Von Nestbeschmutzern und Fischtheken

Investigativer Journalismus in Luxemburg

Auch wenn das vorläufige Urteil im LuxLeaks-Prozess nicht gerade für einstimmige Lobgesänge sorgt und jede Menge ungemütliche Fragen offen lässt, so kann zumindest an einer Stelle kurzzeitig aufgeatmet werden: Der französische Journalist Edouard Perrin, welcher durch seine investigative Tätigkeit für das Format „Cash Investigation“ neben dem Interesse von PwC Luxemburg an seiner Recherche auch jenes der Öffentlichkeit weckte, wurde freigesprochen.

Dies ist nur ein Tropfen auf einen überhitzten Stein, aber ein Rundumschlag im Sinne des „Shoot-the-Messenger“-Prinzips wäre noch verheerender gewesen, als es die derzeitige Debatte um Tax Rulings und Whistleblower in Luxemburg ohnehin schon ist. Neben dem eigentlichen Inhalt der LuxLeaks-Affäre drängen sich jedoch noch ganz andere Fragen auf: Warum waren keine luxemburgischen Medien beim Aufdecken dieses historischen Skandals impliziert? Gibt es in Luxemburg keine Perrins, Wallraffs (Bild-Affäre) oder Bernsteins sowie Woodwards (Watergate-Affäre)? Oder ist investigativer Journalismus schlichtweg unerwünscht im „et war alles (l)egal“-Paradies?

forum hat mit mehreren luxemburgischen Journalisten gesprochen, die im Laufe ihrer redaktionellen Tätigkeit auch schon investigativ gearbeitet haben oder dies derweil tun. In den Unterredungen ging es unter anderem um die Frage nach einer Art Sonderstatus des Großherzogtums als journalistischem Arbeitsfeld. Auf Namensnennungen wird aus Gründen der Diskretion und des Schutzes der Befragten verzichtet.

Da es sich bei der Bezeichnung „Journalist“1 ebenso wenig um einen geschützten Begriff handelt wie folglich auch beim „investigativen Journalismus“, befinden sich beide Bezeichnungen in einem ständigen Wechselspiel zwischen der Selbstwahrnehmung des Einzelnen und der Fremdwahrnehmung durch ein sehr heterogenes Publikum. Zumindest im Rahmen der forum-Interviews waren sich alle Befragten, unabhängig voneinander, in einem Punkt sofort
einig: In seiner Machart, also beispielsweise in Bezug auf Präzision und saubere Recherche, sollte der investigative Journalismus sich nicht von alltäglicher journalistischer Arbeit unterscheiden. Dies wirkt zuweilen ironisch, weil eben schon bei alltäglicher Berichterstattung, auch auf Seiten der größeren Medien in Luxemburg, reichlich geschludert wird. Mancherorts muss man sogar immer wieder auf ein Neues darauf aufmerksam machen, dass auch im digitalen Zeitalter ein kurzes Googeln noch lange nicht die Bezeichnung „Recherche“ verdient hat. Dass man zudem beispielsweise argumentationsfreien Leserbriefen Fakten und Analysen ebendieser gegenüberstellen kann, scheint auch noch nicht in jeder Redaktion angekommen zu sein.

Ein Blick auf die in- sowie auch die ausländische Presselandschaft zeigt, dass der Begriff der Investigation nicht selten auch zur Zweckentfremdung einlädt. In diesem Sinne können bei diesem Thema dann in Luxemburg auch schon mal nicht gerade auflagenschwache Blätter in den Vordergrund rücken, welche man in der Debatte um investigativen Journalismus nicht unbedingt vermuten würde: „Warum verkauft sich Lëtzebuerg Privat in Luxemburg so gut?“ wirft eine der befragten Personen ein und fährt fort: „Vereinfachend könnte man dies damit in Zusammenhang bringen, dass viele Medien hierzulande sich gar nicht erst die Mühe machen, ,andere‘, vom Alltag abweichende Themen zu suchen und auszuarbeiten.“ Obwohl die befragte Person die Arbeit von Lëtzebuerg Privat keineswegs als nachahmungswürdig bezeichnet, empfiehlt sie, die Wirkung eben dieser Vorgehensweise nicht zu unterschätzen.

Während im angelsächsischen Bereich seit Mitte des 20. Jahrhunderts von einer investigativen Kultur die Rede sein und beispielweise auch der Pulitzer Preis als öffentliche Gratifikation eben dieser Tätigkeit gelten kann, ringt man hierzulande sogar damit, überhaupt genügend potentielle Kandidaten für den Journalistenpreis zu finden. In diesem Kontext scheint es durchaus interessant, dass eben jener Preis für investigatives Arbeiten kürzlich an einen Kulturjournalisten vergeben wurde. Da die hiesigen Medien nicht unbedingt überschäumen vor investigativen Berichten, ist man geneigt sich zu fragen, warum den Herrschaften rund um das angesprochene Boulevardblatt das Feld denn scheinbar kampflos überlassen wird? Dies mag zum einen an Entscheidungen von höchster Stelle liegen, meint eine der befragten Personen: „Große Teams, die Vollzeit an solchen Dossiers arbeiten, sind illusorisch in Luxemburg. Hier darf es meistens nichts kosten und es muss schnell gehen. Wenn du eine Woche freigestellt wirst, um eine Story zu machen, dann hast du Glück.“ Zum anderen steht laut einer weiteren befragten Person im Großherzogtum sehr schnell der Vorwurf der Nestbeschmutzung im Raum: „Wenn du im Finanzsektor recherchierst, bekommst du ab und an auch schon mal zu hören, ob du dich denn schon mal gefragt hast, wo das Land stünde, wenn es den Finanzplatz nicht gäbe.“ Eben diesem Gedanken folgend fügt sie hinzu: „Luxleaks wäre alleine mit der Luxemburger Presse nicht so rausgekommen, weil vor allem die Wirtschaftspresse sehr protektionistisch agiert.“ Hier fühlt man sich an einen forum-Artikel des Wirtschaftsjournalisten Pierre Leyers erinnert. Bezugnehmend auf zwei für Luxemburg wichtige Ereignisse, nämlich die Clearstream-Affäre sowie die Übernahmeschlacht zwischen den Stahlriesen findet er ehrliche, allem voran aber alarmierende Worte: „[O]b wir Journalisten uns immer ehrlich bemüht haben, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, wage ich aus heutiger Sicht zu bezweifeln.“2

Journalistische Schoßhündchen?

Hier drängt sich die Frage nach der Existenz einer sogenannten „Vierten Gewalt“ in Luxemburg auf. Ist sie erwünscht oder verstehen sich Luxemburger Journalisten besser im Klinkenputzen als im kritischen Nachfragen? Die Ambivalenz, die allein schon dem Begriff „Vierte Gewalt“ innewohnt, macht klar, wo die Problematik liegt: Versteht man den Begriff wortwörtlich, so gelten die Medien als Teil des Staates, obwohl sie eigentlich als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft fungieren sollen. Betrachtet man die in Luxemburg ohnehin nicht seltene, große Nähe zwischen Politikern und Journalisten, so kann dieses Grundverständnis gefährliche Ausmaße annehmen. In einem Lokalstaat wie Luxemburg fände man folglich eine Situation vor, in der so mancher Journalist zum Pressesprecher einiger Politiker oder durch Selbstzensur gar zu deren Wachhund wird. Letzteres ist vor allem deswegen problematisch, weil im journalistischen Bereich sogenannte watchdogs eigentlich für die Demokratie, die Gesellschaft und das öffentliche Interesse eintreten sollen.

In diesem Kontext betont eine der befragten Personen, dass man bei investigativer journalistischer Arbeit die Ursache nicht mit der Wirkung verwechseln solle: „Wir machen keine Politik, auch wenn die Dossiers, die wir behandeln, politisch sind. Wenn etwas brisant ist, dann ist es immer auch politisch, weil es um Verantwortung geht.“ Hier scheint es auch sehr interessant, die Beweggründe der Informanten in Luxemburg zu analysieren: „Idealismus ist, auch wenn man es nicht annehmen würde, prädominant als Motiv. Es handelt sich bei den Menschen, die uns ansprechen, häufig um Personen, die an die Bedeutung ihrer Arbeit glauben und die wissen, dass sich Situationen unter den aktuellen Umständen problematisch entwickeln.“ Nichtsdestotrotz seien Quellen, die Journalisten aufsuchen, immer mit Vorsicht zu genießen, betonen alle Befragten. Die Größe des Landes mache sich vor allem dann bemerkbar, wenn eine von mehreren Quellen der einen Story später auf einmal bei einer anderen Story als Verdächtiger auftauche, gibt einer der Interviewpartner zu bedenken: „Dann darfst du als Journalist auf keinen Fall aus Dankbarkeit für vorherige Informationen darauf verzichten, der Geschichte nachzugehen.“ Man beobachte aber leider manchmal auch das genaue Gegenteil in der luxemburgischen Presse: „Ich bekomme ja schon mit, wer mit wem verkehrt. Dementsprechend ist es spannend, zu sehen, welche Journalisten bei ganz bestimmten Themen gar nicht erst anspringen.“

Die Mär von der Transparenz

Gerade wenn es um Probleme innerhalb des Staatsapparates ging, entstand im Gespräch mit Journalisten innerhalb und außerhalb der Interviews immer wieder der Eindruck, dass die sogenannte „Circulaire Bettel“ eigentlich niemanden, außer den Verfassern selbst, zu Freudensprüngen verleitet. Sie erschwere die journalistische Arbeit und spiele auch eine nicht unwesentliche Rolle bei der schlechten Platzierung Luxemburgs in der Rangliste der Pressefreiheit. Hier belegt das Großherzogtum trotz einer minimalen Verbesserung im Gegensatz zum Vorjahr nur den 15. Platz.3 Die Interviewpartner betonen immer wieder, dass auf Seiten der politischen Entscheidungsträger ein problematisches Verständnis vom Journalistenberuf besteht: „Wir stellen keine ,question parlamentaire‘. Eine Anfrage, die durch 36 Instanzen gehen muss, hat nichts mehr mit Journalismus zu tun. Zudem bleiben Antworten mittlerweile auch öfter mal vollständig aus.“ Eine der befragten Personen berichtet davon, dass gerade auf staatlicher Ebene die Kommunikationsschrauben angezogen wurden: „Aus manchen Verwaltungen heißt es, man müsse sehr gut aufpassen, denn die Vorgesetzten würden herausfinden wollen, wer genau mit den Journalisten rede.“ Ein wenig überspitzt forumuliert heißt es weiter: „Wenn eine bestimmte Person sich nicht so verkaufen konnte, wie sie es gewünscht hätte, fängt in den Verwaltungen auch schon mal eine Hexenjagd an.“

Eine andere der befragten Personen gibt jedoch auch zu bedenken, dass in Luxemburg durchaus viele Informationen öffentlich zugänglich sind und sie trotzdem niemand eines Blickes würdigt: „Ein Beispiel hierfür wäre das Verwaltungsgericht. Jedes Urteil wird anonymisiert hochgeladen und die Presse bringt es dann trotzdem fertig, drei Monate nicht mitzubekommen, dass ein wichtiges Urteil gefallen ist.“ Zudem sei der Zugang zu Basisinfos oder Gerüchten nicht wirklich schwer: „Das klassische Gerücht ist ja das von einem Transportminister, der auf der Autobahn mit 200km/h geschnappt wurde, aber es geht weit darüber hinaus. Ich habe den Eindruck, dass hierzulande viele Menschen sehr viel wissen, weil auch sehr viele Leute unvorsichtig sind. Es wird viel zu viel geredet. Zudem kommt man leicht in Milieus, in denen man Dinge erfährt, die nicht in der Öffentlichkeit bekannt sind.“

Unter derartigen Umständen Diskretion zu wahren ist also kein Kinderspiel, denn es müssen alle Betroffenen an einem Strang ziehen. Dementsprechend spielen sowohl der Schutz der Quelle als auch die Wahrung der eigenen Glaubwürdigkeit eine Rolle: „Wenn du hier einmal einen Fehler machst, weiß es jeder, dann schreibst du danach nur noch über die neue Fischtheke im Cactus.“ Er- oder gar bekannt zu werden, sei anderswo, aber gerade auch in Luxemburg sicherlich nicht empfehlenswert, meint ein Interviewpartner: „Du willst als Journalist gar nicht persönlich in einer Vitrine stehen, weil das deine Arbeit im Nachhinein nicht unbedingt vereinfacht. Vor allem bei Recherchen außerhalb sicherer Räume kann das die Sache verkomplizieren.“

Beweg(ab)gründe

Der forum-Redaktion sind Fälle aus Redaktionen luxemburgischer Medien bekannt, in denen es intern nicht erwünscht war, dass die Journalisten zu intensiv nachfragen und beispielsweise Anzeigenkunden in Bedrängnis bringen. Ist dies ein guter Nährboden für eine neue Generation von investigativen Journalisten? Da man zudem keine Informanten nach der Pensionierung „weiterreichen“ kann, stellt sich die Frage nach der Nachhaltigkeit investigativer Tätigkeit in einer Redaktion. Ein Interviewpartner gibt zu bedenken, dass es sich dabei um eine Arbeit handelt, die nicht jeder mag und mögen muss: „Tagelang am Telefon zu hängen und Menschen hinterher zu rennen, das macht nicht immer und auch nicht jedem Spaß, man muss es schon gerne machen, dieses Adrenalin haben, um dabei einen Kick zu verspüren. Trotzdem muss man den Exklusivitätskick bremsen können, denn wer immer nur der Erste sein möchte, macht Fehler.“ Dass bestimmte Medien mit einer gewissen Vorliebe nicht überprüfte Informationen veröffentlichen, während man selbst noch eine Bestätigung abwarte, sei zu verschmerzen, wenn man dann einige Stunden oder Tage später mit mehr Inhalt auftrumpfen könne.

Als Motor für die teils langwierige, aufreibende und vor allem ab und an auch frustrierende Arbeit, nennen alle Befragten den Wunsch nach Gerechtigkeit. Obwohl es sich hierbei um einen abstrakten und durchaus sehr idealistischen Begriff handelt, so scheint er doch gerade in den letzten Jahren zumindest wieder vermehrt in den Mund genommen zu werden. Die junge Journalistin Annick Goerens beschäftigte sich in ihrer Abschlussarbeit an der City University London mit investigativem Journalismus in Luxemburg und warf unter anderem die Frage auf, ob politisch schwierige Zeiten nicht auch die journalistische Kultur aufleben lassen. Die von ihr befragten Akteure aus dem Bereich der Medien gaben nämlich an, dass die Jahre 2012-2015 einen Schlüsselmoment im luxemburgischen Journalismus darstellen. Hier kommen der „Bommeleeër“, die sogenannte „Wickreng-Léiweng“-, die „Cargolux“- sowie natürlich auch die „SREL“-Affäre mit ins Spiel. Alle gingen sie mit einer langsam, aber sicher erwachenden medialen Szene einher, in der Journalisten es sich nun nicht mehr leisten können, wieder in den Dornröschenschlaf zu verfallen.

 

1 In Luxemburg ist lediglich die Bezeichnung „Journaliste professionnel“ geschützt.

2 Leyers, Pierre: „Die Karte und das Gebiet“ in: forum 339, S. 44.

3 https://www.reporter-ohne-grenzen.de/rangliste/2016/

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