs skeptisch bis ablehnend gegenüber. Während der ersten zwei Jahrzehnte blieb der Aufbau des vereinten ­Europa eine Art großkoalitionäres schwarz-rotes Projekt von Festlandeuropäern. Territorial war die Sechsergemeinschaft weitgehend deckungsgleich mit dem Fränkischen Reich Karls des Großen im 8. Jahrhundert; konfessionell dominierte ein von europäischer Aufklärung und freiheitlichen Revolutionen entkle­rikalisierter Reformkatholizismus (der innerkirchlich den Weg bereitete zum II. Vatikanischen Konzil). Gegner des solcherart lancierten europäischen Konstruktionsprozesses auf der extremen Linken und Rechten prägten das Schlagwort vom „vatikanischen Europa“.

Keine Karolinger im Norden

Mit der ersten Norderweiterung traten 1973 das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark der Europäischen Gemeinschaft bei. Die politische Farbenpalette innerhalb der Institutionen wurde bunter. Urplötzlich sahen sich die Christdemokraten mit dem Problem konfrontiert, dass ihre sozialistischen Kollegen ausnahmslos in allen Ländern, die auf längere Sicht für einen EG-Beitritt in Frage kamen, parteipolitisch präsent waren, sie selbst hingegen nicht. In Großbritannien und Dänemark gab es starke, eng mit den Gewerkschaften verflochtene Arbeiterparteien, aber kein parteipolitisches Sprachrohr der christlichen (geschweige denn katholischen) Soziallehre. Aufgrund des Statuts der anglikanischen bzw. dänisch-lutherischen Kirche als Staatskirche hatte in beiden Ländern nie ein Staat-Kirche-Konflikt die Nation geteilt und die parteipolitische Landschaft geprägt.4 Man mag dort nach Klassen- oder Berufszugehörigkeit wählen, nicht aber nach religiöser Überzeugung.

Auch in der Republik Irland, wo der Katholizismus lange identitätsstiftend war und quasi zum nationalen Allgemeingut gehörte, hatte sich die Notwendigkeit einer spezifischen Partei zur Verteidigung katholischer Anliegen gegen die Angriffe laizistischer Kräfte nie ergeben. Beide großen Volksparteien, Fine Gael und Fianna Fáil, positionierten sich in der breiten politischen Mitte.5 Ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik war auf Interessenausgleich und sozialen Zusammenhalt bedacht – egalitär-republikanische Werte, die einen Bruch mit der früheren britischen Herrschaft und ihrer rigiden Klassengesellschaft symbolisierten. Demnach verstanden Fine Gael und Fianna Fáil sich auch als Antipoden zur Conservative and Unionist Party in Großbritannien, die wie keine andere elitären Standesdünkel und aristokratische Privilegien verkörperte.

Als 1976 mit Blick auf die erste Direktwahl zum Europäischen Parlament die EVP gegründet wurde, saß keine Partei aus Dänemark oder Großbritannien mit im Boot, wohl aber Fine Gael. Eigentlich hätte man aus EVP-Sicht beide Mitte-Parteien aus Irland aufnehmen können. Doch diese waren (und sind) innenpolitisch erbitterte Widersacher. Die Wurzeln ihrer Rivalität liegen im Irischen Bürgerkrieg von 1922/23, als Unterstützer und Gegner des Anglo-Irischen Vertrags zur Gründung des Irischen Freistaats sich mörderisch bekämpften. Ein Doppelbeitritt zur EVP war, weil innenpolitisch nicht vermittelbar, somit ausgeschlossen. Dass letztlich die urbanere, liberalere Fine Gael (“a party of the progressive centre”) zum Zuge kam, mutet überraschend an. Denn Fianna Fáil galt eindeutig als volkstümlicher, ländlicher und katholischer – zugleich aber auch als republikanisch-militanter und kompromissloser mit Blick auf eine mögliche Lösung des Nordirland-Konflikts. Also eindeutig die schlechtere Wahl für all jene in der EVP, die schon damals mit den britischen Tories liebäugelten.

Auf den Föderalismus kommt es an

Anderthalb Jahre nach der ersten Europawahl im Juni 19796 wurde am 1. Januar 1981 Griechenland als zehnter Mitglieds­staat in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen. Auch hier stellten sich auf sozialistischer Seite keine Probleme in puncto Familienzusammenführung7, wohl aber für die EVP. Der Begriff „christliche Demokratie“ war im Land der griechisch-orthodoxen Staatskirche so gut wie unbekannt8. Seit dem Ende der Militärdiktatur (1967-1974) und der Rückkehr zur Demokratie regierte die liberal-konservative Nea Dimokratia (ND) mit absoluter Mehrheit. Parteigründer Konstantinos Karamanlis, der nach dem Sturz des Obris­tenregimes aus dem Pariser Exil zurückgekehrt war, genoss den Nimbus eines Volkshelden. Schon 1961 hatte der leidenschaftliche Pro-Europäer als Premierminister das Assoziierungsabkommen mit der EWG unterzeichnet, womit er den Grundstein für rapiden wirtschaftlichen Aufschwung und den späteren Beitritt Griechenlands zur Europäischen Gemeinschaft gelegt hatte. Einen Staatsmann seines Formats – 1978 war Karamanlis mit dem Karlspreis der Stadt Aachen ausgezeichnet worden – mochte die EVP nicht den britischen und dänischen Konservativen und ihrer Fraktion der Europäischen Demokraten (ED)9 im Europaparlament überlassen. Folglich nahm man es mit ideologischen Reinheitsgeboten nicht ganz so genau und integrierte – ­erstmalig, jedoch in zwei ­Etappen10 – eine bürgerlich-konservative Partei der demokratischen politischen Rechten, die sich nicht auf genuin christlich-demokratische Grundsätze berief. Entscheidend war, dass Karamanlis und die ND, anders als die Konservativen in Großbritannien und Dänemark, keinerlei Probleme hatten mit dem Bekenntnis der EVP zur vertieften europäischen Integration (“an ever closer union”) und einem ­Europa auf föderaler Grundlage. Hand aufs Herz: Bei den Christdemokraten stand der Föderalismus damals noch weitaus höher im Kurs als heute.

Sammelpartei des christlichen Milieus…

Zweifellos bildeten die neun Gründungsparteien der EVP eine Glaubensgemeinschaft, die in ihrer Essenz auf einem christlich-demokratischen, sozial-marktwirtschaftlichen und pro-europäischen Fundament beruhte. Keineswegs aber handelte es sich bei der EVP um einen doktrinär kongruenten Block mit feinkalibriertem ideologischen Koordinatensys­tem, das in allen Belangen programmatische und strategische Gleichförmigkeit garantiert hätte. Eher das Gegenteil war der Fall. Sprich: In der EVP wurde gar heftig gestritten. Im Mittelpunkt der Diskussionen stand die „konservative Frage“11 nach der möglichen Allianz mit konservativen Parteien ohne historischen Bezug zur Christdemokratie.

In diesem Streit standen sich zwei ungefähr gleich große Blöcke gegenüber: auf der einen Seite die italienische Democrazia Cristiana (DC), sekundiert von den Mitgliedsparteien aus Belgien und den Niederlanden; auf der anderen Seite die deutschen Unionsparteien CDU und CSU. Irgendwo dazwischen bemühten sich die CSV aus Luxemburg und das Centre des démocrates sociaux (CDS) aus Frankreich12, die Nachfolgepartei des Mouvement républicain populaire (MRP) von Robert Schuman, um Verständigung und Konsens. Obschon auch die Franzosen nicht begeistert waren von der deutschen Idee, den europäischen Schulterschluss mit den europaskeptischen Neogaullisten von Jacques Chiracs RPR (Rassemblement pour la République) zu suchen.

Der Kern des Konflikts war in der geschichtlichen Ausgangsbasis von DC und CDU/CSU angelegt. Die Democrazia Cristiana war 1943 als Sammelpartei der italienischen Katholiken gegründet worden. Viele ihrer Führungsleute hatten während des Krieges als Partisanen, oft Seite an Seite mit Kommunisten, gegen den Faschismus gekämpft. Sie pflegten enge Kontakte zum Heiligen Stuhl; ihr Leitbild waren die katholische Soziallehre, die Doktrin des popolarismo von Luigi Sturzo13 und die Philosophie des Personalismus (personnalisme communautaire), als deren wichtigste Autoren die Franzosen Jacques Maritain und Emmanuel Mounier gelten. Letztere skizzierten einen alternativen „Dritten Weg“ zur Überwindung des individualistischen Kapitalismus jenseits aller totalitären und kollektivistischen Ideologien.

Die DC hatte von Anfang an einen starken progressiven, sozialreformerischen Flügel mit glaubwürdigen und integren Exponenten.14 Ab 1963 wurden in Rom von der DC geführte Mitte-links-Regierungskoalitionen mit Beteiligung der Sozialisten zur Regel. Als Aushängeschild dieser Formel des centro-sinistra galt Aldo Moro. Er war es, der 1976 mit dem Generalsekretär des Partito Comunista Italiano (PCI), Enrico Berlinguer, den Historischen Kompromiss (compromesso storico) vereinbarte, der die prinzipielle Beteiligung der Kommunisten an der Regierungsverantwortung vorsah und, in einer ersten Phase, die Duldung einer DC-Minderheitsregierung durch den PCI ermöglichte.15

… oder Sammelpartei des bürgerlichen Lagers?

Wanderte die DC im Laufe der Jahre zusehends in die linke Mitte, verhielt es sich bei den deutschen Unionsparteien umgekehrt. In den ersten fünf Jahren nach Gründung der CDU 1945 war die Partei noch nicht bundesweit konstituiert, sondern regional nach Ländern und Besatzungszonen gegliedert. Dabei gab es von Seiten christlicher Gewerkschafter mancherorts Bestrebungen zur Propagierung eines „christlichen Sozialismus“ mit ausdrücklicher Abkehr vom kapitalistischen Wirtschaftssystem.16 Auf Druck von Konrad Adenauer und Ludwig Erhard setzte sich nach lebhaften Auseinandersetzungen letztlich aber das Konzept der „sozialen Marktwirtschaft“17 durch – eine um sozialpolitische Elemente angereicherte Variante des Ordoliberalismus.

Die ordoliberale Rezeptur anstelle von christlicher Sozialromantik erschien den Unions-Realos als unverzichtbar mit Blick auf das neue Selbstverständnis von CDU und CSU als Sammelparteien des bürgerlichen Lagers. Fungierte die Deutsche Zentrumspartei bis Ende der Weimarer Republik – ähnlich der DC im Nachkriegsitalien – als Vertreterin des politischen Katholizismus, sollte die überkonfessionelle Union einerseits Katholiken und Protestanten integrieren, andererseits aber auch die politischen Traditionen des säkularen deutschen Konservatismus und Liberalismus – mithin alles, was im demokratischen Spektrum nicht explizit sozialistisch gefärbt ist und bis weit an den rechten Rand reichen mag.18 Entsprechend übernahmen CDU und CSU nach dem Krieg viele führende Mitglieder und beträchtliche Teile des Wählerstamms von Weimarer Vorkriegsparteien wie u.a. der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der nationalliberalen Deutschen Volkspartei (DVP) und sogar der sozialliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP).19 Bei einem derart gemischten Publikum war klar, dass man bei der Union – im Gegensatz zu den mystischen Italienern – mit den prophetischen Werken französischer Philosophen wie Maritain20 und ­Mounier21 nicht allzu viel anfangen konnte. Sofern Übersetzungen vorliegen, erreichten sie im deutschen Sprachraum nur wenig Verbreitung.

Diese kurzen historischen Rückblenden in die Befindlichkeiten italienischer und bundesdeutscher Innenpolitik sind zentral für das Verständnis der Konflikte, die gleich nach der Gründung der EVP auftraten und diese während zwei Jahrzehnten prägten, ehe die „konservative Frage“ pünktlich zum Jahrtausendwechsel definitiv zugunsten der Unionsparteien und ihrer Alliierten entschieden war.

Zwei Unionspolitiker warfen zum Zwecke einer Erweiterung der EVP auf sogenannte „like-minded parties“ in der rechten Nachbarschaft der Christdemokratie ihr ganzes Gewicht in die Waagschale: Helmut Kohl und Franz Josef Strauß. Der Bayer sah sich als Staatsmann von Weltrang im Kampf gegen den Kommunismus, der unter allen Umständen Margaret Thatcher, die aufstrebende Chefin der britischen Konservativen, in die Familie aufnehmen wollte. Weil dagegen aber italienische Herz-Jesu-Marxisten und holländische Calvinisten in der EVP mauerten, entschieden Kohl und Strauß sich unter Zuhilfenahme ihrer Freunde von der Österreichischen Volkspartei22 für einen Plan B.

Thatcher auf Schloss Klessheim

So kam es, dass sich auf Einladung der ÖVP am 24. April 1978 die Vertreter von 18 Parteien der Mitte und Rechten auf Schloss Klessheim bei Salzburg zur feierlichen Gründung der Europäischen Demokratischen Union (EDU) trafen. Zu den Gästen zählten neben Kohl, Strauß und Margaret Thatcher u.a. die Vorsitzenden der konservativen Parteien aus den vier skandinavischen Ländern Dänemark, Schweden, Norwegen und Finnland sowie Maurice Couve de Murville als Abgesandter des neogaullistischen RPR aus Frankreich. Die EDU mit anfangs zehn Vollmitgliedern23 definierte sich nicht als europäische Partei wie die EVP, sondern etwas euphemistisch als „Arbeitsgemeinschaft christlich-demokratischer, konservativer und anderer nicht-kollektivistischer Parteien“.

Fortan gab es in Europa also drei Organisationen für transnationale Parteienkooperation mit christdemokratischer Beteiligung: 1) die auf die Europäische Gemeinschaft beschränkte EVP; 2) die Europäische Union Christlicher Demokraten (EUCD) als paneuropäisches Äquivalent der EVP auf der Ebene des Europarats; 3) die EDU als direkte Konkurrenz zur EUCD.24 Dieses strategische Manöver der Unionsparteien mit Hilfe der Österreicher empfanden viele Gegner einer Erweiterung nach rechts als Provokation. „Eine simultane Mitgliedschaft in der EVP und der EDU ist Bigamie“, urteilte Charles-Ferdinand Nothomb vom belgischen Parti social-chrétien (PSC).25 Doch der Grundstein für das, was später fast zwangsläufig folgen sollte, war ein für alle Mal gelegt. Die Deutschen setzten auf die normative Kraft des Faktischen.

  1. Formal wurde die EVP von elf Parteien gegründet, weil die drei konfessionellen Parteien aus den Niederlanden – Katholieke Volkspartij (KVP, römisch-katholisch), Christelijk-Historische Unie (CHP, niederländisch-reformiert), Anti-Revolutionaire Partij (ARP, gereformeerd-calvinistisch) – noch eigenständig existierten. Sie fusionierten 1980 zum Christen-Democratisch Appèl (CDA). Dieser war 1973 als Föderation der drei Parteien gegründet worden, die 1977 zum ersten Mal gemeinsam als CDA zu den Wahlen antraten.
  2. Die Präsidenten des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Europäischen Rats, Antonio Tajani, Jean-Claude Juncker und Donald Tusk, gehören Mitgliedsparteien der EVP an. Das Gleiche gilt für die Generalsekretäre von Parlament und Kommission, Klaus Welle und Martin Selmayr.
  3. Der Satz stammt angeblich von Georges Bidault. Der Franzose gründete 1944 den christdemokratischen Mouvement républicain populaire (MRP) und war einer der führenden Politiker der Vierten Republik in Frankreich.
  4. Cf. Pierre Lorang, „Leben Totgesagte länger? ‚Kirche vs. Staat‘: Erdbebenspalte der Luxemburger Politik“, in: forum 370, Februar 2017, S. 38-41
  5. Die zentrale Stellung von Fine Gael und Fianna Fáil in der Republik Irland hat zur Folge, dass die irische Labour Party im Vergleich zum gleichnamigen Pendant in Großbritannien schwach aufgestellt ist.
  6. Stärkste Kraft wurde die Sozialistische Fraktion (SOC) mit 113 (von 410) Sitzen, vor der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP, Christdemokraten), die 108 Abgeordnete stellte.
  7. Am 5. April 1974 war in Luxemburg der Bund der Sozialdemokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft gegründet worden. Griechisches Mitglied wurde die Panhellenische Sozialistische Bewegung (PASOK).
  8. Die sehr kleine Christianiki Dimokratia (www.xristianiki.gr) besteht seit 1953 und positioniert sich im linken Spektrum. Ihr bestes Wahlresultat mit eigenständiger Liste waren 1,15 Prozent der Stimmen bei der ersten griechischen Europawahl 1981.
  9. Mit 64 Sitzen bildeten die Europäischen Demokraten nach der ersten Europawahl 1979 die drittstärkste Fraktion.
  10. Die Abgeordneten der Nea Dimokratia traten 1981 der EVP-Fraktion im Europarlament bei. 1983 wurde die ND als Partei Vollmitglied der EVP.
  11. Cf. Thomas Jansen & Steven Van Hecke, At Europe’s Service. The Origins and Evolution of the European People’s Party, Berlin & Heidelberg, Springer, 2011, S. 27.
  12. Das CDS repräsentierte die christdemokratische Strömung innerhalb der 1978 zur Unterstützung von Präsident Valéry Giscard d’Estaing gegründeten liberal-zentristischen Parteienföderation Union pour la démocratie française (UDF).
  13. Der katholische Priester und Antifaschist Luigi Sturzo gründete 1919 den Partito Popolare Italiano (PPI), die Vorgängerpartei der späteren Democrazia Cristiana. Wegen seiner Gegnerschaft zum Mussolini-Regime lebte er von 1924 bis 1946 in London, Paris und New York im Exil.
  14. Giuseppe Dossetti, Giorgio La Pira, Amintore Fanfani, Aldo Moro, Benigno Zaccagnini, u.v.a.
  15. Zweieinhalb Jahre nach der Entführung und Ermordung Aldo Moros durch die Roten Brigaden am 9. Mai 1978 kündigte Enrico Berlinguer den Historischen Kompromiss am 28. November 1980 auf.
  16. Während die Kölner Leitsätze vom Sommer 1945 vom „christlichen Sozialismus“ sprachen, verwendet das äußerst kapitalismuskritische Ahlener Programm vom 3. Februar 1947 den Begriff nicht mehr. Es spricht dagegen von einer „gemeinwirtschaftlichen Ordnung“.
  17. Düsseldorfer Leitsätze vom 15. Juli 1949
  18. Der Anspruch artikulierte sich u.a. in der Formel von Franz Josef Strauß: „Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben.“
  19. Dieser Umstand erklärt, warum in Deutschland die liberale Freie Demokratische Partei (FDP) im Vergleich zu beispielsweise den Benelux-Staaten so schwach ist.
  20. Humanisme intégral, Paris, Aubier, 1936; Christianisme et démocratie, New York, Éd. de la Maison française, 1943 & Paris, Hartmann, 1945
  21. Révolution personnaliste et communautaire (Paris, Aubier, 1935); Manifeste au service du personnalisme (Paris, Aubier, 1936); Le personnalisme (Paris, PUF, 1949).
  22. Die christdemokratisch-konservative ÖVP wurde erst nach dem Beitrittsantrag Österreichs zur EG 1991 in die EVP aufgenommen.
  23. Luxemburgs CSV erhielt etwas später den Status eines „ständigen Beobachters“, wurde aber nie Vollmitglied der EDU.
  24. Mit der Perspektive der EU-Erweiterung nach Mittel- und Osteuropa wurde die EUCD überflüssig. 1998 wurde sie von der EVP absorbiert. Auch die EDU beendete 2002 ihre Aktivitäten. Zwei Jahre zuvor hatte sie ihr Sekretariat von Wien in die EVP-Zentrale nach Brüssel transferiert.
  25. Jansen & Van Hecke, ibid., S. 47.

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