Treue Leser des Lëtzebuerger Journal kennen den Reflex: Der erste Blick wandert auf Zeitungsseite 2 in die rechte untere Ecke: Was steht im Opgepikt? Hier, in diesem Kleinod von einer Glosse, verwursten die beiden Haussatiriker – im Normalbetrieb seriöse Journalisten – allerlei zum Schmunzeln animierende Facetten des politischen, höfischen und medialen Lebens im Ländchen. Der Publikumserfolg des Opgepikt ist nicht nur dem spitzzüngigen Esprit seiner Autoren zu verdanken, sondern auch dem Umstand, dass in diesen 46 Zeilen anarchischer Freiheit sogar DP-Politiker (behutsam) durch den Kakao gezogen werden dürfen.
Das 1948 gegründete Lëtzebuerger Journal gehört neben Luxemburger Wort, Tageblatt und Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek zum Quartett der etablierten, bis nach der Jahrtausendwende (partei)politisch klar positionierten Tageszeitungen in Luxemburg. Über Jahrzehnte dienten diese vier Blätter der politischen Öffentlichkeit als große Bühne. Die Zeitungen agierten als machtbewusste Player in der Arena, hier wurde informiert, analysiert, kommentiert, debattiert, polemisiert und Propaganda getrommelt. Dass Fakten totgeschwiegen und missliebige Politiker weder zitiert noch fotografiert wurden, war gängige Praxis. Leitartikel waren nicht exklusiv das Werk von Berufsjournalisten, auch gewählte Abgeordnete (manche kumulierten beide Rollen) oder Escher Gewerkschaftsfunktionäre mischten munter mit. Wenn samstags die Chefredakteure und Blattdirektoren zur editorialistischen Feder griffen, waren ihre Worte in Stein gemeißelt. Sie konnten die Nation in Wallung bringen, wurden auf der Chambertribüne zitiert, waren die Chefideologen ihrer „Familie“ im Rahmen der weltanschaulich versäulten Luxemburger Gesellschaft.
In der offenen, säkularen, digitalen und globalisierten Dienstleistungsgesellschaft von heute, in der politische Volatilität die Regel ist, sind all diese Dinge passé. Eine Erkenntnis, die das Lëtzebuerger Journal 2012 dazu bewog, keine eindimensionale Parteigazette (mit Zwangsabonnement für DP-Mitglieder und seitenlanger Berichterstattung über DP-Parteitage) mehr zu sein, sondern eine kleine, feine, anspruchsvolle und pluralistische Tageszeitung für gut informierte Staatsbürger – liberal im besten Sinne des Wortes. Zu diesem Zweck adoptierte man ein vollkommen neues Blattkonzept. Das Ergebnis konnte durchaus überzeugen, weil es den Ansprüchen an eine moderne, schlanke Tagespresse im Zeitalter digitaler Informationsüberflutung gerecht wurde: viel Meinung, viel Analyse, ein Themendossier, alles Wichtige aus Politik, Wirtschaft und Kultur sowie der bewusste Verzicht auf exhaustive Lokalseiten und Sport, wo man mangels eines aufwendigen Korrespondentennetzes sowieso nicht wettbewerbsfähig war.
Nun stellt das „neue“ Journal nach verhältnismäßig kurzer Marktpräsenz zum Jahresende seine gedruckte Ausgabe ein. An ihre Stelle soll, mit der geplanten Reform der staatlichen Pressehilfe als Impulsgeber, eine zu hundert Prozent digitale Plattform treten, vervollständigt durch ein periodisch erscheinendes Printprodukt, über dessen Format – Zeitung oder Magazin? – noch nichts gewusst ist. So ist denn das Journal das erste der vier Traditionsblätter, das Abschied nimmt vom bedruckten Papier. In nicht allzu ferner Zukunft dürften auch die anderen Tageszeitungen, jene weltweit vom Aussterben bedrohten Dinosaurier, dem Trend gefolgt sein.
Dass das analoge Relaunch von 2012 dem Journal zwar viel Lob bescherte, ihm aber keine signifikanten neuen Leserschichten erschloss, mag nicht nur daran liegen, dass es dem Blatt trotz vielleicht löblicher Absicht nie gelang, eine kritische und glaubwürdige Äquidistanz zu allen Parteien – also einschließlich der DP – herzustellen. Alte Liebe rostet eben nicht so schnell, zumal auf Aktionärsebene alles im blauen Bereich blieb.
Zum anderen haben die beiden Konkurrenzprodukte auf dem Markt der dominant deutschsprachigen Tageszeitungen, also Luxemburger Wort und Tageblatt, ihre ursprüngliche Identität als Kampfblätter von Kirche und Linksgewerkschaften, von CSV und LSAP, in einem Maße abgestreift, dass die einst unüberbrückbaren ideologischen Festungsgräben heute größtenteils zugeschüttet sind und nur noch wie sanfte Rinnsale dahinplätschern. Dazu passt das mühelose Hopping von einer Redaktion zur nächsten, das im beruflichen Werdegang vieler Journalisten mittlerweile Normalität ist. Denn mit Ausnahme der KP–Zeitung und ihrer Oktoberrevolutionsrhetorik spielt inhaltlich überall die gleiche, allseits gefällige Mittelschichtenmelodie à la luxembourgeoise eines sozial abgefederten Wohlfühlliberalismus mit Öko-Tüpfelchen. Optimisten würden es als Zeichen einer „démocratie apaisée“ im multikulturell und international gebrandeten Kleinstaat deuten. Bewirkt die künftige Pressehilfe eine Proliferation irrelevanter Nischenmedien in den unendlichen Weiten des Cyberspace, kann das den Regierenden nur recht sein.
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