Von Kopenhagen nach Paris: Wie die Klimabewegung erwachsen wurde
Ende dieses Jahres findet in Paris die 21. Klimakonferenz der Vereinten Nationen statt. Die COP21 wird bereits jetzt von vielen NGOs und ExpertInnen als ent- scheidender und richtungsweisender Meilenstein gepriesen. Doch mit der COP ist es ein wenig so wie mit der 10. Abschiedstour der Rolling Stones: Alle Jahre wieder, die gleiche Runde auf dem Karussell. Mal ambitioniert, mal nicht. Die Gefahren eines solchen Hypes sind natürlich heute bestens bekannt. 2009 erlebte die Klima- bewegung ein Debakel. Im Vorfeld von Kopenhagen wurde von den Umweltorga- nisationen, aber auch von verschiedenen offiziellen Stellen, auf nahezu mantrische Art und Weise wiederholt, die COP15 müsse und werde ohne Zweifel einen Ver- trag hervorbringen, der „legally-binding“ sein werde.
Es herrschte eine große Aufbruchsstim- mung innerhalb der Klimabewegung. Die Nachtzüge nach Kopenhagen waren überfüllt, die Stimmung schwer in Worte zu fassen. In den Gängen tauschten sich Menschen aus, Wissenschaftler trafen auf Regierungsbeamte, NGO-Mitglieder spra- chen eifrig mit Politikern. Es kann von ei- ner fast schon euphorischen Stimmung die Rede sein. Mein Abteil teilte ich mir mit zwei schwedischen jungen Grünen, einem Abgeordneten des flämischen Parlaments
und einem walisischen Klimatologie- Studenten. Man war sich einig: Mit aus- reichend Menschen auf der Straße, hätten „die da oben“ keine andere Wahl, als zu ei- nem verpflichtenden Vertrag zu kommen. Vor dem Einschlafen hörte ich mir noch mal die neue Charlotte Gainsbourg CD an: „Heaven can wait, and hell’s too far to go, somewhere between, (of) what you need and what you know“. Wie zutreffend dieser Songtext 14 Tage später sein würde, war mir damals noch nichtklar. Die ersten Tage der Konferenz waren ruhig, fast schon uninteressant. Klima- skeptiker wurden ausgebuht und auf dem alternativen Klimagipfel herrschte eine gelassene offene Stimmung, ja fast eine Jahrmarktsatmosphäre. Wenn jemand mit Vorsicht über den Fortschritt der Delega- tionen sprach, galt er schon fast als „agent provocateur“.
Am Morgen des 12. Dezember versam- melten sich tausende motivierte Men- schen zum Klimamarsch im Zentrum von Kopenhagen. Auf einer Bühne tra-
ten Musikbands auf und mehrere Redner versuchten, die Aktivisten bei klirrender Kälte in Bann zu halten. Wie der Zufall es wollte, sollte ich dort zum ersten Mal meinem späteren Arbeitgeber und „Chef“, dem Direktor von Greenpeace Inter- national, Kumi Naidoo, begegnen und dabei zuhören, wie er einen „FAB“ Deal forderte: Fair, Ambitious, Binding. Auch 2015, sechs Jahre danach, bleibt dies eine der Hauptforderungen der NGO-Welt.
Great Expectations
Die „Copenhagen Depression“ und der „Copenhagen Hangover“ nahmen je- doch schon an jenem Samstagnachmittag ihren Lauf: Bei der „Climate March“- Demonstration wurden von den 100000 TeilnehmerInnen sage und schreibe 1 000 von der dänischen Polizei festge- nommen. Meist handelte es sich bei den Festgenommenen um friedliche Akti- vistInnen. Viele TeilnehmerInnen be- richteten von übertriebener Härte und Polizeibrutalität. Einige meiner Freunde waren damals in der Amagerbrogade- Straße von der Polizei eingekesselt und ge- fesselt worden. Aneinander gekettet, ohne Verpflegung, verbrachten sie zahllose Stunden auf dem kalten Asphalt in jener Geschäftsstraße, in der die Polizei ein improvisiertes Freilichthaftlager errichtet hatte. Viele wurden erst am Tag danach freigelassen oder, nachdem die Polizei sie auf kleinen Dienststellen außerhalb von Kopenhagen verhört hatte, ausgesetzt.
Spätestens danach war uns allen klar, dass dies eine lange Geschichte werden würde: Polizeigewalt war nun an der Tagesord- nung, zahlreiche friedliche Proteste oder Akte des zivilen Ungehorsams wurden niedergeknüppelt und mit Gewalt aufge- löst. Doch nicht nur die Zivilgesellschaft erlebte eine Krise. Auch auf dem Gipfel lief es nicht rund: Verspätungen, Über- forderung und schlechte Logistik ließen den Gipfel langsam aber sicher ins Chaos schlittern. Diese Nachrichten verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Die Klimabewe- gung, die sich auf dem alternativen Klima- forum09 zusammen gefunden hatte, ge- riet in Panik. Viele autonome und linke
Gruppierungen forderten „direct action“ und so kam es zu mehreren spontanen Protestaktionen, wie z. B. der Hafenblock- ade und Vollversammlungen auf öffentli- chen Plätzen. Diese wurden jedoch alle- samt mehr oder weniger erfolgreich von der Polizei niedergeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt sprach die Präsidentschaft der COP schon offen von einer “Krise” und konnte das Scheitern des Gipfels nicht mehr abwenden. Obama würde später in einer Pressekonferenz fast die gleichen Worte finden wie einst George Bush Sr. nach dem geplatzten Rio Earth Summit im Jahr 1992: “We’ve come a long way and we have much further to go”.
“I will not hide my disappointment re- garding the non-binding nature of the agreement here”. Dieser von JoseÌ Manuel Barroso stammende Satz stellte einen der wenigen Punkte dar, in denen ich mit dem Kommissionspräsidenten einer Mei- nung war. Kopenhagen war eine politische Sackgasse. Während die USA und China
sich gegenseitig beschuldigten, den Gip- fel zu sabotieren, verpokerte sich die EU, welche bei den Abschlussdiskussionen am Katzentisch, fernab der Großmächte, saß und mit sich selbst stritt. Wichtige Zeit im Kampf gegen den Klimawandel war fahrlässig verspielt und eine ganze Ge- neration von Klimaaktivisten entmutigt worden. Im Nachtzug nach Hause däm- merten gebrochene junge Menschen vor sich hin, bleich im Gesicht, gezeichnet, mit dunklen Ringen unter den Augen. Gesprochen wurde wenig, die meisten starrten aus dem Fenster ins Leere. „GeÌneÌ- ration perdue“.
Bei manchen Aktivisten dauerte es Jahre, um sich von dem „Copenhagen Hango- ver“ zu erholen. Andere haben ganz mit ihrem Engagement aufgehört. Nach meh- reren enttäuschenden COPs in Durban, Doha, CancuÌn und Warschau raffte sich die Klimabewegung jedoch wieder auf. Nachdem klar wurde, dass Paris 2015 ein wichtiges Stichdatum werden würde, begannen die Vorbereitungen bereits letz- tes Jahr vor der COP20 in Lima, Peru. Für die Politik, aber auch für die Zivil- gesellschaft, war Lima nur ein Wegpunkt in Richtung Paris. Doch Obacht: Es wird insbesondere von den großen Umwelt- NGOs wie Greenpeace, Friends of the Earth, Oxfam, 350.org und CAN bewusst versucht, Paris nicht als ein Endziel dar- zustellen. Dieser Fehler hatte in Kopen- hagen in einem Fiasko geendet, in dem die COP15 als „Videospiel-Endboss“ dargestellt wurde, welchen es zu besiegen gab. Umso mehr dreht sich einem der Ma- gen um, wenn man in den sozialen Me- dien „Paris, DO or DIE“ liest oder sich die Kampagnen diverser Organisationen anschaut.
Nein, Paris ist kein Endziel!
Mittlerweile dürfte jedoch jedem klar sein, dass die Politik nicht ausreichend Akzente in diesem internationalen Rah- menwerk setzen kann und dass es ohne Zivilgesellschaft nicht vorangehen wird: Denn ambitiös sieht anders aus, besonders wenn man sich vor Augen führt, dass die Beiträge der Staaten uns im worst „case scenario“ ein +3,5 Grad Ziel bescheren könnten. Also ist die Politik gefordert/ gefragt und sie muss garantieren, dass auf dem Klimagipfel in Paris folgende Punkte erreicht werden: Ein gesetzlich-verpflich- tendes Abkommen muss unterschrieben werden, welches alle fünf Jahre überprüft
und nachgebessert wird. Dazu braucht man transparente Mechanismen, welche die Fortschritte der einzelnen Staaten überwachen und sanktionieren.
Außerdem brauchen wir ein klares, ver- bindliches Langzeitziel, wie z. B. 100 % erneuerbare Energien bis 2050, welches es der Politik und Wirtschaft erlaubt, einen systematischen und transversalen Über- gang hin zu einer Welt ohne fossile Brenn- stoffe zu gewährleisten. Dies kann nur geschehen, indem man sich in Paris auf klare Reduktionsziele im Bereich der Treib- hausgase einigt. Abgesehen von Russland (dessen diplomatische Vertreter auf den letzten Zwischen-Sitzungen des UNFCCC erst gar nicht aufgetaucht sind) haben die meisten Großmächte, teils sogar in bila- teralen Absprachen, ihre Position bekräf- tigt. Ein erster Schritt, aber noch nicht genug.
Umso wichtiger scheint es, dass die tot- geglaubte Klimabewegung wieder aus dem Dornröschenschlaf erwacht. Bereits beim Klimagipfel, der von Ban Ki-moon im letzten September einberufen wurde, gab es erste Erfolge zu verzeichnen: Über 300000 Menschen in New York auf der Straße. Die Mobilisierung schien zu funk- tionieren: Vor allem hat sich auch der Ton und die Haltung der Zivilgesellschaft ge- genüber der Politik verändert. Während in Kopenhagen die überwiegende Mehrheit der Bewegung noch voller Hoffnung und
Klimaverhandlungen November 2015 33 Wünsche den Mächtigen der Welt zusah,
so wird heute doch eine andere, erwach- senere Klimabewegung in Paris auf der Straße stehen. Diese Klimabewegung ist nicht nur erwachsen geworden, sondern auch in eine neue Rolle hineingewachsen. Wenn die Lethargie der Klimapolitik et- was fertig gebracht hat, dann war es dieses Empowerment.
Die Politik hat die Bewegung dazu ge- bracht, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen: Mit innovativen Kampagnen, die jedem zugänglich sind. Ein Beispiel hierfür ist die Divestment-Kampagne, bei der Millionen von Menschen mit einfachsten Methoden klimaschädlichen Firmen, Fonds und Gesellschaften den Geldhahn zudrehen. Auch die Anzahl an Energiekooperativen wächst. Diese errei- chen weit mehr, als nur Windräder oder Photovoltaik Anlagen zu bauen. Sie wer- den zu gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Akteuren und erhöhen so auch den Druck auf Politik und Wirt- schaft. Genau dies ist ein entscheidender Moment, in dem die Zivilgesellschaft zu einem politischen Akteur wird und diese Rolle auch wahrnimmt. In Paris braucht die Zivilgesellschaft sich also nicht vor der Politik zu fürchten. Nein, sie hat bereits eine Führungsrolle übernommen und kann mit Stolz verkünden:Politicians talk the talk, we walk the walk.
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